Wangen von der frischen Luft geröthet, leicht und heiter durch die Straßen trippelt. Ihre Füßchen, um die sich seidene Strümpfe schmiegen, die 15 Mark gekostet haben, stecken in angenehm wärmenden koketten Pelzstiefelchen, die unter Brüdern ihre 25 Mark werth sind. Leicht und warm zugleich ist das mit Spitzen besetzte Seidenhemd, das mit 30 Mark bezahlt werden mußte, und ihm stehen an Eleganz und Komfort die seidenen Beinkleider nichts nach, deren Preis etwa 15 Mark beträgt. 2t) Mark ungefähr kostet das echte Wiener oder Pariser Korsett, welches die Gestalt der Weltdame derart modelt, daß die Verehrer der Formenschönheit einer Venus von Milo   darob ebenso entsetzt sind wie die Leute, denen die Anforderungen der Hygiene noch über die Narrheiten der Mode gehen. Ueber den weichen, ge­schmackvoll gestickten Flanellrock, der nicht unter 12 Mark zu haben ist. trägt die Dame einen sogenannten Stepprock, der, um warm, leicht und schmiegsam zugleich zu sein, außen und innen aus Seide mit ein­gelegten Eiderdunen besteht und die Kleinigkeit vonnur" 80 Mark kostet. Die Unterkleidung wird vervollständigt durch den Jupo» aus farbiger Seide, der mit feinem Flanell abgefüttert, unten reich mit Spitzen und Volants verziertschon" für 30 Mark erworben werden kann. Das der Jahreszeit entsprechende Kleid aus gutem Wollstoff kommt der Dame sicherlich nicht unter 75 Mark zu stehen. Ihren kostbaren Pelzmantel, mit dem modernsten Fell garnirt und gefüttert, schätzt der Kürschner auf 400 Mark, das dazu passende kleidsame Barett und den einer niedlichen Spielerei gleichenden Muff auf 100 Mark. Handschuhe, Schleier und sonstige Toilettenkleinigkeiten der Dame berechnet man mit 8 Mark nicht zu hoch, so daß sich ihr Anzug Summa Summarum auf 810 Mark stellt, und dies ohne die Schmucksachen, welche nicht selten einen Werth von vielen Hunderten repräsentiren. 310 Mark! Tausende fleißiger Arbeiterinnen haben drei volle Jahre in geisttödtender, aufreibender Arbeit zu frohnden, um eine solche Summe zuverdienen", mit der sie während dieser Zeit ihre gesammte Lebenshaltung bestreiten müssen. Allerdings ist auch diese Lebenshaltung danach!-- Kehrt die Dame von ihrem Spaziergang zurück, so empfängt sie ein Heim, dessen Komfort jede Unbill des winterlichen Wetters fernhält, vielleicht noch obendrein mit dem Reiz des als Schauspiel genossenen Gegensatzes und Wechsels verklärt. Eine sanfte Wärme strömt der Eintretenden entgegen, kaum daß sie die Schwelle über­schritten, denn das ganze Haus ist geheizt. In der Wohnung sind dienstbare Hände beflissen, ihr Mantel und Hut abzunehmen, sie an Stelle der Straßentoilette in ein Hauskleid zu hüllen, das bequem der Name meiner Mutter würde in dem Koth und in der Prosa der sozialistischen   Presse herumgezerrt werden, den Namen meines Vaters würde man mit Schmutz bewerfen. Das durfte unmöglich geschehen. Man beschloß also, sofott einen Kreuzzug unter der Führung des Abbö Poivron zu unternehmen, eines kleinen, wohlbeleibten und sauberen Priesters, der leicht nach Parfüm duftete und der echte Typus des Vikars einer großen Kirche in einem vornehmen und reichen Stadtviertel war. Ein Landauer wurde angespannt und wir drei, Mama, der Pfarrer und ich, fuhren davon, um dem Onkel die letzten Tröstungen der Religion zu bringen. Es war beschlossen worden, zuerst Frau Melanie auszusuchen, die Verfasserin des Briefes. Wahrscheinlich war sie die Concierge oder das Dienstmädchen meines Onkels. Der Wagen hielt vor einem siebenstöckigen Hause. Ich stieg ab, um das Terrain zu rekognosziren und betrat einen dunklen Eang, wo ich mit vieler Mühe das finstere Loch entdeckte, in welchem der Coucierge hauste. Dieser musteite mich mißtrauisch vom Wirbel bis zur Zehe. Ich frug:Bitte, sagen Sie mir gefälligst, wo wohnt Frau Melanie?" Kenn' sie nicht", brummte der Concierge. Aber ich habe einen Brief von ihr erhalten." Kann schon sei», aber ich kenn' sie nicht. Es ist wohl ein ausgehaltenes Frauenzimmer, was Sie suchen?" Nein, wahrscheinlich ein Dienstmädchen. Sie hat mir wegen einer Stelle geschrieben." Ein Dienstmädchen?.... Ein Dienstmädchen?.... V'leicht das vom Marquis. Fragen Sie mal nach. Fünfter