einen Beweis der Zerfahrenheit und inneren Schwache der bürgerlichen Frauenbewegung, indem er jede Beschlußfassung vermied. Nachdem Muster des Berliner Kongresses war jede Diskussion und jedeBeschlußfassung ausgeschlossen. Trotzdem waren es gerade die Berliner Delegirten— Frau Cauer, Frau Morgenstern, Frau Proelß,Frau Schwerin—, die immer wieder mit Unterstützung mancher anderen Frauenrechtlerin beantragten, es möge die Diskussion und dieFassung von Resolutionen zugelassen werden. Das Widerspruchsvolledieses Auftretens zu der in Berlin beobachteten Haltung ist den Dame»wohl selbst zum Bewußtsein gekommen, denn die„Frauenbewegung"sucht es mit der Erklärung zu entschuldigen, daß in Berlin die Verhältnisse ganz andere als in Brüssel gewesen seien, und daß bei derin Deutschland herrschenden Polizeiaufsicht der Berliner Kongreß inder Folge von Beschlußfassungen hätte aufgelöst werden können, eineGefahr, der er sich nicht hätte aussetzen dürfen. Wir meinen allerdings, daß wegen der Resolutionen, die auf jenem Kongreß gefaßtworden wären, eine Auflösung nimmer zu befürchten gewesen wäre.Jedenfalls zeigt dieser kleine Zug wieder einmal, daß der deutscheBourgeois, wenn er sich im Inland auch noch so demüthig der Knutebeugt, im Ausland plötzlich das Blut der Achtundvierziger in sichrollen fühlt und einen Anflug von Muth zeigt, über den er im Baterland zu erschrecken pflegt. Daher kam es auch, daß die deutschenDelegirten, zu denen außer den Obengenannten noch Frau Simsonaus Breslau, Frau Marie Stritt aus Dresden und der neue Doktorder Rechte, Fräulein Anita Augspurg, kamen, in Brüssel den Rufradikaler Umstürzlerinnen sich erwarben, ja, daß Anita Augspurg,die auf dem Berliner Kongreß im Tone Engen Richters von derSozialdemokratie sprach, in Brüssel selbst sozialdemokratischer Neigungen verdächtigt wurde.Der erste Punkt der Tagesordnung: Die Stellung der Frauim Recht, war geeignet, die deutsche bürgerliche Frauenbewegungim besten Lichte zu zeigen, hat sie doch im vergangenen Jahre inseltener Einmüthigkeit und mit Einsetzung ihrer besten Kräfte gegendas neue deutsche Bürgerliche Gesetzbuch agitirt. Daß sie dabei hauptsächlich für die Interessen ihrer Klasse eintrat, kann uns nicht erstaunlich sein; es ist schon schwer, den Jnteressenhorizont über daseigene liebe Ich hinaus auf die Klassengenossen auszudehnen und fürdie Masse der Menschen ist es noch viel schwerer, ein lebhaftes, zueifriger Thätigkeit anspornendes Interesse für eine andere als dieErotik und Idyll.Mus Nooelletken von Alexander Kielland.(Schluß.)Aber bald wurde Frau Olsens„Nest" zu klein; die Familiewurde größer und die Einnahmen blieben stehen. Täglich wurdenneue Ansprüche an sie gemacht, neue Sorgen— neue Pflichten.Marie griff kräftig mit an, denn sie war ein muthiges, verständiges Weib.Es ist keine sogenannte erhebende Arbeit, einem Haushaltvoll kleiner Kinder vorzustehen, ohne die Mittel zu besitzen, auchnur die einfachsten Anforderungen an Komfort und Behaglichkeitzu beftiedigen. lind obendrein war sie ja niemals so recht gesund;ihr Zustand bewegte sich immer zwischen dem kürzlich ein Kindgehabt zu haben oder bald eins wieder zu bekommen. Währendsie voni Morgen bis zum Abend mit Arbeit überladen war, verlorsie ihren Humor und ihr Gemüth ward verbittert; zuweilen fragtesie sich selbst: wie hängt dies zusammen?Sie sah den Eifer, mit welchem junge Mädchen nach derEhe strebten, und sie sah die selbstzufriedene Miene, mit welcherjunge Männer diese antragen; sie dachte an ihre eigenen Erfahrungen, und sie hatte das Gefühl, als habe man sie betrogen.Aber es war nicht recht, daß Marie dies dachte, denn siehatte ja eine ausgezeichnete Erziehung genossen.Die Lebensanschauung, in welcher man sie frühzeitig geübthatte, war das einzig Schöne, das einzige, was noch im Standewar, ihr die Ideale des Lebens zu retten. Keine häßliche, prosaische Anschauung des Daseins hatte jemals ihren Schatten aufihre innere Entwicklung geworfen; sie wußte, daß die Liebe dasSchönste auf Erden sei, daß sie über der Vernunft steht, und daßman sie in der Ehe findet; in Bezug auf Kinder hatte sie gelernt,zu erröthen, wenn sie überhaupt nur genannt wurden.Ihre Lektüre war immer strenge bewacht worden. Sie hatteviele ernste Bücher über die Pflichten der Frau gelesen; sie wußte,daß es ihr Glück sei, von einem Manne geliebt zu werden, undeigene Klasse zu empfinden. In Brüssel trat dieser Klassencharakterder deutschen