Frauenstimme
Nr. 3+ 43.Jahrgang
Beilage zum Vorwärts
4. Februar 1926
Aufgaben im Völkerbund.
In den nächsten Tagen wird Deutschland seinen Eintritt in den Völkerbund anmelden. Endlich sind dank der unermüblichen Arbeit aller Freunde einer friedlichen Organifierung der Bölter, und nicht zuleßt dank der Bemühungen der Sozialdemokratischen Partei, die Widerstände beseitigt, die diefen Schritt bisher verhinderten. Ein neues Feld dehnt fich vor uns aus, es braucht unsere Kräfte und unseren guten Willen, damit fruchtbare Arbeit geleistet wird.
Was bedeutet der Völkerbund für die sozialistischen Frauen? Vor allem natürlich die Hoffnung, daß durch seine Tätigkeit die Ueberwindung des Krieges erreicht wird. Die Existenz des Völkerbundes allein leistet dafür allerdings noch keine Gewähr, auch dann nicht, wenn außer Deutschland einmal Rußland seinen Beitritt erklärt haben wird. Um dieses Ziel zu erreichen, sind noch gewaltige Anstrengungen zu machen, ist vor allem eine vollständige Wandlung im Denken der Völker notwendig. Nicht der Wille, für das eigene Bolt möglichst viel herauszuschlagen und die enderen zu überlisten, ist die Voraussetzung internationaler Friedensarbeit, sondern das Bemühen, dem gemeinsamen Wohl zu dienen, sowohl auf wirtschaftlichem wie auf politischem Gebiet. Das sind die Gedanken, auf denen die Arbeit der sozialistischen Internationale beruht, und ehe sie nicht Allgemeingut geworden sind, wird auch die Organisation der Nationen nicht restlos unsere Wünsche befriedigen fönnen. Trotzdem müssen wir sie unterſtüßen, weil ihre Bestrebungen auf dem Wege liegen, den wir selbst zu gehen haben. Die Beschränkung der Rüstungen, das Schiedsgerichtsverfahren, die Schlichtungsversuche sind so wichtige und in der kapitali stischen Welt so ungeheuer schwierige Probleme, daß wir uns der Mitarbeit nicht entziehen können. Ihre Lösung erfordert nicht nur den guten Willen, sich und die Vorausbedenkung aller Schwierigkeiten, die entstehen können, sie hängt auch von der Macht der Gesamtorganisation ab, auftauchende Konflifte zu bereinigen, die Wurzeln der Kriege zu vernichten. Wenn alle Staaten dem Völkerbund angehören, sind natürlich die Gefahrenpunkte für eine Störung des Friedens ge ringer, aber auch dann bedarf es noch der äußersten Wachsamkeit und der ganzen Energie aller Glieder, um die Entstehung jeden Krieges zu verhindern.
Außer dieser gewaltigsten Aufgabe der Verhinderung des Krieges hat aber der Bölferbund noch andere Arbeitsge biete, denen die sozialistischen Frauen Interesse entgegen bringen. Wir weisen nur auf das von dem Genossen Albert Thomas geleitete Internationale Arbeitsamt, dessen Aufgabe die internationale Organisation der Arbeit mit allen in dieses große Gebiet fallenden Fragen ist. Die internationale Beschränkung der Arbeitszeit auf acht Stunden, die auf der Konferenz zu Washington beschlossen wurde, ist noch nicht ratifiziert, andere Fragen sind in Bearbeitung. Die Frauen und Kinderarbeit, sowie die Arbeit in gesundheit lichen Betrieben müssen international geregelt werden. Es ist ein umfassender Komplex, der von dieser wichtigen Organisation des Völkerbunds zu bearbeiten ist. Die günstigere oder weniger günstige Lösung dieser Fragen beeinflußt natur gemäß in jedem einzelnen Lande die wirtschaftliche Lage der Arbeiterschaft.
