"
heit ihres Unterhalts zu sorgen haben, da sie außerdem täglich in außerordentlich eleganten und oft wechselnden Toiletten erscheinen müssen, so liegt es auf der Hand, daß sie auf die Prostitution als einen Nebenerwerb, wenn nicht als den Haupterwerb angewiesen sind. Abends vor 10 Uhr, wo in den Nachtcafé's noch wenig von dem regen Leben und Treiben zu spüren ist, das etliche Stunden später dort herrscht, beschäftigen sich die Unterhaltungsdamen" gewöhnlich mit Hausarbeiten, die unentgeltlich für die Frau des Prinzipals gefertigt werden müssen. Gegen Mitternacht aber, wenn sich die gewohnheitsmäßigen Besucher der Nachtcafés einfinden, beginnt ihre eigent liche Thätigkeit. Sie müssen dann die abgespannten, blasirten, oft halb oder ganz betrunkenen Lebemänner angenehm und heiter unterhalten; Hauptzweck ihrer Unterhaltung ist natürlich, einen möglichst umfangreichen Konsum von theuern Getränken zu veranlassen. Mit welchen Mitteln sie das erreichen, darnach fragt der Wirth nichts, er fragt nur nach seinem Profit.
"
Wer gegen das Treiben der Nachtcafés noch nicht abgeſtumpft ist, wer sich noch einen Funken menschliches Gefühl bewahrt hat, der wird von Ekel und Mitleid zugleich ergriffen, wenn er sieht, wie sich die ,, Unterhaltungsdamen" den Gästen aufdrängen, wie sie einander an zudringlicher, frecher Liebenswürdigkeit", an zynischen Wizen zu überbieten suchen, wie sie zusammen mit den Besuchern und auf deren Kosten zechen. Es thut nichts, wenn auch der Magen schon längst überfüllt ist: eine„ Unterhaltungsdame" muß im finanziellen Interesse ihres Chefs die auf den Leim gegangenen Wurzen " festhalten, auch wenn ihre Gesundheit ebenso wie ihre Ehre dabei Schiffbruch leidet. Wie bitterer Hohn nimmt es sich angesichts dieser Verhältnisse aus, daß die Nachtcafés behufs Verhinderung„ unsittlicher Vorkommnisse" durchwegs von einem Polizeibeamten überwacht werden.
"
Gewiß, nicht die Lage aller Wiener Cafémädchen ist so kraß elend und entwürdigend wie diejenige der„ Unterhaltungsdamen". Aber im Allgemeinen unterscheidet sie sich doch meist blos durch die Form und den Grad des Elends und der Entwürdigung von ihr, aber nicht dem Wesen nach. Wie die Kellnerinnen, so ist auch das gesammte in den Caféhäusern bedienstete weibliche Personal der steten Gefahr ausgesetzt, durch ganz unzureichende Entlohnung, die in Folge von übermäßiger Toilettenausgaben noch unzureichender wird, und durch die reichlich und täglich herantretende Verführung allmälig der Prostitution zu verfallen, vorausgesetzt, daß der Herr Prinzipal und die Frau Prinzipalin die unglückseligen Mädchen nicht direkt dem Dirnenthum überliefern. Dazu bringt der Beruf als Cafémädchen schwerwiegende gesundheitliche Schädigungen mit sich. Die bis spät in die Nacht hinein, ja bis zum frühen Morgen ausgedehnte Arbeitszeit, die Unregelmäßigkeit, das Widernatürliche der Lebensweise untergraben meist in furzer Zeit auch die robusteste Gesundheit. Der fortgesetzte Genuß von aufregenden Getränken, die eventuellen Zechgelage tragen das Ihrige dazu bei, zerrütten das Nervensystem, erzeugen Magenkatarrh und Magenerweiterung. Auch das blühendste junge Mädchen wird in der Regel durch eine mehrjährige Thätigkeit in einem Caféhause zu einem früh alternden, welken, kränklichen Geschöpf. Der Wirth, der sein Geschäft versteht, pflegt deshalb gewöhnlich sehr oft mit seinem weiblichen Personal zu wechseln; neue, reizvolle Erscheinungen sollen ein stetes Zuströmen von Gästen bewirken.
