Feierabend

Feierabe

Mr. 22.

Unterhaltungsbeilage.

Der blinde Mann und das Radio.

Jch jizze den ganzen Tag vor dem Radio. Diese Erfindung wurde für mich gemacht. Mein Finger stößt aufs Geratewohl die zur Einstellung der Wellenlängen dienenden Schräubchen hin und her, und die Stimmen fommen zu mir aus der ganzen Welt: aus Rom  , aus Paris  , aus Barcelona  , aus Da ventry... Ich bin der Herr. Die Stimmen sind die Welt selbst, und vernehme ich die Stimmen, so ist es, als wäre ich dort: denn ich bin dort, so höre ich ja auch nur den Ton! Es ist zweifellos, daß die Nerven des mensch lichen Auges immer schwächer werden, und in diesen modernen Jahrhunderten gibt es immer mehr und mehr schlecht lebende Men­schen. Vielleicht wird einmal die ganze Welt schlechte Augen haben, und wird schließlich niemand mehr sehen, so werden alle nur in Tönen leben, wie ich. Und dann wird die Gebundenheit an den Ort aufhören, und alle werden in der ganzen Welt leben, werden sie doch die Stimmen der ganzen Welt hören! Ich bin zu dieser Utopie rascher gelangt: für mich ist Paris   nicht weiter, als die Stadi, in der ich wohne: Budapest  ..."

Das Blindjein hat seine Vorieile. Auch die Menschen werden zu Stimmen, und das bedeutet einen großen Vorteil. Nur Gei­fter gehen um, förperlose, dienende Seelen; nur die Schönheit und die Lust hat für uns einen Körper: unsere Geliebte, die wir um­armen, und streicheln... Und diese Schön­heit verblaßt niemals: wird nicht alt, wie die Frauen der Sehenden! Unsere Liebe ist ewig jung und ewig schön; Herrscherin über die Zeit und fann nur vom Tod allein besiegt werden..."

Von Michael Bobits. Stimme entschwirrte... jie flang ein letztes mal und entschwirrte ins Weltall, unwider bringlich! Die Stimme, die Annie gewesen, wurde gleichfalls eine Erinnerung; und ich blieb allein mit der großen Erinnerung, für ew: g!"

Jetzt fenne auch ich ihn.

1927.

antwortet! Mein ganzes Vermögen, gehört ihr: jeder Wunsch, den diese Stimme äußert, wird erfüllt... Ich aber kenne nur einen Wunsch: sie hören, hören! Ich nenne fie Annie, und sie hat bereits dazu ihre Eimvilli gung gegeben."

"... Ich wußte niemals, was Finster- Vielleicht war das ganze nur ein nis ist: diesen Begriff kennen nur die Se- Traum: Annies Tod, das Radio, alles! Ich henden. brauche nicht die Augen zu schließen, um zu glauben! Annie lebt wieder. Die Stimme und die Erinnerung haben sich abermals ver­einigt; und wer sagt, daß dies nicht die alte Annie sei? Annie hat sich nicht geändert: weicher und warmer Körper, dahinflutendes, weiches Haar... Ich fragte nicht einmai, was für eine Farbe ihr Haar habe. Annies Saar ist blond... Der mir tenere gefangene Geist umschwebt mich abermals: alles war nur ein Traum!"

Eine seltsame Sache: erst jeų: jühle ich Annies Verlust; nachdem bereits Monate verstrichen sind. Anfangs dachte ich, daß ich mit meinem Egoismus, den ich gut kenne, leicht darüber hinwegkommen würde. Dann wurde ich ungeduldig, wie ein Tyrann, der seinen liebsten Sklaven entbehrt; wie Aladin, wenn sein Hausgeist sich nicht meldet... Oh, wie hasse ich diese gleichgültigen Stimmen, die ringsum in der Nacht blinzeln! Die Zau­berlampe ist erloschen, die teure, vertraute Stimme, die durch meinen Balaſt zu flattern pflegte, nie höre ich sie wieder!

