Der Zahn der Zeit:

Ich bin der berühmte Zahn der Zeit. Mich hat noch niemand gesehen, ich bin eine hypothetische Größe und eine gefährliche dazu! Süten Sie sich, meine Damen und Herren, ins­besondere Sie, meine Damen! Mich hat noch Pein Zahnarzt gezogen, denn meine Wurzel ist die Ewigkeit, aber ich habe schon manchen Zahn­arzt um seine Zähne gebracht! Ich habe nur eine Leidenschaft: ich benage alle Dinge, die lebendigen und die toten! Und gegen mich gibts lein Mittel, denn ich bin unsichtbar, unhörbar, untastbar und leider nur fühlbar

- von

-

3-

-

Zeit zu Zeit! Wenn die Leute sagen: Daran großen, sanften Augen, die durch ihre Schön­nagt der Zahn der Zeit oder daran hat er ge- heit selbst dort auffielen. Das Umherstreifen nagi dann freue ich mich. Denn das Na- schien der jungen Nomadin eine Wonne, sie gen ist mein Hauptberuf. Mein Appetit ist gren- tannte feine Müdigkeit, und ihre flinken, nad­zenlos- ich benage und zernage nach und nach ten Füßchen eilten mir immer voraus. Ich rief ganze Reiche und Länder, ganze Königsthrone fie darum scherzend die Gazelle von Bu Saada. und Adelswappen! Ich bin eben der Bahn der Sie führte mich in Gegenden, wo ich reiche Zeit, der große, berühmte und berüchtigte Na- Ausbeute fand, niemals aber nahm sie auch nur gezahn, der erft unbrauchbar wird, wenn es den geringsten Lohn an. Uneigennütig, wiel keine Zeit mehr gibt. Aber glauben Sie, meine eine gehorsame Sklavin, diente sie mir. Damen und Herren, daß es jemals eine Zeit geben wird, in der es keine Zeit mehr gibt?..."

Die Gazelle von Bu Saada.

Von Georg von der Gabeleng.

Eine Erholungsreise hatte mich ins Land das wunderbar? Sicher nicht. Denken Sie nur ver Rabylen nach   Algier geführt. Mein Hote- daran, wie viele täglich das Leben auf der lier, ein alter Italiener, entdeďte zufällig eines Rennbahn, in den Bergen, im Segelboot für Tages meine Passion für schöne Schmetterlinge. einen Sport wagen. Er sagte: Sie sollten mal zu dem alten Doktor Jouvart gehen, drüben im Faubourg de l'Agha. Er wird Ihnen gewiß gerne seine Sammlung zeigen. Sie ist einzig in ihrer Art."

,, Und wer ist dieser alte Jouvart?" Der Wirt zudte die Achseln. Was soll ich sagen? Ein Sonderling, der nur seinen Sammlungen lebt. Im übrigen ein braver Mann, der kaum einem Moskito etwas zuleide tun wird."

Ich nahm den Vorschlag dankbar an und fuchte am nächsten Morgen den Gelehrten in seinem abgelegenen Hause auf.

Als ich vor etwa dreißig Jahren zum ersten Male nach   Algier fam, geschah es, um einen Schmetterling zu suchen, den in ganz  Frankreich keine öffentliche Sammlung besaß, von dem nur Gerüchte zu uns gedrungen waren. Kabylen hatten von ihm erzählt und ihn beschrieben.

Eines Tages betraten wir nach langer Wanderung den Ramm eines Hügels. Vor unferen Füßen tat fich plötzlich ein wildes, fumpfiges Tal auf. Nie sah ich eine Gegend, die so schauerlich auf mich gewirkt hätte.

