— 2—„Pardon!* rief ein Mann hinter mirweil er mich fast niedergerannt hätte, wo ichdoch nur selbst daran schuld gewesen wäre.Was hatte ich auch in so einer belebtenStraße stehenzubleiben?Ja— das kam davon!In einem der riesigen Schaufenster bewegten sich, zwei Mädchen, die soeben dabei waren,neue Kostüme, die im Verkaufslokal wahrscheinlich gebraucht worden waren— wiederan Ort und Stelle zu geben.Und eines dieser Mädchen— war meineBekannte aus„Heck*.Ich mochte mich nicht bemerkbar, hieltmich etwas abseits, beobachtete das Mädchenaber genau. Nun— nun war sie, was siewarIhre schmalen, weißen Hände legten Falten tn die Kleider und festigten"sie mit Stecknadeln. Anscheinend aber ging es etwas zulangsam, denn ich sah plötzlich im Hintergrundeine Glastür aufgehen und eine ältere Damedie beiden Mädchen ansprechen. Daraujhinging die Arbeit noch flotter, und einige Minuten später verschwanden die beiden Mädchen.So hatte mich meine Menschenkenntnis amTage vorher, das heißt am Abend, doch nichtgetäuscht. Ich hatte richtig gesehen.Und nun wollte ich eine„Mission* erfüllen.Am Abend.Auf der neuen Brücke.Halb neun Uhr.„Fräulein, Sie sind sehr pünktlich."„Oh— bitte— Pünktlichkeit ist einemeiner Eigenschaften."„Also— man könnte sagen: eine Tugend*Wie sonderbar leicht ich sprach. Run, daich wußte, daß sie in Wahrheit doch anderswar, als sie sich gab.Und kaum eine Birrtelstunde später wanderten wir den Hafen entlang. Und da, imAngesicht der vielen stillgelegten Schiffe, imAngesicht der vielen Zeugen einer ungeheurenWeltunordnung, begann ich plötzlich absichtlichvon ernsten Tingen zu sprechen.Vorerst wollte sie nicht recht. Sie sahmich immer so mißtrauisch an, als ich abernicht locker ließ und sie wahrscheinlich nicht un-höslich sein wollte, begann sie zu sprechen.Sprach— gemacht und geschraubt wie«ine jDame aus„besserer Gesellschaft" und wolltemir schließlich gar weiß' machen, daß der Papaselbst ein Fabrikant wäre.Das schlug dem Faß den Boden aus, undich hätte mich schon fast nicht mehr haltenkönnen. Nein— mit solchen Menschen mußman Geduld haben. Man muß sie nicht vorden Kopf stoßen— denn es gibt solche, die andie eigenen Träumereien glauben.Co wanderten wir durch halb Amsterdam,und endlich fand ich eS an der Zeit, daß wiruns trennten.Auf der neuen Brücke verabschiedete ichmich.Sie sah mich mit großen Augen an.„Und wir werden uns nicht mehr sehen?"„Vielleicht", sagte ich kurz und hielt ihreHand etwas länger als nötig in der meinen.„Vielleicht— aber sicher ist es nicht."„Es war so kurz", lächelte sie krampfhaft.„Und so seltsam, nicht, Fräulein?"„Wie meinen Sie das? Ich verstehe nichtrecht."„So— Sie verstehen es nicht recht? Nun,paffen Sie auf— kleines Mädel vom Warenhaus ,, ,*Sie wollte fliehen, das spurte ich an demZug ihrer kleinen, weißen Hand, die in' meinerRechten lag und unbarmherzig gehalten wurde.„Mein Herr!"Ihre Stimme klang erschrocken. Scheusahen ihre Augen zu mir auf. Cie zitterte amganzen Körper.Ein Schutzmann, der an uns vorbeiging,sah nach uns.„Still—", flüsterte ich.„Sie müssen keineAngst haben und müssen mir nun geduldig zuhören, so wie ich Ihnen geduldig zugehörthabe."„Aber— Sie. stotterte das armeDing und wurde ganz verlegen.„Nun— sehen Sie; man soll nicht andersscheinen wollen, als man ist. Und Sie habenes wirklich nicht nötig, feine Dame zn spielen.Sie— Sie liebes, frisches Mädchen— Siesollen lieber ein aufrichtiger, freier Mensch sein— und nicht verleugnen, wer Sie sind, wohinSie gehören. Verstehen Eie mich? Ja?—Tenn es ist nicht wahr, daß der Mensch gutist, wenn er sich selbst verleugnet. Es ist nichtnotwendig, daß der Mensch seine Frischheitunter Schminke und falscher Eleganz verbirgt— versuchen Sie andere Wege— bessere Wege;Wege, die Sie gehen sollen— und wenn wiruns wieder sehen sollten, dann als Freunde."Sie war erstaunt. Eie konnte sich nichtfassen— und ich glaube, sie hat auch mich nichtganz begriffen. Aber, wenn ich wieder einmalnach Amsterdam komme und ich werde beiBroom u. Treesman Vorbeigehen, und ich sehedas kleine Mädel vom Warenhaus, so werde iches höflich grüßen, und vielleicht nickt es mirdann freundlich zu. Vielleicht weiß sie dann,daß sie„nur* eine Arbeiterin ist, nichts weiter.Das Wunder am Bosporus.Bon Josef Rothammer.Sanfte Hügel kränzen das blaue„SchwarzeMeer" ein. Ihre Konturen heben sich scharfvom Nachthimmel ab. Wir liegen aus offenemTeck und sehen in die unermeßliche sternenglitzernde Weite des Firmaments. Phantastischhell zieht sich die Milchstraße über uns hin undunter uns wirbelt das Wasser in der Bewegungder Schiffsschraube. Die Luft ist warm undsüß. Wir schlafen...