sammlungen sprach, mußten die Frauen dieselben verlassen. In Herne  weigerten sich die Frauen, dem ungesetzlichen Verbot Folge zu leisten. In Huckarde ward die Versammlung noch vor der Weigerung der Frauen aufgelöst, der Aufforderung zum Verlassen des Saales nach­zukommen. Offenbar war der Ueberwachende mit der Gabe des Gedankenlesens begnadet. Das Vorgehen der Behörden muß um so mehr auffallen, als sie früher gegen Frauenversammlungen und die Anwesenheit von Frauen in öffentlichen Versammlungen nichts ein­zuwenden hatten, ferner aber ganz besonders deswegen, weil die beliebten Maßregeln sich nicht durch den Gesetzestext rechtfertigen lassen. Das Gesetz wider denUmsturz" wirft seine Schatten voraus, und am tiefsten und kältesten fallen dieselben auf die proletarische Frauenbewegung. Wohl, wohl! Die proletarische Frauenbewegung wird auf die Reaktion durch verdoppelten Eifer im Klassenkampfe antworten. Die aufflammende Morgenröthe   einer neuen Zeit kann mit dem Löschhütchen polizeilicher Kniffeleien nicht ausgeblasen werden. Unsere Genossin Eichhorn in Dresden   und drei Genossen wurden erst laut polizeilicher Verfügung und dann auf eingelegte Berufung laut richterlicher Erkenntniß zu je 20 Mark Buße ver- urtheilt, weil sie o schwarze That, o That voll Grauen bei der Lassallefeier den Sozialistenmarsch gesungen haben sollen. Dieses schweren Umsturzfrevels wurden die Attentäter überführt durch das Zeugniß der Kriminalgendarmen, welche eigenäugig sahen, daß die Beklagten  mit den Lippen wackelten". Die Bestraften fahren offenbar eines Tages mit einer Empfehlung zur geneigten Verwendung als Posaunenengel des jüngsten Gerichts zur Grube. Denn wenn ihr bloßesLippenwackeln" von so erschütternder Wirkung ist, daß es im Interesse der Sicherheit des sächsischen Staates nicht geduldet werden kann, so muß ihr Posaunenblasen jedenfalls die harthörigsten Todten erwecken und die zerstreutesten Gebeine zum Appell versammeln. DerHut" im Reichstage/ Bekanntlich erkühnten sich sozialdemokratische Vertreter im Reichs­tag frei nach Tell dem frei nach Geßler erhöhtenHut" die Reverenz zu versagen. Sie blieben bei einem Hoch auf den Kaiser sitzen, statt die den deutschen bürgerlichen Politikern eigenthümliche Ausdrucks- * Wegen Raummangels verspätet. fähigkeit der Stelle ihres Körpers zu bekunden, wo der Rücken seinen salonfähigen Namen verliert und die Beine herauszuwachsen pflegen. Ihre Haltung war die selbstverständliche Aeußernng einer seitens von Sozialdemokraten selbstverständlichen politischen Ueberzeugung gegen­über dem monarchischen Prinzip und seinem augenblicklichen Träger im Deutschen Reiche. Gerade deshalb aber entfesselte sie einen wüsten Entrüstungsrummel der bürgerlichen Politiker, deren politische Ueber­zeugung schon seit langem den entsprechenden Preis voraus­gesetzt die Ueberzeugungslosigkeit geworden ist. die sich von 1848er Ferschtekillern" undJdealrepublikanern" zuVernunftmonarchisten" undseiner Majestät allergetreuesten Opposition" entwickelt haben. Begierig ergriffen die Herren die billige Gelegenheit, darzuthun, daß im deutschen Bürgerthum an die Stelle vonMännerstolz vor Königs­thronen" die von Heine so bitter charakterisirte brünstige Sehnsucht nach dem Hundeschwanz zum Wedeln getreten ist. Und die politische Verlumptheit der deutschen Kapitalistenklasse brandmarkte sich selbst, sie weiß nicht wie, als der Präsident des Reichstages unter dem tobenden Beifall aller bürgerlichen Abgeordneten erklärte:Die Hal­tung der Sozialdemokraten entspräche nicht der Sitte deutscher Männer". Gesinnungslose Heuchelei, konventionelle Höflichkeits­grimasse ist also eingestandenermaßen die Sitte deutscher Männer allerdings nur, wenn diese M amelucken Bein vom Bein und Fleisch vom Fleisch der deutschen Kapitalistenklasse sind. Soweit würde dem Vorgang keine besondere Bedeutung zukommen. Ein Beleg mehr dafür, daß das jugendfrische deutsche Proletariat der Träger der politischen Ideale geworden ist, welche die Bourgeoisie früher an­betete, und die sie jetzt verbrennt, ein Zug mehr von der politischen und moralischen Greisenhaftigkeit der bürgerlichen Parteien, nichts weiter. Allein die Regierung ließ sich angelegen sein, den Vorgang zum Ausgangspunkt einer ultrareaktionären Haupt- und Staatsaktion zu inachen. Von dem Erfahrungssatz geleitet:Du sollst dem Hunde den Maulkorb anlegen, so lange er wedelt", nutzte sie den geäußerten Hyperbyzantinismus der Reichstagsmajorität