Bläuliche Wafferlachen schielten zwischen üppig überwucherten Landstrecken zu uns herauf. Storteichen und Eukalyptus wechselten mit dichten Dorngebüschen und stac gen Zwergpalmen. Die leuchtend roten Blüten eines Strauches lagen wie Blutflecken auf dem düsteren Blättergewirr. Jut Sonnenschein schwebten Wolfen von Moskitos über dem Sumpfe und aus dem Wasser stieg ein fader Geruch nach Verwesung und Moder. Tiefes Schweigen stand über dem Tale, nur ab und zu tönte der gedehnte Ruf eines fremden Wasser­vogels durch die Stille, aber dieser Ruf klang wie das Röcheln eines Erstidenden.

Ich nenne Ihnen nicht den Namen noch die Gegend jenes Tales, denn ich will nicht, daß jemand es aufsucht.

Es war wie verhert. In langen Monaten durchstreifte ich das Land. Ich fing tausend Noch blidten wir in dieses fieberatmende feltene Tiere, nur dieser eine sagenhafte Nacht- Loch hinah, als ein merkwürdiger, großer Falter falter begegnete mir nirgends. So kam ich auf aus dem Sumpfe auf uns zuflatterte. Mit meinen Wanderungen zufällig auch nach Bu einem leisen Schrei streďte meine Begleiterin Saada, einem Flecken im Süden, der nur vom den Arm gegen das Tier, wir liefen hin; aber Ein Mann, etwa am Ende der Sechzig, Kabylen bewohnt wurde. Die braunen Gesellen ehe wir es fangen konnten, war es wieder weißbärtig, eine Brille auf der Nase, trat mir halfen mir bereitwillig, sie trugen mir allerlei drunten in einem vollen Gewirr giftiger entgegen. Seine Augen erhellten sich, ale ich seltene Falter ins Haus, um sie für wenige Schlingpflanzen verschwurden. ihm den Grund meines Besuches mitteilte. Mit Centimes zu verhandeln. Doch, wie gesagt, auch größter Bereitwilligkeit führte er mir seine das Aussehen von Belohnungen verschaffte mir Sammlung vor, erklärte mir jedes einzelne nicht den gesuchten Nachtfalter. Exempla nannte von jedem den Fundort, Nach arabischer Gewohnheit, verbrachte ich machte mich auf die Unterschiede und Fein- die der Erholung gewidmeten Abende auf dem heiten der Zeichnung aufmerksam. Wir betrach- Dache meines Hauses, und jedesmal, wenn ich teten erst die Tag, dann die Nachtschmetter- dort oben stand, den Zauber des afrikanischen linge. In dem Kasten, der diese letteren ent- Sonnenuntergangs zu genießen, konnte ich eine hielt, war noch ein Platz frei; wohl steckte eine junge Araberin auf der Plattform des Neben­Nadel im Holz, doch das Tier fehlte.

Eine Lüde in Ihrer schönen Iung?" fragte ich.

Nicht einen Augenblic war ich im Zweifel, dieser Falter war der so sehnsüchtig von mir gesuchte.

Da ergriff mich der Eifer des Sammlers. Ich wollte sofort dem Tier nacheilen, aber die Araberin flammerte sich an meinen Arm. Ich schalt sie, doch sie bat, sie beschwor mich, mich nicht dort hinein zu wagen, dieses Tal sei ein Reich böser Geister. Laut lachte ich über ihre hauses beobachten. Jeden Abend lehnte sie sich, tindische Furcht, fie aber flehte mit so schmerz­Samm- sobald ich erschien, mir gegenüber über die lichen Mienen, ich solle den verrufenen Sumpf Brüstung des Daches. Ich wußte sehr bald, nicht betreten, es würde mein Tod sein, daß ich daß es nicht die Sonne war, derentwillen sie erstaunt ihr in die Augen schauen mußte. stundenlang regungslos ausharrie, denn ich sah, Mit schamhafter Gebärde senkte sie unter

Der Gelehrte nidte: Ja, und wollte   Gott, ich hätte nie versucht, diesen Platz zu füllen."

wir sprachen bald darauf von der Leiden­schaft, die den Sammler zuweilen ergreift, daß er alles andere, seine Geschäfte, seine Familie sogar darüber vergißt.

daß ihre dunklen Augen oft heimlich zu mir hinüberſchauten. Das schmeichelte mir, ich wagte eines Tages der jungen Nachbarin einen Gruß hinüberzurufen. Sie erwiderte ihn mit halb lauter, demütiger Stimme, wie die Araberin­nen einen Mann anzureden pflegen, immer als Herrn und Gebieter.