Stock links." Seitdem der Concierge wußte, daß ich keineAusgehaltene" suchte, war er freundlicher geworden und begleitete mich bis an und elegant ist, zu elegant, als daß seine Trägerin irgend welche Arbeit verrichten könnte. Zur Arbeit sind allerdings Damen der Art nicht da, sie wachsen wie die Lilien auf dem Felde, ohne zu arbeiten und zu spinnen! Der Spaziergang hat den Appetit der Heimkehrenden geweckt (den Appetit und nicht etwa den Hunger, der Hunger ist im All­gemeinen ein plebejisches, ein proletarisches Gefühl). Sie setzt sich an den einladend gedeckten Tisch, von dessen blendend weißem Damast­tuch auf feinstem Porzellan ihr ein leckeres und kräftiges Gabel­frühstück nebst einem Gläschen Wein entgegenlacht. Dadurch gestärkt kann sie die Zeit des Diners ohne Ungeduld erwarten. Mit Kleider­wechseln, Besuche empfangen und Besuche erwidern vergeht der Dame der Tag, ohne daß sie Zeit gefunden hätte, etwas Nützliches zu leisten. Nachdem sie eventuell noch im Theater oder Konzert Zer­streuung gesucht oder sich auf einem Ball, womöglichzum Besten der Armen",himmlisch amüsirt" oder auchunsterblich gelangweilt" hat, zieht sie sich in das angenehm durchwärmte Schlafzimmer zurück, das mit dicken Teppichen und kostbare» Fellen ausgestattet ist. Hier wartet ihrer ein prächtiges weiches Lager und beim Niederlegen und Aufstehen eine Menge von Toiletten-, Wäsche- und Kleidungs­stücken, von deren Existenz und Eleganz nur die Proletarierinnen etwas wissen, die mit Anfertigung derselben ihr kümmerliches Brot erwerben. Hunger und Frost, die Schrecknisse des Winters, sie ziehen mit höflicher Verbeugung in weiter Entfernung vorüber an den Töchtern und Frauen der oberen Zehntausend, auch noch an ihren Kebsfrauen. Hart treten sie dagegen die fleißigen Arbeiterinnen an, denen man auch in der Straße begegnet, allerdings nicht während der winterlich schönen Mittagsstunden, wohl aber des Morgens vor 7 Uhr, noch ehe es recht Tag geworden. Schwerfällig, müde und wie zusammen­geschrumpft von der Kälte gehen sie ihres Wegs. Kein Wunder das! Nichts Ordentliches im Leib, nichts Ordentliches auf dem Leib, woher soll da die Frische und Anmuth, die Leichtigkeit und Eleganz der Erscheinung kommen? Die sich zu ihrem schweren Tagwerk rüstende Arbeiterin stürzt vor dem Fortgehen eiligst eine Tasse des Trankes hinunter, der mit verlogener Schönrederei alsKaffee" bezeichnet wird, aber mit dem würzigen Mokka nicht mehr gemein hat, als die deutsche Bourgeoisie mit politischer Charakterfestigkeit, und das deutsche Krautjunkerthum mit vaterländischer Selbstlosigkeit. Ein trockenes Brötchen muß hinreichen, den knurrenden Magen zum Schweigen zu bringen; mager bestrichene Schmalzschnitte sind für Frühstück und das Ende des Ganges  . Er war ein großer, hagerer Mann mit Koteletten, der Miene eines Küsters und majestätischen Geberden. Eilig sprang ich die schmierige Wendeltreppe hinauf, deren Geländer ich nicht zu berühren wagte. Im fünften Stock ange­kommen, klopfte ich leise dreimal an die Thüre links. Diese sprang sogleich auf und ich befand mich einer schmutzigen, ungewöhnlich starken Frau gegenüber, welche sich rechts und links an den Thürpfosten festhielt und mir mit ihren ausgebreiteten Armen den Eingang versperrte. Was wünschen Sie?" brummte sie mich an. Sind Sie Frau Melanie?" Ja.". Ich bin der Vicomte de Tourneville." Ganz gut! Kommen Sie herein." Aber.... Mama wartet unten mit einem Geistlichen." Ganz gut! Holen Sie sie. Aber nehmen Sie sich vor dem Concierge in Acht." Ich ging hinunter und kam mit Mama wieder herauf, welcher der Abbe folgte. Es schien mir, als ob ich andere Schritte hinter uns hörte. Sobald wir die Küche betreten hatten, bot uns Melanie Stühle an und wir setzten uns alle vier nieder, um Kriegsrath zu halten. Steht es sehr schlimm mit ihm?" fragte Mama. Oh ja, gnädige Frau, er wird es nicht lange mehr treiben." Scheint er willig, den Besuch eines Geistlichen zu empfangen? Oh.... das glaub' ich nicht." Kann ich ihn sehen?" Aber.... sicherlich.... gnädige Frau.... nur.... nur.... nur sind die Fräulein bei ihm." Welche Fräulein?" Nun.... nun.... seine guten Freundinnen natürlich." Ah!"