Panipale

Nr. 282 2. J. hrgang

Frethett

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, 1 Dezember 1934 Chefredakteur: M. Braun

Gewerkschaften für Status quo

Seite 3

Zusammenstoß mit einem englischen Polizeioffizier

Seite 4

Hermine, Exkronprinz und andere Tg.

Seite 7

Sodom und Gomorrha

Die Früchtchen hitlerdeutscher Erziehung

In Seinem Geiste

Berlin  , 16. Dezember 1984. Im Deutschen   Reiche unter Hitlers   positiv christlicher Führung ist bekanntlich die Gottlosigkeit vollkommen aus­gerottet, die unter dem atheistischen marxistischen   System mit Unterstützung der schwarzen Marristen des Zentrums und unter stillschweigender Tolerierung der katholischen Bischöfe crassierte und unser deutsches Volf, insbesondere aber die unerfahrene Jugend, bis ins Marf vergiftete. So verkündete eben noch Herr Dr. Goebbels   als Reichsreklamechef in der alten Bischofsstadt Trier  . Dank der rettenden christlichen Tat des Führers". die rein zufällig mit der Brandstiftung des Reichstages zusammentrai, ist die verwirrte und verhetzte Jugend wieder auf die Pfade germanischer Tugend zurück­geführt worden. Nun sorgen strenge deutsche   Disziplin in Schule und Haus, in Hitlerjugend   und BdM  . und dann noch der Staatsjugendtag allwöchentlich dafür, daß das marxistische Seelengift nicht an die jungen Menschen herankommt.

Wie sieht es nun aus, nachdem die Jugend zwei Jahre im mit Respekt zu sagen- Geiste Adolf Hitlers   erzogen worden ist? Wir haben wiederholt sehr eindeutige Berichte über die hitlerdeutsche Sittlichkeit im BdM., in der SA.   und der SS., in den Schulungslagern und in den Arbeitsdienst­lagern veröffentlicht. Diese Schilderungen bewegten sich durchaus in den Bildern, die der Führer" als Abschluß der mörderischen Gäuberungsaftion des 30. Juni von der Zucht­losigkeit seiner nächsten Umgebung in höchsten Führerstellen gab, nachdem er ein Jahrzehnt dieser Fäulnis feines engsten Freundeskreises tatenlos zugesehen hatte.

Sodom und Gomorrha!

Wir wissen, daß seit Jahr und Tag führende Geistliche und Jugenderzieher aller Richtungen. die nationalsoziali stischen mit ihrer totalen Verwilderung und Unfähigkeit natürlich ausgenommen, sich die schwersten Sorgen machen über die Verrohung und Entsittlichung der Jugend des ,, dritten Reichs". Wenn wir dazu schrieben, waren es natürlich Greuelmärchen". Geben wir nun heute einer gewiß einwandfreien Stelle das Wort:

Im Kirchengemeindeblatt der Stadtgemeinde Weimar vers öffentlicht Oberpfarrer Kade im Namen sämtlicher Ortsgeistlichen einen Aufruf an die Eltern der dies: jährigen Konfirmanden. Der Fleiß der Konfirmanden und ebenso deren Verhalten in, vor und nach den Nonfir mandenstunden lasse viel zu wünschen übrig Das gelte vor allem für die Jungen, obgleich in einzelnen Bezirken über die Mädchen noch weit mehr geklagt werde. So lasse vielfach nicht nur der Gottesdienstbesuch zu wünschen übrig, sondern noch schlimmer sei das Benehmen der Konfirmanden in der Kirche selbst. An einem der letzten Sonntage habe sich der amtierende Pfarrer einer Kirche wegen des Verhaltens von Konfirmanden sogar veranlaßt gesehen, seine Predigt zu unterbrechen und die Konfirmanden zur Ordnung zurufen. Die Eltern werden daher nochmals ebenso herzlich wie dringend gebeten, die Pfarrer zu unterstüken. So wie es jekt ist, könne es nicht weitergehen. Wenn Kon= firmanden durch Faulheit und durch Zuchtlosigkeit weiterhin zeigen, daß ihnen die nötige Reife fehle, donn bleibe gar nichts anderes übria, ala fie auf Grund der Kirchenordnung vom Konfirmandenunterricht und von der Konfirmation, mangels genügender Reife, zurückzuweisen.

