5». 30. UuterOottmtgtf Beilage. 1933. Ein Aviederfeyen. Müßig schlendere ich durch die Straßen, schau da dem Spiel der Kinder zu, beob­achte dort den Kampf zweier Spatzen um ein Körnchen Hafer. Dann bleibe ich wieder hör irgendeiner Auslage stehen und bewun­dere die hinter dicken Glasscheiben aufge­stapelten Schätze. Sonst verbittert mich diese schamlose Ausbreitung von allen möglichen Luxuswaren. Heute spüre ich nichts von Empörung, heute lacht ja die Sonne warn» und verheißungsvoll vom blauen Himmel. Bor der Auslage der Feinkosthandlung ist ein Mann damit beschäftigt, zu den be­reits aufgrhäuften Leckerbissen noch weitere hinzuzufugen. Was es da doch alles für den Gaumen und den Magen gab! Da leuchtet aus der grünen Umrahmung frischer Petersilie zart und rosig das Fleisch eines Schinken. Daneben strecken sich die Fische der Nordsee, Heringe, Russen, Makrelen, etwa- weiter entfernt Sardinen aus Portu­ gal   und Südfrankreich  , in durchsichtiger Sülze Aale und rostigbraune Sardellen. Kleine Berge von prallen Würstchen gab es hier, und neben dem vornehmen, großlöchc- rigen Schweizerkäse macht sich eine derbe, grellrote Edarmcrkngcl breit. Eine ganze Menge Gläser mit eingemachten Früchten, dann Dattel» und Feigen, große Beeren italienischer Trauben. Und im Hintergrund, ernst und würdig, eine Reihe von Flaschen mit Weinen. Interessant betrachtete ich den Mann, wie er auf diesem, dem Gaumen und Ma­gen errichteten Altar neue Opfergaben nie­derlegt. Endlich ist er fertig, f(blickt die Auslage und wiU in den Lade» treten. Da bleibt er mit einem Ruck vor mir stehen, fragt erstaunt: o, Rost, bist dn's oder nicht?" Geht das mich an: Verwundert blicke ich um mich. Niemand zu sehen. Also soll eS doch mir gelten? Forschend betrach­tete ich den Mann. In weißer Jacke und weißer Schürze, mit glänzendem, rosigem Gesicht, war er die lebendigste Reklame für seine Delikatessen; aber ein Bekannter von mir? Unmöglich! Da fragt er, schon etwas ungeduldig, zum zweitenmal:Na, kennst du mich denn nicht mehr, den Berger- Franz?" Der Franzl? Ungläubig starre ich ihn an und dann muß ich hellauf lachen. Wer, zum Teufel, hätte aber auch in die­sem würdigen Geschäftsmann den Franzl, Da» Stofa Haderet. den Helden meiner Kindheit, den Winnewn, Old Shatterland, Kara den Nemsi und wie sie alle heißen, die Helden von damals, ver­mutet? Mit diesem Bäuchlein sollte er es doch versuchen, sich an die wilden Kurden oder die listigen Rothäute anzuschleichen! Wen da wohl der Feind, recte Flurhüter, früher beim Schopfe hätte, ihn oder mich armen, geschundenen Hadschi Halef?Geh, lach doch nicht so dumm," fährt er mich an, komm lieber herein und laß uns plaudern". Waruni denn nicht, und immer noch lachend folge ich ihm in den Laden. Im Laden herrscht eine angenehme Kühle. Hier blitzt und glänzt es nur so vor lauter Reinheit, und wohin ich blicke, überall eine geradezu verschwenderische An- häusicng von Waren. Hinter dem Laden­tisch steht seine Frau, ein molliges, nied­liches Persönchen, das herzige Puppengesicht von schwarzem onduliertem Haar umrahmt. In ihrem weißen Mantel wirft sie förmlich appetitanregend. Unweit von ihr sind ein blasser Kommis und ein lleiner magerer Lehrjunge mit dem Einwiegen von Zucker