178

hat sich seither in der Stille gebildet und sehnt sich schwermüthig| nach einer Gelegenheit, sich als Köller von Burtehude oder Kuh­schnappel vor der Mit- und Nachwelt entpuppen zu können.

Die proletarische Frauenbewegung kann den Wechselfällen des Kampfes mit dem Staat der Kapitalisten ruhig entgegengehen. Sie weiß, daß sie ihre Eristenzberechtigung, ihre aufsteigende Entwick­lung aus Wurzeln zieht, an welche staatliche Nücken und Tücken nicht heranreichen können. So lange die kapitalistische Wirthschafts­ordnung besteht und zum Kampfe für ihre Beseitigung die Frauen wie die Männer des Proletariats zwingt, so lange gleichen auch alle Bestrebungen, die proletarische Frauenbewegung niederzubütteln, dem findlichen Spiel des braven Schneiderleins, das den Wassern der Donau   bei Wien   dadurch Halt gebieten wollte, daß es den Fuß auf die Donauquelle sezte. Die Liebesmüh bleibt umsonst.

Aus der Bewegung.

-

-

Um die Gewerkschaftsorganisationen zu stärken und ihnen neue Mitglieder zuzuführen insbesondere auch aus den Reihen der Industriearbeiterinnen unternahm Genossin Ihrer im Auftrage der Generalfommission der deutschen Gewerkschaften im September eine Agitationstour in der Lausitz   und in Schlesien  . In 28 Orten waren Versammlungen angesetzt mit der Tagesordnung: Wer hat den Nutzen von Industrie- und Kulturfortschritten?" Drei der Ver­sammlungen mußten ausfallen, weil kein Saal für die Arbeiter zu haben war. Polizeilich verboten wurde eine Versammlung, die am 1. September in Waldenburg mit der Tagesordnung stattfinden sollte: Lassalles Leben und Wirken." Am heiligen Sedan  " sollte nur Patriotismus", nicht aber+++ Aufklärung verbreitet werden. In zwei anderen Orten retteten pflichteifrige Beamte den Staat durch Auflösung der Versammlung. So in Liegniß, wo der Ueber­wachende der Referentin, verbot", aufhezerisch" zu reden. Das Aufhezerische" der Ausführungen sollte in dem Vergleich liegen zwischen dem Nutzen, den die Arbeiter, und demjenigen, den die Unternehmer aus der Arbeit ziehen. Die weiteren Erörterungen der Referentin mußten wohl gleichfalls die Galle des Hüters sittlicher und göttlicher Ordnung erregt haben. Denn furz vor Schluß des Vortrags löste er die Versammlung auf und gestand auf Befragen zu, daß er außer Stande sei, die Auflösung zu motiviren. Die Rücksicht auf die geforderte Bethätigung des geliebten beschränkten Unterthanenverstandes verbietet uns einen Zweifel auszudrücken, ob wohl eine höhere Instanz der unmotivirten Auflösung gegenüber bekundet, daß auch in Preußen so etwas wie ein Gesetzestert über eine Versammlungsauflösung entscheidet, und daß nicht die unmaß gebliche Stimmung eines Ueberwachenden hierfür maßgebend ist. Die zweite Versammlungsauflösung erfolgte in Altwasser  , weil der Vorsitzende nicht dem ungesetzlichen Verlangen des Beamten ent­sprechend die Frauen aus der Versammlung entfernte, in der über: ,, Kommunismus oder Privateigenthum?" referirt werden sollte. In einzelnen Gegenden Preußens nähert man sich immer mehr dem Jdeal der bayerischen Handhabung der Vereinsgesetze.

Die Versammlungen, welche in den Lausitzer Industriezentren Cottbus  , Forst, Finsterwalde   stattfanden, waren besonders im Interesse der Aufklärung und Organisation der Textilarbeiter und -Arbeiterinnen einberufen worden, welche daselbst sehr zahlreich ver­treten sind. Der Nutzen der Agitation blieb erfreulicherweise nicht aus, es erfolgten viele Beitrittserklärungen zum Verband der Textil­arbeiter. In Forst beschlossen die Versammelten durch Resolution, daß bis zur nächsten Textilarbeiterkonferenz die Auflösung der Lokal­organisation zu Gunsten des Beitritts zum Verbande vorzubereiten sei. Zwei Drittel der zahlreich erschienenen Versammlungsbesucher in Ohlau   waren Zigarrenarbeiterinnen, von denen sich eine stattliche Anzahl in den Verband aufnehmen ließ. Die Versammlungen, welche in Waldenburg und Umgegend stattfanden, waren sehr gut besucht, das weibliche Element war start in ihnen vertreten. Die Frauen des Waldenburger Bergbaubezirks nehmen einen regen Antheil an der Arbeiterbewegung und sind fleißige Versammlungsbesucherinnen. Auch die Versammlungen in Breslau   waren vorwiegend von Frauen und Mädchen besucht, welche aufmerksam und begeistert den Ausführungen der Referentin folgten und zum Theil ihre Zustimmung in die That umsetzten, indem sie den Organisationen beitraten. So ließen sich in der ersten Versammlung allein 47 Arbeiterinnen in den Verband der Schneider und Schneiderinnen aufnehmen. Hoffentlich hat die Versammlung in Haynau   vielen Handschuhnäherinnen die Noth­wendigkeit klar gemacht, sich gewerkschaftlich zu organisiren, um eine Verbesserung ihrer Lage zu erzielen. Eine solche thäte dringend noth.

