würde an dem Bau des Baertingschen Systems nicht ein Steinchen erschüttern, während ihr krampfhaftes Bemühen, Gleichwertigkeit der Geschlechter auch für die Gegenwart nachweisen zu wollen, dem Eindruck des Werkes nur schadet.

Menschengruppe als Ausdruck Ihres tiefften Wollens, als Betätigung ihres noch halb im Unbewußten schlummernden eigenen Wissens empfunden wird, so ist dies zwar noch fein endgültiger Be­weis für seine Richtigkeit, aber, soziologisch gesehen, höchst beachtfam. In diesem Sinne sind die beiden Bücher von Dr. M. Baerting: Die Gegen den 1. Band wäre eine Kritik vor allem vom Standpunkt weibliche Eigenart in Männerstaat und die männliche Eigenart im des historischen Materialismus aus zu richten. Für die von Baerting Frauenstaat" und" Wahrheit und Irrtum und der Geschlechts angenommene Bendelbewegung" der eingeschlechtlichen Vorherr psychologie" zu bewerten, die, wenn auch Einseitigkeiten und Fehlschaft vermag fie feinen Beweis zu erbringen. Annahmen, wie fchlüsse im einzelnen vorliegen follten, im ganzen das Verdienst für fich beanspruchen dürfen, zu dem Frauengeschlecht unserer Zeit mit der Stimme unserer Zeit zu sprechen.

Der 1. Band Die weibliche Eigenart im Männerstaat und die männliche Eigenart im Frauenstaat" ist ganz historisch gehalten. Er erbringt den Nachweis, daß die Zeiten des auch vor Vaerting wissen schaftlich schon be- und anerkannten Mutterrechts" in ihrer wirt fchaftlichen, fulturellen, ferualmoralischen, juristischen, politischen, pädagogischen und religiösen Bedeutung weit über ihren bisher in der( männerstaatlichen") Wissenschaft dargestellten Uebergangscharat ter hinausragen. Das segenannte Mutterrecht" erweitert sich bet Vaerting zum Frauenstaat". Sie beweist durch eine Menge ren Quellenzitaten nicht allein von primitiven und halbzivilisierten, Jondern auch alten Kulturvölkern, wie die Griechen, Inder und egypter, daß diese unter Frauenvorherrschaft gestanden haben. Das bedeutet, daß die Frau sowohl im sozialen Leben wie in der seruellen Sphäre die Führende war, daß sie allein erwarb und erbte, während der Mann dem Haushalt und der Kinderpflege oblag, daß die Frau in der Liebe als werbender Teil auftrat und In der Ehe als herrschender, daß die doppelte Moral, dieses Kenn zeichen jeder eingeschlechtlichen Borherrschaft, sich gegen den Mann richtete, von dem allein Keuschheit und Sittsamkeit gefordert wurde, bag fogar Körperform, Körperkraft und Bekleidung der Geschlechter der eingeschlechtlichen Vorherrschaft unterliegen und mit ihr wechseln, daß die Frau als Suldat und Heerführer Kriege führte und daß endlich die Meinungen über die Verteilung von Schönheit und In­telligenz auf die Geschlechter lediglich als Ausdruck der jeweiligen eingeschlechtlichen Verherrschaft zr werten sind. Das Neue und Re. volutionäre der Baertingschen Ansichten gegenüber allen früheren, noch so vorurteilsfreien und toleranten foziologischen Darstellungen ( Morgan- Engels, Müller- Lyer) liegt in ihrem Prinzip der Um tehrung bei eingeschlechtlicher Borherrschaft. Alle törperlichen und Wesenseigenschaften, die wir unter männerstaat­licher Vorherrschaft gewöhnt find, als spezifisch weiblich" zu betrach ten, find, bis in die grotesken Einzelheiten hinein, im Frauenstaat ,, männlich". Dem Relativismus unserer Zeit sehen wir auch zwei anscheinend so feststehende Gegensahbegriffe wie männlich" und ,, weiblich" unterworfen und in ihm fast restlos aufgelöst.

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Das historische Material, das Baerting zur Befestigung ihrer These der Ilmkehrung beibringt, wirft in seiner Fülle und Geschlossen­heit verblüffend. Aber abgesehen ven den recht lehrreichen Auf­deckungen und Richtigstellungen nach dem Urtegt vieler männer­staatlicher" milde gefagt Irrtümer in den bisherigen For jdungsergebnissen, ist das Material nicht so überwältigend neu, wie es auf den ersten Blick scheint. Das große Verdienst Baertings be steht darin, daß sie auf Grund des von ihr gefundenen Leitprinzips ber Ilmfehrung all die Einzelerscheinungen fyftematisch anordnete, welche frühere Soziologin in Ermangelung dieses Prinzips als un­verstandene Sitten und Kuriosa ferner Völker und Zeiten in buntem

Durcheinander anführten.