beschäftigt. Nachdem mich Franz seiner Frau vor­gestellt hat, beginnen wir uns auszufragen. Mein Gott, man hat sich doch viel zu sagen. Da treten einige Kunden in den Laden und Franz muß bedienen helfen. Ich bleibe einige Minuten allein. Merkwürdiger Zufall, der mich heute hierher geführt hat und einen lieben Ka­meraden wiederfhlden ließ. Im gleichen Hause und fast zur gleichen Zeit geboren, wuchsen wir zusammen auf und bald wurden wir unzertrennliche Freunde. Diese Freund­schaft verstärfte sich noch, als wir älter tvurden. Gemeinsam konnten wir die herr­lichsten Abenteuer erleben. Die umliegen­den Aecker und Felder machten wir sehr zum Aerger des Flurwächters zum Schauplatz unserer Heldentaten. Da unsere Eltern Sozialisten waren, war es naheliegend, daß wir bald davon zu träumen begannen, die Welt einst von allen ekelhasten Kapitalisten zu befreien. Und als wir einmal von der Schule mit einer saftigen Strafe nach Hause kamen, weil wir es nicht unterlasten konnten, Friedrich Adler   als Wilhelm Teil zu feiern, kannte unser Stolz über dieses erste Opfer unserer Ueberzeugung keine Grenzen. Rach Ab­schluß der Schulzeit kamen wir in die Lehre. Er wurde Verkäufer, ich Tippmam- sell. Damals lernte ich den ersten Welt­schmerz kennen. Denn Franz, mein Ideal, brach mir die Treue, die er mit beim Bart des Propheten geschworen hatte, und ver­liebte sich in seine Kassiererin. Als ich ihm dann aber trotz meiner mißachteten Liebe beim Stehlen von Flieder für seine An­gebetete half, war der Gipfel meiner Selbst­verleugnung erreicht. Dann trafen wir uns immer seltener, bis wir uns schließlich, in­folge geänderter WohnungsverhÄtniste, ganz aus den Augen verloren. Uiü> heute, nach Jahren, traf ich ihn wieder, den alten Freund. Alten Freund? Ich beobachtete ihn, wie er die Kunden bedient und ein eigen­tümliches, wehes Gefühl steigt in mir aus. Denn ich finde keine, aber auch keine Aehn- lichkeit mit dem lieben, begeisterungsfähigen Jungen von einst. Als er nach der Bedienung der Kun­den wieder zu mir zurückkehrte und ich ihn fragte, ob er noch immer daran denke, die Welt von den Kapitalisten zu befreien, da mußte ich mich überzeugen, daß er sich in­nerlich gewandelt hatte. Eifrig begann er die heutige Gesellschaftsordnung zu vertei­digen und fand in seiner Frau eine Sekun- dantin. Sie schwitzten beide förmlich bür­gerliche Moralbegriffe aus. Sozialismus? Der sei doch nur da für die Unfähigen. Aber dein Pater, wennde ich ein. Ja, gerade der, zu was hat ers denn auch schon gebracht, he? Arbeitslos ist er. Aber bei uns ist es anders» wir haben es zu etwas gebracht und da soll man ihnen nur ja nicht mit Gleich- bercchtigung kommen. Sie zahlen ihre Steuer und seien ehrbare Burger. Sie haben sich geplagt und vieles entbehrt, aber dafür find sie wer und haben was. Da mußte ich sie betrachten, die beiden, wie sie rosig und gepflegt von den vielen Entbehrungen und Plackereien vor mir stehen, bettachte mir auch den lleinen mage­ren Lehrjungcn und den blassen Kommis und habe genug von dem Helden meiner Kindertage und verlasse den Laden.._. Verflogen ist mein Uebermut, es würgt mit in der Kehle. Am liebsten möchte ich losheulen über die bittere Erkenntnis, daß ein Bankkonto und ein eingebildeter Besitz