Die Anfängerinnen in der Handschuhnäherei verdienen wöchentlich 4-5 Mt., später 6 Mt., geübtere Arbeiterinnen, die im Akkord schaffen, erreichen einen Wochenverdienst von gegen 7 Mt. Die Zahl der Haynauer Handschuhnäherinnen beträgt mehrere Hundert, aber da sie größtentheils zu Hause arbeiten, gehören nur sehr wenige von ihnen der gewerkschaftlichen Organisation an, und es hält äußerst schwer, sie zu dieser heranzuziehen. Auch die größere Anzahl von Frauen und Mädchen, welche in einer Papierfabrik in Haynau  beschäftigt sind und die etwa 150 Ziegeleiarbeiterinnen des Orts stehen der Organisation noch fern. Daß ihr Verdienst ebenfalls ein recht färglicher ist, zum Theil ein miserabler, versteht sich am Rande. In Langenbielau   und Neurode wird es noch vieler und aus­dauernder Arbeit bedürfen, damit die dortigen sehr zahlreichen Ar­beiter und Arbeiterinnen den Werth der gewerkschaftlichen Organi sation erkennen und sich zur Vertheidigung ihrer nächstliegenden Interessen gegen kapitalistische Beutegier zusammenschließen. Beson­ders in dem letztgenannten Ort stehen dem Werk der Aufklärung große Schwierigkeiten entgegen, weil hier die Textilindustrie fast aus­schließlich als Heimarbeit betrieben wird. Die Leute verdienen wahre Bettelpfennige, müssen ungemessen lange rackern und das Isolirt­arbeiten steht dem Gedankenaustausch und dem Zusammenschluß ent­gegen. In Hirschberg und Neusalz   wurden die Lokale in letzter Stunde von den Wirthen verweigert. Das Vorkommniß mag den Herren Unternehmern recht willkommen gewesen sein, denn die Löhne, welche insbesondere die in großen Zwirnereien und einer Leimfabrik zu Neusalz   beschäftigten Arbeiterinnen erhalten deren Zahl etwa 400 beträgt, sind die denkbar erbärmlichsten und sollen den aus­gebeuteten Proletarierinnen zu Nutz und Frommen des kapitalistischen  Profits erhalten bleiben.

-

Sämmtliche stattgehabte Versammlungen waren mit wenig Aus­nahmen gut besucht. Für acht von ihnen, von denen die meisten in fleinen Industrieorten stattfanden, wurde die Gesammtzahl der Be­sucher auf 5620 geschätzt. Hauptsächlich waren es die Verbände der Tertilarbeiter, Schneider und Fabrikarbeiter, welche durch die Agitation neue Mitglieder gewannen. Wie groß die Zahl derselben ist, konnte nicht in allen Versammlungen festgestellt werden, da sich nach deren Schluß die Vertrauensleute der Gewerkschaften zu schnell entfernten. In acht Versammlungen betrug die Zahl der aufgenommenen Mit­glieder 236. Unablässiger und energischer Agitation bedarf es, damit die gesammte Arbeiterbevölkerung der Lausitzer und der besonders rückständigen schlesischen Induſtriedistrikte zum klaren Bewußtsein ihrer Klassenlage erwacht, damit sie ihre volle Pflicht im politischen und gewerkschaftlichen Kampfe des Proletariats thut und dadurch ihre Interessen wahrt und fördert. An dieser Agitation wird es nicht fehlen. Zahlreiche Thatsachen sprechen dafür, daß ihr der Erfolg nicht ausbleibt, daß Proletarier und Proletarierinnen auf die An­regung von außen her die richtige Antwort finden. Was insbesondere die Einreihung der Arbeiterinnen in die Gewerkschaftsorganisationen anbelangt, so wird sie trotz aller Schwierigkeiten erfolgreich vor sich gehen, wenn es jedes einzelne Mitglied der Gewerkschaft nie an der nöthigen aufklärenden, werbenden Agitation bei der Arbeit, im persön­lichen Verkehr, beim Vergnügen fehlen läßt. Die Organisirung der Arbeiterinnen ist schwer, aber nicht unmöglich, und sie ist dringend E. J. nöthig.

Auf Veranlassung des Agitationskomites der Provinz Schleswig­ Holstein   unternimmt Genossin Ihrer gegenwärtig eine Agitationstour im höchsten Norden Deutschlands  , um auch dort besonders die Frauen für die Ideen des Sozialismus zu gewinnen. Im Ganzen sind vierzig Versammlungen geplant mit der Tagesordnung: Was haben die bürgerlichen Parteien für die arbeitenden Klassen gethan?" Die bisher stattgefundenen Versammlungen in Hohenwestedt  , Heide  , Friedrichstadt  , Husum   und Tondern   waren durchweg gut besucht und zwar vorwiegend von Frauen. Auch die Anhänger der ver­schiedenen bürgerlichen Parteien hatten sich zahlreich eingefunden. In Heide  , Friedrichstadt   und Tondern   schwangen sich Lehrer zu allerdings sehr zaghaften Entgegnungen auf die Ausführungen der Referentin auf und wurden von dieser unter dem Beifall der Versammelten gebührend abgeführt. Obgleich im Norden die Zahl der zielbewußten Genossen noch eine kleine ist, bürgt doch die gute Aufnahme der sach­lichen Darlegungen dafür, daß auch hier der Sozialismus sich mehr und mehr ausbreitet und um sein Banner neue Anhänger schaart, besonders auch aus der Frauenwelt. In Schleswig- Holstein   haben die Frauen der werkthätigen Masse noch ein leidliches Auskommen, noch hat die Noth sie nicht als Industriearbeiterinnen in Fabriken und Werkstätten gepeitscht. Aber sie empfinden, daß im bürgerlichen, im kapitalistischen   Deutschland   die rechtliche Stellung der Frau eine unwürdige ist. Sie empfinden, daß die Lage des arbeitenden Volks