Frauenbewegung weniger in den Vordergrund. DieKritik an unserem Bürgerlichen Gesetzbuch war eine mehr allgemeine,und die deutschen Delegirten konnten nicht umhin, bei der Schilderungder Bewegung gegen die Einführung des neuen Rechts in der vorliegenden Fassung die Haltung unserer Partei besonders anzuerkennen.Sie waren ja im Ausland!Tonangebend für die noch folgenden Reden über die Stellungder Frau im Recht waren die Ausführungen des Genfer Juristen.Professor Bridel, der die Gesetze der verschiedenen Länder, soweit siedie unverheiratheten Mütter und unehelichen Kinder betreffen, miteinander verglich. Wenn auch jede Diskussion ausgeschlossen war, sokonnten doch bei dieser Materie die Rednerinnen an die Ausführungenihrer Vorredner anknüpfen und so traten die vorhandenen gegensätzlichen Meinungen etwas schärfer hervor, als bei anderen Punkten derTagesordnung. Hauptsächlich waren es die Französinnen, welche dieFrage der Stellung der unehelichen Kinder lebhaft erörterten. Bekanntlich untersagt das französische Recht die Forschung nach derVaterschaft, so daß die Verführer armer Mädchen in unserem Nachbarlande ganz frei ausgehen. Tie große Mehrzahl der Frauen kämpftfür die Abschaffung dieses Gesetzes, um so erstaunlicher erschien es,daß in Brüssel für sein Fortbestehen eingetreten wurde. Frau Pognonaus Paris begründete ihre Ansicht mit der sentimentalen Phrase, daßein erzwungener Vater niemals ein guter Vater sei. Sie bedachtemit der bekannten Kurzsichtigkeit der Bourgeoisdame nicht, daß esauf den guten oder schlechten Vater hierbei gar nicht ankommt, sondern lediglich darauf, daß der meist wohlhabende Verführer für dasKind der meist armen Verführten die ausreichenden pekuniären Mittelzu geben gesetzlich gezwungen wird. Or. Anita Augspurg sekundirtein mancher Beziehung Frau Pognon, nur daß sie aus ihren Ansichtenandere Konsequenzen zog und allein von der zukünftigen Wiedereinführung des Multerrechts das Heil für die Mütter und Kinder erwartete. Wenn die„Frauenbewegung" diese Auffassung„kühn"nennt, so müssen wir ihr beistimmen, denn es gehört wirklich Kühnheit zu der Annahme, daß eine Einrichtung aus der ältesten Zeit inZukunft wieder erwachen könnte! Im Uebrigen trat Fräulein Augspurg dafür ein, daß der Staat die Sorge für Unterhalt und Erziehungder unehelichen Kinder übernehmen müsse, und brachte sich damit inden Verdacht,„staatssozialistisch" angekränkelt zu sein.daß es ihre Bestimmung sei, Weib zu sein. Sie kannte dieBosheit der Menschen, und wie oft diese sich zwei jungen Liebendenin den Weg stellen; aber sie wußte auch, daß die wahre Liebeschließlich stets als Siegerin ans dem Kampf hervorgeht. Undwenn die Menschen im Kampfe des Lebens zu Grunde gingen,so war es, weil sie ihrem Ideale untreu wurden, und sie glaubtean das ihre, obgleich sie eigentlich gar nicht wußte, was es war.Sie kannte und liebte die Dichter, welche sie lesen durfte.Vieles von der Erotik verstand sie nur halb; aber das war jagerade das Reizende. Sie wußte, daß die Ehe eine ernste—eine sehr ernste Sache sei, und daß ein Prediger dazu gehörte,und daß die Ehen im Himmel gestiftet werden, gleichwie die Verlobungen im Ballsaal. Aber wenn sie in ihren jungen Tagenan dieses ernste Verhältniß dachte, so war es, als blickte sie ineinen verzauberten Wald, wo Amoretten Kränze winden, die Störchekleine goldgelockte Engel bringen, und vor der kleinen Hütte imHintergrunde, die jedoch groß genug ist, um die Glückseligkeit derganzen Welt in sich zu bergen, das ideale Ehepaar sitzt und sichin die Augen blickt.Und niemals war Jemand rücksichtslos genug gewesen, ihrzu sagen:„Verzeihen Sie, Fräulein! hätten Sie nicht Lust, mitmir auf die andere Seite zu kommen und die Sache von rückwärts anzusehen? Denken Sie nur, wenn das Ganze nichtsanderes wäre als Dekorationen von Papier und Leinwand."Jetzt hatte Sörens junge Frau reichlich Zeit, die Dekorationenvon rückwärts anzusehen.Im Anfang hatte Frau Olsen sie früh und spät besucht undsie mit Rathschlägen und Zurechtweisungen überhäuft. SowohlSören wie seine Gattin waren ihrer oft herzlich müde gewesen;aber sie verdankten Olsens ja so viel.Doch nach und nach kühlte sich der Eifer der alten Frau ab.Als das Haus der jungen Leute nicht mehr so rein, so ordentlich,so mustergiltig war, daß sie ans ihr Werk stolz sein konnte, kamsie immer seltener; und als Sörens Frau ein einziges Mal umHilfe bat, saß die Frau Hardesvogt auf dem hohen Pferd—