Frauenstimme
Nr.12* 48. Jahrgang
Beilage zum Vorwärts
18. Juni 1931
Kinderzeugung Minderwertiger.
Aus der Praxis der Entbindungsanstalten.
Bor einiger Zeit hat der Nervenarzt Dr. E. Goldberg, Breslau ,| Ganze verschuldet hat". Der Ehemann, auch dem Selbstmorde nabe, an Hand des Falles einer asozialen, unehelichen Mutter von mehreren Kindern die Frage aufgeworfen, ob Entbindungsanstalten Geburtenregelung treiben sollen". Hierzu nimmt die lang jährige frühere Leiterin der Schwangerenfürsorge des Verbandes der Krantentassen Berlin Dr. Alice Goldmann- Bollnhals an Hand einiger Fälle in der Medizinischen Welt" wie folgt Stellung:
Fall 1., Eine 23jährige Frau, zum dritten Male innerhalb von drei Jahren schwanger und auch zum dritten Male geiftestrant, penbelt auf öffentliche Rosten zwischen ein und demselben Irrenhaus und ein und derselben Entbindungsanstalt hin und her. Die Psychose entwickelt sich allmählich. Im vierten bis fünften Monat der Schwangerschaft werden die Angehörigen regelmäßig gezwungen, die Frau wegen manischen oder depressiven Zustandes mit Selbstmordgefahr in eine geschlossene Anstalt zu bringen. Zur Entbindung wird die Patientin in eine Entbindungsanstalt ,, verlegt". Nach der Geburt wird die Kranke mit dem Rat, vorläufig ,, leine Kinder zu bekommen", in die Irrenanstalt ,, zurückverlegt"! Nach acht bis zwölf Wochen wird sie von dort entlassen, wiederum mit dem Rat ,,, feine Kinder mehr zu bekommen". Ein paar Wochen später wird die Frau stets wieder schwanger, um im vierten Monat wieder einmal auf ein paar Monate in der Heilanstalt Quartier zu nehmen.
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Und die Abhilfe? Der unglückliche Ehemann erhoffte sie vom Wohnungsamt... Er suchte mich auf und bat, ihm zu bescheinigen, daß seine Frau teine Kinder mehr haben dürfe, da er hoffte, aus diesem Grunde eine größere Wohnung zwei Stuben und Küche zugewiesen zu bekommen, zumal alle Profefforen gesagt haben: Reine Kinder mehr“ und„ die jetzige Schwangerschaft solle die letzte sein".
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Fall 2. Eine Arbeiterfrau sucht mich in ihrer fünften Schwangerschaft auf. Aus der Vorgeschichte erfahre ich, daß sie in einer großen Entbindungsanstalt in den letzten fünf Jahren bereits viermal wegen engen Bedens durch Kaiserschnitt entbunden worden ist. Bei der Entlassung ist ihr jeweils verkündet worden, daß eine spontane Entbindung nicht zu erwarten sei, so daß sie am besten täte, nicht wieder schwanger zu werden.
Nähere diesbezügliche Ratschläge sind ihr nie erteilt worden.
Da ich eine spätere evtl. Uterusruptur( 3erreißung der Gebär mutter) befürchtete, schickte ich die Patientin zwecks Unter. brechung der bestehenden Schwangerschaft zu dem vorzüglichen Operateur, der den Kaiserschnitt bereits viermal an ihr ausgeführt und ihr vier lebende Kinder gerettet hatte. Der Eingriff wurde abgelehnt( teine Indikation!) und die Frau aufgefordert wiederzukommen, wenn es nun ,, wieder so weit sein wird", um sie zum fünften Male durch Kaiserschnitt zu entbinden.
