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tracht Schwarzer Peter zu spielen begann, fonnte ich meine Spannung nicht mehr meistern: Erzähl'! Was ist los?" ,, Was?"

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,, Wie soll ich das verstehen diese Rüpe leicu. im Dienst und diese Kollegialität hier?" ,, Ach, das möchtest du wissen? Also, paß mal" auf! Das iſt unter System, unser selbst patentiertes Erfindergeheimnis. Toch dir will ichs verraten. Du weißt ja, augenblicklich wird bei uns die Vetternwirtschaft in Behörden und Betrieben heftig bekämpft. Also, damit keiner

Man konnte die Reden der beiden Damen nicht völlig vernehmen, weil auf dem breiten Playe vor dem Louvre gerade eine Militär­abteilung mit klingender Musik vorbeizog. Aber die beiden Freunte verstanden doch sehr gut, daß die Damen sehr entrüstet waren.

auf den Gedanken kommt, der Kanzleivorsteher| Gnade erwiesen, ihr Kind von einem heiligen sei mein leiblicher Bruder flegeln wir uns Tiere auffressen zu lassen." während des Dienstes an; dieselbe Methode muß ich auch gegenüber meiner Frau- der Steno­typistin anwenden. Aehnlich liegen die Dinge bei den übrigen. Den einen gestatte ich, bissig u   fem, die anderen müssen es schweigend dul­zu sein, den... So ist das Leben, mein Lieber! Glaubst du aber, daß es leicht ist, auf seiner vertraute­sten Eheliebsten mit Füßen zu trampeln und Grobheiten von dem Kanzleivorsteher anzu hören dem dämlichen Onkel- Bruder wollte

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ich sagen?!"

Die heiligen Krokodile.

Von Hans Otto   Henel.

In den labyrinthischen Sälen und Korri­doren des Louvre zu   Paris ist in einzigartiger Fülle angehäuft, was in den letzien sechs Jahr tausenden die Menschheit an sogenannten schö­nen Kulturgütern hervorgebracht hat. Der ge­nügend interessierte Besucher kauft sich an Ort und Stelle kostbar illustrierte Kataloge und andere Schriftwerke von anerkannten Autori täten der schönen Wiſſenſchaften und nimmt so schwarz auf weiß den Glauben mit nach Hause, daß es eine absolute Schönheit gäbe, die dem Urteil der Jahrtausende standhält. Diese Wert schätzung der ausgegrabenen, restaurierten und registrierten Schönheit ist sogar weit verbreitet. Nur die auf Zeitungspapier nächtigenden Lum penproletarier an den Ufern der Seine füm mern sich nicht darum, weil fie grob materia­listisch überhaupt nur an die Befriedigung pri­mitiver Bedürfnisse- Hunger, Kleidung, Obdachdenken. Und natürlich auch nicht die Mammonaraxen von Dels bis   Detroit, weil ihre Erfahrung fie lehrt, daß in einem Millionen sched alle Schönheit der Welt eingeschlossen sein könnte. Die Probe aufs Exempel ersparen fic jich.

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Als Bernard und Reimond zum fiebenten Male durch die ungeheuerliche Wüste von Ge­mälden, Skulpturen, Inschriften, Barzellen, geschnittenen Steinen, kostbaren Geweben, ge­triebenen Metallen wanderten, ließ Bernard in cinem Anfalle von Mutlojigkeit sich auf einen Plüschdivan fallen. Es war in der ägyptischen Abteilung, wo die Sphinge mit Löwenleib und Menschenkopf und die Statuen der löwenföpfigen Göttin   Sechmet einen Menschen wohl zu beein­drucken vermögen, der sieben Tage hintereinan der das Louvre besucht hat und mit der Besich tigung noch längst nicht fertig ist.

,, Aber ich bitte Sie," rief die eine ,,, das ist doch eine ungeheuerliche Barbarei, wenn eine Mutter ihr Kind einem blinden Wahne opfert! hat sie kein Muttergefühl? Und wenn es viel leicht eine von den Männern jener Zeit Männer sind ja allen Zeiten grausam gewe­sen geforderte Sitte war, warum haben die Frauen damals nicht gegen den Unsinn pro­testiert?"