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solche, daß es der Psychologie der Macht" entspräche, das Herr fchaftsverhältnis bis zum äußersten zu übersteigern und dadurch im Beherrschten das Gefühl der Entwürdigung" und Schmach" zu wecken, wodurch er seinerseits infolge des Befreiungskampfes fich in die entgegengesetzt geschlechtliche Vorherrschaft hineinsteigere, be­wegen sich absolut in der Sphäre der Ideologie. Gerade die Gegen wart lehrt uns ja mit aller Eindringlichkeit und Eindeutigkeit, daß die Verwirklichung des Gleichberechtigungsstrebens, ja, schon die psychologischen Voraussetzungen zum Erwachen solchen Strebens aufs stärkste wirtschaftlich bedingt sind. So dürfen wir, zurückgehend auf frühere Forscher des Mutterrechts und damit im Einklang mit dem historischen Materialismus annehmen, daß die Phasen des derbaues und des Fischfangs in der Menschheitsgeschichte der Herausbildung der weiblichen Vorherrschaft günstig gewesen sein müssen. Das Verdienst Vaertings bleibt immer noch groß genug, daß sie die fast völlig gleiche Formung von Mann und Frau unter Einwirkung der jeweils gegebenen Vorherrschaft aufdeckte. Das Baertingsche Werk hat die Frauenbewegung vor eine neue Entscheidung gestellt. Die erste Phase der Frauenbewegung war fritiflose Nachahmung des Mannes als des herrschenden Geschlechts. Diese Verirrung erkennend, propagierte man in der zweiten eine Art Rückkehr zur Weiblichkeit" und" Mütterlichkeit", die die Frau im sozialen und politischen Leben auszuwirken habe. Baerting zeigt, daß diese beiden Typen Frauenbewegung noch aufs stärkste von n.ännlichen Vorherrschaftsideologien beeinflußt find. In eigentüm licher neuer Sinngebung dieses Wortes nennt sie sowohl die bewußt weiblich" sein wollende wie die bewußt den Mann nachahmende Frau vermännlicht". Für die wirklich neue Frau weiß fie feine Programme und Richtlinien zu geben außer dem einen: keine Heran. tragung vorgefaßter Meinungen und fertiger Ideale von Mann und Frau an den jungen Menschen von frühester Kindheit an, völlig gleiche Erziehung für beide Geschlechter. Denn erst dann werden wir erfahren können, was jenseits aller Vorherrschaftsbedingtheit wahrhaft männlich" und weiblich" ist. Zu dieser stets wachen und fritischen Haltung allen unerschütterlich scheinenden Dogmen, allen ehrwürdig geheiligten Traditionen gegenüber bedarf es für die Frauenbewegung großen Unglaubens" und eines großen Glau bens". Wird sie ihn haben? Hedwig Schwarz.

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Frauenarbeit in Venedig  .

Für politische und foziale Dinge intereffieren sich die meisten Italienerinnen wenig, gewerkschaftliche Organisation ist ihnen ein fast fremder Begriff. Darum war es für Mussolini   sehr leicht, den Italienischen   Frauen selbst das Wahlrecht anzubieten, er mußte nur zu gut, daß sich nur etwa 5 Proz. dafür eintragen würden.

Da Venedig   Insel respektive Lagunenstadt ist und für eigentliche Industrie feinen Raum hat, siedeln sich die verschiedensten Industrien auf den umliegenden Inseln an. So ist Murano  , die sogenannte Feuerinsel, als Glasbläserei für venezianische Kunstgläser, Spiegel und Kronleuchter weit und breit bekannt. Die Insel Burano ist für die Spigenindustrie Benedigs von größter Bedeutung. In Burano arbeiten fast alle Frauen und Mädchen für die Spitzen­manufaktur, und zwar entweder in Heimarbeit oder in der dortigen Spizenschule. Auch in Venedig   ist eine solche Spitzenschule in der ehemaligen Kirche St. Apolina eingerichtet, damit die Fremden, die Benedig besuchen, nicht erst die einstündige Fahrt nach Burano zu machen brauchen, wenn sie die Herstellung der Spigen selbst tennen

lernen wollen.

