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Der verlorene Verlobungsring.

Versprechen aufmerksam macht, und, sozusagen auf frischer Tat er­tappt, gibt der Redner nun zu, daß er diese Sachen eigentlich als Schweinereien charatterifieren wollte, dann aber den etwas starten Ausdruck zurückdrängte, und so entstand das sonderbare Wort Bor. schwein  ".

Gibt es nicht zu abergläubische Leute? Da hörte ich neulich, daß| 3ufällig ist gerade jemand anwesend, der ihn auf sein merkwürdiges ein junges Mädchen ernsthaft mit dem Gedanken umging, ihre schon lange bestehende Verlobung aufzulösen, nur weil ihr Bräutigam feinen Berlobungsring verloren hat. Und fein gutes Zureden will nuken. Wenn er auf seinen Ring nicht mehr achtet, dann hat er auch für mich nichts mehr übrig!" Noch bemühen sich alle Ver­wandten und Bekannten, die Verlobung wieder zu flicken, aber sie hat anscheinend einen ernsthaften Knag bekommen. Und dabei fällt mir die Geschichte einer Ehe ein, in der der Mann auch zuerst seinen Berlobungsring verloren hatte, dann seinen Ehering verlor; die Frau trug den ihren schon furz nach der Hochzeit nicht mehr, er störte sie angeblich bei der Arbeit. Wie sonderbar! Trotzdem hier alle guten Bekannten vom ersten Tage der Berlobung ber Meinung waren, die Eheleute paßten zusammen, als ob sie für einander ge­Schaijen wären, wurde diese Ehe nach zehn Jahren geschieden. Sollte nun an dem Aberglauben" vom verlorenen Trauring doch etwas Wahres sein?

Es stimmt; es ist wirklich etwas Wahres daran, wenn auch freilich nicht jebe Ehe, in der ein solcher Unglüdsfall" passierte, fchließlich mit einer Scheidung enden muß. Wir sind zwar im täg lichen Leben fest von der Tatsache überzeugt, daß jedes Ding eine Ursache hat, nur auf einem Gebiet wollen wir diese Weisheit ab­folut nicht gelten lassen: Uns fehlt, wie Sigmund Freud   sagt, der Respekt vor der psychischen Tatsache. Auf teinem Gebiet find wir so leicht mit der Erklärung Zufall" zur Hand, wie auf diesem. Woher das tommt, wird sich vielleicht ein andermal erklären laffen. In Wirklichkeit gibt es hier nach Freuds   Behauptung ebensowenig einen Zufall wie auf allen anderen Gebieten des Lebens. Nur werden wir uns der Ursachen seelischer Vorgänge in vielen Fällen nicht bewußt, thre Quellen liegen in dem jezt so viel genannten ,, Unterbewußtsein". Was ist das?

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Bleiben wir einmal bei den oben genannten beiden Beispielen. Der unglückliche Bräutigam, der seinen Verlobungsring verloren hat, ift, wie bereits erzählt, schon längere Zeit verlobt, die erste Ber­liebheit mit ihren Sllusionen ist schon vorbei, die Anschaffungen für die erst zu gründende Wirtschaft nehmen einen Teil feines Lohnes in Anspruch, ohne daß er vorläufig dafür ein Aequivalent hat. Dränend steht das Problem der Wohnungsbeschaffung am Horizont, zwischen ihm und der Schwiegermutter herrscht gerade fein be fonders gutes Verhältnis es ist schon denkbar, daß er in seinem Innern öfters bas Gefühl hatte: Wärst du bloß aus dem ganzen Schwindel schon glüdlich wieder raus!" Aber als sogenannter an­ständiger Mensch gibt er diesem Gedanken natürlich nicht Raum, psychoanalytisch gesprochen, verdrängt" er dieses Gefühl, läßt es nicht ins Bewußtsein bringen. Damit ist es in die große feelische Rumpel­tammer des Unterbewußtseins verbannt. Nun ist das freilich nicht so einfach, als ob man irgendein Stück, das nicht mehr mang bie Möbel paßt", in die wirkliche Bodenkammer transportiert. Die Dinge in unserem Unterbewußtsein haben die unangenehme Eigenschaft, ge­legentlich wie richtige Gespenster zu sputen. Dazu bedienen sie sich nun statt des Tischrückens oder ähnlicher Dinge der Symptomhand. lungen". Statt der fälligen Aussprache zwischen den Brautleuten, die vielleicht auch mit einer Auslösung der Berlobung geendet hätte, steht hier das Verlieren des Ringes, des symbolischen Bandes, das den Bräutigam feffelt. Der Aberglauben" der Braut ist also in diesem Falle möglicherweise ganz gerechtfertigt. Bon dieser Art des Verlierens spricht Sigmund Freud  , der Vater der Psychoanalyse, in feinem Buch von der

Psychopathologie*) des Alltagslebens", Wie tommt es, fragt er, daß wir so außerordentlich häufig unge. absichtigt uns versprechen, verlesen, verschreiben, daß wir Dinge ver­legen und froß allen Suchens nicht wiederfinden können, während fie ,, vor unserer Nase herumliegen"? Und er findet hierauf die Ant wort: Die Mehrzahl dieser Fehlleistungen" find hier als Symptombandlungen anzusehen; sie haben ihre Quelle in unserem Unterbewußtsein". Bisher war man meist davon ausgegangen, daß die Fehlerquelle für diese Fehlleistungen hauptsächlich in Ermüdung, Berstreuung, Ablentung usw. zu suchen ist. Freud bestreitet nun nicht, daß diese Bedingungen an sich für das Zustandekommen einer Fehlleistung" günstig sind; er lenkt aber die Aufmerksamkeit darauf, daß es erstens einmal auch Fehlleistungen gibt, wo alle diese Fehler quellen ausgeschaltet sind, und daß bei manchen dieser Fehlleistungen geradezu merkwürdige Tendenzen ziemlich offen zutage liegen. Am Blarsten und einfachsten tann er das an einigen Fällen des Ver sprechens nachweisen. Da erzählt jemand von irgend einer Sache: und es sind dabei Sachen zum Vorschwein gekommen..."