Die andere Dame war schon ruhiger gewor daß der moderne Staat lieber die tote Schönheit den. Das ist leider einmal gewesen," sagte jie, vergangener Zeiten sammelt und fonserviert, uns Frauen von heute dürfte man solche Bar­statt die Häßlichkeit zu beseitigen, die erbarmens- barei nicht zumuten. Wir sind vernünftiger würdig durch den lebensvollen Tag der Gegen- geworden, Gottseidant. Wir bestimmen heute wart ſchreitet. Nimm nur die letzten drei Ge- mit, daß unsere Kinder in eine Welt der Güte nerationen an. Viele Millionen von ihnen aus hineinwachsen, und wehe den Männern, die uns allen Weltteilen sind zu dieser Rumpelkammer zu einem Wahnsinn verleiten wollten, der unsere der Schönheit gewallfahrt wie in früheren Zei- Kinder schädigt!" ten die Menschen zu ihren Göttern- bemerkst Bernard, der beim Anhören dieses Ge­du rings in der Welt des Heute, daß die Men- sprächs bleich geworden war, fonnte sich nicht schen besser geworden sind? Die begüterten länger beherrschen. Er sprang auf, trat hart Menschen, die es sich leisten konnten, diese zu der Dame und führte die gänzlich Ueber­hier aufzusuchen- ließen sie sich von der raschte die wenigen Schritte bis zum Fenster Schönheit begeistern, ihre Mitmenschen nicht mehr zu unterdrüden, auszubeuten, zu töten? Nein, es liegt wohl nicht an der Schönheit selbst, sondern mehr daran, daß diese Wallfahrer ver­geffen haben, daß der neben ihnen lebende, aber von ihnen verachtete Menschenbruder auch eine Schönheit in sich birgt, die mehr der Entdeckung und Pflege wert wäre als diese toten Kostbar feiten um uns. Sie sind ja erst durch unsere unlebendige Wertschägung kostbar geworden. Wir haben die tote Schönheit überschätzt zuungunsten

ber lebenden."

,, Es ist leider wahr," antwortete Reimond, daß wir die Häßlichkeit unserer Gesellschafts­ordnung zu verdeden juchen mit der Zurschau­stellung von Schönheit, an deren Entstehung wir feinen Anteil haben. Aber du darfst nicht ver­geſſen, daß das liebevolle Bewahren, dieses unaufhörliche Betrachten der Schönheit früherer Zeiten die Menschheit geistig befruchtet und zum Besseren gewandelt hat."

Bernard mochte nicht sofort antworten, denn zwei Damen in Begleitung eines alten, vollbärtigen Herrn mit goldener Brille und der roten Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch betraten den Raum und stellten sich dicht bei den beiden Freunden auf. Sie betrachteten einige der uralten, mit Bildern und Schriftzeichen be­dedten Lehmziegel. Der alte Herr mußte ein bedeutender Aegyptologe ſein, denn er vermochte den Damen nicht nur die Bilder zu erklären, sondern auch die Inschriften ziemlich fließend zu übersetzen.