Fall 3. Bei einer 26jährigen, schwer lungentranten Frau, zum dritten Male schwanger, wurde die Unterbrechung in einer Alinit vorgenommen. Die Patientin wurde dann entlassen mit dem Rat ,,, teine Kinder mehr zu bekommen". Die Frau, vielfach bettlägerig und ängstlich besorgt, daß ihr junger und gesunder Mann in seiner seruellen Not sich minderwertigen Frauen zuwenden fönnte, überredete ihn, Beziehungen zu der gesunden, lebensfrohen, 40jährigen verwitweten Schwägerin anzufnüpfen. Mann und Schwägerin finden sich auch bald. Die Schwägerin wird nach furzer Zeit gravid, treibt ab und stirbt im Krankenhaus. Daraufhin vergiftet sich die lungenkrante Ehefrau mit Gas, da sie das
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sucht mich zwecks Unterbringung der beiden mutterlosen Kinder auf. Fall 4. Ein Vater mehrerer Kinder, arbeitslos. holt aus der Entbindungsanstalt seine Frau ab und stellt an den bortigen Arzt die schüchterne Frage, wie er sich vor weiterem Nachwuchs schüßen könnte. Die Antwort lautet: Es gibt teine ganz sicheren Mittel." Der Arbeiter findet nicht den Mut, nach den nicht ganz sicheren Mitteln" weiter zu fragen. Er geht nach Hause und bindet sich in seiner Verzweiflung mit einer Schnur die Genitialien ab, um sich zeugungsunfähig zu machen. In bebroh lichem Zustand wird er ins Krantenhaus gebracht, wo er zwar von den Schmerzen befreit, aber wieder unberaten entlassen wird. Fall 5. Ein Vater mehrerer Kinder, seit vielen Monaten arbeitslos sieben Personen in Stube und Küche, geht in eine Bolitlinit zu einem berühmten Professor und bittet, ihn nach allen Regeln der ärztlichen Kunst zu tastrieren. Er wird daraufhin im Kolleg als interessanter Fall" vorgestellt. Dort darf er mit anhören, daß bei manchen Geistestranten ein unwiderstehlicher Drang besteht, sich zu verstümmeln und insbesondere gegent die Generationsorgane zu wüten". Nach dem Kolleg wird ihm ber Rat erteilt, sich zweck's Beobachtung auf seinen Geisteszustand in die psychiatrische Klinit aufnehmen zu lassen.
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Selbstverständlich war der Mann nicht geiftestrant, er litt lediglich an Berantwortungsgefühl!
Diese beiden leßten Fälle scheinen mir besonders überzeugend und wertvoll. Sie zeigen, daß bei dem jetzigen Stand der Dinge auch Männer schwer zu leiben haben und von Gefahren bedroht sind.
Meines Erachtens ist es zweddienlicher, daß die Entbindungsanstalten nicht unter allen Umständen Geburtenregelung selbst treiben sollen, da sie festumriffene andere Aufgaben haben. Jedoch müssen sie in diesen Fragen zumindest vermitteln eingreifen und ganz planmäßig vorgehen. Vor der Entlassung aus der Entbindungsanstalt wird in der Regel eine Schlußuntersuchung vorgenommen. Es ist dringend notwendig, an diese Untersuchung außer einer hygienischen auch eine seguelle Beratung anzuschließen und die Wöchnerinnen bzw. Rekonvaleszentinnen nach Aborten auf die Möglichkeit der Geburtenprävention hinzuweisen, ja ihnen sogar anzuraten, einen Arzt ihres Vertrauens oder eine Sexualberatungsstelle aufzusuchen.
Der Fürsorgedienst im Krankenhaus hätte hier wieder ein reiches Arbeitsfeld. Die Frauen, die des Mutterschutzes aus dem einen oder dem anderen Grunde bedürftig sind, müßten während des Anstaltsaufenthaltes auch nach diesem Gesichtspunkte beraten und auch zur Verantwortlichkeit erzogen werden, um später, nach der Entlassung, von den Fürsorgeorganen bei absoluter ärztlicher Indikation herangeholt, betreut und weiter zur Verantwortlichkeit erzogen werden. Denn, so wie heute die Dinge liegen, beschränken in der Hauptsache die verantwortungsvollen, gesunden Menschen ihre Kinderzahl, während
die minderwertigen ohne Einsicht und Berantwortungsgefühl fich in naiver Weise, zum Schaden der Allgemeinheit, weifer fortpflanzen
und Kinder mit schlechtem Erbgut rücksichtslos in die Welt seßen. Da gerade diese Elemente, aus wohlbekannten Gründen, in den Anstalten zu entbinden pflegen, erwachsen den Entbindungsanstalten hier neue und wertvolle Aufgaben.