191
Soll hier Wandel geschafft werden und er muß geschafft werden, so ist ein festes Eingreifen der Gesetzgebung erforderlich. Wie für die Kellnerinnen, so muß auch für die Cafémädchen das Gesetz eine Marimalarbeitszeit festlegen, die Nachtarbeit beschränken, bezw. ganz verbieten, die Gewährung von bestimmten Ruhepausen und Ruhetagen festsetzen, ferner zur Regel machen, daß die Angestellten von dem Geschäftsinhaber mit einem bestimmten, feststehenden Gehalt entlohnt werden, anstatt daß sie auf die Trinkgelder und Provisionen. vom Verzehr der Gäste angewiesen sind. Indem das Gesetz Kellne rinnen und Cafémädchen in ihren Arbeits- und Erwerbsverhältnissen auf eine Stufe mit der übrigen Arbeiterschaft stellt, werden sich diese nach und nach in ihren gesammten Lebensverhältnissen aus dem Lumpenproletariat in das Lohnproletariat erheben. Freilich wird das Eingreifen der Gesetzgebung zu Gunsten der bedauernswerthen Mädchen nur in dem Maße erfolgen, als die politisch und gewerkschaftlich organisirte und fämpfende Arbeiterklasse ausschlaggebenden Einfluß auf die Staatsmaschinerie gewinnt. Die bürgerlichen Gesetzgeber sind erfüllt von zarter, ehrfurchtsvoller Rücksicht auf den Beutel des Kneipiers und Cafébesitzers, der vielleicht wegen Kuppelei das Zuchthaus mit dem Aermel streift. Die Gesundheit, die Sittlichkeit, die Menschenwürde vieler Hunderte, ja Tausender von armen Mädchen ist ihnen dagegen Hekuba . Franz Lill.
-
* Wiener Ausdruck für einen Gast, der sich ordentlich ausbeuten läßt.
Altes und Neues von der Proletarierkrankheit.
-
Die Lungenschwindsucht, die Proletarierkrankheit par excellence, ist eine der häufigsten Todesursachen: zwei Siebentel aller Todesfälle kommen auf Rechnung dieses furchtbaren Leidens. Die Angehörigen gewisser Berufsarten stellen die größte Anzahl Schwindsüchtiger. Allbekannt ist es, daß besonders viel Steinarbeiter, Steinmetzen der Tuberfulose zum Opfer fallen, da sie am meisten der Einathmung des äußerst schädlichen Steinstaubes ausgesetzt sind. – Peacock war der Erste, welcher im Jahre 1860 durch die mikroskopische Untersuchung der Quarztörnchen in der Lungénasche den bestimmten Nachweis lieferte von dem Vorhandensein eingelagerter Steinmoleküle( kleine Theilchen) in der Lunge. Er stellte auch fest, daß von den Arbeitern einer Londoner Fabrik volle 40 Prozent an Schwindsucht gestorben seien, und daß von 41 Arbeitern, von denen die Hälfte bei der Aufnahme der betreffenden Beschäftigung nicht über zwanzig Jahre alt war, das Durchschnittsalter beim Tode nur vierundzwanzig Jahre betrug!
Nach Hirt* tamen in einem schlesischen Städtchen, in dem jährlich zirka 500 Glasschleifer arbeiten, in einem Zeitraume von sieben Jahren nicht weniger als 135 Todesfälle von Glasschleifern vor, die zum weitaus größten Theile der Lungenschwindsucht erlegen waren. Lewin fand dieselben ungünstigen Verhältnisse bei den Berliner Steinarbeitern, welche fast sämmtlich nach dem 30. Lebensjahre zu husten beginnen und schwindsüchtig werden. Den Betreffenden selbst ist so gut bekannt, welches Schicksal in der Beziehung ihrer wartet, daß sie, wenn man sie in jüngeren Jahren fragt, ob sie husten, regelmäßig die charakteristische Antwort geben:„ Nein, noch nicht!"
