Die Hintergründe des antijüdischen Boykotts

Wir haben bereits mehrmals an dieser Stelle über die Judenpogrome und den antijüdischen Boykott in den Weih­nachtstagen berichtet. Wir haben bei dieser Gelegenheit her= vorgehoben, daß die Pogrom- und Boykottbewegung den Zweck hat, die Ausmerksamkeit der unzufriedenen Mittel­ständler von der verräterischen Politik der nationalsozia listischen Regierung abzulenken und den Groll der enttäusch­ten Mittelständler sowie der ebenfalls enttäuschten und er­bitterten Massen auf die Juden zu lenken.

Unsere Behauptungen werden nunmehr in einem Artikel der Neuen Zürcher- Zeitung  " bestätigt, die im Zusammen­hang mit den Vorfällen in Frankfurt am Main   folgendes schreibt:

Das lokale Abenteuer hat die Absichten der Reichs­regierung in verschiedenen Punkten durchkreuzt und wirt­schaftlich und handelspolitisch, aber auch allgemein- politisch Schwierigkeiten herausbeschworen. Das Reichswirtschafts­ministerium hat seit langem, schon unter Schachts Vor­gänger Dr. Schmitt, die Unterscheidung von arischen und nichtarischen Geschäften als wirtschaftlich sinnlos bezeichnet und von der Diskriminierung füdischer Firmen wegen der schädlichen Rückwirkungen auf die Gesamtwirtschaft stets dringend abgeraten. Seitdem sich dann der Staat an den immer noch als jüdisch geltenden Warenhausbetrieben, die zum Teil wegen der Boykottendenzen im Jahre 1933 sanierungsbedürftig geworden waren, mit riesigen Sum= men finanziell beteiligt hat, laufen ganz besonders auch in dieser Frage die Interessen des Reichswirtschaftsminis stertums und des nationalsozialistischen Regimes selbst erst recht nicht mehr parallel mit den Bestrebungen des gewerblichen und kaufmännischen Mittelstandes, der den Kern der nationalsozialistischen Bewegung ausmachte und ihrer Wirtschaftspolitik den antisemitischen und waren­hausfeindlichen Stempel aufdrückte. Die Enttäuschung, die

session gezählt worden sind, was damals 0,9 Prozent des Ge­samtvolfes ausmachte. 1933 betrug diese Zahl noch 499 682 oder 0,77 v. H. Es ist also ein Rückgang der Angehörigen der jüdischen Konfession in Deutschland   um 64 697 oder 11,5 v. H. festzustellen. Dieser Rückgang sei in der Hauptsache auf Auswanderung und auf den Geburtenunterschuß der Juden zurückzuführen. Seit dem Stichtag des 16. Juni dürfte die Zahl weiterhin abgenommen haben, weil die Auswanderung anhielt und die Fruchtbarkeit der jüdischen Ehen nach ein­laufenden Berichten besonders gering gewesen ist. Berlin  hat rund 160 500 Juden.

Streichers Greuelmärchen

Unter der Ueberschrift Ein Jude beschimpft den Führer" bringt das Streicher- Blatt folgende Mitteilung:

Schwabach  . Von der Schwabacher   Polizei wurde der Jude Albert Heß festgenommen. Er besaß die Unverfro­renheit, den Führer und dessen Stellvertreter in ge= meinster Weise zu beschimpfen und zu ver= leumden. Geht es den Juden in Deutschland   schon wieder zu gut und glauben sie schon frech werden zu kön­nen? Sie sollen die Gutmütigkeit des deutschen Michel  nicht falsch verstehen!

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Bezeichnenderweise bringt das Hezzblatt Streichers fein Wort darüber, worin die gemeinen Beschimpfungen" bestan= den haben. Die Juden sind in Franken so eingeschüchtert, daß es offensichtlich unglaubwürdia erscheint, daß ein Jude öf­fentlich den Führer" beschimpft haben soll. Es wird sich um eine im Streicher- Paradies übliche Denunziation handeln, unter denen die Juden im Hitler- Reich so schwer zu leiden haben.

deshalb bei einem großen Teil des Mittelstandes heute Oesterreich  

herrscht, ist bekannt, und bei der gespannten Stimmung kommt es, ohne daß das immer bekannt wird, gelegentlich vor, daß lokale Organisationen zur Selbsthilfe schreiten und sich über die Richtlinien des Reichswirtschaftsmini­steriums hinwegjezzen."

Bemerkenswert ist es, was das Schweizer   Blatt über die Einkäufe bei jüdischen Geschäften schreibt. Aus seinen An­gaben geht deutlich hervor, daß das Publikum nach wie vor im Gegensatz zu der nationalsozialistischen Hezze in jüdischen Geschäften fauft.