Bon den anderen Bölkerbundskommiffionen nennen wir vor allem die Bekämpfung der Stlaverei, des Mädchen handels, des Handels mit Opium, sowie die Kommission zur Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten. An der stän
digen beratenden Kommission zur Bet ämpfung des Mädchenhandels nehmen mit beratender Stimme auch Vertreter von Frauenorganisationen teil, die speziell auf diesem Gebiet arbeiten, die Vereinigten Staaten delegierten als offiziöse Bertreterin eine Frau, Grace Abbott . Deutsch land, das 1922 aufgefordert wurde, ein Mitglied in die Kom miffion zu entfenden, hat die Aufforderung überhaupt nicht beantwortet. Ob es bei späteren Tagungen vertreten war, ist uns nicht bekannt, jedenfalls aber wäre feine Mitarbeit sehr wichtig. Vielleicht hätte Deutschland gerade hier Anregungen geben können, dank der Erfahrungen, die wir in früheren Arbeiten gesammelt haben. Man rechnet mit einem Anwachsen des Mädchenhandels nach der Aufhebung des Visumzwanges an den Grenzen; ein intensiverer international durchgeführter Schutz wird notwendig werden. Die Kommiffion regte an, in allen Staaten Zentralftellen zur Unterdrückung des Mädchenhandeis zu schaffen. Obwohl man sich klar war über die Zusammenhänge zwischen Mädchenhandel und Reglementierung der Prostitution, fonnte bisher noch nicht die notwendige 3meidrittelmehrheit zur allgemeinen Abfchaffung der Reglementierung erreicht werden. Zweifellos wird aber auch diese Frage aufs neue diskutiert werden müssen.
Die schädlichen Folgen des Opium- und Kokainhandels find bekannt. Die Völkerbundskommission hat auf diesem Gebiet erjprießliches geleistet. Sie hat vor allem die gesetzlichen Unterlagen beschafft und dafür gesorgt, daß man einen lleberblick über die zu wissenschaftlichen Zwecken benötigten Mengen erhielt. Sie arbeitet weiter daran, den Schmuggel mit Opium zu unterbinden und versucht, die Opiumproduktion einzuschränken.
Die Hygienefommission studiert und bekämpft die epidemischen Krankheiten. Auch in diese Kommission ist Deutschland noch nicht eingetreten, es wurde jedoch auf Beschluß der Konferenz von 1922 auch ein Deutscher als Sachverständiger ernannt. Die Hygieneorganisation steht in enger Verbindung mit der internationalen Organisation der RoteKreuz- Gesellschaften. Die Seuchenbekämpfung gehört zu den wichtigsten internationalen Aufgaben. Ein unorganisiertes Nebeneinanderarbeiten würde Kraftvergeudung, wenn nicht schlimmeres bedeuten. Da die wirtschaftlich schlechter gestellten Schichten, wegen der ungenügenden Ernährung und der unhygienischen Wohnungen, von Seuchen viel schwerer getroffen werden, ist gerade diese Seite der Völkerbundsarbeit von der Arbeiterschaft und besonders von den proletarischen Frauen aufs wärmste zu unterstützen.
Das sind einige Teilaufgaben aus dem großen Aufgabenfreis des Völkerbundes. Wir haben sie herausgegriffen, um zu zeigen, wie nahe sie die Frauen berühren. Aber wenn wir wollen, daß die Arbeit in unserem Sinne, das heißt im Sinne der wirtschaftlichen Schwachen in allen Ländern geleistet wird, so müssen wir auch dafür sorgen, daß diejenigen, die Deutsch land im Völterbund und in seinen Kommissionen vertreten, von dem ernsten Willen zur Mithilfe beseelt sind. Die Rivalität auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet ist der Boden, auf dem die zum Kriege führenden Konflikte ent.. stehen. Der gemeinsame Wille zur Ausgleichung der Gegen fäße ist die Voraussetzung für eine friedliche Organisation der Welt. Für diesen Willen, für die wahrhafte Internationali fierung des Geistes müssen wir sorgen.
Toni Breitscheid.