(für unser gutes Geldauf blankem Eisen).Ter Morgen offenbart uns das Wunderam Bosporus, das Cchönheitswunder derWasserstraße vom Schwarzen Meer nach Istanbul. Hügel voll südlicher Bäume bilden dieUfer, schroffe gelbe Felsen durchbrechen romantisch das Bild der Landschaftsharmonie, Segelboote im hellsten Sonnenglanz beleben es. Wirrnd beinahe am Ziel unsrer Fahrt: dicht vorKonstantinopel. Es währt allerdingsnoch so lange, daß die Sonne Zeit hat, die angenehme Morgenwärme in die Glut eines subtropischen Vormittags zu steigern. Als wirdie Häuser Konstantinopels sehen, tanzt überihren Tüchern der gelbe.Schimmer der Hitze.Tas alte ausgebrannte Parlament der ehemaligen türkischen Hauptstadt fällt uns zuerst in dieAugen. Tann wachsen die Häuser des Fremdenviertels Pera buchstäblich aus dem Bodenin das Firmament. Es mutet an, als landetenwir vor einer wild emporgeschossenen nordamerikanischen Großstadt. Sechs- und siebenstöckig drängen sich die häßlichen Bauten ausdem Hintergrund und zeigen trostlose Brandmauern gegen die Nachbarn. Auf der Halbinsel zwischen Bosporus und Goldenem Hornist der Boden ebenso teuer wie der Luftraumbillig ist, und daS neue Konstantinopel, daSIstanbul der Gegenwart, ist rasch gewachsen.Daher die häßliche Regellosigkeit der Stadtanlage. Am linken Ufer aber, das schon Kleinasien heißt, steht Strohdach an Strohdach:S k u t a r i, das halbverfallene Eingeborenenviertel der alten Türkcnhauplstadt.Inzwischen sind wir ganz nahe an den Kaigerückt und sehen nun schon nach Galata undnach§ t a m b»l, den beiden andern Stadtteilen, die mit Pera zusammen das. neue Konstantinopel bilden. Wir sehe» die Spitzen derweißen Minaretts in den blauen Himmelstechen und sehen die mächtigen Kuppeln dergrößten Moscheen von Stambul. Stambul isttürkisch, Galata vorwiegend griechisch und Peradas internationalste Stadtviertel, das Europakennt.männisch ausgedrückt, schreien die Insassen dernnzähligen Boote zu den Schifsspaffagiere»hinauf und bieten ihnen den Himmel Allahs inden von ihnen vertretenen Hotels an. Es sinddoch vorwiegend Türken an Bord. Weil manaber nicht wissen kann, so probiert's ein Dienstmann mit dem Schlachtruf:„Deutsches HotelStadt Wien". Im sind wir ausgelieserl, dennwir haben kein türkisches Gold in der Tasche,I müssen aber doch ans Ufer fahren...Konstantinopel ist ein teures Pfla-st e r für Fremde, und es kostet für bescheidene Verhältnisse einen schönen Batzen Geld,bis man einschließlich aller Siebensachen anLand ist; in einer deutschen Pension, die unterWassermangel leidet, sonst aber ganz passabelist. Wir bezahlen europäische Weltstadlpreisefür die Unterkunft einschließlich des unerhörtenStraßenlärms, der auch durch die dichtestenVorhänge dringt und uns nach dem ruhigenErleben.der vorangegangenen Tage am Schwarzen Meere doppelt empsindlich trifft. Manglaubt hierzulande, daß Lärm die beste Reklameist, und so klingelt und scheppert hie Unzahlder Straßenverkäufer mit allen möglichen Instrumenten. Dazu der übliche Straßenlärmeiner Großstadt.Jmerhin sind wir erst in Pera. In derUnterstadt Galata kommt dazu das Miauenunzähliger Katzen, und in Stambul vereint sichdas alles mit dem Lärm in den alten Basaren,der größer als die Qualität und Preiswürdigkeit der angebotenen Waren ist. Grundsätzlichdie Hälfte bieten und hartnäckig nicht mehr bezahlen— das ist der einzige Ausweg, um nichtausgeräubert zu werden.Konstantinopel ist wohl die ä r m st eWeltstadt Europas. Ein Abendbum-mel durch Pera zeigt gänzlich leere Lokale.In den Gaffen von Galata brütet das Elendhinter zerbrochenen Fenstern, und Stambul liegttot wie ein Torf ohne Anschluß. Wir sprachenTürken und Deutsche, spanische Juden und griechische Straßenhändler: sie sind sich eins in derKlage, daß die Türkei von der Krise am härtesten betrosfen wurde. Ausländische Spezialarbeiter haben ja bisher ganz gut verdient, aberein Regierungserlaß verbietet nicht nur denweiteren Zuzug, sondern stellt den bereits seitJahren Ansässigen die Bedingung, innerhalbeines Jahres die Türkei zu verlassen. Tereinheimische Arbeiter verdient etwa eine Marktäglich, ist aber nach dem Urteil der AusländerEr kann wohl ans sei-Jn allen gangbaren Sprachen, kauf-> auch nicht mehr wert.