*) Psyche= Seele, Bathologie Lehre von Leiden, Psycho­pathologie Lehre von seelischen Leiden, Schmerzen, Irrtümern.

Ein anderes Beispiel gab eine sehr energische Dame, die bel einer Erfundigung nach ihrem ertranften Gatten antwortete: 0, danke, es geht ihm schon besser, er darf essen und trinken, was i will." Auch hier liegt die Tendenz, die das Versprechen verursachte, ziemlich flar zutage. Die Dame ist, nun ihr Gatte die ärgften Ge fahren überstanden hat, sehr zufrieden, ihren Mann gänzlich unter ihrer Kontrolle zu haben, und ihr Versprechen verrät zum mindesten ihren Wunsch, in jeder Weise über ihren Mann zu herrschen. Natürlich wird dieser Wunsch nicht so glatt zugestanden, wie die Entstehungsgeschichte des Vorschweins", denn die ihm zugrunde liegende Quelle entspringt viel tiefer im Gebiet der eigenen Bere fönlichkeit. Daß sich diese Dinge aber trotz der stärksten Schranken durchfeßen, beweist ein Schreiben eines berüchtigten Mörders, der in einem Laboratorium Batterienkulturen bestellt und babet statt zu Berfuchen an Mäufen und Meerschweinchen", zu meinen Ber fuchen an Mäufen und Menschen" schrieb.

oft wird sich dabei herausstellen, daß wir gerade gegen ben Träger Ein besonderes Kapitel ist das Bergessen von Eigennamen. Sehe des vergessenen Namens momentan verstimmt sind, ein andermal vielleicht, daß der Name einer anderen Person gleichfalls gehört, an die der Bergeßliche nicht erinnert sein will; möglicherweise aber auchy, daß der Name gerade darum vergessen wird, well ein anderer Mensch desselben Namens uns besonders nahe steht, so daß wir seinen Namen als fein Eigentum sozusagen allen anderen Menschen vorzu Geschichte vom verlorenen Verlobungsring. enthalten wünschen. Eigentum und da sind wir wieder bei der

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Genau so, wie es für das Bersprechen und Berlefen eine im Unterbewußtsein entspringende Fehlerquelle gibt, gibt es ein Ber lieren oder Berlegen, das auf gleiche Urfachen zurückzuführen ist. Wie oft passiert es uns nicht, daß wir Dinge dann verlieren, wenn wir eigentlich der Meinung sind, daß fie nun lange genug gedient haben, es aber noch nicht vor unserem Geldbeutel oder unserem Ge­wissen verantworten wollen oder fönnen, einfach einen Ersatz zu taufen. Sind sie verloren, dann taucht vielleicht recht bald der Troft auf, daß der Sonntag auch schon lange von runter war". Am leichtesten verlieren Kinder auf diese Weise; bei ihnen find die Hem mungen noch nicht so groß, auf ihnen lastet noch nicht der Gedanke an die Geldkosten. Es wäre

falsch, dieses Verlieren als eine beabsichtigte Unart anzusehen, ringes eine absichtliche Lösung der Verlobung ist. Welche die es ebensowenig ist, wie das Berlieren des Verlobungs­spielt, dafür gibt Freud ein Beispiel aus seiner Praxis. Ein junger Streiche uns in diefen Dingen der Sput im Unterbewußtein Mann erzählte ihm: Vor einigen Jahren gab es in meiner Che einige Unstimmigkeiten, und ich lebte ziemlich gleichgültig neben meiner Frau. Eines Tages schenkte sie mir ein Buch, ich versprach das Buch wie verschwunden; trotz Suchens fand ich es nicht wieder. es zu lesen und legte es mir zurecht. Von diesem Augenblick war Da ertrantte meine Mutter, wurde von meiner Frau gepflegt, idy lernte meine Frau von einer ganz neuen Seite tennen. Eines Abends tam ich von meiner Mutter nach Hause, denke mit einiger Zärtlichkeit an meine Frau, die bei ihr geblieben ist; ganz in Ge­banten öffne ich eine Schreibtischschublade. Obenauf liegt das viel gesuchte Buch. Ich muß bei all der anderen Suchereien geradezu um die Schublade herumgegangen sein."

Dieses Beispiel schließt den Ring. Wir neigen dazu, Dinge zu verlieren oder zu verlegen, die uns an Persönlichkeiten oder Situa tionen erinnern, an die wir nicht erinnert fein wollen. Es kann sich hierbei wie bei dem angeführten Beispiel von dem Buch manchmal um eine vorübergehende Berstimmung handeln; hier tritt der ganz merkwürdige Fall ein, daß mit dem Verschwinden der Verstimmung sich das Buch ebenso plötzlich wieder anfindet, wie es verschwunden ist. In anderen Fällen aber wird man ein Berlieren oder Bergessen von Erinnerungszeichen aber wirklich als ein unheilverfündendes Vorzeichen ansehen müssen, und hier hat sich einmal wieder be wiesen, daß längst nicht jede Boltsweisheit als Aberglauben" ab­getan werden kann.

Die Begriffe der Psychoanalyse find längst nicht mehr ein Ge­fellschaftsspiel für Fünfuhrtees, es wird auch in unseren Zeitungen oft genug darauf Bezug genommen. Bielleicht ist es barum ganz an gebracht, wenn wir hier einmal versuchen, uns mit einigen diefer Dinge betannt zu machen, Rose Ewald.