In der Weihnachtszeit, so schreibt die N.3.- 3.", erwies sich die Anziehungskraft, welche die jüdischen Geschäfte und die zum Teil mit Staatsgeldern sanierten Waren­häuser in Berlin   auf das kaufende Publikum froß zwei­jähriger intensiver Propaganda der nationalsozialistischen Weltanschauung diesmal wieder als so stark, daß der Ber­ liner   Rorrespondent der Times" dies als bemerkenswerte Tatsache ausdrücklich feststellte. In Frankfurt   a. M. griff nun die Nationalsozialistische Handels- und Gewerbeorga­nisation, um die Konkurrenz auszuschalten und sich selbst das Weihnachtsgeschäft zu sichern, aus eigener Machtvoll­fommenheit zur Waffe des Boykotts jüdischer Geschäfte und Warenhäuser.

Am Schlusse seiner sehr eingehenden Betrachtungen schreibt das angesehene schweizer   Blatt folgendes:

Die Schäden, die einer Reihe von großen Firmen durch die Lahmlegung des Weihnachtsgeschäfts und durch den vermutlich ziemlich bedeutenden Verlust an leicht verderh­lichen Vorräten entstanden sind, mögen zwar dem Reichs= wirtschaftsministerium nicht gleichgültig sein; aber weitaus peinlicher ist es der Reichsregierung zweifellos, daß Nach­richten über den Frankfurter   Judenboykott ins Ausland gedrungen sind. Man hat den Eindruck, daß das Reich durch Unterdrückung der Diskriminierungsmaßnahmen gegen. jüdische Firmen einen Waffenstillstand gegenüber dem io­genannten Weltjudentum" einhalten zu können hoffte, und nun droht der lokale Bruch dieses stillschweigenden Abkommens der antideutschen Boykottpropaganda nene Nahrung zu liefern, gerade in dem Augenblick, in dem Dr. Schacht den wirtschaftlichen Kurs auf Erportsteigerung steuert."

Jüdische Auswanderung

In Auswertung der 1933 durchgeführten Zählung der deut­ schen   Reichsbevölkerung wird jetzt eine Zusammenstellung über die Religionsgliederung des deutschen   Volkes durch die Veröffentlichungen des Rassepolitischen Amtes der NSDAP  . befannt. Es wird darauf hingewiesen, daß im Jahre 1925 in Deutschland   noch 564 379 Angehörige der jüdischen Kon­

Das Neue Tage- Buch

Herausgeber: Leopold Schwarzschild

Nr. 1 soeben erschienen

PREIS 3 FRANCS

AUS DEM INHALT:

Die Woche

Wird er widerrufen?

,, Einige Ausfälle"

Standartenführer Fiedler als Weiß­buch- Dementi

Was kommt nach Hitler?

LEOPOLD SCHWARZSCHILD  : Die drei Mauern

**: Führer Nr. 2

CTTO VON FREISING  :

Lloyd Georges historisches Neu­

jahrs- Interview

LUDWIG MARCUSE  :

Rosenbergs Mythos

ERICH ANDERMANN:

Größere Strenge gegen dieDichter? Miniaturen

Literarische Ausbeute 1934

Alle Ausnahmegesetze um ein Jahr verlängert

Zu Weihnachten hat die Regierung Schuschnigg- Starhem­berg alle mit 3. Dezember 1934 befristeten Ausnahmegejezze um ein volles Jahr verlängert. Das folgenschwerste dieser Ausnahmegejeße ist das Verfassungsgesetz, das dem General­staatsfommissär en das Recht einräumt, private Arbeiter und Angestellte ohne Zustimmung der Dienstgeber zu entlassen. Verlängert wurden auch die außerordentlichen Maßnahmen gegen die Bundesangestellten, ferner die Verordnungen, die vorsehen, daß Aerzten oder Rechtsanwälten, die sich für eine verbotene Partei betätigen, die Ausübung der Praxis unter­sagt werden darf. Alle diese Ausnahmeverfügungen, die nach dem Februar und nach dem Juli nur für einige Monate getroffen wurden, wurden nun für ein ganzes Jahr ver­längert. Die Heimwehrminister haben diese Ausnahmever­fügungen, die sonst in feinem Land der Welt getroffen wurden, durchgesetzt. In der Regierung erhob sich vor allem gegen die Verlängerung der außerordentlichen Vollmachten für Minister Fey Widerstand. Die Meinungsverschieden­heiten in dieser Frage hätten beinahe zu einer Krise geführt. Bundeskanzler Schuschnigg fapitulierte   aber schließlich wieder vor der Heimwehr  .

Emigranten- Presseprozeß

in Strasbourg  

In der Nummer 99 vom 28. April 1934 hatte die in Straße burg erscheinende Elz  ", das führende Blatt der Autono­misten, aus Abneigung gegen die politischen Emigranten be­hauptet, daß beispielsweise der in Straßburg   lebende ehe­malige Geschäftsführer der Republikanischen Beschwerdestelle Berlin  , Alfred Falk  , der übrigens auf der ersten Proskrip­tionsliste vom 23. August 1933 durch die Hitlerregierung ge= ächtet worden ist, hier sich nichts weiter geleistet habe, als gemeines Spitzeltum und Handlangertum für die politische französische   Polizei".

