Deutsche   Stimmen

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Beilage zur Deutschen Freiheit

Mittwoch, den 19. Dezember 1934

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Ereignisse und Geschichten

Das peinliche Kreuz

Von Paul Wertheim

An dec Porta Westfalica   bei Minden   soll ein Schlageter. Denkmal errichtet werden. Schlageter mit dem Beinahmen der erste Gefallene der Bewegung der laut Urteil eines französischen   Kriegsgerichts in der Galzheimer Heide erschossen wurde nach einem aller­dings vergeblichen Versuch, die Bewegung gegen sprechende Bezahlung an die Franzosen zu verraten. Die diesbezüglichen Briefe Schlageters sind im vorigen Jahr in Paris   veröffentlicht worden.

ent­

Die Porta Westfalica   an der Weser   ist einer der schönsten Landstriche Deutschlands  . Schönheit. die allerdings nicht mehr ganz intakt ist. Von der Höhe herab knallt nämlich aus der Landschaft heraus, das Landschaftsbild zerstörend. als Denkmal für Wilhelm den Großen" ein bombastischer Steintempel. Seinerzeit, als er errichtet wurde. wußte man von Heimatschutz noch nichts. sondern hatte seine unbän­dige Freude am Zerstören schöner Landschaftsbilder. Dem weiteren Denkmals- Bedürfnis entsprechend. soll hier, eben­falls weit ins Land sichtbar", noch ein Schlageter- Denkmal errichtet werden Und zwar eine Wiederholung des Schlageter Kreuzes, wie es in der Golz­heimer Herde bei Düsseldorf   steht. Der Denkmals. sockel ist bereits aufgemauert.

Da aber ergaben sich auf einmal die allerschwersten Be denken. Als Symbol der nationalen Bewegung ein Kreuz! Sollte Baldur von Schirach   etwa die Hitler­jugend hinführen zu einem als Symbol errichteten Kreuz?! Kann

man einem Neuheiden. Papst und Christentums­verächter wie Alfred Rosenberg   zumuten, unter dem Zeichen des Kreuzes Wotanskultur zu predigen?! Untragbar. das Kreuz an der Porta Westfalica   war einfach natragbar für die nationale Bewegung.

Zum Glück wurde das noch rechtzeitig erkannt und nach Fertigstellung des Sockels die weitere Arbeit eingestellt. Der Führer wurde angerufen. Der Führer" tat, was er in Sachen des Kreuzes immer zu tun pflegt, er entschied sich nicht für das Kreuz und wälzte die Verantwortung auf andere ab. In diesem Falle auf den Gauleiter von West­ falen- Nord  . Meyer. Meyer hat nun im Sinne des Führers entschieden, daß das Kreuz als Symbolim, drit­ten Reich nicht in Frage kommt. In einer Er­klärung, die er veröffentlicht. heißt es, daß das Kreuz als Zeichen der Trauer über den Tod Schlageters an der Er­schießungsstätte berechtigt war. Darüber hinaus will er aber von einer Berechtigung des Kreuzes nichts wissen. vielmehr..bestehe der berechtigte Wunsch, diesem Denkmal den Charakter eines Denkmals der nationalsozialistischen Revolution zu geben und das auch durch Symbole der Be­wegung zum Ausdruck zu bringen. Das sei die Einstellung der Bewegung und ihrer Führer". Natürlich ist das allem der Grund, warum zwar überall im Land Irminsäulen er­richtet werden können, das Kreuz aber an der Porta West­ falica   untragbar ist. Und zur Beruhigung derer, die von solch bewußter Ablehnung des Kreuzes beunruhigt sein könnten, schließt er seine Erklärung:..Es kann nicht die Rede davon sein. daß wir das Kreuz an sich ablehnen oder die Nichtaufrichtung des Kreuzes aus christentumsfeind­licher oder kirchenfeindlicher Einstellung betreiben. Ich habe meine Entscheidung abhängig gemacht von der An sicht und dem Wunsch der maßgebenden Stellen von Partei, Staat und Stadt des Kreises Minden  . Hinter dem neuen Plan stehen in einmütiger Ge schlossenheit Partei. Regierung und Stadt." Auf jeden Fall, wenn auch aus nicht zugegebener christen­tumsfeindlicher, so doch aus ausgesprochen nationalsozia­listischer Gesinnung. Das bereits fertige Krenz. das eines Revolution" nicht Denkmals der nationalsozialistischen würdig ist, soll in Minden   auf dem Friedhof zum Gedenken en die Toten des Weltkrieges aufgestellt werden.

