Nr. 3 der ,, Gleichheit" gelangt am 7. Februar 1894 zur Ausgabe.

Augen, so daß sie das verrottete System erkennen, das in Desterreich herrscht, und sich zusammenschließen, um endlich, endlich den Feinden des Volkes und seiner Befreiung die Rechnung zu präsentiren.+++

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Im Anschluß an die obenstehende Korrespondenz lassen wir die Ausführungen folgen, welche unser ausgezeichnetes österreichisches Bruderorgan, die Wiener   Arbeiter- Zeitung  " zur Verurtheilung der Genossin Glas machte. Diese Ausführungen charakterisiren in licht­voller Weise die Bedingungen, unter denen unsere österreichischen Genossinnen zu kämpfen haben. Sie lauten: Herr Ritter von Hol­zinger hat seiner Karrière wieder einmal einen Justizmord geleistet. Die Verurtheilung der Genossin Glas ist ein neuer Stoß, welchen dieser Herr der Rechtssicherheit in Desterreich versetzt. Er hat es bereits zu Wege gebracht, daß das Vertrauen in die Justiz nicht etwa nur bei den Arbeitern, sondern bei allen Klassen der Bevölkerung im raschen Schwinden begriffen ist, daß Jedermann weiß, daß ein politi­scher Prozeß, bei dem Holzinger präsidirt, entschieden ist, bevor die Verhandlung begonnen.

Es muß einmal offen herausgesagt werden, wer dieser Holzinger ist, da es scheint, daß es in maßgebenden Kreisen unbekannt ist, was die wohlunterichtete öffentliche Meinung über ihn urtheilt. O, wir wissen, der Mann hat Verdienste: er hat als Präsident des Ausnahms­gerichtshofes mit kaltblütiger Grausamkeit das Verurtheilungsgeschäft besorgt und dabei den Lockspitzeleien des Frankl die Mauer gemacht; er hat den verhaßten Schönerer zu Fall gebracht, indem er dessen dummen Streich zu einem Verbrechen umurtheilte; er versteht es vor­trefflich, heifle Prozesse diskret" zu führen; er ist überhaupt ein Beamter, der brauchbar, zu Allem brauchbar ist.

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Aber ist denn wirklich das Interesse des Staates, daß unbequeme Menschen beseitigt werden, so groß, daß ihm selbst um den Preis der schwersten Verletzung des öffentlichen Rechtsgefühls genügen muß? Meint man die Sicherheit des Staates wirklich zu fördern, wenn an Stelle der Ehrfurcht vor dem Richter die Furcht vor dem Henker tritt??

Der Fall Glas ist nicht der schwerste, der auf dem Gewissen Holzinger's lasten würde, wenn er eines hätte. Aber dieser Fall zeichnet sich aus durch die seltene Klarheit und objektive Gewißheit der Unschuld der Verurtheilten und durch die kalte Rohheit des Ur­theils. Die Sozialdemokraten heulen nicht, wenn sie verurtheilt werden, wo sie im Bewußtsein ihres guten Rechtes irgend einen Paragraphen des Gesetzes übertreten haben, was oft nicht zu vermeiden ist; und wenn einer von uns aus Unvorsichtigkeit etwa oder gar aus Renom­misterei sich Abstrafungen zuzieht, so erfährt weit eher er Tadel aus den Neihen der Genossen als der Richter, der seiner Amtspflicht, wie wir sehr wohl wissen, rücksichtslos genügen muß. Wenn aber, wie im Falle der Genossin Glas, die Unschuld auf der Hand liegt, ein Schuldbeweis nicht einmal dem voreingenommensten Richter glaubhaft sein kann, wenn der Richter nicht seiner wenn auch noch so harten Amtspflicht, sondern lediglich seinem Bedürfniß nach Befriedigung der Grausamkeit und nach Karrière   genügt, dann muß Jedermann empört aufschreien.

Gegen die Genossin Glas zeugte eine Relation, die eingestandener maßen von zwei Polizisten nach der Versammlung zusammengeflickt worden. Nur einer dieser Polizei- Kommissäre behauptet den inkrimi­nirten Satz gehört zu haben; der zweite weiß nur, daß die zwei Worte Erzherzöge  " und" Herz" gefallen sind, aber er kann den Zu­sammenhang nicht angeben. Dieser Zusammenhang wurde ganz un­gezwungen und sinngemäß von der Angeklagten hergestellt, während der inkriminirte Satz an dieser Stelle geradezu sinnlos wäre. Drei weitere Zeugen konstatirten, daß jener Satz nicht gesprochen wurde

trotzdem Verurtheilung, trotzdem vier Monate Kerker für ein harmloses Mädchen von zwanzig Jahren, eine Strafe, die eine em­pörende Rohheit wäre, selbst wenn der verbrecherische Satz von ihr wirklich gesprochen worden wäre.

Genossin Glas hat aber jenen Satz nicht gesprochen; sie wurde unschuldig verurtheilt, und Herr Holzinger weiß, daß er eine Unschul­dige verurtheilt hat.