Ein Sammler ist gefährlich," rief der alte Herr mit französischer Lebhaftigkeit, er ist zu allem fähig. Nein, nein, ich scherze nicht, ich So blieb es einige Zeit bei flüchtiger meine ganz ernsthaft, zu allem fähig! Die Bekanntschaft, bei der wir von Dach zu Dach Sammelwut kann im Menschen so überhand einen furzen Gruß austauschten, als mir eines nehmen, daß sie sogar das Gewissen erstict. Morgens mein Diener meldete, die kleine Ara­Es hat z. B. Indianer gegeben, die nur töteten, berin habe von meiner Leidenschaft für Schmet­um einen blutigen Skalp mehr an ihrem Wig- terlinge gehört, und sie bäte um die Erlaubnis, wam aufzuhängen. Es gibt reiche Leute, die mich zuweilen auf meinen Streifzügen zu Kunstwerke für ihre Sammlung stehlen lassen, begleiten.

meinem lide die langen Wimpern. Ihre schmalen, an meinem Handgelenk ruhenden Finger zitterten. Wer die Augen einer Frau fennt, kann sich in gewissen Augenblicken nicht täuschen. Ich wußte, aus den braunen Gazellen augent sprach heute die Liebe.

Bligartig wurde mir das klar, als wir so am Rande der Wüste, einsam über dem un­heimlichen Sumpftal einander gegenüberstan­den. Sie liebte mich. Und ebenso rasch kam mir ein erbärmlicher, eigennütziger Gedanke. Mein Herz erlag einem Augenblide, wie sie zuweilen im menschlichen Leben, vielleicht selbst dem reinsten, vorkommen, es find Augenblice, in denen unse: Gewissen völlig ausgeschaltet und vergessen scheint.

wenn sie sie nicht ehrlich erwerben können. Ich war etwas erstaunt über dies Aner­Nun, ich habe zwar niemand skalpiert und bieten, aber   Gott, diese Kinder heißer Länder Ich muß um jeden Preis den Schmet nichts gestohlen, und doch hat auch mich der sind anders als wir   Europäer. Wahrscheinlich terling haben," sagte ich kurz. Sammeleifer einst zu einer gemeinen Tat gewollte die junge Schöne in meiner Gesellschaft Sie fuhr erschroden zusammen und schwieg. bracht. Sie wird den meisten Menschen unver- einige Franken verdienen, um sich irgend- Da fragte ich: ständlich, fast verbrecherisch erscheinen. Der welchen bunten Tand einzuhandeln. Ich nahm Sa, glaubst du nicht, daß ich jemand Sammler allein weiß, wie's einen an allen sie also ohne Umstände mit, und wir durch finde, der da hinunter geht, mir einen zu Fasern padt, daß man etwas bejizen muß, wie wanderten öfters gemeinsam weit hinaus die fangen?" man nicht mehr schlafen kann, wie man Tag Gegend.

Die Teufel des Tales ließen mir keine und Nacht keinen anderen Gedanken hat. Jeder Meine Begleiterin war ein seltsames Ge- Ruhe, ich mußte das Tier gewinnen, meine Preis erscheint einem gering, ja man ist bereit, schöpf, fast noch ein Kind, schlank und geschmei- ganze Sammlung schien mir keinen Frank wer das Leben für eine Nichtigkeit einzusehen. Ist dig, grazios wie alle jungen Araberinnen, mit ohne dies Stüd