zu

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Bücher­

Seiner Zeit, als es Propagandaministerium. verbrennerei usw. in Deutschland   noch nicht gab. wurden deutsche   Bücher auch im Ausland stark ge­kauft. BIS dem Tag der Bücherverbrennung galt Deutschland   als das Land der Dichter und Denker und was deutsche   Geister dichteten und dachten, wurde in vielen Ländern der Welt mit vielem Interesse gelesen. Zum größten Teil freilich gerade die Autoren. deren Bücher Goebbels   verbrennen ließ, z. B. Lion Feuchtwanger. der in England und Amerika   seit langem zu den best sellers gehört. Das deutsche Buch war begehrter Export. artikel, der dem Reich auch allerhand Devisen ein­brachte, denn der Rohstoff: der deutsche Geist, war ja autark im Land vorhanden. Damals noch: inzwischen hat die Sache sich ja geändert. Jene Autoren, die das Ausland

besonders gern gelesen hat. haben, als sie außer Landes gehen mußten. zwar sonst nicht viel, aber immerhin doch ihren Geist mitnehmen können und ihre große Leser­gemeinde außerhalb des..dritten Reiches" bezieht ihre Bücher nunmehr aus Holland. der Schweiz  , der Tschecho­ slowakei  , der Saar usw.

Hingegen die Blubo   dichterei

er

Nicht einmal heimisch im..dritten Reich" wird das Zeug gelesen. Die von früher her noch vorhandenen besseren Verleger drucken, um möglichst auch ein paar verkäufliche Bücher zu haben, irgendwelche skandinavischen Autoren. Skandinavisch ist auf jeden Fall..nordisch": dagegen kann sogar die Reichskulturkammer nichts machen. Im übrige hält es der gebildete Deutsche mit den neu erscheinenden Büchern wie mit der Goebbels unterstellten Presse: kauft und liest sie nicht mehr. Das Ergebnis der Deutschen Buchwoche", so wird im Dezember­left des..Schrift teller berichtet, steht in keinem Ver­hältnis zu den großen Aufwendungen an Arbeit und Un­kosten. Natürlich wirds nicht vorne im Hauptteil berichtet. da stehen abgedruckt Ansprachen vom Führer", von Goeb bels usw. und ist überhaupt alles Begeisterung, sondern bloẞ hinten in den Gauberichten. Bei Fassadenkultur ists immer vorne die verlogene Stuckpracht und hinten über die Hintertreppe kommt die Wahrheit doch noch.

50:

Für das Ausland gar scheint das, was im dritten Reich an schöner Literatur geschrieben und gedruckt wer den darf. noch weniger Anziehungskraft zu haben. Man könnte segar von geradezu Abstoßungskraft reden In einem Weihnachtsbücherbericht der..DAZ." wird fest­gestellt: Das Auslandsgeschäft mit Büchern hat sich in den letzten Wochen schon wieder etwas gebessert, aller­dings wird nur noch deutsche   Wissenschaft, kaum deutsche  Literatur ins Ausland verkauft."

nur:

Ueber die katastrophalen Verhältnisse in Holland  . wo man deutsche   Bücher in der Hauptsache vom Querido Verlag, de Lange oder van Kampen. aicht aher aus Leipzig  bezieht. wurde vor einigen Monaten schon, wenn ich mich recht entsinne. im Börsenblatt für den deutschen Buch­handel", lebhaft geklagt und es wurden Maßnahme» gefordert. um in Deutschland   produzierte Bücher auch in Holland   wieder an den Mann zu bringen. Selbstverständ­lich Verlegenheitsmaßnahmen die einzige erfolg­versprechende Maßnahme wäre doch, in Deutschland   wieder Schriftsteller zu drucken, die der Welt etwas bedeuten. Doch die scheinen ja nicht zu wachsen auf dem Blubomist. Was Oesterreich   betrifft. so schreibt die Wiener ..Sonn- und Montagszeitung" nach der Feststellung, daß der Büchermarkt sich erfreulich wieder belebe: Allerdings ist es bemerkenswert, daß dabei die reichsdeutschen Verleger fast völlig ausscheiden." Sie nennt

Gelangene

Jeden Morgen singt uns ein Vogel Kiwit, kiwit.

er umkreist uns schimmernd und steigt and flieht.