aus zu einem Hand­streich gegen die Immunität(Unverletzlichkeit) der Volksvertretung. Dem Reichstag ging das staatsanwaltliche Ansuchen zu, seine Ge­nehmigung zu der strafrechtlichen Verfolgung des Abgeordneten Lieb­knecht wegen Majestätsbeleidigung zu ertheilen. Genosse Liebknecht Sylvesternacht  . Von Ria Classrn. Da stand er im Dunkeln vor der Thür des kleinen, freund­lichen Hauses, die sich eben hinter ihm geschlossen hatte, und starrte mit gerecktem Halse in die erleuchteten Fenster, hinter denen der Tisch zum Sylvestermahl gedeckt wurde, während das Feuer im Kamin lustig auf« und nicdertanzte. Was sollte er nun an­fangen? Man hatte ihm Brot und Kuchen und den Bescheid gegeben, daß der Verwandte, den er suchte, vor Kurzem aus der Gegend fort und Weiler nach dem Süden zu gezogen sei wo­hin, wußte man nicht genau. Da stand er nun allein, ohne eine bekannte Seele, in einer fremden Gegend, und der letzte Rest der Barschaft verausgabt für die Reise hierher. Was sollte er nun anfangen? Er war alt genug, um für sich selbst sorgen zu können; aber er war zu schwach für schwere körperliche Arbeit und hatte zu wenig gelernt, um damit sein Brot zu verdienen. Er blickte sich um. Die winterliche Ebene sah trostlos einsam aus, und die Lichter aus den Fischerhäusern im Dorf blitzten so kalt und abweisend zu ihm herüber! Mein Gott! wie entsetzlich allein er doch war! Warum hatte seine Mutter ihn durchaus hier haben wollen? Es war ihr letzter Wunsch vor dem Tode gewesen. Sie fürchtete für ihn allein in der großen Stadt, hatte sie gesagt. Aber dort kannte er doch die Straßen und viele Gesichter auf den Straßen, während hier. Vor einem Jahre da hatte sie noch gelebt, und wenn sie auch selten zärtlich und liebevoll zu ihm ge­wesen war, so war doch ein Mensch dagewesen, an den er sich halten konnte. Er war der Fluch ihres Lebens gewesen, um seinetwillen war sie von all' ihren Verwandten und Freunden ver­stoßen und von den Anderen verachtet worden! Er hatte das Drückende dieses Bewußtseins immer mit sich herumgetragen. Aber sie hatte ihn doch geschont und ihn lesen und lernen lassen, so viel sie vermochte; sie hatte ihn doch geliebt, ja geliebt! Jetzt liebte ihn Keiner mehr. Er faßte in jähem Angstgefühl an seinen Kopf, der glühend heiß war, die Anstrengungen und Ent­behrungen der letzten Tage hatten seine Kräfte erschöpft. Dann lief er plötzlich fort, auf das Dorf zu. Er kletterte die kleine buschbesäumte Vor-Düne herauf und stand vor dem weiten, grauen, eisbedeckten Haff. Die dunkeln Wolken hingen am Horizont schwer auf das Eis nieder; wie Mauern und Thürme stiegen sie massig am Himmel auf und schienen ganz nahe zu sein in dem schwachen, wolkengedämpften Mondlicht.Das Schloß des Wolkenkönigs!" flüsterte er vor sich hin. Und heute war Sylvester! Das alte Jahr zog heute fort von der Erde; man sah es fliegen und dann verschwand es in dem Schloß des Wolkenkönigs! Wer doch mit ihm ziehen könnte! Der Wolken­könig und seine Unterthanen, die Wolken, die waren seine guten, alten Bekannten: auf der Erde hatte er Niemand und Niemand kümmerte sich dort um ihn Niemand liebte ihn dort. Er setzte den Fuß auf das Eis und eilte vorwärts. Er wollte gar keine Lichter hinter sich sehen, sie leuchteten ja doch nicht für ihn. Er wollte versuchen, den Wolken näher zu kommen. Sein Kopf brannte, und sein Athem ging schwer, während ihm Füße und Hände vor Frost schmerzten. Er mußte sich hüten vor den klaffenden Spalten, die das Eis aufgerissen hatten. Sie waren theilweise mit Schnee ausgefüllt. Dann sank sein Fuß tief ein, und er glaubte das Wasser unten brodeln und gurgeln zu hören. Plötzlich wandte er sich um. Barmherziger Gott! wo war er? Da war kein Licht und kein Ufer mehr zu sehen, nur die unbewegliche graue Eisfläche, über die der feine Schnee im Winde trieb, und die dunkeln, schweren Wolken am Horizont. Er schrie auf vor Entsetzen, vor dem Entsetzen der völligen, tobten, grenzen­losen Einsamkeit. Er streckte seine Arme aus, aber da war nichts Warmes, nichts Lebendes in dem ganzen weiten Bereich, nicht einmal ein kleines, frierendes Vögelchen, nicht einmal ein im Winterfrost verdorrter Grashalm. O Gott, o Gott! wenn er nur noch einmal ein Licht am Ufer sehen könnte, ein Lichipünktchen, nur irgend etwas, das von Menschen kam. Er wußte nicht mehr, ob er sich rechts oder links wenden sollte. Wie der Wind heulte! und da krachte es dumpf in der Ferne von dem berstenden Eis,