Die große Sünde

Weimar   war schon Jahre vor der Machtergreifung Hitlers   eine Hochburg der Nationalsozialisten. Hier wirfte der erste Innen- und Bildungsminister des National­sozialismus, Herr Dr. Frid. Hier wurden unter be­geisterter Zustimmung der evangelischen Pastoren Frids deutschchristliche Gebete" in der Schule eingeführt. Dás Ergebnis dieser Sorte Christentum" Hitlerscher Prägung find Kirchenifandale, hervorgerufen durch Konfirmanden. Erinnert man sich, daß je in den verruchten marristischen Zeiten solche Notrufe aus der Kirche sich notwendig ge­macht hätten? Die Gottlosen" schickten ihre Kinder nicht zur Konfirmation, weil sie die Heuchelei verabscheuten. Jetzt aber ist die Zugehörigkeit zur Kirche, der amtliche Nachweis zur zu einer gesellschaftsfähigen Religion Staatsräfon und zur moralischen Pflicht für jeden Staats­bürger erhoben.

Kirchentreue ist die Vorbedingung zur Peife" und zur Karriere, zum Studium und zu den Prüfungen. Die Früchtchen dieser Erziehungsgrundiäke entsprechen der tiefen Unjittlichkeit des Enftema

Wir kaben mit den Pfarrern, auch denen der oppo­sitionellen Befenntrisfirche, kein Mitleid und bestreiten ihnen das Recht zu ihrem Aufbegehren. Wären sie Karl Barth   und einige andere waren rühmliche Ausnahmen nicht gottentfremdet und gottverlassen gewesen, und darum voller pharisäerhafter Vorurteile gegen die ethische Kultur der sozialistischen   Arbeiterbewegung, so hätten sie spüren müssen, daß im Nationalsozialismus ein zerstörender Feind jeder auf Humanität begründeten Kultur heran­wuchs, sie sei religiös oder ethisch begründet wie immer. Das Lesen einer Seite in Hitlers   rohem Lebensbuche Mein Kampf  ", eines Kapitels des barbarischen Buches von Rosenberg Mythus des 20. Jahrhunderts", das An­hören eines einzigen nationalsozialistischen Redners mit seinem Gift voll Haß und Wut und Rache hätte die Kirch= lichen belehren und erschüttern müssen, wenn auch nur noch ein Hauch des Geistes Jesu Christi   und seiner Berg­predigt in ihnen gelebt hätte.

Sie waren seelisch tot, sind es noch, denn ihr Kampf geht zumeist nicht um religiöse Güter, sondern um organisa= torische Rechte, um die Macht über den kirchlichen Appa: rat, und darum sind sie in die große kulturelle Katastrophe Deutschlands   hineingerissen.

Schon ihr Schweigen zur berrschenden Bestialität macht sie mitschuldig. Auch der Hilferuf der Weimarer   Pfarrer deutet nur an. Es ist ja alles weit schlimmer. Die sexuelle Zügellosigkeit, die man sehr zu Unrecht der im Gegenteil

zu einer ebenso natürlichen wie hohen Sexualethif er­zogenen marristischen Jugend nachsagte, feiert im BdM., in der Hitlerjugend  , in der SA.   und der S. Orgien. Dem BdM. mußte die Teilnahme an dem diesjährigen Partei­tag verboten werden, weil im vorigen Jahre viele Mäd­chen, darunter noch schulpflichtige, geschwängert worden maren. Uns ist ein Fall bekannt, daß in einem Lager von 70 Mädchen 30 unehelich schwanger wurden. Man versucht diese Vorfälle zu vertuschen und erreicht dadurch nur, daß sie gerüchtweise noch vergröbert werden.

