Frauenstimme

Rr. 548. Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

5. Marz 1931

Schlagwort: Doppelverdiener".

Inter dem Schlagwort Gegen die Doppelverdiener" wird wieder einmal, versteckt oder unverhüllt, der Kampf gegen die Frauenarbeit überhaupt geführt. Es ist ein gefährlicher Kampf für die Frauen und für die Sache, für die sie jahrzehnte. lang gearbeitet und gestritten haben, und es bedarf einer großen Wachsamkeit der Frauen, wenn sie sich nicht um die Früchte jahr. zehntelanger Arbeit betrogen sehen wollen. Sicher ist in einer Zeit, die ihren Kindern nicht Brot und Arbeit in ausreichendem Maße u geben vermag, der Kampf gegen die Doppelverdiener so lange ge­rechtfertigt, wie er sich gegen jene Personen richtet, die gemeinsam mehr als den notwendigen Unterhalt für die Familie verdienen. Aber man muß einmal ernsthaft die Frage prüfen, ob denn durch eine Ausschaltung der Doppelverdiener eine nennenswerte Anzahl von Arbeitsplägen fret wird.

Die Berufszählung vom Jahre 1925 hat ergeben, daß 3 645 000 verheiratete Frauen, also 29 Proz. aller Ehefrauen, beruflich tätig find. Zunächst steht man staunend vor dieser Zahl! Es scheint, als ob man mit ihr das Ei des Kolumbus gefunden hätte! Als ob es genügen würde, diese mehr als 3 Millionen Ehefrauen aus dem Wirtschaftsprozeß auszuschalten, um das uns bedrängende Er. werbslosenproblem zu lösen! Aber schauen wir einmal näher zu! Von diesen mehr als Millionen verheirateten berufstätigen Frauen arbeiten etwa 2,5 Millionen im Betriebe ihres Mannes, also in Handwerksbetrieben, in der Landwirtschaft, d. h. also in Be­trieben, in denen die Frauen gar nicht durch bezahlte Kräfte ersetzt werden können, ohne daß die Wirtschaftlichkeit dieser Betriebe aufs Spiel gesetzt würde. Diese große Gruppe verheirateter Frauen fann also nicht ausgeschaltet werden.

Die nächstgrößte Gruppe umfaßt 20,6 Proz. der berufstätigen verheirateten Frauen, also etwa 750 000. Von diesen sind etwa 40 000 Hausangestellte, die naturgemäß ebenfalls nicht durch Männer erfegt werden können. Die übrigen sind Arbeiterinnen in Indus strien, die in jahrzehntelanger Praris den Vorzug der Frauenarbeit vor der Männerarbeit für ihre Technit, wie in der Textil- und Bekleidungsbranche, erprobt haben, und in denen es einfach un­möglich ist, von heute auf morgen einen Stamm eingeschulter, be­währter Arbeiterinnen zugunsten neuer, unerfahrener Arbeitskräfte

auszuschalten. Also auch hier fann der Arbeitsmarkt nicht entlastet werden, zumal da auch die geringeren Lohntarife der Frauen nicht für neueingestellte männliche Arbeiter in Frage kämen.

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Die nächstgrößte Gruppe mit 309.000 berufstätigen verheiratete Frauen umfaßt die Selbständigen  ", also Betriebsinhaberinnen, Besigerinnen von Ladengeschäften, aber vor allem auch die in freien Berufen tätigen Ehefrauen. Es ist zu oft schon die Sonderaufgabe der Aerztinnen, Rechtsanwältinnen usw., die in den spezifischen Eigenschaften der Frau begründet liegt, erörtert worden, als daß man hier noch einmal im einzelnen auseinandersehen müßte, warum die Tätigkeit dieser Frauen einfach durch die Arbeit der Männer nicht ersetzt werden könnte. Was bleibt also für den Kampf gegen die Doppelverdiener noch übrig? Lediglich die 82 000 verheirateten weiblichen Beamten und Angestellten, von denen die in der Privat­wirtschaft angestellten Frauen ja auch dem Arme des Staates recht­lich entzogen sind, und für die es vielfach ja auch zutrifft, daß sie mitarbeiten müssen, um der Familie den notwendigen Lebens­unterhalt zu verschaffen. Der Kampf gegen die Doppelverdiener wird sich also in der Praxis vor allem auf die verheirateten weiblichen Beamten tonzentrieren, und in der Tat ist von volksparteilicher Seite in der Berliner   Stadtverordnetenversamm lung und in Eingaben des Zentrums ein Vorstoß in dieser Richtung gemacht und sind Maßnahmen, wie fie der§ 14 der Abbauverord­nung in verfassungswidriger Weise geschaffen hatte, aufs neue ge­fordert worden, zuungunsten der weiblichen Beamten und über­haupt der gesamten Frauen.

