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Bersagt also Bäumer durch die vorschnelle und einseitige For mulierung des weiblichen Wesensgrundes, so tut fie es in noch weit höherem Maße in ihrer Stellungnahme zu den heute bestehender tonkreten Formen der geschlechtlichen Gemeinschaft. Da fie die gegenwärtige, überlieferte Einehe trititlos als die einzig mögliche Form anerkennt, dabei nicht sieht oder nicht sehen will, daß diese de facto nur für den Mann gegolten hat und gilt, find diese Dinge für sie überhaupttein Problem. In bequemer, aber reichlich primitiver Hell- Dunkelmalerei fieht sie Würde und Wahrung der fittlichen Persönlichkeit nur auf der einen Seite, auf der anderen dagegen lediglich ein würdeloses Glücksspiel, Oberfläch lichkeit und finnliche Begehrlichkeit. Liegen die Dinge in der Tat fo einfach, so fönnten sie auch für uns Sozialisten fein Problem fein. In Wahrheit fangen die Fragen dort an, wo Bäumers Antworten aufhören. Die Frau, die nicht streng nach hergebrachter Norm lebt, verneint ja gar nicht immer die Forderung nach Volltommenheit" oder entflieht der Sphäre der verantwortlichen Gestaltung ihres Dasein", sondern das Problem liegt ja gerade darin, daß sie auch andere Lebensformen als die überlieferten vor ihrem Innern oder vor Gott " verantworten fann. An fechtbar vor allem ist die Begründung Bäumers für die Ausfchließlichkeit der offiziellen Ehe: In dieser ihrer Bedeutung als einer tatsächlich mit Strömen von Blut und Tränen erfämpften fee: lichen Eroberung der Menschheit fordert fie die unbedingte Ehrfurcht; es gibt vor ihr fein Recht des einzelnen Menschen, sein individuelles Glück und fein bewegliches Herz gegen die Geltung dieser Norm auszuspielen." Mit genau der gleichen Begründung kann man freilich auch die Instituten der Monarchie rechtfertigen, denn ihre Aufrichtung und Erhaltung hat hinreichende Ströme von Blut und Tränen" gefoftet. Außerdem vergißt Bäumer, daß" Blut und Tränen" nicht nur in freien Beziehungen der Geschlechter außerhalb der Ehe, sondern gerade und erst recht innerhalb der Ehe und wegen der Starrheit ihrer Form geflossen sind. Was nun die Ströme von Blut und Tränen außerhalb der Ehe betrifft, so liegen auch hier meist feine im Wesen der freien Liebesbeziehung gegebenen inneren Zwangsläufigkeiten vor, sondern in der Hauptsache tragische Konflikte mit jener Außenwelt, die Bäumers unbedingter Ehr furcht" huldigen. Gretchentragödien find feine Naturnotwendigteiten; aber wenn selbst die denkende Frau des Bürgertums ihr Herz dem Verständnis für Frauenschicksal verschließt, dann werden wir jene Blut- und Tränenströme erst eine erhebliche Weile später zum Berfiegen bringen können. Not fut uns heute nicht so sehr die„ unbedingte Ehrfurcht" vor erstarrten Traditionen, sondern vor den Offenbarungen des lebendigen Lebens. ( Schluß folgt.)
