Vernichtung lebensunwerten Lebens.

-

Tragödien von Müttern idiotischer Kinder.

Das Landgericht M Berlin forach die 84jährige Kontoristin D., die angelingt war, the funftähriges biotisches Kind getötet au haben, auf Grund des& StoB.( Unaurechnungsfähigkeit) fret. Die Kriminalgeschichte fennt verhältnismäßig wenig Fälle, In benen Mütter ihre Kinder töten und selbst am Beben bleiben. Eine solche Handlungsweise widerspräche allaufehr dem Mutterinstinkt und der Mutterlebe. Die Tötung ihrer beiden Knaben durch eine polnische Schnitterin vor einigen Jahren die Frau wurde zum Tode verurteiltfällt gewiffermaßen aus dem Rahmen. In der Regel find es Familien­fatastrophen, bet denen die Eltern ihre Kinder mit in den Tod nehmen. Wird die Mutter gerettet, so erscheint fie als Kindes mörderin vor Gericht. Ursache solcher Famillenkatastrophen find Familienzwist, Not, Auswegslosigkeit. Auswegslosigkeit war es auch bel der polnischen Schnitterin, die in anderen Umständen, dazu ein Anderthalbjähriges auf dem Arm, ihre beiden älteren Sungen nirgends unterbringen fonnte. Nicht viel anders lagen bie Dinge bel der 34jährigen Kontoristin B. Das Krüppelheim in Swidau awang fie, ihr fünfjähriges idiotisches Kind zu sich zu nehmen; ihre Eltern wünschten nicht den blöden" unehelichen Knaben im Haufe zu haben. In ihrer Berzweiflung verlor die unglückliche Frau den Kopf und ertränkte das Kleine. Auch hier beabsichtigte die Mutter ursprünglich, gemeinsam mit ihrem Kinde, aus dem Leben zu gehen. Der Fall der Kontoristin B. wird aber dadurch kompliziert, daß es sich um ein idlotisches Kind handelte.

Sie hatte zugleich ein lebensunwertes Leben vernichtet. Und der Umstand, daß das Kind ein Krüppel gewesen, war mit der Grund für die Tat. In die Auswegslosigkeit hatte sich mit leid für den unglücklichen Wurm gemengt.

Auch die Fälle, wo Eltern ihre lebensunfähigen, insbesondere idiotischen Kinder töten, sind äußerst felten. Bor einigen Dahren erschoß in Köpenid eine Mutter ihren etwa 17jährigen geiftestranten Sohn. In Leningrad tötete ein roter Offizier jein vierjähriges idiotisches Kind und wurde zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt. Ob das Leningrader Gericht recht handelte, den Bater zu bestrafen, erscheint angesichts des angeblich so modernen Strafgefehbuches der USSR . sehr fraglich. Freigabe der Bernichtung lebensunwerten Lebens ift vor mehr als zehn Jahren von Profeffor Karl Binding als Grundsatz aufgestellt worden, der im fünftigen Strafgesetzbuch fest gelegt zu werden verdient. Die Frage, die er aufwarf, lautete: Gibt es Menschenleben, die so stark die Eigenschaft des Rechts­gutes eingebüht haben, daß ihre Fortdauer für die Lebensträger wie für die Gesellschaft dauernd an Wert verloren haben?" Und er antwortete darauf mit einem entschiedenen Ja mit der Ein­fchränkung, daß die volle Achtung des Lebenswillens aller, auch ber tränksten, gequältesten und nuglosesten Menschen nicht ge= fchmälert" werden dürfe.

Unter den Menschen, deren Tod für fie, selbst, ihre Nächsten und den Staat eine Erlösung bedeutet, unterscheidet Binding zwei Gruppen. Einmal, die Menschen, die

zufolge Krankheit oder Berwundung unreffbar verloren, im vollen Verständnis ihrer Lage den dringenden Wunsch nach Erlösung

befizen und ihn auf irgendeine Weise zu ertennen" gegeben haben -man denke zum Beispiel an einen Pariser Kriminalfall, bei dem die Frau ihren unheilbar franken Mann auf deffen dringendes Berlangen hin tötete und von den Geschworenen freigesprochen wurde sodann die unhellbar Blödsinnigen, einerlei, ob fle fo geboren oder geworden sind. Binding fann von rechtlichem, sozialem, fittlichem und religiösem Gesichtspuntt" fchlechterdings teinen Grund sinden sowohl die Tötung solcher, den Tod bringend verlangender Unrettbarer nicht an die, von benen er verlangt wird", freizugeben, als auch die Tötung der anderen, die das furchtbare Gegenbild echter Menschen bilden und fast in jedem Entfeßen erweden, der ihnen begegnet". Die Freigabe der Tötung im ersten Falle wäre einfach eine

..Pflicht gefehlichen Mitleides",

im anderen Falle reißt der Tod nicht die geringste Lücke, außer vielleicht im Gefühl der Mutter oder der treuen Pflegerin". Und da Blödsinnige großer Pflege bedürfen, geben sie Anlaß, daß ein Menschenberuf entsteht, der darin aufgeht, abfolut lebens­unwertes Leben für Jahre und Jahrzehnte zu fristen".

