Feierabend
Feierabe
r. 36.
Enterhaltungsbeilage.
1926.
Wie ein Handtverk stirbt.
3n der Stadt der Schuhmacher.
Wenn der ehrsame Johann Meier nicht und Leipzig nur ein Postomnibus verkehrte, Iranen. Vierzig oder fünfzig Jahre Schuhmain türkische Sklaverei geraten wäre, gäbe es war eines Tages eine Groitscher Meisterin, cherei, das gräbt den gleichen Zug in die Geheute in der Stadt Groitsch( Sachsen ) schwer wie üblich, mit dem wohlgefüllten, utersack" sichter. Die kleine Blechbrille vor den lelich siebenundzwanzig Schuhfabriksbetriebe. nach Leipzig gefahren, um die Ware abzu- bensflugen Augen, der kräftige, von dünnent Seltsame Zusammenhänge über die Jahr liefern. Aber einige Paar Babuschen hatte Silberhaar bedeckte Schädel, eine Rüftigkeit hunderte! Der aus Schwaben stammende Josie zu Hause vergessen. Der Meister bemerkte und ein zäher Arbeitswille bis ins biblische hann Meier kommt um 1700 Gott weiß wie es, und, wie er ist, springt er vom Schemel After. Ehrenwert und würdig sehen die almach Algier , wird gefangengenommen und auf und läuft über die Wiesen, um den Om- ten Meister aus; Figuren eines uralten muß neun Jahre Sklavendienst leisten. nibus einzuholen. Allein der Vorsprung war Handwerks, die kaum noch der heutigen WirkWahrscheinlich machte ein Pascha von seiner schon zu groß. Er läuft und läuft, und da lichkeit angehören. Es sind die Letzten eines Handwerklichen Geschicklichkeit Gebrauch. Der er nun einmal im Trabe ist, marschierte er uralten Standes, und um die Letzten ist int helle Schwabe guckt sich mit offenen Augen um, weiter mit dem grünen Schurzfell, barhaupt, mer etwas Ehrwürdiges und Verklärtes. Ternt manches hinzu, erspäht eine Gelegen an den Füßen Latschen und Latschen in der: heit zu entwischen und kehrt nach abenteuer Händen, bis er atemlos in der Leipziger licher Drangsal zu Wasser und zu Lande" Südvorstadt ankommt. Ein Marathon- Lauf nach Deutschland heim. Er kommt nicht mit der Arbeit über 16 Kilometer! Die Kundleeren Händen; er hat etwas mitgebracht: schaft aber hat ihre Babuschen rechtzeitig eine neue orientalische Art der Beschuhung, erhalten. die Babuschen. Das Wort ist türkischen Ur Die junge Generation ist industrialisiert, sprungs, wie die Sache selbst. Es ist eine Art Pantoffel , in Sachsen Latschen" genannt. Die alte noch ganz handwerklich zünftig. Fast Herstellung foletter Brofatschuhe spezialisiert. Meister Johann Meier ließ sich in Groitzsch in jeder Wohnung steht die" Pritsche", einer läßt sich heute noch Schuhe nach Maß nieder und verfertigte Babuschen. Es muß erhöhtes Podest mit dreibein gen Schemefn anfertigen? Es sind nur sehr wenige. sehr damals ein großer Modeartikel gewesen sein, und dem Werkzeugkasten: der Hausaltar der penible Menschen, die gleichfalls auf ihre Art denn die Babuschenerzeugung nahm ständig Arbeit. Aber nur noch an sehr wenigen Alzu. Johann Meier ist somit der Begründer der Groitschen Schuhmachergeneration, der geistige Vater des dortigen Gewerbes geworden. Und fortan heißt Groitsch bis auf den heutigen Tag- Babuschen - Groitzsch .
Die strebsamen Schuhmacher von Grokysch blieben aber beim Babuschenhandwerk nicht stehen.
