Als Frau in Rußland  , 1930.

In der weichen Klaffe/ Fünfjahresplan, Wanzen und fein Kochgeschirr. Der Zar in Deutschland  .

Als wir uns zu unserer Rußlandreise rüsteten, murden wir von Kollegen meines Mannes darauf hingewiefen, daß die Lebensmittel­Inapphelt derart groß sei, daß wir vorsorglich einen ganzen Stoffer voll Konserven, Schinten usw. einpacten. Besonders mir wurden gutgemeinte Warnungen zuteil Ich schlug jedoch alles in den Wind und stellte mir die Sache halb so wild vor, war ich doch schon einmal in der Sowjetunion   im Jahre 1928 und bin heil wieder herausgekommen, also glaubte ich zu den schlimmsten Befürchtungen teinen Anlaß zu haben..

An der polnischen Grenze verlaffen wir den Zug und gehen in den ruffischen. Eine halbe Stunde, nachdem wir den Triumphbogen mit der Aufschrift: Proletarier aller Länder, vereinigt euch" durch Jahren haben, landeten wir an der russischen Grenzstation. Die Zoll­beamten waren höflich, das große Gepäck brauchten wir gar nicht dffnen, jedenfalls wegen Zeitmangel. Uns war das natürlich der zollpflichtigen Lebensmittel wegen sehr angenehm. In meiner Illustrierten Zeitung fiel dem Beamten das fettgedruckte Wort Batikan auf die Nerven, und er konfiszierte mir darauf hin alle Zeitschriften. Mit dem Bemerken: jescho nada"= noch notwendig, nahm ich ihm die Zeitungen einfach wieder weg und er gab sich auch zufrieden.

Auf dem Bahnsteig umdrängte uns viel Bolt, traurige, zer humpte und unterernährte Gestalten. Teils betrachteten fie uns mit Reugierde, teils waren sie zu stupide, um überhaupt eine Seelen­regung von sich zu geben, der größte Teil aber bettelte. Wir

wurden als

Reisende der weichen klasse

und überhaupt als Ausländer mit einer gewissen Rücksicht behandelt, Jedoch mit allen anderen wird so verfahren, als ob sie nicht da find. Ich habe zum Beispiel auf jeder Station beobachtet, daß der Zug abfährt, gleichgültig ob die Menschen wie Trauben am Eingang hängen, herunterspringen, fallen und sich Hals und Genick brechen, oder ob so fünfzig Personen noch eine Strecke mitlaufen, dann das Nuzlose einsehen und zurückbleiben. Sie legen fich dann wieder auf den Bahnsteig auf ihre Bündel und Lumpen, und warten auf den nächsten Zug, der in 24 Stunden kommen soll. Bielleicht hat der Jelbe mal weniger als 6 bis 8 Stunden Berspätung und vielleicht tommen sie dann mit diesem mit. Wenn nicht: Nitschewo", der Ruffe hat viel Geduld und Zeit.

Wir fahren durch die Ukraine  . Wenig Bald, aber viel Getreide, nur alles sehr unregelmäßig bebaut Auf keiner Station gibt es etwas zu trinken oder zu efsen, jedoch sagte auf mein Befragen der freundliche alte Schaffner, in einer Stunde wären wir so weit, da gibt es Objedat"= Mittagessen. Nach drei Stunden fährt endlich der Zug ein, alles stürzt heraus, dann stellt man sich an der Kasse an und kauft einen Bon, und wenn man dann Glück und noch Zeit hat, bekommt man Mittagessen. Wir wollten gerne und konnten nicht. Serviert wurde uns ein undefinierbares Etwas, von un­zähligen Fliegen unfurrt. Es stellte sich heraus als Rudeln mit weißem Käse. Der

Hauptbestandteil der Kudeln war jedenfalls Gips,

und der Käse sauer mle Effig. Auch für den unverwöhntesten Gaumen ungenießbar. In Kiew   versuchte ich zu trinken zu be tommen, aber es ist unmöglich, den Bahnsteig zu verlassen, da man einfach nicht heraus kommt. Die Menschen drängen von draußen herein, und weicht man nicht aus, wird man eben einfach überrannt. Ein Aus- dem- Wege- gehen existiert überhaupt nicht, es rennt einer auf den anderen los, und wer schwächer ist, fliegt beiseite.

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Bei unserem Hunger war uns die Qualität hödit gleichgültig, wir aßen, was wir eben befamen, hauptsächlidy um den Magen zu füllen. Diejenigen nun, welche feinen Blay befommen,

stellen fich hinter die Stühle derer, die schon beim Kompolt find. Es ist recht ungemütlich, wenn beim Elsen jemand die Stuhllehne umflammert und darauf wartet, bis man aufsteht!

Abends bekamen wir wider Erwarten ein Zimmer, fogar mit Uebernachtung fostete die Kleinigkeit von 25 M. Handtücher und so zwei eisernen Betten, Baumwolldecken, Tisch und Stühlen. Die etwas gibt es ebenfalls nicht.

Am nächsten Tage hinein an den Charkow  - Roftower Zug. Die Fahrt geht jetzt nach Süden und es wird immer wärmer, je weiter wir uns dem Asowschen Meer nähern. In Taganrog   gab es endlich Narsan, das ist eine Art Mineralwasser, zu kaufen. Kein Mensch hatte jedoch fleines Geld zum Wechseln, also mußten wir verzichten, um nicht einen Fünfrubelschein für eine Flasche zu bezahlen. Wir haben sehr unter dem Durst gelitten, doch gab es nirgends etwas Trinkbares.