Es gibt keine Stadt mehr im Reiche, wo man sich nicht erzählt, daß im Krankenhaus unmündige Siltermädels entbunden haben. Es gibt keine Jugend, in der man sich nicht von Orgien bei gemeinsamen Treffen von männ licher und weiblicher Hitlerjugend erzählt. Es gibt kein Gebiet in Deutschland  , wo man fich nicht zutuschelt, daß in manchen Fällen die Führer bei solchen Zusammen fünften zur Vermischung aufgefordert hätten, und diese Erzählungen werden überall geglaubt,

meil jeder in seinem Bekanntenfreise den sittlichen Verfall selbst beobachten fonnte, und weil erwiesen ist, daß in vielen Bildungskursen die uneheliche Mutterschaft für die Geburtenschlacht geradezu besungen und gepriesen wird.

Von den braunen Bonzen, die zur Erziehungsarbeit an der Jugend sich berufen fühlen, entwirft der Korpsführer des Nationalsozialistischen Kraftfahrerforps, Obergruppen­führer Hühnlein ein Bild, das erklärt, wie die täglichen Autounfälle führender Nazis zustandekommen.( Eben erst hat sich der Gruppenführer Zunkel von Thüringen   totge­fahren):

nur vor

,, unerfahrenheit, Leichtsinn, Alkohol und Rennommierfucht sind meist des Unfalls beste Wegbereiter. Wer nach durchzechter Nacht das Steuer des sonst vom Berufschauffeur gefahrenen Wagens selbst ergreift, um und wie oft ist dies der Fall dem andern Geschlecht mit seinen Fahrfünften zu prahlen, beweist damit nicht etwa seine Forschheit, sondern einzig und allein sein mangelndes Verantwortungsgefühl. Unerfahrenheit, Leichtsinn, Alkohol und Renommiersucht läßt sich eine bessere Gharakteristik des ganzen Deutschland   zur Zeit verwüstenden Systems und seiner meisten Führer geben?

So wie bisher fann es nicht weitergeben!" So sagen wörtlich die armen an sich selber und ihrer Hitlerei verzweifelten Pastoren von Weimar  . So schließt auch wörtlich die große Moralpauke des Führers der motorisierten Bonzenaristokratie.

" So fann es nicht weitergehen." Das ist die Meinung des ganzen deutschen   Volfes, ausgenommen die finanziellen Nußnießer des Systems von den Revolutions­gewinnern Hitler  , Göring  . Goebbels   und Kompanie bis hinab zu den sich bereichernden Ortsgrößen.

" So fann es nicht weitergehen." aber es wird so weiter­gehen, bis des Volfes allgemeine Klagen zum Willen und zur Tat emporwachsen. Dann erst wird die große Sünde wider den Geist der Nation getilgt und wird das große Verbrechen an Deutschland   gesühnt werden.

Zehn Tage von tausend Jahren ,, Nur nicht drängeln, es kommt jeder dran"

Jeder dieser Lumpenhunde Wird vom nächsten abgetan. Sei nur brav zu jeder Stunde Keiner hat dir etwas an.

Goethe.

Man muß sich langsam darauf einrichten, vom inner­politischen Kriegsschauplatz des Dritten Reiches  " jeden Tag Heeresberichte und Verlustlisten zu publizieren. Jmmer neue ,, Staatsfeinde" werden von der Gestapo   ent­deckt, braune Amtswalter kommen wegen Hinterziehung. von öffentlichen Geldern in immer länger werdenden Serien ins Zuchthaus, oben an den Spitzen der braunen Macht und Herrlichkeit stürzen täglich ein paar Promi­nente, um nie wieder aufzustehen. Die Presse außerhalb des dritten Reiches" ist beinahe außerstande, daraus noch Neuigkeiten und Sensationen zu machen, denn das Alltäg­liche und Gewohnte stumpft ab.

Der Herr Reklameminister muß zu den seltsamsten Be schwichtigungsmitteln greifen. Jüngst, in einer Versamm­lung im Berliner Sportpalast, pries er Deutschland   als die ruhige Insel im stürmischen politischen Wellengange des Zeitenmeeres. Ringsumher Krisen, nichts als Krisen, Königsmorde und Kabinettsstürze, jedoch im dritten Reiche" stehe ein geliebter Steuermann strahlenden Blicks und führe das Volk, getrieben von seinem Dämon", in die schönere Zukunft, wenn es auch heute noch darben und entbehren müsse. Nur noch die Besessenen glauben ihm. Immer wilder brausen die Stürme über das Verdeck des fliegenden Braunauers.