Das ganze Städtchen ward bald eine einzige Schuhmacherwerkstatt,
ren Gang in die Fabrik antreten oder sich Mancher alte Meister mußte den schwe damit begnügen, Finken", das sind die herzigen Kinderschuhchen, die man aus Lederabfällen verfertigt, herzustellen oder gar nur Flickarbeiten auszuführen. Der eine oder der andere hat sich als„ Ballschuster" auf die
der guten Altväterzeit angehören( oder emtären wird der Dienst verrichtet. In den pfindliche Füße haben). Mitunter steckt auch meisten Schuhmacherwerkstätten iſt ewige Water jahrzehntelang bei dem alten Meister eine gewisse Tradition dahinter: Weil der Feierabend eingekehrt. Peinlich aufgeräumi, arbeiten ließ, läßt sich der Sohn gleichfalls der Werkzeugtisch wie mit einem Leichentuch seine Schuhe pietätvoll bei ihm anmessen. zugedeckt, ruht die Oberwerkstatt. Der englische Schriftsteller Galsworthy Während wir in manchem stillen Schuherzählt in einer ergreifenden Novelle, wie warenheim, darin das Geflapper der Werkzwei alte Schuhmacher, Brüder, die mit ech- zeuge verstummt ist, mit den immer noch ter Werkliebe an einem Paar Schuhe, wie as munteren Meistern über vergangene Zeiten einem Kunstwerk arbeiten, der Not und der plaudern, ziehen drei Bremer StadtmusikanEntkräftigung verfallen. Meister ihres Fa- ten fechtend durch die Gassen des Städtchens. in der es von früh morgens bis spät abends ches, holen sie aus einer Arbeit das Höchste Ihre verschollene Musit paẞt zu unseren Klopfte und hämmerte. Für ein Paar Babu- an Sorgfalt und Qualität heraus und ge- Gesprächen. Diese drei windumtehten Wanschen zahlte der Händler etwa 20 Pfennige. raten dadurch gegenüber der Fabrifarbeit im- dermusikanten, wetterkarie, alte Stnaben, die Wenn die ganze Familie von sechs Stöpfen mer mehr ins Hintertreffen. Die edle Hand- rubelos über die Landstraßen ziehen und die von früh 4 Uhr bis abends 9 Uhr arbeitete, arbeit ist unrationell, sobald die Maschine Eintönigfeit verschlafener Gäßchen vertreiben machte man täglich 18 Paar fertig. Die brach mit einem Handgriff die gleichen Effefte er- helfen, sind auch nicht von dieser Zeit, in ten, wenn man sie im Quersack" bei den zielt. Das ganze Schicksal des Schuhmacher - der die Sprechmaschine und der Rundfunk Leipziger oder Halleschen Händlern ablieferte, handwerks spiegelt sich in der Erzählung des das große Wort haben. insgesamt 3.60 Mart ein. Das ergibt auf den englischen Dichters. Die industrielle EntwickStopf einer Schuhmacherfamilie einen Stun- lung ist über den einzelnen, wie über das denlohn von vier Pfennigen. Und trotz dieser gesamte Schuhmacherhandwerk hinweggeganEntlohnung, die bei den Schuhen gewiß entgen. Hans Sachsens biederes Handwerk stirb sprechend besser war, legten viele Meister Noch ist das alte Geschlecht nicht Beträchtliches auf die hohe Stante. Wie war verschwunden,
Aus der stillen, aufgeräumten Werkstattstube in ihrer Feierabendrube hinüber in die große Schuhfabrif. Zwischen der Stille hüben und dem Maschinengetöse drüben ist ein heimlich- tragischer Zusammenhang. Es ist, als hätten die fausenden Transmissionen die man aber auch hinter dem Verdienste her! das jene Zeit eines blühenden Handwerks Arbeit aus der Werkstatt in die lärmenden Als in den siebziger Jahren zwischen Groißsch erlebt hat. Man erkennt sofort, diese Vete- Fabrikjäle hinübergepumpt.