Natürlich wäre die Bornahme der Tötung nicht jedermann freizugeben; doch hätten Anspruch auf Freigabe in erster Linie die

Angehörigen, die den Kranken zu pflegen haben und beren Leben durch das Dasein des Armen dauernd so schwer belaftet wird. Binding schlägt einen Freigabeausschuß aus Aerzten und Juristen vor, die darüber zu bestimmen hätten, ob die Frei gabe zur Bernichtung des lebensunwerten Lebens stattfinden soll und fleht selbstverständlich auch Sicherungen vor, damit tein Mißbrauch getrieben werden könne. Profeffor Hoche fchließt sich als Blychiater vom medizinischen Standpunkt diefen Borschlägen an. Als die unglückselige Kontoristin ihr Kind tötete, hatte sie felbstverständlich keine Ahnung von diesen juristischen und medi­zinischen Schlußfolgerungen über die Bernichtung lebensunwerten Lebens. Im Kampfe ihres gefunden Mutterinstinktes mit ihrer vertrampften Berzweiflung fand fie unbewußt den vielleicht( päter einmal durch ein Gefeh erlaubten Ausweg; fle befreite das Kind von den Leiden, die seiner harrien und fich selbst von einer untrag­baren Laft. Sie leistete ihrem Kinde den Liebesdienst, den in den Ibsenschen Gespenstern" die Mutter dem unmittelbar vor dem Ausbruch der Geisteskrankheit stehenden Oswald verweigert. Oswald: Ja, nun mußt du mir also den Llebesdienst leisten, Frau Alving: Ich, delne Mutter!" Oswald: Mutter..." Frau Alving: ch, die dir das Leben Gerade deshalb!" gegeben hat?" Dewald: Ich habe dich nicht um das Leben gebeten. Und was für ein Leben hast du mir denn gegeben? Ich will es nicht länger, du sollst es zurücknehmen..."

Die fleine Kontoristin B. hat das Leben, das sie ihrem Kinde gegeben, zurüdgenommen. Geschworene hätten sie ohne weiteres freigesprochen. Das sogenannte Emmingerfche Schwurgericht durfte diese unglückliche Mutter nur freisprechen unter Zuhilfenahme des§ 51. Sie brauchte sich durchaus nicht in einem Zustande frankhafter geistiger Störung befunden zu haben, um das zu tun, was sie vollbracht. Das Problem der Bernichtung lebensunwerten Lebens steht in engem Zusammen­hang mit dem§ 218. Das Gesez verlangt von der Mutter selbst dann das Kind zur Welt zu bringen, wenn alles dafür spricht, daß es ein lebensunwertes Leben werden würde. Hier fällt medi­zinische Indikation in weitestem Sinne mit fozialer zusammen. Die Belastung gerade der proletarischen Mütter durch ein idlotisches Kind fann zuweilen unerträglich werden und das Geld, das die gelig Toten dem Staate fosten, tönnte den geistig Ge funden zugute tommen. Das Problem der Freigabe der Ber­nichtung lebensunwerten Lebens ist in erster Linie unter sozialen Gesichtspunkten zu lösen. Die gefunden Mutterinstinkte sollen und dürfen an der Lösung unter feinen Umständen auch nur den geringsten Schaden erleiden.

Leo Rosenthal .

Das Kind und die Phantasie.

Die neuere psychologische Forschung hat die interessante Ent dedung gemacht, daß sich zwar das Tierleben und der Intellekt beim Kinde in allmählich ineinander übergehenden Stufen ent­wickeln, die Phantafle jedoch beim Kinde bereits in gleicher Art und Stärke vorhanden ist wie beim Erwachsenen. Infolge der noch geringen Kräfte des Intellekts erscheint fogar dem Auge des Be fchauers die findliche Phantasie besonders auffallend und start. Aus den verschiedensten Gründen neigt der Erzieher bisweilen dazu, diese ihm gefährlich" erscheinende Bhantafie des Kindes einzu Schränken. Soweit ihm das wirtlich gelingt ,. ftellen fich folche Ere ziehungsmaßnahmen als schwere Schädigungen des Kindes für sein fpäteres Leben dar.

Der moderne Kunst- und Handfertigungsunterricht unserer Schulen beschreitet den entgegengelegten Weg: man will die Bhan taste des Kindes möglichst von allen Feffeln befreien und zu schöpferischer Arbeit fruchtbar machen. Deshalb läßt man auch im modernen Zeichenunterricht die Kinder nicht mehr nach Borlagen arbeiten, sondern regt ihre Phantasie an, damit sie das, was das tägliche Leben ihnen zu fehen gibt, den eigenen Kräften gemäß au gestalten versuchen. Dadurch wird gleichermaßen die Beobachtungs­gabe der Kinder geschärft und die innere Kraft ihrer Phantafle entwidelt. Zahlreiche Schülerausstellungen der legten Jahre, an denen sich in erster Linie auch proletarische Schulen beteiligten, legen vom Erfolg dieser Bemühungen beredtes Seugnis ab.

Etwas schwieriger gestaltet sich für die Erziehung die Behand lung der findlichen Bhantasie in der Richtung der Dichtung und Schauspielkunft. Kinder erzählen sehr gern Geschichten, wie fle fagen: frei aus dem Kopfe", und dem Erwachsenen ist es bisweilen nicht leicht, diefe Kunstprodukte findlicher Bhantafietätigkeit von be­