Blicken wir über die letzten zehn Tage. Herr Brück­ner, bisher König in Rübezahls Reich, figt auf Befehl seines Führers" unter dem Verdacht des Hochverrats im Gefängnis. Um uns breitet sich der Schatten herber Ent­täuschungen und tragischer Menschenschicksale": so schreibt Brückners Ersatzmann, der westfälische Gauleiter Wagner  , in einem Aufruf an die Bevölkerung Schlesiens. Das von Brückner gegründete schlesische Naziblatt fügt hinzu, der Führer habe gesprochen, und ein Nationalsozialist frage nicht nach den Gründen.

Aber wichtiger mar Gottfried Feders Entfernung. Wir müssen an eine Episode erinnern, aus einer Zeit, als er noch im vollen Glanze des theoretischen Pioniers redend und schreibend für die große Sache des National­sozialismus warb. Es war im Jahre 1931. Der Deutsche Rundfunk war damals so liberalistisch verseucht, daß er in 3miegesprächen politische Gegner vor das Mikrofon brachte. Da gab es einmal eine Unterhaltung zwischen dem sozialdemokratischen Hochschullehrer Professor Erik Nölting und Gottfried Feder  , und Millionen hörten höchst interessiert zu. Feder, sprachlich unbeholfen und sektiere­risch an seine Formeln verhaftet, hat damals nicht sehr gut abgeschnitten. Aber man hörte doch die verbissene Stimme eines Mannes, der an seine Sache fanatisch glaubte. Als der Führer" endlich alle Macht besaß. setzte er seinen früheren Instrukteur in Volkswirtschaft mit niedrigster Parteinummer auf immer einflußlosere Posten, um schließ­lich von ihm und von der zu brechenden Zinsknechtschaft gänzlich Abschied zu nehmen.

Weniger erregend war die Kaltstellung des bisherigen Reichsjustizkommissars Dr. Frank. Er hat die große Gleichschaltung der deutschen   Juristen exekutiert, ohne Skrupel und besessen ehrgeizig, im Mark demoralisiert und befleckt durch befohlene Morde. Diefer uniformierte frühere Münchener   Rechtsanwalt feisten Gesichts hat vor deutschen   Rechtslehrern und deutschen   Richtern Säße prägen dürfen, die noch in fernen Zeiten eine Schande für die deutsche Rechtspflege sein werden. Jetzt hat sich die alte Justizbürokratie wieder etwas stabilisiert. Sie hat durchgesetzt, daß sie beim treuen Dienst am totalen Staat von diesem Führer" mit dem leichten Wildgeruch nicht mehr kommandiert wird. Frank ist noch Ehrenvorsitzender der Gesellschaft für deutsches Recht" geblieben, ein ein­flußloser Posten von verschlissenem Glanze.

Gleichzeitig aber vollzieht sich in noch höheren Regionen dem anderen. Man weiß, daß es zwischen Göring   und der braunen Apparatur ein heftiger Machtkampf neben Goebbels   nicht zum besten bestellt ist. In ihren erlesenen Spezialzirkeln pflegen die Herren übereinander Worte zu prägen, die der liebenden Kameradschaftlichkeit sehr ent­behren. Aber auch zwischen Goebbels   und Rosen­berg ist jetzt in aller Deffentlichkeit ein scharfer Rivali­tätsstreit entbrannt. Der bisherige Geschäftsführer der Reichskulturkammer  , Moreller, wurde von Goebbe's plötzlich mit der Ueberwachung der künstlerisch- kulturellen Entwicklung der NSDAP  . betraut. Diese Ernennung ist ein offener Affront gegen Alfred Rosenberg  , den kultur­politischen Diktator durch Adolf Hitlers Auftrag. Rosen­ berg   hat als Leiter des außenpolitischen Amts der Portei in den letzten Monaten sehr viel an Einfluß verloren, be