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Zwei Mordfälle.

Von Alfred Polgar  .

Dem Buche Orchester von oben", von Alfred Polgar  , mit besonderer Erlaubnis des Verlages Ernst Rowohlt  , Berlin, entnommen.

Der Teufel im Leibe.

Hier sind während der letzten Monate ein paar blutige Verbrechen geschehen, und es waren durchaus junge Leute, um zwanzig herum, die sie verübten.

erfahren. Vielleicht schöpfte er aus solchem ro­mantischen, wilden, trußigen Hut- seit langem ein Wahrzeichen für Künstler, Räuber, Revolu tionäre und andere schredliche Kinder( Enfants terribles) Gottes- vielleicht also schöpfte er aus dem Schlapphut, der Rechtens nach seiner an ihm Symptome zu merken. Er dachte logisch Form, aber a contrario seines Inhaltes so und handelte zweckmäßig. Er kannte und em- hieß, Kräfte des Widerstandes und des Justa­pfand die Leiden und Freuden des normalen ments gegen die Ordnung, aus der er geſprun­Menſchen, das Eſſen ſchmeckte ihm, die Sonne gen war. Einmal näherten sich ihm die Ver­wärmte ihn, und wenn falter Wind ging, stellte folger, als er gerade die Schuhe von den Fü­Die Zeit ist finster und der Raum eng: so er den Mantelkragen hoch. Helles schien ihm ben getan hatte. Nach etwas Kugelwechsel- der tappt der Mensch im Dunkeln und stößt den hell und die Finsternis dunkel, wenn er die war zwischen ihm und seinen Jägern schon so Straße überquerte, wich er, ſcharf nach rechts seitsentlief er barfuß. Er hatte die Chance, wie Habe die Ehre und Oh, ganz meiner­Kopf an Mauern. Mancher nimmt den Revol­ver, schießt ein Loch in die Welt, macht sich und links ſpähend, mit vernünftiger Bewegung den Wagen aus, die Poſſierlichkeit des Hünd- einen Ortsfremden zu begegnen, der durch den Luft. Hünd- Anblick des elend abgehetzten Vagabunden und chens belustigte ihn, er pflegte Freundschaften Zudem hat sich die Währung des Nerven­des Revolverschaftes, der dem Kerl aus der systems sehr verschlechtert. Früher bekam der und Beziehungen, das spannende Buch erregte wilde Mensch für eine Ohrfeige, die er sichlachte Tasche sah, zwiefach bewogen, ihm die eigenen in ihm Spannung, er weinte im Kino und Stiefel überließ. Das leztemal in den Sied­leistete, eine ganze Menge Entspannung, mit lachte über Wiße, er war ein intelligenter einem Fausthieb schon erwarb er seinen Hunger Sprecher und höflicher Zuhörer, er hatte kleine ungen wurde Wiedmann gesehen, als er in einem Laden drei Semmeln und eine Wurst nach Gewalt Sättigung. Jetzt kostet der gleiche Talente, Ehrgeize, Geſchicklichkeiten, kurz, er erstand. Er bezahlte bar, doch famt er nicht mehr Effekt mindestens einen Messerstich oder Re- schien eingesponnen in ein verschlungenes, erſtand. Er bezahlte bar, doch kam er nicht mehr volverschuß. Und der Verbrecher, wissend, daß maschendichtes Geflecht von Ordnungen. Nichts zum Genuß der Mahlzeit, Gendarmerie, Militär an dieser kühlen Seele, aus der Empfindung, vielleicht, hatten Wald und Wiesen umſtellt, und Radfahrerpolizei, ein paar hundert Mann heute ein mit geringen Mitteln begonnenes Wunsch und Wille in gewöhnlichen, gemeinen Unternehmen nicht auf Erfolg rechnen fann, rückten in dichter Treiberkette konzentrisch vor, Varietäten wuchsen, deutete auf vulkanische investiert in sein Geschäft gleich etwas Mord. Gefahr... plötzlich, wie eine Stichflamme höl­es gab kein Entrinnen, außer in die Erde hinab Viele sagen, an so leichter Entschlossenheit lischen Feuers, schlug aus ihr die Tat. oder in den Himmel hinauf. Als sie ihn auf der Zwanzigjährigen zur Bluttat habe der Krieg die Schuld. Wahrscheinlich iſt es ſo. Ge- und Teufel, die im Menſchen Quartier nehmen. Ein Gendarm schoß ihm die Waffe krumm. Aus Das Mittelalter aber glaubte an Dämonen Schußweite nahe hatten, erwiderte er die Auf­forderung, sich zu ergeben, mit dem Revolver. wiß aber ist, daß die Erziehung der Knaben Unsere Gerechtigkeit indentifiziert den Menschen dem verbogenen Revolverlauf wie das mög­keine Schuld daran trägt, daß sie Verbrecher mit dem Dämon von dem er besessen ist. Sie wurden. Unter den jungen Mördern von heute unterhält Zuchthäuser für Dämonen und bef- lich iſt, verſtehe ich nicht, aber der offizielle Poli­find streng und gut Erzogene, Geprügelte, Ver- sert den Satan durch Dunkelzelle und hartes mann eine Kugel in die Schläfe. Bei dem To­zeibericht behaupter es knallte sich Wiede­hätschelte, Kinder aus wohlhabenden und aus Lager. Was ist dümmer: Der Versuch, den Teu- ten fand man noch ziemlich viel Munition, drei armem Hause, Sprößlinge religiöser und fel auszutreiben, oder der, ihn einzusperren? Semmeln und eine Wurst. Sprößlinge freigeistiger Eltern, solche, die nach Unter großer Teilnahme der Bevölkerung wird konservativen und solche, die nach neuesten das Opfer begraben. Der Leichenzug geht nicht Methoden der Kinderseelenlehre behandelt wurden fürzeren Weg zum Friedhof, sondern macht den. Es ergibt sich ein klägliches Debakel aller Pädagogik, Liebe und Hiebe treffen gleicher­weise ins Leere. Der Mensch denkt, aber Gott  lenkt und der Scharfrichter henkt. Unter den Affen des Urwaldes wird dieſes Kind ein seelenvoller Tarzan, im Lyzeum jenes ein nied­riger Haderlump. Das Individuum iſt fertig, wenn es beginnt... und erziehen" kann nichts anderes heißen, als, wie Peter Altenberg  sagte: Organischem Wachstum lauschen."

