Frauenstimme
Nr.25 45.Jahrgang
Beilage zum Vorwärts 6. Dezember 1928
Frauen werden nicht gewählt!
Arbeiterfeele.
Ein blutjunger Vogel hat sich durchs Fenster verirrt, Dorthin, wo die Maschinen poltern,
Und ängstlich, scheu flatternd, durchhuscht er den Saal, Wie eine befleckte Arbeiterseele, die ans Licht will. Ein rafender Riemen aber erfaßt den Flüchtling Und zerrt ihn blißschnell herab zur Welle.
Die kulturelle und technische Entwicklung hat in allen| hohe Politif. Ganz bestimmt haben wir auch noch immer Kulturländern ein starkes Ansteigen der Frauenberufsarbeit einen bedauerlichen Mangel an weiblichen Funktionärinnen zur Folge. Wie start diese Zunahme in Deutschland ist, hat bie letzte amtliche Berufszählung 1925 erwiesen. Bon 32 Millionen der gesamten weiblichen Bevölkerung find 11% Millionen gleich 36 Broz. hauptberuflich erwerbstätig. Von diesen 11% Millionen Frauen sind wiederum 3,7 mil lionen verheiratet und rund 1,1 Millionen verwitwet. Ein Beweis, daß die Er werbstätigkeit der Frau ihr heute vielfach schon zum Lebensberuf geworden ist. Den 11% Millionen berufs tätigen Frauen stehen 20,5 Millionen erwerbstätige Männer gegenüber. Die gesamte erwerbstätige Bevölkerung Deutschlands setzt sich somit zu zwei Dritteln aus Männern und zu einem Drittel aus Frauen zusammen. Die fortschreitende Technisierung und Rationa lisierung des Haushalts, die Tatsache, daß in immer steigendem Maße Arbeiten, die früher im Hause erledigt wurden, in die Fabriken und Werkstätten verlegt werden, daneben das immer stärker werdende Streben der Frauen nach wirtschaftlicher Selbständigkeit und eine Reihe anderer Gründe wirtschaftlicher und psychischer Natur, lassen die Schlußfolgerung zu, daß die Zahl der erwerbstätigen Frauen sich auch wetterhin in aufsteigender Linie entwickeln wird.
( Laut pocht das Herz der groben Maschine) Und nun? Nichts. Eine Alltagsgeschichte: Leuchtend wie eine taufrische Rose Blüht an der Decke ein Blutfleck,
Und das zerrissene Vöglein hat der Exhaustor verschluckt. ( Durchs Fenster flog eine blutjunge Schwalbe.)
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Tatsache muß der Kampf, der heute noch, selbst in Kreisen gewerkschaftlich und politisch organisierter Männer, gegen die Frauen erwerbsarbeit besonders gegen die der der heirateten Frauen- geführt wird, als ein Zeichen wirt schaftspolitischer Rückständigkeit gewertet werden, der sich letzten Endes organisationsschädigend auswirken muß.
Wir beklagen nach zehn Jahren Frauenwahlrecht das langsame Einleben der Frau als politische Wählerin. Dabei übersehen wir vollständig, daß die Frau doch nicht nur das aktive, sondern auch das passive Wahlrecht besitzt und daß von dem letzteren, und zwar zum wenigsten durch die Schuld der Frau, ein mehr als bescheidener Gebraucht gemacht wird! An feiner Stelle in unserem öffentlichen, politischen, wirtschaftlichen und selbst genossenschaftlichen Leben treten die Frauen in einer dem Umfange und der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Frauenerwerbsarbeit entsprechenden Weife in die Erscheinung.
Gewiß haben die Frauen noch zu lernen, um das nach zuholen, was eine jahrhundertelange Unterdrückung an ihnen gefündigt hat! Gewiß sind nicht alle Frauen relf für die
in allen unseren Organisationen zu beklagen. Aber sollte nicht, soweit das Lettere in Frage fommt, zu einem Tell wenigstens Ursache und Wirkung miteinander verwechselt werden? Tatsache ist, daß in allen durch Wahlen zusammengesetzten Körperschaften der Sozialversicherung, ber Betriebsräte, der Gewertschaften, ja selbst der Konsumgenossenschaften eine zahlenmäßig äußerst mangelhafte Ver tretung der Frauen zu fin den ist. Nur an einem Belspiel sei das nachgewiesen: Auf dem ADGB. - Kongres in Hamburg 1928 wurden rund 3 350 000 männliche Mitglieder durch 280 männ liche Delegierte vertreten, während die rund 650 000 weiblichen Mitglieder der Gewerkschaften nur durch zwei weibliche Mits glteber vertreten warent Heißt das nicht eine Proflamierung der geistigen Ueberlegenheit des Mannes über die Frau in allen beruflichen und gewerkschaftlichen Fragen? Oder sollen wir wirklich annehmen, daß die weiblichen Mitglieder der Gewerkschaften so geistig arm sind, daß nicht zum mindesten jede der Großorganisationen eine weibliche Delegierte hätte entsenden können? Heißt diese ganz offenbare Zurücksetzung der Frauen, für die hier nur ein Betspiel für viele angeführt wurde, nicht vielmehr den zur wirtschaftlichen und geistigen Selbständigkeit heranreifenden Frauen die Freude und die Lust zur intensiven Mitarbeit innerhalb der Organisationen nehmen? Muß nicht befürchtet werden, daß die Fortsetzung eines solchen doch nur als frauenfeindlich" zu bezeichnenden Verhaltens schließlich bek den Frauen Kräfte auslösen kann, die sich gegen die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen auswirken? Die Mög lichkeit einer solchen Entwicklung voraussehen aber fordert: sie zu bekämpfen und zwar im Interesse des gesamten, um seine wirtschaftliche und politische Befreiung ringenden Proletariats. Darum denkt an das passive Frauenwahlrecht! Marie Friedrich Schulz.
Mag Barthel.
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,, Ein günstigeres Verhältnis bildet sich zwischen Mann und Frau im Proletariat heraus, insofern belbe erkennen, baß fie an dem gleichen Strange 3lehen und es für ihre menfchenwürdige Zukunft nur ein Mittel gibt: bie gründliche gesellschaftliche Umgestaltung, die alle zu freien Menschen macht. Die Zahl der Proletarierfrauen, bie zu dieser Erkenntnis fommt, wird mit jedem Jahre größer."