Nr. 9.
Die Gleichheit
7. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Stuffgart
Mittwoch, den 28. April 1897.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Inhalt:
Maienmorgen.( Gedicht.) Von Max Kegel. Zur Maifeier.
Kritische
Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. V. Von A. N. VI. Von W. Kähler- Wandsbeck.
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Aus der Bewegung.
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Die Forderung weiblicher Feuilleton: Die
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Maienmorgen.
Vorüber die tolle Walpurgisnacht,
Der Herensabbath vorbei!
Im Osten erhebt sich in Purpurpracht
Die Sonne des ersten Mai.
Es blitzt in die Tiefen ihr heller Strahl,
Wo rastlos die Arbeit ringt,
Den Völkern als loderndes Feuersignal Zur That der Befreiung er winkt.
Und sieh', aus der Werkstatt, aus Schmiede und Schacht, Da kommt es in Massen gewallt;
Es tönet die Losung mit Macht, mit Macht,
Von Lande zu Lande sie schallt.
Die Völker geeint in der Arbeit Heer,
Des Vorurtheils Trugbild entflohn!
Nicht kleinliche Zwietracht heut' trennt sie mehr, Nicht Rasse und nicht Nation!
Ein einiger Wille beseelt die Schaar,
Sie fordert ihr menschliches Recht;
Will fleißig auch schaffen der Proletar Er will es als Mensch, nicht als Knecht. Huf acht Stunden Arbeit acht Stunden Ruh', Und acht Stunden gebt ihm zurück,
Sie fallen als Antheil dem Armen zu
Am sonnigen Erdenglück.
Der erste Mai diese Losung bringt, Er weckt der Begeisterung Gluth; Ein Klirren zerbrochener Ketten erklingt, Hell blizet vom Huge der Muth.
Die Einigkeit ist der Völker Macht,
Das Werk wird frei erstehn,
Und lange noch wird man mit Festespracht Den ersten Mai begehn.
Mar Kegel.
Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Settin( Eißner), Stuttgart , Rothebühl Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
Bur Maifeier.
Umtobt von des Unternehmerthums prozigem Dräuen, des Kapitalistenstaats Nücken und Tücken gewärtig, hat sich die deutsche Arbeiterklasse zum Maientag des Weltproletariats gerüstet. Noch stets haben die reaktionstollen Gegner des proletarischen Befreiungsringens durch ihre Haltung dafür gesorgt, daß der Kampfesgehalt der ihrer Form nach friedlichen Demonstration hell, klar umrissen in Erscheinung getreten ist. Aber schärfer als kaum je zuvor zeichnet sich dieses Jahr das revolutionäre Wesen der Maifeier in den Verhältnissen ab. Drei Ereignisse sind es vor allem, die ihr diesmal ein besonders ausgesprochenes, starkes Gepräge des Gegensatzes zur bürgerlichen Welt aufdrücken.
Der in den Reihen der Freunde und Feinde noch nachschwingende Ausstand der Hamburger Hafenarbeiter und Seeleute, jenes gewaltige, heldenmüthige Ringen einer breiten proletarischen Schichte für eine bescheidene Besserung drückender Uebel. Dauernde Spuren hat dieser Kampf in das Klassenbewußtsein und Klassengewissen der deutschen Proletariermassen gegraben, denn die ausbeutungs- und herrschaftsgewohnten Geldsacksmächtigen nuzten ihn zu der denkbar brutalsten Kraftprobe aus, welche mit wünschenswerthester Klarheit die unüberbrückbare Kluft zwischen der Kapitalisten und der Arbeiterklasse aufdeckte. Der sozialdemokratische Antrag auf die geseßliche Festlegung des Achtstundentags für die Gesammtheit derer, so da unter des Kapitals Szepter zu Nuz und Frommen fremden Reichthums zinsen und frohnden. Hier galt es für Alle, die gelegentlich in Worten einen brünstigen Reformeifer bekennen, nicht blos arbeiterfreundlich die Lippen zu spigen, sondern auch arbeiterfreundlich zu pfeifen. Der Ausgang der Reichstagsverhandlungen schreibt der Arbeiterfürsorge sämmtlicher bürgerlichen Parteien und Parteichen das„ Gewogen und zu leicht befunden". Statt des begehrten, dringend nöthigen Brotes einer durchgreifenden Reform des gesetzlichen Arbeiterschutzes bot die bürgerliche Parlaments majorität dem deutschen Proletariat den Stein der vom Zentrum beantragten Enquete, deren praktisches Ergebniß nichtssagend und heuchlerisch ausfallen muß, wie die Sozialpolitik der Partei, aus deren Initiative sie hervorgegangen. So enthüllte sich im politischen Leben der unversöhnliche Gegensaz zwischen ausgebeuteten Habenichtsen und ausbeutenden Prozen mit einer Deutlichkeit, die nur von denen geleugnet werden kann, welche die Zeichen der Zeit nicht sehen wollen. Die Zentenarfeier zur Verherrlichung des Mannes, der als Prinz von Preußen die achtundvierziger Freiheitskämpfer niederkartätschen und standrechteln ließ, und unter dessen Regierung als Kaiser von Deutschland das schmachvolle Sozialistengesez zwölf Jahre lang das deutsche Proletariat fnebelte und ächtete; die Zentenarfeier zur Verherrlichung des Mannes, dessen Thaten und Ziele im schroffsten Gegensatz standen zu den Idealen, welche dem Proletariat die Kraft verleihen, aus der Gegenwartsknechtschaft heraus nach Zufunftssiegen zu streben. Welch bitterer, unausgleichbarer Widerstreit der Auffassung und Werthung der geschichtlichen Personen und Vorgänge zwischen der bürgerlichen und proletarischen Welt emporklafft, das zeigte die mit allem offiziellen höfischen Prunk und Gleiß aufgepußte dynastische Feier. Dort, wo sich die Bourgeoisie drängte, um anzubeten, was sie im Idealismus ihrer Jugendjahre