Bang hör ich meinen Namen rufen

so well, so weit,

ogel singt das düstere Lied dieser Zeit.

Wir hacken die Erde und graben hinub, hinab.

Vielleicht kreiset der Vogel bald über ein Grab.

Flügellahm hinter dem Stacheldraht, die Seele wund.

blick ich dem dunklen Vogel nach mit stummem Mund.

Wir legen uns nieder aufs Stroh, der Erinnerung Baum

dehnt sein Geäst über uns Gefangene aus.

Wir sind bei der Liebsten im Traum.

Mancher flüstert leise im Schlaf,

es verzittert im Raum. Wir gehen in den Garten, da erwache ich ich.

ich bred dir eine Rose im Traum,

Den ache Sinnen entgleitet

der Verlockung Saum.

Die Seele war ein Falter

um dein Lockenhaupt

im Traum...

Des Sommers Fülle ist dahin, entblättert steht der Wald. Die Tannen zittern im Rauhreif, es ist kalt.

Die tückischen Nebelschwaden ziehn herüber vom Moor.

Das Hungergekreisch der Raben gellt ans Ohr.

Ihr schwarzen Boten des Unglücks mögt unsre Gäste sein! Wenn wir verbissen schweigen, dürft ihr schrei'n...

auch die Bücher, die die Wiener   in diesem Jahr mit Vor Sorgen! Sorgen!

liebe kaufen: Stephan Zweig Erasmus von Rotterdam  ", Karl Tschuppik.  , Maria Theresia  ", Alfred Neumann   ,, Der neue Cäsar". Egon Erwin Kisch   Eintritt verboten"... Aus Deutschland  ." so fügt die Sonn- und Montagszeitung" hin­zu,..erwarten wir vorläufig nur ein eiziges Buch, den nämlich dritten Band von Thomas Manns Joseph Roman Joseph in Ägypten". Was den..Völkischen Beobachter" so sehr erregt, daß er sogar in Ironie gerät, zugleich aber auch nach Oesterreich  hinüber bundesbrüderlich volksverbunden ein bißchen mit Boykott droht: Angesichts dieser Liste", schreibt ..bleibt uns in Deutschland   nichts anderes übrig. als aus Oesterreich   für den kommenden deutschen Herbstbücher­markt vorläufig" gar nichts zu erwarten".

er.

In der Tschechoslowakei   veranstalten..Lidové Noviny jedes Jahr vor Weihnachten bei einigen hundert Promineten: Politikern. Beamten. Wirtschaftern. Militärs, Gelehrten. Künstlern eine Umfrage nach den interessan­testen Büchern des Jahres. Zu dem Ergebnis dieser Um­frage bemerkt die Prager Presse":..Die neben Werfel vorkommenden deutschen   Namen sind Feuchtwanger. Was­sermann. Th. Mann. J. Roth. H. Fallaga. O. Wöhrle. B. Brecht. A. Schweitzer  . E. Kästner  . A. Schnitzler  . G. Keller. A. Scholtis  ( das starke Buch polnischen Fronvolks..Baba und ihre Kinder"). B. Brehm. O. Flake. L. Lewisohn. W. Hegemann und ein paar andere. Während ein agrarischer Politiker eine Schrift des Ministers Darré als fachmännische Lesung nennt, geht die rechtgläubige Kernbelletristik des ..dritten Reichs" in der Flut von Buchnennungen ohne eine einzige Stimme aus, ein Ergebnis. wie es in Dingen der nicht denk­Kulturexpansion vernichtender überhaupt bar ist."

Lieber Gott  !" Gebete in deutschen Schulen

Von Otto Thörner  

Oberklassen:

Gott, von deinen Glanzgestirnen sieh zum deutschen   Volke her.

Gib den Händen und den Hirnen Kraft zum Kampfe. Mut zur Wehr.