In der„ Gesellschaft der Freunde des Neuen Rußland" sprachen Anfang November Dr. Magnus Hirschfeld und Dr. Pasche Oferiti zu diesem Thema. Dr. Hirschfeld gab nur die Eindrücke einer Studienreise wieder, während Dr. Basche- Oserski als Profeffors der Universität Kiew in furzem, scharf zusammengefaßtem Bortrag die Reform des Sexualstrafrechts in Rußland behandelte. Beide Borträge griffen aber so oft auf dasselbe Thema zurück, daß es zweckmäßig erscheint, sie im Bericht zusammenzufaffen. Die Eheschließung ist auf eine einfache Registrierung" beschränkt. Weder findet ein Aufgebot statt, noch ändert die Fraut Namen oder Staatsangehörigkeit. Ebenso ist zur Scheidung nur die Abgabe einer einfachen Willenserklärung beider Teile notwendig, widersetzt sich einer der Ehegatten, dann findet freilich eine Berhandlung, ganz wie hier vor der Ehescheidungskammer, statt. Ueber die Auswirkungen dieses Cherechts wurde wenig gefprochen; bis vor kurzem genügte die einfache Willenserklärung auch nur eines der Ehegatten, und die aus russischen Blättern fast von der gesamten Bresse übernommene Geschichte von der Ehefrau für zehn Ropelen" bewies allerdings, daß in dieses Gefeh doch allerlei Sicherungen eingebaut werden müssen, damit feine legalisierte Bielweiberei aus dieser Sowjetehe" wird, um so mehr, als die Ehemündigkeit in Rußland schon mit dem 18. resp. 16. Jahre erreicht wird. Weder Prostitution noch gleich gefchlechtlicher Berkehr steht unter Strafe. Der Staat greift nur dort ein, wo die persönlichen Intereffen eines Dritten oder ein allgemeines Staats. intereffe geschädigt wird. Also fallen Ehebruch und Blutschande gleichfalls als strafwürdige Delitte aus, gleichfalls gibt es in Rußland rein Gegenstück mehr zu unserem§ 218. Der Abort ist freige geben. Die russische Regierung gesteht jeder Frau das Recht zu, bis zum dritten Monat über die Austragung einer Schwangerschaft felbst zu entscheiden. Kann fie vor einer Frauenfommiffion triftige Gründe für ihren Wunsch einer Unterbrechung der Schwangerschaft geltend machen, so wird diese in dazu vorgesehenen Krankenhäusern unentgeltlich ausgeführt. Die Erfolge dieser Maßregel find verblüffend: Mit der Zahl der zur Verfügung stehenden Krankenhausbetten sank nicht nur die Zahl der Pfuscheraborte, sondern auch die Sterblichkeitsziffer rapid. Damit sant auch die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle an Abortfieber. Während in Berlin auf je 1000 Frauen 1924 noch elf Todesfälle infolge Wochenbett oder Abortfieber kamen, hat Leningrad im gleichen Jahr nur noch zwei Todesfälle auf 1000, die noch dazu fast nur nach regulärer Geburt eintreten; nach dem legalisierten" Abort erfolgt nur selten eine Erkrankung. Auch die Zahl der Schwangerschafts unterbrechungen ist durch die Legalisierung in feiner Weise gewachsen. Der Wunsch nach Unterbrechung der Schwangerschaft geht in erster Linie auf die wirtschaftlichen Verhältnissen zurück.
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44,3 Pro3. der Frauen geben Geldmangel" als Grund an, und charakteristischer Weise ist die Prozentzahl der Aborte in Berlin und in Leningrad troß soweit fich feststellen läßt- entgegengesetzter Behandlung des Problems ungefähr gleich! Hand in Hand mit dieser Legalisierung der Schwangerschaftss unterbrechungen geht nun noch eine staatliche Propaganda für die Anwendung empfängnisverhütender Mittel. Die Frauen werden im Krankenhaus über die Anwendung mechanischer Schuhmittel unterrichtet, und die Forschungsinstitute für Serualmedizin sind vor allen Dingen darauf hingewiesen, die Schuhmethoden ständig weiter auszubauen, um so mit der Zeit auch die Zahl der legalisierten Aborte herabzudrücken.
Und troy all dieser an den Grundlagen des Staates" rüttelnden Dinge zeigt der Geburtenüberschuß nicht nur für ganz Rußland, sondern auch für die Industriezentren steigende Tendenz und übertrifft den deutschen beträchtlich.
Nun sind diese Resultate selbstverständlich erst in den wenigen großen Städten, wo alle Mutterschuh-, Kinderfürsorge und sonstige sanitäre Einrichtungen voll durchgeführt sind, zu beobachten. Immerhin bieten auch diese ein lehrreiches Experiment im großartigsten Stil. Eine Debatte fand leider nicht statt, und so blieben doch manche Punkte der Vorträge ungeklärt. Es wäre vorteilhaft, wenn sich die Freunde des Neuen Rußland einmal darauf besinnen würden, daß es nicht immer der beste Freundschaftsdienst ist, fritiflos zu schmeicheln!
BL
Schrei der Fabrikarbeiterinnen.
Noch wenn wir nächtens aufwachen Klatschen die Riemen in unsere Seelen. Wo ist der Feuergarten
Mit Mufit, Duft und Tanz?
