der Dinge verwirklicht werden. Der Fall des Throns ist in dem Geschicke der Reiche im Voraus bestimmt", sagte sie. Der König muß abgeurtheilt werden.... Es ist grausam zu denken, daß wir nur durch das Blut wiedergeboren werden können."

Manche der Männer, welche seit dem Anfange der Revolution eine hervorragende Rolle spielten, waren im Kampfe und durch die Riefenanforderungen, welche er an die Leistungen stellte, ermüdet. Sie liefen Gefahr, über den Tagesereignissen und Tageskämpfen das End­ziel der revolutionären Bewegung aus dem Auge zu verlieren, über Augenblicks und Sonderinteressen das dauernde Interesse der Bour geoisie als Klasse zu vergessen. Madame Roland   brachte eine noch ungeschwächte Energie, einen geradezu jugendfrischen Geist mit auf den Kampfplatz. Bei aller Schwärmerei für die Republik der allgemeinen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit besaß sie ein scharfes Verständ niß für die Interessen der Bourgeoisie, und wo die klare Erkenntniß derselben mangelte, machte sich ein stark ausgeprägter Klasseninstinkt geltend. Sie war keineswegs der Typus einer Revolutionärin aus dem Volke, welche durch den Druck unerträglicher Leiden zur Em­pörerin geschmiedet, in den Kampf getrieben wird. Sie fühlte sich durchaus als Angehörige des honetten Bürgerthums", das in wirth­schaftlich günstigen Verhältnissen lebte, den Bestand der feudalen Gesell­schaftsordnung mit ihren Vorrechten des Adels und der Geistlichkeit und ihren Zunftschranken als Hinderniß empfand seines weiteren wirthschaftlichen Aufschwungs und seiner sozialpolitischen Gleichberech tigung mit den beiden oberen Ständen, denen es sich an wirthschaft licher Bedeutung und geistig und sittlich überlegen fühlte. ,, Volk" war für sie ein abstrakter Begriff, der vor der Wirklichkeit wie eine Seifenblase zerplatte, wenn die Gegensätze zwischen den Interessen der arbeitenden Masse und denen der Bourgeoisie hervor­traten. Sobald dies der Fall war, verstand auch Madame Roland  unter dem Volk" nur noch das durch Besitz und Bildung einfluß­reiche Bürgerthum, die arbeitende Masse dagegen, welche sie eben noch wegen ihres Eingreifens in die Kämpfe gegen das absolute König­thum überschwenglich verherrlicht hatte, wurde dann zum mord­lüsternen Pöbel" von Paris  .

Das

Nicht daß Madame Roland   den Leiden der Armen gleichgiltig gegenüber gestanden hätte, sie besaß aber kein Verständniß für die Ursuchen des Volkselends. Sie meinte, es könne beseitigt werden durch eine papierne Verfassung und durch mit gönnerhaftem Wohl­wollen gespendete Wohlthaten" der Bourgeoisie. Die Ungleichheit der Stände nach oben erschien ihr empörend, die Ungleichheit zwischen Besitzenden und Besitzlosen nach unten kam ihr gar nicht recht zum Bewußtsein. Sie lebte in dem Wahne, daß die Erklärung der Menschen­

Abu- Halfan.

Ein Märchen aus dem Russischen.

( Schluß.)

Sie flogen weiter. Und ein neues Bild erschien ihnen. In einem trüben, grauen Nebel breitete sich eine weite Ebene aus, eintönig, flach, von Sümpfen durchzogen. Ein fleines, sich wenig über den Erdboden erhebendes Dörfchen lag wie versteckt zwischen den Sümpfen und unter altersschwachen, schiefstehenden Weiden und dünnäftigen, verkümmerten Birken. Hassan sah, wie in diesem Dörfchen Menschen herumgingen, die bleich waren, frank und auf gedunsen, und große Kröpfe hatten. Sie wandelten wie im Traum, oder fie fielen hin und starben wie die Fliegen im Herbst. Hassan sah, wie Särge zum Friedhof unter den dünnästigen, verkümmerten Birken getragen und gefahren wurden, und er hörte, wie Mütter und Frauen, die diese Särge begleiteten, weinten und klagten. Er sah, wie im Straßenkoth Betrunkene lagen, den Schweinen gleich im Moraste, und fest wie Todte schliefen.

,, Leiden, schweres Leiden bedrückt diese Menschen", sagte der Engel des Leids." Sie wandeln durch dunkle, enge, frumme Gaffen, bis die Noth sie auf die große, gerade Straße hinaus führt, auf den breiten, hellen Weg. Aber nicht viele von ihnen Aber nicht viele von ihnen werden sich hinausfinden. Es sterben die Schwachen und Armen an Geist und Körper. Es bleiben nur die Starken übrig, die reich sind an Sinn und Geist."

