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Fast alle großen deutschen Romane der lehten Jahre Jind Männerromane, stellen Männerschicksale und Männer probleme dar. Das Streben nach Sachlichkeit und Unsentimentalität verdrängte zwar den Liebesroman alten Schlages, überfah aber, daß Inzwischen ein neuer Frauentyp herangewachsen war, der nicht nur Geliebte oder Mutter war. Die Wandlung in der Stellung der Frau, die der ganzen Generation und darüber hinaus der Familie, der Wirtschaft und der Gesellschaft ihren Stempel aufgedrückt hat, finden wir heute in einer Fülle von Büchern und Broschüren über Ehe- und Serualreform, über Erwerbsarbeit und Arbeiterschutz usw. wiedergespiegelt. Aber in der Romanliteratur, wenigstens in Deutschland  , ist das moderne Frauenschicksal noch wenig zu finden. Ich meine nicht die bürgerliche Dame der Unterhaltungsromane, sondern solche Frauengestalten, wie sie z. B. Käthe Kollwitz   gemalt hat. Die neue Frau: wenn man das, was sie tennzeichnet, im Gegen­fah zu dem vergangenen Typ auf eine Formel bringen will, fo fönnte man jagen, die Frau in Wirtschaft und Gesell. schaft, die aus dem engen Kreis von Haus und Familie herausgeriffen ist. Die Macht, die diesen Umschwung bewirkt hat, war die Industrialisierung, der gesteigerte Kapitalismus  . Dieser un­freiwilligen Entwicklung zur Erwerbsarbeit und äußerer Unabhängig felt folgte die freiwillige Entwicklung zur geistigen Selbständigkeit. Aber mit der Erreichung dieser Ziele traten bald neue Konflikte und Krisen in der Bordergrund. Denn der Frau mit den neuen Aufgaben waren die alten Aufgaben ihres Frauenschicksals geblieben. Der Ronflitt zwischen beruflich äußerer Selbständig feit und weiblicher Gebundenheit ist das typische Ghidjaldermodernen Schicksal der modernen Frau. Diese Entwicklungslinie der Frau, die etwa den Zeitraum der letzten fünfzig Jahre umfaßt, läßt fich auf den Spuren der Literatur in immer vereinzelteren Erschei­nungen verfolgen, je näher wir der Gegenwart rüden. Als vor etwa fünfzig Jahren Bebels Buch Die Frau und der Sozialismus" erschien, standen gleichzeitig

3bfens Frauengestalten

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im Brennpunkt der Auseinandersetzung und entfalteten ihre Werbe­fraft für den Befreiungskampf der Frau. Noch sang man zwar ,, Ehret dle Frauen, sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben", während in Wirklichkeit doch schon Tausende von Proletarierinnen an den Textilmaschinen ganz anderes zu weben hatten als himmlische Rosen und dafür einen Hungerlohn statt der Ehren bekamen. Aber im wirtschaftlichen Kampf war die Frau viel zu eng in den allgemeinen Kampf der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus verflochten, um eigene geistige Rechte durchsetzen zu fönnen. Neben Bebef war Ibsen   einer ihrer tatkräftigsten und wirkungsvollsten Helfer. Seine Nora, die Frau, die Mann und Kinder verläßt, um Eigenes zu leisten, wurde zum Symbol der um ihre geistige Freiheit fämpfenden Frauen, sie hat eine Schar von lebenden Noras aufgerüttelt. Das Geschrei um Nora war groß, und gerade auf dieser empörten Anfeindung beruhte nicht nur Ibsens  Erfolg, sondern die Wirkung auf die lebende Frauengeneration. Das gleiche Schicksal, das schmerzhafte Losrelßen aus dem bürgerlich. begrenzten Heim zu eigenem selbstbestimmten Dasein spiegeln noch Jahrzehnte später

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die Lebensromane hervorragender Frauen, wie Lily Braun   in ihren Memoiren einer Sozialistin", Helene Böhlau   infebies", Ricarda Huch   in ihren ersten Romanen oder die( später erschienenen) Briefe und Tagebücher der Franziska von Reventlow  . Es ist das typische Schicksal der bürgerlichen Frauengenerationen um Wende und Anfang des neuen Jahrhunderts, es findet lebendigen Ausdruck im Roman. Zwanzig Jahre später- haben sich die Dinge grundlegend verschoben, aber es scheint, daß die Probleme nur auf anderer Stufe wiederkehren. Krieg und Re­volution haben auch für die Frau entscheidende Wandlungen gebracht. Ihr Niederschlag in der Literatur fehlt in Deutschland   fast völlig. Es ist nicht klar, warum hier die Sprache versagt, ob man der Wand­Tung geistig noch nicht gewachsen war oder erst Abstand braucht, um gestalten zu können.

Die erfte Stimme dieser neuen Frau im Roman fommt nicht zufällig aus Rußland  .

Aber so groß wie seinerzeit das Geschrei über die romantisch hysterische Herzlosigkeit von Nora ist heute das Kopfschütteln Vieler über die Handlungsweise dieser modernen Heldin eines modernen Romans, der Dascha aus dem russischen Roman 3ement" von Gladkow  . Auch Dascha verläßt ja wie fünfzig Jahr vor ihr Nora Mann und Kind, um eigene Arbeit zu leisten. Aber welch ein Schritt von Nora zu Dascha! Nora ist ein Bürgermeibchen voll un­flarer Sehnsucht nach dem Wunder, Dafcha ist die durch das schwere Leben gereifte Proletarierfrau mit dem flaren Ziel vor Augen. Trotzdem verbindet beide troß ihrer meilenfernen Welten ein gleicher Drang nach Freiheit und eigener Leistung, nur daß die eine noch gebunden ist an eine untergehende bürgerliche Welt, während die