Im Menschenblut leben gefährliche Bakte­rien. Aber es leben in ihm auch Feinde der Bakterien, die sie unschädlich machen. Aehnlich vielleicht hat man sich den sozusagen gesunden, fittlichen Organismus vorzustellen, als Wohn­stadt von Giften und Gegengiften. Fehlen die Antitogine: Küsse, Schläge, Religion und Psychoanalyse werden Erkrankungen nicht hin­dern.

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Ein zwanzigjähriger Mensch, Sohn gütiger Eltern der Vater war Professor sticht seine Geliebte tot, um Geld, das ihr als Kon­toristin anvertraut war, zu rauben. Er ver­sucht gar nicht, es ihr irgendwie abzulisten, er erwägt gar fein anderes Mittel, zur Beute zu kommen, als das radikalste. Auf der Treppe, vormittags, fällt er über das Mädchen her, stoßt ihr das Messer mit Wucht in den Hals, damit sie nicht schreien könne, und da sie doch schreit, haut er sie auf den Kopf und preßt ihr seine Faust in die Zähne. Dann, das Geraubte in der Tasche, geht er ins Bad, kauft Wäsche und Kleider, besucht abends das Theater( Die heilige Johanna von Bernard Shaw  ), hernach ein Ka barett, verbringt die Nacht mit einer Prostitu­ierten im Hotel und erscheint anderen Tages zur gewohnten Schachpartie in seinem Stamm­Taffeehaus. Die spielt er noch, dann wird er verhaftet. Zwanzig Jahre Zuchthaus.

Die Psychiater erklärten ihn für gesund. In der Tat, von keiner Art Geisteskrankheit waren

gen vermocht.