In Rostow   am Don wieder umftelgen. Welche Klaffe gibt es nicht mehr, und wer in Rußland   einmal harte Klasse gefahren ist, weiß, daß man lieber ein paar Tage wartet, um eine Karte für die höhere Wagenklaffe zu erlangen. Dank der ruffisch geschriebenen Rommandierowla" der Handelsvertretung in Berlin  , welche uns Schuh und Hilfe jeder Behörde innerhalb der Sowjetunion  " zu­fichert, gelang es uns aber doch, zwei Karten für die weiche Magen­Classe zu erhalten. Es ging nun wieder ein Stild nordwärts, direkt am Ufer des Donez entlang. Am sechsten Tage unserer Reife war endlich die Bahnfahrt beendet.

Sch. ist eine kleine Stadt, deren Mittelpunkt die Haupt­verwaltungen der in der Umgebung liegenden Kohlenschächte bilden. Wir ließen uns

zum Truffbüro

befördern, wo wir unseren endgültigen Bestimmungsort erfahren follten. Es bot uns dort niemand eine Siggelegenheit an, was uns veranlaßte, auf dem Tisch Platz zu nehmen. Es war dies schon ein Zeichen der beginnenden Akklimatisation bei uns Also Ihren Bestimmungsort können Sie heute nicht mehr erreichen, dazu ift eine Fahrt über die Steppe erforderlich. Sie übernachten hier bei einer russischen Famille". Auf meine Anfrage nach Effen: wurde uns mitgeteilt, daß es hier ein Dom- Prijedjeich", Haus für Ankommende, gibt, in dem wir verpflegt werden. Durch tagelanges Darben waren unsere Erwartungen sowieso nicht sehr hoch, aber was uns hier ge­boten wurde, überstieg doch die Grenzen. Es empfing uns ein Raum mit rohen Holzwänden, an jeder Seite ein Bett. in dem sich je ein Mann herumlümmelte. In der Mitte stand der Tisch, mit Wachse tuch bezogen, und Fliegen waren derart viel da, daß wir uns ihrer nicht erwehren konnten. In der Suppe schwammen fie umher, fetzten fich ungeniert aufs Hauptgericht, welches aus Kartoffelbrei, gebraten in einem stinkigen Det, bestand. Ungenießbar! Am onderen Morgen ging es hinein

In die Steppe.

Dedes, unfruchtbares Land, ab und zu etwas Mais und Sonnen­blumen. Auf dem Wege ein Pferdegerippe, ein wenig weiter lag ein totes Schaf, von dem nur noch die Knochen und das Fell übrig waren. Ein Fuhrwert fam uns entgegen, von Ramelen gezogen. Sonst ein großes Schweigen um uns herum. Nach dreiständiger Andern Mittag Chartow! Koloffale Gegenfäße nahm ich Fahrt tauchten in der Ferne einige Fördertürme auf. Mitten hier wahr. Auf einer Anhöhe steht ein großes imposantes Gebäude, in der Steppe werden hier Kohlen zutage gefördert. Eine kleine gana amerikanischer Stil, daneben alte verfallene Wohnhäuser von| Ansiedlung nahm uns auf und der Wagen hleft vor dem Ver. außerordentlich tristem Aussehen. Ueberall ist das Straßenpflaster waltungsgebäude. Hier faßen wir wohl zwei Stunden, bis wir ab­aufgeriffen. Man hat den Eindruc: hier hat eben Krieg gehauft". gefertigt wurden. Der Hunger und die Müdigkeit überwältigten uns Biele Menschen fieht man auf der Straße. Die Frauen und Mädchen| fast, dazu kam noch eine große trockene Hize. Auf unser Drängen alle geschminkt, was bei der armseligen Kleidung einen traurigen nach Quartier und Effen wurde uns erklärt, ersteres werde erst Eindruck macht. instandgesetzt, und essen können wir im Dom- Brijedjesch". Der Quartiermeister, feines Zeichens Kofat, führte uns in ein kleines gemauertes Haus, von außen her hübsch anzusehen. Wir bekamen ein großes Zimmer und eine Küche. Bemerken möchte ich noch, daß wir nur zweimal in dem Haus für Ankommende aßen, denn mit­gebratene Schwaben sind nicht jedermanns Sache Wir lebten also von Brot und Tee, bis endlich unsere Koffer mit den Lebens­mitteln eintrafen. Das Mobiliar in unserem Zimmer bestand aus zwei eisernen Betten, Tisch und mehreren Stühlen. Die Kopfkissen

Im größten Hotel der Stadt baten wir um ein Zimmer, jedoch wurde uns sehr gleichmütig bedeutet, daß keins frei wäre. Zum Abend bekamen wir eins in Aussicht gestellt; also warten, da unsere telephonische Anfrage in anderen Hotels das gleiche negative Re­fultat ergab. Wir gingen in den mit bemerkenswerter Sauberkeit hergerichteten Speisesaal und ließen uns Mittagessen fervieren. Es tommen soviel Menschen dorthin, daß der Blah bel weitem nicht reicht. Wir bekamen Suppe, Hammeltotetett und etwas Kompott.