Es heißt also jeßt für die Frauen, auf der Hut zu sein, um ihre Rechte zu behaupten! Denn im Grunde hätten Maßnahmen gegen verheiratete weibliche Beamte, die sa nach den bisher ge. machten Vorschlägen auch nur dann ergriffen werden dürfen, wenn der standesgemäße Lebensunterhalt der Familie gesichert und die dienstliche Tätigkeit der Beamtin nachweisbar durch ihre häuslichen Pflichten beeinträchtigt wird. für die Entlastung des Arbeitsmarktes feine ausschlaggebende Bedeutung. Vielmehr geht es um prinzipielle Fragen für die Frauen, die sie nur dann vorübergehend in den Hintergrund stellen dürfen, wenn tatsächlich der Gesamtheit damit ein Dienst geleistet wird. Das trifft hier aber auf keinen Fall zu.

Abnahme der Säuglingssterblichkeit. Imundschaften und die Beaufsichtigung der Kostpflege gerade diefen

Mit dem starken Geburtenrüdgang in unserem Jahrhundert steht die erfreuliche Abnahme der Säuglingssterblichkeit in engem Busammenhang. Und zwar ist es nicht nur die absolute Riffer der gestorbenen Säuglinge, die naturgemäß mit dem Rückgang der Ge­burten sinken mußte, sondern auch die Abnahme der relativen Säug­lingssterblichkeit hängt mit der Geburtenbeschränkung zusammen. Den Grund hierfür erblickt Profeffor Hanauer( Frankfurt   a. M.) mit Recht darin, daß in den Arbeiterfamilien, bei denen seit dem Kriege in steigendem Maße eine Geburtenregelung eingesetzt hat, den weniger zahlreichen Kindern ein größeres Maß an Pflege und Fürsorge zugewandt werden kann, als das früher bei einer verhält­nismäßig großen Kinderschar möglich war.

Die Hauptursache der verminderten Säuglingssterblichkeit liegt jedoch in den Wirkungen der organisierten Säuglings fürsorge, die seit dem Beginn unseres Jahrhunderts einsetzte, und die jene fegenereiche Propaganda für das Selbst stillen entfaltete, das die Erfolge auf dem Gebiete der Säuglingshygiene erzielt hat.

Diese Abnahme des Säuglingssterbens, die in den letzten Jahren durchschnittlich von 13,8 auf 7,1 auf 100 Geborene, also etwa auf die Hälfte gesunken ist, fommt auch den unehelichen Kindern zugute, dank der besonderen Fürsorge, die durch die Berufsvor

Kindern zugewandt wird. Irozdem ist die Sterblichteit unehelicher Kinder immer noch doppelt fo boch wie die der ehelichen!

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Als zweite bemerkenswerte Aenderung in den Sterblichkeits­verhältnissen bezeichnet Professor Hanauer das Verschwinden des sogenannten Sommergipfels" und das an feine Stelle getretene Vorkommen eines Wintergipfels". Früher galten Juli, Auguſt, September als die kritischen Monate der Neugeborenen. während ihnen heute die Sommerhige anscheinend nicht mehr so viel anzu­haben vermag, der Winter dagegen mit seiner Kohlennot der größte Feind des Säuglings ist. Nicht mehr Magen- und Darmkrankheiten und Brechdurchfälle, die übrigens durch das sensationelle Verfahren der Aepfeldiät" meist leicht zu beheben find, bilden neuerdings die hauptsächlichsten Ursachen des Säuglingssterbens, sondern allge­meine Lebensich wäche und Lungenentzündung. Be­fonders groß war der Anstieg der an Lebensschwäche Gestorbenen in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren, was zweifellos auf das Sonto der Kriegswirkung. seelische Erschütterung und Unterernäh rung der Mütter zurückzuführen war, auch auf den höheren Anteil der Knaben an den Geburten, die häufiger als die Mädchen an Lebensschwäche zugrunde gehen. Grippeepidemien und sonstige Er. fältungsfrankheiten, die Schwierigkeiten der Heizung, Bekleidung und Ernährung bedrohen die Neugeborenen auch weiterhin mit er­höhter Säuglingssterblichkeit.