Und der Engel des Leids winkte mit der Hand. Da änderte sich plötzlich das Bild vollständig. Keine Spur mehr von einem Sumpf. Jumitten eines blühenden Thals, das mit Fruchtgärten und üppigen Getreidefeldern bedeckt war, stand eine große, schöne Stadt. Eisenbahnen führten zu ihr, Fabriken standen in großer

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und Bürgerrechte, daß die Aufhebung der Ständeunterschiede und Zunftbestimmungen alle soziale Ungleichheit verwischen und der besitz­losen Menge Brot und Wohlergehen schaffen müsse. Wenn die noth­leidende Masse eine drohende Haltung einnahm oder sich erhob, um Brot, bessere Arbeitsbedingungen, Abschaffung des indirekten Wahl­systems 2c. zu fordern, so sah Madame Roland   darin nur die Folge , demagogischer Heßereien." Und wenn die Kommune von Paris  , wenn im Nationalkonvent die Bergpartei zur Linderung der Noth und behufs Abwehr der inneren Feinde der Republik   durch zum Theil revolutionäre Maßregeln das bürgerliche Eigenthum antaſtete, so war dies nach ihrer Auffassung eitel Unordnung und demagogisches Getriebe, veranlaßt durch den Ehrgeiz der Führer der Bergpartei.

"

So war es nicht zufällig, sondern naturnothwendig, daß sich Madame Roland   der Gironde   anschloß. Denn in dieser Partei war die nämliche Auffassung der Verhältnisse maßgebend, denn diese Partei vertrat die Interessen der Bourgeoisie. So war es aber auch natür­lich, daß Madame Roland   in ihren Ueberzeugungen und ihrer Hal­tung gemäßigter wurde, je mehr im Laufe der Revolution die im Schooße des dritten Standes schlummernden Gegensätze schärfer her­vortraten zwischen der Bourgeoisie einerseits und der arbeitenden Masse andererseits, und je mehr sich die letztere durch ihr revolutionäres Eingreifen in die Ereignisse gewisse Konzessionen erzwang und von den Besitzenden als begehrlich" gefürchtet ward.

In den ersten Zeiten nach Madame Roland's   Uebersiedlung nach Paris   machten sich diese Gegensätze noch nicht so fühlbar. Noch stand der Kampf gegen die Feudalordnung und das absolute König­thum in dem Vordergrund, noch bedurfte die eigentliche Bourgeoisie des revolutionären Eingreifens der arbeitenden Bevölkerung zumal derjenigen von Paris   in diesen Kampf. Die Gegensätze zwischen der Gironde  "*, als der Partei des honetten Bürgerthums, und dem Berg  "**, als der Partei des Kleinbürgerthums und der Arbeiter, hatten sich noch nicht zu jenem erbitterten Ringen zugespitzt, welches mit der Vernichtung der Girondisten seinen Abschluß fand. In Ro­land's Hause verkehrten deshalb anfangs nicht blos die hervorragend­sten Mitglieder der Gironde  , sondern auch die Führer der Bergpartei, schroffer werdende Scheidung zwischen Girondisten   und Montagnards Robespierre  , Danton u. a. m. Nach und nach trat jedoch eine immer ( Anhängern des" Bergs") ein und das Roland'sche Haus blieb nur der Sammelpunkt der ersteren.

* Die Partei erhielt ihren Namen nach dem Departement der Gironde  , weil ihre bedeutendsten Vertreter aus diesem stammten.

** Die Partei wurde der Berg" genannt, weil ihre Mitglieder in den Nationalversammlungen die höchsten Sitze einnahmen.

Zahl rund herum, und Rauch entstieg den hohen Fabrikschloten. Man hörte Stimmgewirr, und rasch pulsirendes Leben brauste und tofte machtvoll da unten.

" Allah  , Allah!" sprach Hassan, wie konnte denn das kleine Dörfchen sich in diese große Stadt verwandeln?..."

"

Noth gebiert Leiden", sagte der Engel des Leids, Leiden bringt Wissen, und das Wissen führt den Menschen vorwärts. Noth lehrt Alles!"

Aber warum denn", fragte Hassan, kommen aus diesen mit den hohen Schornsteinen versehenen großen Häusern, von denen das starke Hämmern und Pochen zu uns herübertönt, Leute, die so bleich und abgezehrt sind? Und die Frauen, welche heraus­kommen, warum weinen sie denn? Und die Kinder, warum find sie so mager, warum gehen sie mit gesenktem Haupte einher?"

Aber der Engel des Leids antwortete nichts. Er flog schwei­gend weiter und Hassan ihm nach.

Längst schon war die lärmende Stadt verschwunden, und noch immer flogen sie vorwärts. In mächtigen Wellen fluthete vor ihnen graues, düsteres Dunkel. ihnen graues, düsteres Dunkel. Ab und zu fegte ein Windstoß darüber hin, zerriß die schwer lastenden kalten Nebel und trug einzelne Feßen von ihnen hinweg. Dann tauchten hier und da in den hellen Stellen ganze Schaaren auf von schrecklichen, schwarzen Gespenstern. In Haufen, wie Ameisen, wimmelten sie durcheinander, sie bewegten die Hände, drängten sich bald nach einem, bald nach einem anderen Ort, dabei einander stoßend und zu Boden werfend. Ein dumpfes, unaufhörliches Brausen tönte von ihnen zu Hassan herüber.

Stärker, in gewaltigeren Stößen blies der Wind, er wurde zu einem Sturm, der heulte und stöhnte, wie rasend die Nebel­wellen peitschte, aufwühlte und sie in weite Ferne jagte. Ein un­absehbarer Raum breitete sich vor Hassan aus, ein Raum, der er­