,, Sehen Sie, meine Damen," dozierte er,

Ich bin es satt," sagte Bernard, dieses Gerümpel der Schönheit anzuglogen, nur weil man mir eingeredet hat, daß der Anblick zur Bildung und Veredlung des Geistes beitrüge. . Diese Schönheit ist ja tot. Willst du bestreiten, daß sie tot und nuklos ist? Ah, du meinst, daß jedes einzelne Stück in der Umgebung seines Entstehens dazu beigetragen habe, die Mensch heit aus der Barberei zur Gesittung zu führen? Nun ja, du haſt recht, denn zur Zeit seiner Ent- diese Tafeln stammen aus dem sogenannten stehung und ein wenig darüber hinaus lebt ein Alten   Reich, das wir auf die Zeit von 2980 Kunstwerk wirklich, weil es wirkt. Damit giöst bis 2475 vor Christi Geburt festgesetzt haben. du aber mir nur recht und sprichst indirekt Diese Wellen bedeuten das Ufer des Nilstroms, unserer Zeit das Urteil, die Kunstwerke nicht und was Sie hier sehen, ist ein Krokodil, das mehr allgemein und öffentlich wirken läßt, ſon in seinem Rachen ein spielendes Kind vom dern sie jammelt. Ist das nicht eine Abart des Ufer entführte und natürlich nun verspeisen Bejizwahnsinns, der sich mit Geld Privilegien wird. Es brauchte eigentlich nicht zu entfliehen, erkauft Behaupte nicht, mein Freund, daß denn keinem Menschen würde es eingefallen Sammlungen und Museen öffentlich seien, selbst sein, dem Tiere die Beute zu entreißen. Es wenn man kein Eintrittsgeld verlangt! Den durfte nicht einmal berührt werden, denn die stinkenden Bettler und das ausjäßige Lumpen Krofodile galten im alten Aegypten als heilige weib läßt fein betreßter Aufseher herein. Die Tiere. Den Beweis haben Sie in der daneben­öffentlichen Museen jind Privilegien, an denen stehenden Frau mit geöffnetem Munde. Der nicht alle Menschen teilhaben dürfen. Schlim dabeistehende Text besagt, daß sie ein Preislied mer noch, sie sind ein sichtbarer Ausdruck dafür, jum Lobe der Götter anstimmt, weil sie ihr die

hin.

,, Verzeihen Sie, bitte, Madame, aber da ich Ihr Gespräch mit anhörte, kann ich unmöglich schweigen. Sie sind vielleicht selbst Mutter, eine von den vielen, die heute noch auf der Stufe stehen wie jene Aegypterin, die sich freuen, wenn ihr Kind von einem heiligen Krokodil gefressen wurde. Schauen Sie hinunter auf das mar­schierende Militär. Glauben Sie, Madame, daß diese Söhne von Müttern freiwillig und mit Frenden sich dem Kriegsgott in den Rachen_ge= worfen haben? Bestimmt nicht! Aber sehen Sie die Frauen und die Mädchen, die kommenden Mütter, wie sie sich lachend freuen, daß dort die Söhne von Müttern marschieren, Kinder, die im Feuer der unausbleiblichen Schlacht einen ebenso furchtbaren Tod sterben müssen wie der Säugling im Rachen des Krokodils. Und sehen Sie weiter drüben die schwarzgekleidete Schor bleicher Kinder unter der Obhut von Priestern, die sie zu Aberglauben, Dummheit und Ver­achiung der Welt und der anderen Menschen erziehen? Blicken nicht viele Frauen und Müt ter wohlgefällig zr diesem Werke der lebenver­neinenden Niedertracht? Ist das ein Fortschritt gegenüber der Szene auf jenen altägyptischen Behmitafeln? Nein, ihr Mütter opfert eure Kin­der immer noch gefräßigen Krokodilen und seid froh dabei. Auch Sie, Madame, reden von Fort­schritt, und dabei-

Dame und ihre aufgeregten Begleiter riesen

Bernard konnte nicht weitersprechen. Die

und freischten laut nach Polizei. Ein Aufseher

stürzte_herbei. Befreien Sie mich von diesem

Wahnsinnigen!" schrie die Dame, er schmäht die heilige Religion und unser tapferes Heer!"

Andere Aufseher kamen hinzu, und der sanfte Reimond, der den Vorfall aufklären wollte, kam nicht zu Worte, als er hinter dem näuel von Uniformen herlief, die den sich ſträubenden Bernard hinauszerrien.

Denken Sie nur," sagte der zitternde Aegyptologe mit der Rosette der Ehrenlegion hinter dem sich entfernenden Tumult her, bei­nahe hätte diefer junge Barbar jenen Sarkophag ongerannt, der dem Priester Taho aus der Re­gierungszeit Psammetichs I. aus der sechsund­zwanzigsten Dynastie gehörte und unerfeßlich, einfach unerfeylich ist.