Frauenstimme
Nr.1 45.Jahrgang Beilage zum Vorwärts
5. Januar 1928
Erziehung zum Einheitsstaat.
verschmelzen. Aber ist es denn nicht gleichgültig, ob die deutschen Länder ihr eigenes staatliches Leben fortführen oder nicht? Was würde für das Bolt durch ein restloses Aufgehen in dem einen Staat Deutschland geworden sein? Nun die am meisten in die Augen springende Folge würde sein, daß große Ersparnisse gemacht werden fönnten. Eine Berliner Zeitung zeigte vor kurzem sehr eindrucksvoll, was das in der Praxis bedeuten würde, in einigen
Das Herz der Mutter
Eine der Vorausfegungen für ersprießliche Arbeit der im Völkerbund zusammengeschlossenen Staaten ist gegen seitiges Vertrauen und Erziehung zum internationalen Denten. Dieses Stadium ist noch nicht erreicht. Meist gehen die Regierungen von der Frage aus, ob die zur Diskussion stehenden Maßnahmen ihrem eigenen Lande Mugen oder Schaden bringen, und danach richten sie ihre Stellungnahme. Die Sorge davor, daß das eigene Land in Nachteil geraten könne, verhin bert oft genug die schnelle Erlebigung wichtiger Angelegen. heiten, vor allem auch die der allgemeinen Abrüstung. Das Bertrauen zueinander fehlt. Es ist schwer, die Gemeinsamkeit der Arbeit zu erzielen, wenn man innerlich taufend Borbehalte macht. Wenn wirklich aber die Völkerbundsdelegierten sich schon zu dem internationalen Denken durchgerungen hätten, das die Frage nach dem Wohl der ganzen Bölfergemeinschaft an die Spize jeder einzelnen Unter suchung stellt, so wären sicher in jedem Bolt noch starke Gegenströmungen zu überwinden. Egoismus und Partikularismus find weiter verbreitet als Gemeinschaftswille. Es bedarf eines langen Erziehungspro zesses, bis die partikularistischen Tendenzen auf das geringste
Es war einmal ein armer Knab, Die er liebte, die wies ihn ab. Sie sprach zu ihm: Bring mir zur Stund' Das Herz deiner Mutter für meinen Hund. Der Knabe schlug seine Mutter tot Und riß ihr aus das Herze rot. Er lief, da fiel er in den Sand, Das Herz, das rollte ihm aus der Hand. Und als das Herz am Boden lag, Da hört er plöglich, wie es sprach. Mit klagender Stimme hub es an: Mein Kind, hast du dir weh getan?
Bergleichen mit anderen Staaten. Deutschland hat in Reich und 60 Ländern über Minister, Frankreich mit seinem bedeutend größeren Gebiet etwa 15, und England etwa 16 Minister. Deutschland hat in Reich und Einzelstaaten etwa 2500 Abgeordnete, Frankreich etwa 800 und England, Oberhaus und Unterhaus zusammengenommen, etwa 950 Abgeordnete. Aber das ist nicht alles. Jedes Land hat bei uns seine eigene Zentralverwaltung. In jedem Land, und sei es noch so Klein, werden nach eigener Methode in zahllosen Bureaus alle die Fragen bearbeitet, die die Verwaltung mit sich bringt. Die meisten dieser Angelegen heiten könnten von einer Stelle für alle gemeinsam erledigt wer den. Es würde an Zeit, an Kraft, an Bureaus, an Gehältern Maß zurückgeführt sind. Das gilt nicht nur für die Böller unendlich viel gespart werden können. Kompetenzstreitiggemeinschaft. Grade wir Deutsche haben genügend Er Petten , die die Verwaltungsgerichte beschäftigen, würden nicht fahrungen über den Mangel an Gemeinschaftsgefühl bei uns mehr so häufig sein, eine größere Gleichmäßigkeit der Verselbst. Der Widerstand gegen die Zusammenarbeit ist oft fo waltungsmaßnahmen würde endlich einsetzen und das wirt groß, daß er wichtige Fortschritte und schließlich sogar die schaftliche Leben erleichtern. Es brauchten nicht alle paar gesamte innere Entwicklung des deutschen Reiches zu ver- Jahre 18 Länder neue Wahlen auszuschreiben, und die Behindern droht. Bon jeher war die Eigenbrödelei eine be- deutung der alle vier Jahre stattfindenden Reichstagswahlen fondere Eigenschaft der Deutschen ; sie erklärt sich aus dem würde dadurch um ein beträchtliches erhöht. Der Gesichtsgeschichtlichen Werden Deutschlands , aber sie muß übertreis würde erweitert, den Gedanken ein freieres Feld wunden werden. Auch in anderen Ländern sind Artgegen gegeben. fäße vorhanden. In Frankreich z. B. ist der Menschentup der Bretagne durchaus verschieden von dem der südfranzösischen Provinzen. Und boch gibt es dort feine abgeschlossenen Staaten, feine Ländergrenzen innerhalb Frankreichs . Das Bolt fühlt sich als Franzosen, nicht als Bretonen oder Provençalen.
Jean Ridepin, beutsch von Paul Mochmann.
Bei uns ist das ganz anders. Hier nennt man sich Sachse, Bayer, Preuße usw., und die Verwaltungsbehörden legen besonderen Wert darauf, daß auf jeder Zählungs- oder Steuerliste säuberlich die Landeszugehörigkeit jedes Staatsbürgers eingetragen wird. Man ist eben nicht Deutscher, sondern man ist preußischer, bayerischer oder was immer für ein Staatsbürger, und daran hat auch die Umwälzung von 1918 leider nicht genügend geändert und nicht ändern können. Obwohl das Leid und die Laft des Krieges alle deutschen Länder gleich traf, obwohl der Friedensvertrag allen Deut schen die schweren Bürden auferlegt, die gemeinsame Not hat nicht ausgereicht, um das ganze Volk zu einer Einheit zu
Nun ist das Verständnis für die Notwendigkeit einer einheitlicheren Verwaltung gerade in der letzten Zeit durch die Debatten über die deutschen Schulden im Ausland neu belebt worden. Troßdem ist noch fein pofitiver Anfang zu sehen, das neue Jahr soll jedoch Besprechungen zwischen Reichs- und Länderreglerungen bringen. Vor allem wehrt Bayern sich energisch gegen eine Verschmelzung. Der alte Gegensatz zwischen Nord und Süd lebt wieder auf, und dazu fommen wahrscheinlich noch dynastische Interessen, die Hoffnungen unentwegter Monarchisten, doch noch einmal das an gestammte Königshaus auf dem Thron zu sehen. Aber auch dieser Widerstand wird zu überwinden sein. Die wirtschaftlichen Verhältnisse werden schließlich doch bewirken, daß innerhalb Deutschlands die Ländergrenzen verschwinden und daß nur das eine Deutsche Reich bleibt.
Niemand braucht Sorge davor zu haben, daß bamit auch die Eigenart der deutschen Stämme vernichtet werde. Das Bolkstümliche hat nichts mit den Grenzen innerhalb Deutsche