Der 2. Band Wahrheit und Irrtum in der Geschlechtspsycho­legie" läßt der persönlichen Stellungnahme des Lesers mehr Raum, weil er das feelische Verhalten der Geschlechter zueinander in der Gegenwart darstellen will. Als unendlich fruchtbar und anregend, zugleich alle Grundlagen bisheriger vergleichender Geschlechter­Pinchologie erschütternd, führt Baerting den Begriff der Serual. fomponente ein. Anläßlich eines Berliner   Bortrags von Frau Dr. Baerting wurde an dieser Stelle bereits fürzlich das Wesen der Serualfomponente aufgezeigt. Es besteht in dem andersartigen Reagieren eines Geschlechts auf das Gegengeschlecht als auf das eigene Geschlecht. Alle Gefühlsregungen werden verstärkt, alle Ver standesleistungen leise herabgedrückt. Da nun bisher die Geschlechter. psychologie wesentlich ein Urteil des herrschenden Mannes über die Frau darstellte, gelten alle Gefühlseigenschaften als spezifisch weib. lich", alle Berstandeseigenschaften als männlich". Inter Frauen- Geist des klassischen Altertums, und die herrlichen antiken Spiken, verherrschaft kehrt sich dieses Verhältnis um; das ist nicht allein eine Annahme, sondern eine geschichtliche Tatsache, denn im alten frauen ftaatlichen Aegypten   war die weibliche übergeordnete Göttin Isis die Gesetzgeberin, die männliche Gottheit Osiris   die Gottheit der Wohltaten.

Einen besonderen Abschnitt ges 2. Bandes midmet Baerting dem Problem: Die Vorherrschaft eines Geschlechts als Ursache von Fehlern in der Geschlechtspsycholegic. An zahlreichen Beispielen weist die Verfasserin nach, wie bie Tendenzen aller eingeschlechtlichen Borherrschaft bahin gehen, Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu vergrößern, Aehnlichkeiten zu verkleinern und dem beherrschten Geschlecht auf jede Weise, auch auf wissenschaftlichem" Wege Minder wertigkeit zu suggerieren.

Die Entdeckung des Segualkomponente, die der Berfasserin zuerst auf ihrem Berufsgebiete, der Pädagegit, gelang, ist von so grundlegender Bedeutung, daß jede zukünftige Geschlechterpsycho­Icgie sich mit ihr wird auseinandersezen müssen. Man bedauert baher um so mehr eine bis zum leisen Fanatismus gesteigerte Ein­feitigkeit Baertings, mit der sie auch die heute unzweifelhaft be. ftehende, durch das von ihr selbst so start betonte Borherrschaftsver. hältnis des Mannes bedingte weibliche Minderwertigkeit hinwegs Disputieren will. Die weibliche Inferiorität von heute zugegeben, I

In der Spitzenschule ,, Regina Elena" werden hauptsächlich antife Spigen kopiert. Die heutige Spizentechnik tann solche Muster, wie fie vor 300-400 Jahren mit selbstgesponnenem Faden gestickt worden find, nicht mehr entwerfen. Die damalige Kunst war durchfeelt vom zum Schmuck der Prunkgewänder bestimmt, lassen uns noch heute ihre Schönheit und Feinheit bewundern. Die Kunst unserer Zeit soll außer der Schönheit auch der Gebrauchskultur dienen und darum ist ihr Wesen und ihre Wirkung so verschieden von der alten Kunst. Unter den antiken Spigen gibt es welche, die man nicht mehr fopieren fann, weil heute Spitzennäherinnen mit derartiger Geduld nicht mehr leben.

Eine sehr geübte Spizenkopiererin arbeitet 3. B. eine 10-20 Zentimeter breite Spiße und benötigt, um 10 3entimeter Spitze fertig zu bringen, zwei Wochen gleich 12 Arbeitstagen dazu. In diese Spitze wird der Tüll nachdem und auch noch mit der Hand eingearbeitet. Derartige Spigen kommen aber nicht zum Verkauf, sondern werden nur im Auftrag alter Patrizierfamilien angefertigt, die ihre mehrhundertjährigen Spigen vor dem gänzlichen Verfall wieder fopieren lassen, damit sie der Familie erhalten bleiben. Man verwendet zu den feinen genähten Spigen nur Garn Nr. 500 und die Augen der Arbeiterinnen werden durch das Spißennähen un geheuer überangestrengt. Ich sah schon 12-13jährige Mädchen über den Stickrahmen gebeugt in der Spizenschule sizen. Auf meine Frage sagte man mir, es feien lernende Mädchen( daher der Name Schule" und damit man auch schon größere Kinder mitbeschäftigen kann), deren Eltern auf den Insein wohnen, während die Kinder in