«r. 35.ttnteeyaltungsveilage1931.sctstXürtiftbe KrauenVon Ratl OtlOHer.liebet das Schicksal der Frauen imOrient herrscht in den westeuropäischer'.Ländern immer noch eine merkwürdige Vorstellung. Die einen erinnern sich dabei anschöne Geschichten aus„TausendundeineNacht" und glauben, daß es auch heute nochetwas Aehnliches gebe. Ändere bilden sichihre Meinung nach aufregenden Filmen,Made in Hollywood, in denen es von prunkvollen Harems und kostbaren Frauengemächern nur so wimmelt, denn irgendwiemuß ja der Regisseur seine Ausstattung undGirlscharen hineinbringen, ohne die es einamerikanischer Film nun mal nicht tut.Gründliche Zeitungsleser dagegen habenvielleicht etwa- von Frauenemanzipationauch im Osten gelesen und glauben nun, dieFrau nehme im Orient etwa die gleicheStelle ein wie bei uns. Beides ist falsch,und die Wahrheit liegt auch hier-'n derMitte.Kemal Pascha, der diktatorische Herrscher der Türkei, hat bei seinen Reformbestrebungen natürlich auch versucht, dieFrauen von der schlimmsten früheren Unter-drückuna zu befreien, ohne ihnen allerdingseine Gleichberechtigung mit den Männernzu gewähren. So können wir heute in Konstantinopel beobachten, daß äußerlich derwestliche Geist ziemlich durchgedrungen ist.Der daS Gesicht verdeckende Schleier ist aufden Straßen verschwunden. Ich habe nureine einzige Verschleierte dort gejeyen: eswar eine alte Zeitungsverkäuferin. Imübrigen tragen wohl noch viele ärmereFrauen den alten schwarzen Umhang, wahrscheinlich schon wegen der Billigkeit, aberdas Gesicht ist frei, und die Füße stecken inseidenen Strümpfen und modernen Schuhen.Die jungen Mädchen gar benehmen sich ganzwie ihre Pariser und Berliner Vorbilder,schminken und pudern sich, treiben Sportund tanzen in modernen Lokalen nach denneuesten Jazzschlagern. Und wie im öffentlichen Leben, so scheint sich auch schon inder familiären Zone daS Schicksal derFrauen in den Großstädten des neuen, jungen Türkenreiche- gewandelt zu haben.Selbst in den engen Gassen der AltstadtJstambul- künden nur noch wenige Bromsgitter an den Häusern von der strengenAbgeschlossenheit der alten Zeit. Mankonnte den Wechsel am besten als Ueber-gang von der Rolle der absoluten Sklavindes Mannes zur gehüteten, schwer arbeitenden Hausfrau bezeichnen. Damit soll angedeutet werden, daß die Frau noch immerunterdrückt ist und nicht in gleicher Weiseam Leben teilnimmt wie der Mann. Nochheute ist eS verboten, ein türkisches Hauszu betreten, ohne vorher den Hausherrn umErlaubnis zu bitten. Ja, viele Männersperren noch immer ihre Frauen zu Hauseein, um sie von jedem Verkehr ferpzuhalteu.Damit ist es selbstverständlich, daß dieFrauen am gesellschaftlichen Leben kaumAnteil haben. Man sieht sie geschäftig überdie Straßen eilen, in den Basaren ihre Einkäufe machen, aber in den Kaffeehäusernsitzen nur Männer. Ausgenommen natürlich der rein europäische Stadtteil Pera, woja die Bevölkerung auch nicht aus Türkenbesteht.So ist es in Konstantinopel, wo naturgemäß der Einfluß Europas am stärkstenist. Aber die Türkei orientiert sich heutenach Osten. Sie hat ihre Hauptstadt nachdem Innern Kleinasiens, nach Angora, der-legt. Und wie steht es im Innern des Landes, wo die große Beeinflussung durch dieFremden fehlt? Schon auf der Dampferfahrt über das Schwarze Meer ändert sichdas Bild. Wehklagend und heulend sitzendie Bauernfrauen auf ihren bunten Teppichen im stinkenden Zwischendeck. Zusammengedrängt hocken sie in einer dunklenEcke, klatschen und geben ihren schreiendenKindern die Brust.- Wenn sie an Landgehen, schleppen sie große, unförmige Bündel mit, verdecken.aber vorher sorgfältig ihrGesicht vor uns Fremden. Die Männer dagegen sammeln sich neugierig um uns, vertreiben sich die Zeit mit allerhand Spielenund kümmern sich nicht im geringsten umihre Frauen. Das ist ja das Typische: dieFrau wird als nebensächlich, unwichtig undin der Oeffentlichkcit als tvertloser Anhangbehandelt, um jedoch im Hause desto mehrtyrannisiert zu werden. Bei unseremspäteren Aufenthalt an der klein asiatischenKüste bi- ins armenische Hochland hineinkonnten wir daS noch besser beobachten.Niemals habe ich dort Frau und Mann zusammen auf der Straße gesehen. Sie habenihren ganz verschiedenen Leben-krei- undwehe, wenn eine Frau versuchen wollte, indie Bezirke des ManneS einzudringcn! Beteiner Nationalfeier in einem kleinen Hafer»-städtchen hatten einige, natürlich tief verschleierte Frauen versucht, sich in die Mengeder Schaulustigen zu mischen und Redenund Paraden zu lauschen. Sofort wurdensie von einer Schar Männer hinweggetri«-oen und bei dem Umzug durch die Straßensahen wir sie ängstlich in. einer verborgenenHausnische kauern.Also mit der Befreiung der Frauen istes hier noch nichts. Mag sein, daß KemalPascha und seine Dekrete auch hier einmaldurchdringen werden. Zunächst jedoch hater ganz andere Sorgen in diesen verlassenen Gebirgsgegenden mit ihrer am Alte»festhaltenden Bevölkerung, als auch nochdie heikle Frauenfrage aufzuwerfen. Vielleicht ändert sich das in der nächsten Generation, denn die Kinder treffen in derSchule zusammen. Mädel und Buben gingen gemeinsam unter der Führung ihrerLehrer dem gleichen Festzug voran und siewerden vielleicht eher einer neuen Ordnungzugänglich sein. Ebensowenig ist aber hievdie Frau etwa die verehrte Geliebte undHüterin alles Schönen, Edlen, Guten, wieman es aus stimmungsvollen Geschichtenund kitschigen Filmen entnehmen mag. Sieist das absolute Eigentum ihres ManneS,der nach alter Gewohnheit alle Sorgen undLasten des Lebens auf sie abziiwälzen versucht. Dabei tritt natürlich eine gesellschaftliche Schichtung, ein. Die sozial hoherstehende Frau trägt hier einen schwarzenUmhang. Sie hat vorzüglich für den Haushalt zu sorgen, denn ihr Mann hat eineangesehene Stellung inne, die von der Fraunicht auSgefüllt werden kann: Beamte,.Händler usw. Um so schlimmer aber gehtcS den Bauernfrauen, die in diesem Agrarlande selbstverständlich die größte Zahl aus-machen. Sie schleppen auf ihren Rücken dieLasten zu Markte, wo sie der Mann verhandelt. Auf den Feldern arbeiten sie inihren bunten Sackleinenumhängen, barfuß,oft nur mit den primitivsten Geräten ausgerüstet. Und am Wegrande liegen die Kinder, für die sie natürlich auch n«üh zu sorgenhaben.