andere eingeordnet ist in die vorwärtsdrängende Kampffront der sozialistischen   Bewegung. Die Konflikte haben sich bei Dafcha ver. schoben, neue innere Konflikte find entstanden. Ob sie vielleicht der Generation in 50 Jahren ebenso fremd fein werden wie uns heute Noras Konflikte? An dem llebergangoon Norazu Dascha haben viele Frauen gearbeitet und gelitten. Aber so wie damals Nora als der Typ der neuen Frau galt, gegen die sich die Mehrzahl der Frauen noch gewehrt hat, so ist vielleicht auch heute Dascha der Typ der neuen Frau von heute und von morgen, die wir noch mit 3welfein betrachten, die Wege geht, die uns noch neu sind und von denen wir heute noch nicht wissen, ob sie nur llebergänge und Krisen sind, die die russische Frau gewissermaßen als Experiment für ihre Schwestern leidet, oder ob hier auch unsere zukünftigen Wege liegen. Das gilt vor allem auch für die Wege zu einer neuen Geschlechts­moral. Es sind wieder die Ruffen, die den Mut haben, diese Kon­flitte der modernen Frau mit allen Fehlern und Jerwegen zu zeichnen. Bielleicht am Klarsten ist die Wandlung und das Suchen der heutigen Frau in einer Novelle von Alexandra Kollontan gezeichnet,

,, die Liebe der drei Generationen",

die in drei Personen, Großmutter, Mutter und Tochter, zeigt, wie fich der Schwerpunkt in den Konflikten der letzten 50 Jahre ver­schoben hat: man fönnte etwa fagen vom Konflikt der Pflicht in der Familie bei der Großmutter zum Konflikt der Liebe und des In­dividualismus bei der Mutter zum Konflikt der selbständigen Arbeit und der großen Gemeinschaft bei der Tochter. Aber dieser Frau von heute, der Tochter mit ihrer Abkehr von der Liebe steht die Mutter ratlos gegenüber. Ist das die neue Moral? Vielleicht! ft auch diese neue Moral" nur eine Krifenerscheinung, eine Reaktion gegen allzu viel Gefühl, vielleicht findet in Zukunft sich die Lösung zwischen eigener Arbeit und Liebe, die beiden Ansprüchen gerecht wird. Aber dieses

Hervordrängen der eigenen erarbeiteten Selbständigkeit vor der abhängig machenden Liebe

ist durchaus nicht nur für die revolutionären russischen Frauen. gestalten typisch. Ganz im Gegensaß zur ruffischen Proletarierin und doch ihr ähnlich verförpert sie eine andere Frauengestalt eines modernen Romans, eine Westeuropäerin bürgerlicher Herkunft, die Annette aus den Romanen des Franzosen Romain Rolland  . Hier hat die moderne Frau im modernen Roman ohne Ueber­spizungen und Uebertreibungen ihre Berkörperung gefunden. Wie diese Frau am Leben reift, wie sie den Krieg erlebt, sich durch den Beruf durchkämpft, wie sie sich zur Menschlichkeit durchringt, wie sie bei aller Selbständigkeit und Sachlichkeit und so nennen will Unweiblichkeit bewußt Frau und Mutter bleibt. das mag vielleicht der klarste europäische   Typ der heutigen Frau sein. Vielleicht hat die moderne Literatur

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wenn man es

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das Mutterproblem etwas zu sehr in den Hintergrund gedrängt. Es ist wohl nirgends so erschütternd dargestellt wie in Gortis Roman Die Mutter". Hier ist wirklich eine von den Gestalten der Käthe Kollwitz   lebendig geworden. Es ist eine ganz unsentimentale Verklärung von der Kraft der Mutterschaft, wie sie reiner auch nicht in der Legende der Muttergottes dargestellt ist. Es ist die namenlose Proletarierfrau unserer Tage und Gorki hat ihr ein ebensolches Denkmal gesetzt wie es das Denkmal des unbekannten Soldaten in Paris   ist. Liebe, Mutterschaft, Beruf: um diese drei zentralen Probleme gruppiert sich das Schicksal der heutigen Frau, gleichgültig ob das eine oder andere im Bordergrund steht oder ganz fehlt. Aus dem Ineinandergreifen dieser Probleme ergeben sich die Konflikte. Das typische Berufsschicksal der modernen Frau innerhalb der rationalisierten Wirtschaft gestaltet als einer der ersten der Erwerb". Keine große Tragödie, nur ein tapfer fich wehrendes Amerikaner Sinclair Lewis   in feinem Roman ,, Der

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fleines Schicksal zeigt er in dem Auf und Ab zwischen Bureau und färglicher Freude eine Stenotypistin, eine Durchschnittsberufsfrau der Masse das unromantische und tapfere Leben der Frau von heute, so und nicht anders ist es, wenn auch amerikanisch gefärbt und zum Schluß mit einem ganz unprogrammäßigen happy end entgleift. Aber es bleibt alles in allem das typische Schicksal einer modernen

berufstätigen Frau. Es bleibt auch, alles in allem und erst ver einzelt, das Bild der heutigen Frau in der künstlerischen Gestaltung des Romans festgehalten.

Nur der deutsche Frauenroman der Gegenwart fehlt. Man wird nicht etwa glauben, daß der romantisch- füße Roman der Helene Willfüer von Bicky Baum Anspruch darauf erheben kann, ein typisches Bild der modernen Frau zu zeichnen. Eine befriedi­

gende Erklärung, warum der deutsche Roman an der heutigen Frau vorbeigeht, ist nicht zu finden. Hier ist ein Stoff, der es wert ist, gestaltet zu werden. Wir warten darauf! Susanne Suhr,