Das Obergericht wird dieses Urtheil kassiren, denn Dutzende von Zeugen stehen zur Verfügung, die zu beeiden in der Lage sind, daß jener Satz in der That nicht gesprochen wurde.

Verurtheilt aber bleibt unter allen Umständen Herr Holzinger;

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sich auf zur Selbstverachtung und sie folgen ihm nach. Der Name Holzinger bedeutet für die österreichische Justiz die Herrschaft der glatten Routine und des brutalen Zynismus. Wir meinen, daß es hohe Zeit sei, daß das auch öffentlich ausgesprochen werde, was seit längst Alle wissen, die sich um die Rechtspflege in Desterreich fümmern."

Dleg' Dein Dhr aus Herz der Welt!

Von Maurire R. v. Stein.

Oleg' Dein Ohr ans Herz der Welt Und lausche auf sein Klopfen! Horch, wenn Gewitterregen fällt, Ist's nicht wie Thränentropfen?!

It's nicht, wenn leis ein Windhauch streift Durch die entlaubten Bäume,

Als wenn ein Schmerzensseufzer greift Die Harfe Deiner Träume?!

Oleg' Dein Ohr ans Herz der Welt! Hörst Du ein banges Schlagen? Hörst dringen Du ans Sternenzelt Der Menschheit laute Klagen?

Ist's nicht, wenn ferner Donner rollt Hin über Bergesspitzen,

Als wenn der Geist der Menschheit grollt; Wann wird es endlich blitzen?

Oleg' Dein Ohr ans Herz der Welt! Schau, es will Frühling werden! Horch, wie es flingt durch Wald und Feld, Horch, wie es jauchzt auf Erden!

Ist's, wenn der Lenz den Einzug hält Mit seinen Jubelchören,

Nicht auch, als wär' in aller Welt

Ein Freiheitslied zu hören?

Oleg' Dein Ohr ans Herz der Welt! Hörst Du es fiebernd pochen?

Der Alp, der sie gefangen hält, Einst wird er doch gebrochen!

Einst wird man noch in Sturm und Wind Den Melodien lauschen,

Die groß und allgewaltig sind, Gleich wie des Meeres Rauschen.

Kleine Nachrichten.

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Ein neuer Vers zum alten Lied von der Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft. In den Wäschereien und Plättereien zu Kiel   sind die schamlosesten Arbeitsverhältnisse die Regel. In einer Wäsch- und Plättanstalt in der Brunswick müssen die Arbeiterinnen von früh 6 bis Nachts 12 Uhr schaffen, also 18 Stunden pro Tag. Die gesetzlich bestimmte Frühstücks-, Mittags- und Vesperpause wird so und so oft nicht eingehalten. An Sonn- und Festtagen muß gearbeitet werden. Die durch­schnittliche Arbeitszeit stellt sich pro Woche auf 110-120 Stunden. Der Lohn für diese übermäßige, unmenschliche Arbeit beträgt wöchent­lich 5-12 Mark ohne Beköftigung oder 1-4 Mark mit Be­köftigung. Wir enthalten uns jedes Kommentars, denn es würde nur die Wucht der für sich selbst sprechenden Thatsachen abschwächen.

An die Parteigenossinnen und Parteigenossen in Schlesien  .

Der ihr zugegangenen Aufforderung entsprechend, sendet die Ber­ liner   Frauen- Agitations- Kommission Anfangs Februar eine Referentin nach verschiedenen Orten Schlesiens. Die erste der geplanten Ver­sammlungen findet am 4. Februar in Sagan statt. Um nun die Agitationstour von vornherein mit möglichster Ersparniß an Zeit und Kosten organisiren zu können, ersucht die Kommission die Genossinnen und Genossen der schlesischen Orte, wo eine Referentin gewünscht wird, sich unverzüglich und jedenfalls vor dem angegebenen Datum mit ihr ins Einvernehmen zu setzen.

Mit sozialdemokratischem Gruß

Die Frauen- Agitations- Kommission zu Berlin  . Zuschriften sind zu richten an

Quiffung.

geschädigt bleibt die Rechtssicherheit der Staatsbürger und die Achtung Frau Wengels, Fruchtstraße 30, Quergebäude, 2 Treppen, Berlin   0. vor der Justiz in Desterreich. Das Unheil, das ein Richter" wie Holzinger anrichtet, beschränkt sich keineswegs auf die Opfer seiner eigenen Urtheile. Er steigt unaushaltsam empor auf der Rangleiter und darum macht er Schule. Seine Kollegen wissen, was sie von ihm zu halten haben, aber sie wollen vorwärts kommen; sie beißen die Zähne zusammen, sie schlucken die Verachtung hinunter; sie schwingen

furter

Zu Agitationszwecken durch die Genoffin Ihrer von den Frank­Genossinnen 10 Mark erhalten zu haben, bescheinigt dankend Die Berliner   Frauen- Agitations- Kommission.

Berantwortlich für die Nedaktion: Fr Klara Zetkin  ( Eißner) in Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Dieg in Stuttgart  .