Der Tod steht immer in unseren Leibern, Alle Träume fallen in die Maschinen.
Oh! Schreit euch die Herzen frei,
Ruft eure Kinder auf zum Bund der Kämpfer, Der auf den Fahnen ein Lächeln trägt, Frohsinn zum jüngsten Tag!
Walter Gosch.
Türkische Politikerinnen.
Zur Beurteilung eines Politikers ist es unbedingt erforderlich, sich mit den innerpolitischen Verhältnissen seines Landes zu befchäf tigen. Seine Taten müssen aus seinem Milieu, feiner Nationalität heraus gewürdigt werden. Die üblichen Vergleiche, zumeist primi tiver Art mit dem Lande gezogen, in dem man zufällig lebt, führen unbedingt zu Trugschlüssen. So darf man auch die beiden türkischen Politikerinnen, von denen hier die Rede ist, nur aus türkischen Berhältnissen heraus betrachten.
Halide Edib Hanum war der erste weibliche Unterrichtsminister der Türkei . Sie kam zu ihrem Bosten, weil sie im Freiheitskriege, den Mustafa Kemal organisierte, es verstand, die kriegerische Begeisterung ihres Volkes immer von neuem anzufachen. Bei den Frauen fand sie viel Unterstüßung, da im be fetzten Gebiet die griechische Soldatesta wiederholt die Frauenehre verlegt hatte. Aus diesem Moment heraus ist es auch zu verstehen, Edib Hamum wurde in einem amerikanischen Institut in der Türket daß die Frauen aktiven Anteil an den Kämpfen nahmen. Halide bedeuten hat. Und als Unterrichtsminister hat sie für eins gesorgt, erzogen. Sie weiß daher sehr wohl, was eine gute Ausbildung zu für Schulen, Schulen und nochmals Schulen. Dabei achtete fie darauf, daß nur türkische Lehrkräfte an ihnen wirkten. Der Sultan Abdul Hamid, der bekanntlich von den Jungtürken gestürzt wurde, hatte einen Kampf gegen alle Schulbücher arabischen Alphabets und türkischer Sprache geführt. Er wußte es ja ganz genau, tann mein Bolt lesen und schreiben, wird es mich als Sultan nicht mehr dulden. Da tamen die Fremden und gründeten Schulen, in denen zwar Türken unterrichtet wurden, aber jede unterrichtende Nation thre nationalen Belange zur Geltung brachte. Als dann die Jungtürfen ans Ruder kamen, hatte man für die Schulen nicht genügend ein heimische Lehrkräfte. Zudem war der Staat überall verschuldet, man tonnte den Fremden die Konzeffionen nicht nehmen. Darum war Enver Paschas Erlaß:„ Der Geschichtsunterricht hat in tür. fischer Sprache zu erfolgen", schen ein viel befritteltes Unterfangen. Jezt ist die Türkei sehr klein geworden, man reicht mit den Lehrfräften. Was man einst sehnsüchtig erstrebte, ist nun Tatsache ge worden, die türkische Schule gehört den Türfen. Halide Edib Hanum ist ganz türkisch, fie führt sogar einen fanatifchen Kampf gegen jedes perfifche und arabische Wort in der türkischen Sprache.
Die Frau Mustafa Kemals wurde die erste weibliche Abge ordnete. Als die Tochter des retchsten Mannes von Smyrna ge noß sie eine sehr sorgfältige Erziehung. Sie heiratete den bedeutend älteren Mustafa Kemal , der ihre Intelligenz als hochwillkommenen Beitrag eigener Machtstärkung betrachtete. Doch die junge Frau rang fich zu eigener politischer Anschauung durch, die Ehe ging in die Brüche und die erste Abgeordnete der Türkei , die in ihrem Vaterlande sehr beliebt ist, weilt jetzt im Ausland und schreibt gegen Mustafa Kemal .
Politisch sell man nicht prophezeien, aber die Entwicklung steht nicht still, und so wird auch in der Türkei für die Frauen eine Zeit der Arbeit fommen, wo sie eigene Ideen haben dürfen und ihre politische Tätigkeit sich nicht mehr auf die Einstellung für oder gegen Erna Büsing. Mustafa Kemal beschränkt,