Wenn auch nicht gleich verderblich, so doch ungünstig genug liegen die Verhältnisse für die Arbeiter, welche während ihrer Beschäftigung Metallstaub einathmen. Von 100 erkrankten Feilenhauern leiden nicht weniger als 62 Prozent an Lungenschwindsucht.
Oldendorff hat berechnet, daß die Metallschleifer des Kreises Solingen ein durchschnittliches Lebensalter von 39,4 Jahren aufweisen und daß 25 Prozent der Leute, welche die durchschnittliche Altersgrenze erreichen, an Husten, beziehungweise an Bluthusten leiden. In England heißt eine Krankheit, welche zumeist unter den Nagelschmieden verbreitet ist,„ Nailer's Consumption"( Nagelschmied- Verzehrung), und ist nichts Anderes wie Lungenschwindsucht, erzeugt durch das Einathmen von Metallstaub. Nach Angaben von Sternberg starben von 100 Nagelschmieden 80 vor dem fünfundfünfzigsten Lebensjahr. Reves hat unter 135 Nagelschmieden nur einen Einzigen gefunden, welcher sich einer ganz gesunden Lunge zu erfreuen hatte!
Auffallend ist es, daß unter den Kohlenarbeitern im Verhältniß zu der staubreichen Beschäftigung weniger Fälle von Lungenschwindsucht beobachtet werden. Einige Forscher glaubten sogar, daß der Steinkohlenstaub ein Schutz- und Hilfsmittel gegen Brustkrankheiten sei. So Racine, Hirt, Freud. Nach Dr. M. Mendelsohn, dessen einschlägiger Arbeit ich die Daten entnehme, begeben sich in Sheffield die Metallschleifer, welche von der Tuberkulose furchtbar heimgesucht werden, allabendlich nach der Arbeit in mit Kohlenstaub erfüllte Luft, um sich gegen die Schwindsucht zu schützen. Leider ist jedoch in Wirklichkeit der Kohlenstaub nicht heilkräftig, wenn er auch nicht so gesundheitsschädlich ist, wie Stein- oder Metallstaub.
Arbeiter in Tabakfabriken und solche, die mit Baumwolle hantiren, liefern einen großen Prozentsatz der Zungenkranken. 25 Prozent der Todesfälle von Baumwollarbeitern und Arbeiterinnen in den schlesischen Bezirken sind auf Rechnung der Lungenschwindsucht zu setzen. Ein großer Prozentsatz der Flachsarbeiter stirbt nach Delacherois Pordon an der Schwindsucht. Holzstaub scheint dieselbe verhängnißvolle Wirkung hervorzurufen; nach Michel ist in Laubsägefabriken die Lungenschwindsucht besonders häufig beobachtet worden.
Ein kolossales Kontingent der Schwindsüchtigen stellen alljährlich auch die Schriftsetzer und Schriftgießer. Ihre Gesundheit wird von dem Bleistaub um so mörderischer beeinflußt, als sie meist in Lokalitäten arbeiten, die in hygienischer Hinsicht unendlich zu wünschen lassen. Unter der Arbeiterschaft der Hausindustrie, welche zumeist in engen, höchst ungesunden Wohnräumen, bei unendlich ausgedehnter Arbeitszeit betrieben wird, grassirt die Tuberkulose in erschreckendem Maße. Die Arbeiter und in noch größerer Anzahl die Arbeiterinnen, sind hier in schlecht ventilirten Räumen zusammengepfercht, sie sitzen meist mit vornübergebeugtem Kopf und zusammengepreßtem Brustkorb bei ihrer Beschäftigung. Da ist es den Athmungsorganen nicht möglich, genügend frische Luft zu fassen, sie behalten solche Luft zurück, welche den Sauerstoff schon abgegeben und dafür fohlensäure- und ammoniak