Mein einziger Gefährte ist das Radio: die Stimmen der Weite machen mich nicht nervös, wie die der Nähe. Das Radio ist, gleich der Schreibmaschine, auf der ich dies schreibe, meiner Hand bereinvillig dienstbar. Oh! jetzt habe ich ein Drama gepadt... ein Drama, das nur aus Stimmen besteht, gleich dem Drama meines Lebens..."

,, Bisweilen jedoch berührt mich etwas sonderbar: Annies Stimme spricht nicht immer Annies Worte. Bisweilen flingi cin Wort so unerwartet wie ein jähes Erwachen. Manche Wendung ist schier gespenſterhaft fremdartig in Annies Stimme. Betonung, Slang sind die gleichen: aber als ob fie infpi riert spräche, wie ein Hypnotisierter, wenn er seine fremde Sprache redet. Ein feltjames, peinliches Gefühl... Ich muß es auch ihr fagen... Warum fällt es mir so schwer, es ihr zu jagen?"

Heute sprach ich mit ihr darüber. Jch bat sie, daß... furz, daß sie Annie sein, Annie bleiben möge! Sonderbar, welche Ver­wirrung dieses Thema sowohl in mir, als auch in ihr hervorgerufen hat. Aber sie ist ja Annie..."

Was ist geschehen?... Meine Stoffer sind schon gepact: noch heute nacht reise ich, reise ich! Bin ein seltsamer Märchenprinz ge­worden; zich in die Welt hinaus, eine Stimme zu suchen! Ich bin so erregt, daß ich faum schreiben kann... Wenn die Blindheit Warum fann ich Annie nicht ver- vielleicht auch den Tod zu besiegen vermag?... Ich taste, strauchle, wie in einer geffen? Weiche und warme Körper gibt es Ist dies närrisch. Möglich; doch ist das Wun- wunderlichen Sibe, zwischen unbekannten vielleicht auch mehr auf der Welt; und die der geschehen: ich habe heute im Radio Möbeln. Ich greife nach ihrer Hand. Es gibt Gesichtszüge sehe ich ohnehin nicht... Bis Annies Stimme gehört... die Stimme, die zwischen uns seltsames Schweigen. Die weilen fallen mir die zynischen Scherze der mir zu der Erinnerung fehlte, auf daß sie aud verschwinder in der Dunkelheit. alitalienischen Novellen ein: die Umarmung abermals iebendig werde. Die Toten er Stimme ist mitunter nervös, ungeduldig. Ich täuscht sich leicht im Dunkeln, und ein Blin wachen... Was sonst war Annie, als cine wage immer jeftener zu ihr zu sprechen... der fönnte sich vielleicht noch leichter trösten. Stimme und eine Erinnerung?. Sible ich mich nicht wie ein Mensch, des­Doch war es nicht der Körper, der Annie Die Stimme, die Stimme, diefen iote Geliebig auferstanden ist, sondern zu unie machte. Wenn ihr Sehenden auteure  , die einzige Stimme! Ihre Farbe, ihre weit mehr, wie einer, dessen lebendige Ge einen Menschen denti, beschwört ihr seine Schwingen, ihre Modulationen, bis zur ffiebte verzaubert, vertauscht wurde..." förperliche Form heraus. Für uns Blinde ist jejten Nuance! Stein Schatz der Erde fann jeder Mensch eine Stimme, und auch Annie für sie zu viel sein..."

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war eine Stimme... cine süße, innige Die Stimme ist mein, mein! Der zäri Stimme, ein mich umflatternder zarter Geift. lidze Geist umflatteri mich wieder: beschwöre Emte Stimme und eine Erinnerung... Die ich ihn herauf, er spricht, frage ich ihn, er

Ich kann die Augen nicht sehen, ich lese nichi m den Zügen. Dennoch fühle ich, daß sich die Atmosphäre ändert, sobald ich zu ihr spreche, als entströmte den Worten Elektrizität. Gibt es also etwas jenseits von