Da die Elz  " zwar eine Berichtigung abdruckte, aber ihre Behauptung gegen Falf in vollem Umfange aufrechterhielt, hat Falk Ende Mai 1934 die Elz  " verklagt. Die Vertretung hatte Rechtsanwalt Bischoff von der Ligue des Droits de l'Homme   übernommen. Nach dreimaliger Vertagung hat nunmehr am 3. Januar 1935 die Strafkammer in Straßburg  unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten Richert folgendes Urteil verkündet: Die Elz  " und ihr Gerant, Rene Hauß, werden zu 16 Fr. Geldstrafe, zu dem symbolischen 1 Fr. Scha­denersatz und zu den recht erheblichen gerichtlichen und außer­gerichtlichen Prozeßkosten verurteilt.

Paris  

Ernst- Busch- Abend im Deutschen   Klub, Paris  . Ernst Busch  , popu lär durch die Filme Kameradschaft", Niemandsland", Drei­ groschenoper  " usw., befannt durch Rundfunk und Schallplatten, tritt im Rahmen einer Sonderveranstaltung des Deutschen   Klubs zum erstenmal in Paris   am Donnerstag, dem 10. Januar 1935, 21 Uhr, im Salle Poisonniere( 7, rue du Fauborg Poissonniere) auf. Unter dem Motto Das Lied der Zeit" wird er neue Chansons von Hanns Eisler  , nach Texten von Bert Brecht  , Kurt Tucholsky  , Weber usw. zum Vortrag bringen.

Briefkasten

R., Amsterdam  . Nach einem Bericht der nationalsozialistischen Zeitungen, hat ein Rassenforscher" Dr. J. Lobshein- Apeldoorn in Amsterdam   u. a. gesagt: leberhaupt seien Degenerations erscheinungen, vor allem aber geistige und moralische Gebrechen, bei Juden ungefähr zwei Drittel mal so häufig als bei andern Rassen. Die Mendelschen Geseze hätten ihre Richtigkeit und ihren Wert gerade bei der jüdischen Rasse erwiesen. Bei Juden seien vor allem verbreitet: Jugendliches Irresein, manisch- depressive Psychose und eine Art geistigen und moralischen Schwachsinns. Diese Tat­sachen erforderten dringend die Durchführung der Familien­forschung bei den Juden; die Einführung eines Kartensystems zur Kontrolle der Erbkrankheiten bei den Juden erweise sich als eine dringende Notwendigkeit." Nehmen wir einmal an, die Berichte über den Vortrag stimmten. Warum dann die arische Angst vor den " Schwachsinnigen"?

R. K., 3. 3t. 2. Verspätet teilen Sie uns mit: Unterm 12. November hat die Landesstelle Bayern   des Reichsministeriums für Volksaufklärung die Zeitungen angewiesen: 1. Das Erbhofgesetz soll in seinen Auswirkungen in der Presse nicht übermäßig er­örtert werden. 2. Ueber die demnächst erfolgende Auflösung des Deutschen Flottenvereins   darf nichts verlautet werden. 3. Es wird darauf hingewiesen, daß die Uebernahme von Verlautbarungen aus Kirchenblättern untersagt ist."- Solche Anweisungen zeigen, daß das Regime das Licht der Sonne zu scheuen hat.

Für den Gesamtinhalt verantwortlich: Johann Bts in Dud weiler; für Inserate: Ctto Kuhn in Eaerbrüden. Rotationsdruc und Verlag: Verlag der Volksstimme GmbH., Saarbrüden S, Schüßenstraße 5.- Echließfach 776 Eaarbrüden.

In dieser Woche gelangt zur Auslieferun.g

WEISSBUCH

über die Erschiebungen des 30. Juni 1934

Das Weißbuch über die Erschießungen des 30. Juni gibt die erste authentische Darstellung von den Ereignissen in der deutschen   Bartholomäusnacht.

Das Weißbuch bringt das Geständnis des Gruppenführers Ernst über die Brandstiftung im Reichstag mit voller Namensnennung aller Brandstifter und der Anstifter.

Im Weißbuch kommen zu Wort: ein hoher Beamter des Münchener   Polizeipräsidiums, ein Gefängnisbeamter des Zuchthauses Stadelheim  , wo Röhm und andere SA.  - Führer erschossen wurden, ein Hotelgast des Hotels Hanselbauer, Augenzeuge der Verhaftungen in Wiessee  .

Das Weißbuch enthält ferner Auszüge aus dem Blaubuch der Reichswehr  .

Das Weißbuch erscheint im gleichen Großformat wie die Braunbücher", im Umfang von zirka 250 Seiten. Es ent­hält zahlreiche Dokumente sowie eine Illustrationsbeilage von 16 Seiten. Es erscheint in Form einer Volksausgabe in festem Kartoneinband. Der Preis beträgt: fr. Fr. 15,- Hfl. 2,-, Schw. Fr. 4,-, Kc. 25,-, für die übrigen Länder gilt der Preis in französischen   Franken.

Ausgabe für das Saargebiet Sonderpreis nur 10,- ffrs.

EDITIONS DU CARREFOUR, PARIS VI, 83, Bld. du Montparnasse