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Ich erzähle die Geschichte nicht nur, weil sie immerhin ſeltſam iſt, denn daß einer mitten im einen fleinen Umweg: er wird durch die Straße friedvollſten Niederöſterreich   in die böhmiſchen geführt, in der die Ermordete einen Hausanteil Wälder geht, ist nicht Alltägliches, ſondern auch, besessen hatte. Mit letztem Gruß grüßt Hausanteilweil sie ausgezeichneten Stoff für ein Schau­Ewige das Zeitliche: Ave Hausanteil! Shate- ſpiel neueren Stils zu geben scheint. Tauſend­ſpeare steht beschämt. Zu einem Zeichen von so mal intereſſanter als der Kaiser Jones, der gewaltiger makrobrer Lächerlichkeit hat er das vom Urwald gejagte und erlegte, wundergläu Leben und Sterben niemals ineinanderzuschlin- bige Neger( den Herr O'Neill aus den USA  . erfunden hat), ist dieser ihm schicksalsverwandte Wiedemann, der nicht an Wunder glaubte, aber auch nicht an Zivilisation, der den zahmen Wäl­dern um Wiener- Neustadt   seinen Urwald ima­ginierte, gewissermaßen von seiner Tat hinaus­geschleudert aus der Zeit, in der er lebte. Hier steht der Held eines wahrhaftigen Einpersonen­dramas, ein einzelner gegen alle und gegen das Nichts, völlig gelöß aus jedem Zusammenhang, abgekehrt jedem Gesicht, das nicht das seine ist, ein Feind des Lebens aus fürchterlichem Willen zu ihm.

Drei Tage.

Im südöstlichen Randgebiet der Republik  Desterreich, dort, wo sie, mit Respekt zu sagen, schon an Ungarn   grenzt, ereignete sich folgender krimineller Vorfall:

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Ein Mann und ein Einbrecher, von dem auch sonst nichts Gutes zu berichten ist, ein roher, primitiver, aus sehr Gemeinem gemach­ter Mensch, erschoß seine Geliebte. Die Häscher, die ihn greifen wollten, hielt er sich mit dem Revolver vom Leibe und verzog sich in die Seine Gegenspieler: Stimmen, Schritte, Wälder um die gute Stadt Wiener- Neustadt  . Schatten der Verfolger und derer, die es sein Dort stöberten sie ihn wiederholt auf, wechselten könnten. Ort der Handlung: zwischen Hoff­ein paar Kugeln mit dem Hartnäckigen die nungslosigkeit und Wiener- Neustadt. Dauer: Gendarmen trugen schmerzhafte Beweise seiner die Ewigkeit dreier Tage. Und denkt nun an Zielsicherheit heim konnten ihn aber nicht diesen abgesprungenen Splitter Mensch in erlegen oder fangen. In den Dörfern der Ge- seiner Allverlorenheit! Wie ihn jede Erscheinung gend, wo der Mörder Unterschlupf suchte, wurde heimsucht: der Rauch aus den Schornsteinen, die er des öfteren gesehen. Die ihn erkannten, lie- himmlische Sorglosigkeit weidender Tiere, der fen sogleich zur Polizei und wiesen ihr die höhnische, Fahrt und Ferne singende Pfiff der Fährte; erschienen die Verfolger, war das Nest Eisenbahn, der Telegraphendraht, durch den ( ein Heulager, ein Graben, ein Holzstapel im die Steckbriefe laufen, die Lichtschimmer aus Walde) leer, und nur Zigarettenstummel, Pa- dem Gasthaus, wo jetzt die Gendarmen ſizen pierfeßen, ausgeschossene Patronenhülsen be- und sich den Bierschaum aus dem Schnurrbart zeugten, daß Wiedemann, so hieß der furcht- wischen, das Rattern der Autos, in denen die bare Mensch, hier gerastet( wenn auch, weiß reichen Leute davonfahren, wohin sie wollen.. Gott  , nicht geruht) hatte. Er trug einen großen Jeder Bissen, den seine Sinne futtern, schmedt grauen Schlapphut, und daran erkannten ihn nach Henkersmahlzeit. Und er sitzt in der Welt die Dörfler und Gendarmen von weitem schon. wie in einer Falle.( Doch ist das nicht nur Mör­Warum er, der doch wahrlich viel von sich ab- ders Los.) Vielleicht war es anders. Vielleicht geworfen hatte, gerade den verräterischen hielt der schlechte Mensch seine Sache_gar nicht Schlapphut nicht lassen wollte, wird man nie für aussichtslos, bemerkte weder die himmlische