Laß uns nur für Deutschland   brennen.

stets zu opfern froh gewillt.

Sei mit allen, die dich nennen. und dem Führer Schirm und Schild

Mittelklassen:

Heil und Segen sollst du senden Lieber Gott  , auf Deutschlands   Aua.

Tilf auch unsern jungen Händen Mit am neuen Reiche baun,

Daß den Tag ein jeder nütze, jedes Herz an Deutschland   glaubt. Gott im Himmel, und beschütze unseres Führers teueres Haupt.

Unterklassen:

Ist auch unser Herz noch klein, Glüht es doch schon heiß und rein Für das deutsche Vaterland. Mach es wieder groß und neu Lieber Gott   und halte treu Ueber Hitler deine Hand.

Lieber Gott, wir sind noch klein. Laß uns deutsche   Jungen sein Und bewahr in deiner Hand Hitler   und das Vaterland.

Der doppelte Gruß

Hans

Kirner

M

Im Völkischen Beobachter"( Nr. 347) lesen wir diesen Bericht, der wir bekennen es offen sehr erschüttern wird:

-

auch unsere Leser 51004

..Man sieht ihn noch häufig, den doppelten Gruß. Er ist eine Uebergangserscheinung und mag als solche gelegentlich entschuldigt werden; aber es wäre doch zu wünschen, wenn er möglichst bald an seiner eigenen Lächerlichkeit zugrunde ginge. Oder ist es etwa nicht lächerlich, wenn ein Herr auf der Straße erst mit erhobenem Arm grüßt, um dann nach altem Muster seinen Hut zu lüften? Bloß weil der Gegrüßte seinerseits aus alter Gewohnheit, aus Bockbeinigkeit oder als bewußte Demonstration den deutschen Gruß mit einem Ziehen des Hutes beantwortet?

Es ist ein Zeichen der Schwäche, wenn man sich in der Art des Grußes durch sein Gegenüber beeinflussen läßt. Wer glaubt, durch nachträgliches Lüften des Hutes seinen Gruß erst vollgültig machen zu können, zeigt, daß e noch in zwei Welten lebt. Wer gar seine Bekannten von vorneherein in zwei Klassen einteilt. in solche, die er durch Heben des rechten Armes, und in solche, die er durch Hut­abnehmen grüßt. beweist, daß er Konjunkturpolitiker ist.

Oder haben wir die verflixte Objektivität immer noch nich genug abgestreift, daß wir auch beim Grüßen dem Andersge sinnten gerecht werden wollen"? Daß wir nicht von vorne­herein annehmen, unser Gegenüber müsse sich durch das Hut­ziehen eher gekränkt denn geehrt fühlen? Denn das Hut­ziehen bedeutet doch nichts anderes, als daß man sein Gegen­über für zu verkalkt und verknöchert erachtet, als daß es noch fähig wäre, den Gruß des wiedererstandenen Deutsch­ lands   richtig zu erfassen!

Diejenigen aber. die beharrlich einen, ihnen gebotenen deutschen Gruß durch Lüften des Hutes zu beantworten pflegen. soli man aus der Liste der zu Grüßenden streichen. Wenn sie sich nicht mit den veränderten Verhältnissen ab­finden wollen, mögen sie ihre Grußkünste untereinander üben, aber nicht harmlose Begegnungen dazu mißbrauchen, schnell noch eine Dentration an den Mann zu bringen."

Juden ohne Gasschutz!

Göring  , Herr der deutschen Luft, hat für den künftigen Krieg Luftschutz- Bestimmungen ausgearbeitet, die noch geheimgehalten werden. Es ist aber bereits durchgesickert. daß bei den verschiedenen Maßnahmen zum Schutz der Be­völkerung bei feindlichen Luftangriffen die Juden, sobald sie nicht Frontkämpfer gewesen sind, ausgenommen werden sollen. So sollen ihnen die bomben- und gassicheren Unter­stände verschlossen bleiben. Sowohl in christlichen Kreisen wie auch bei der Reichswehr   haben diese grausamen Bestim­mungen Proteste ausgelöst und man hat schon wiederholt versucht, diese Exzesse eines Sadistengehirns durch Abände­rungen zu beseitigen. Bisher aber erfolglos.