-

sammengefunden. Nur von einem Einschreiten der Gesetzgebung in welcher Richtung ist nicht gesagt erwartet man eine einschnei­dende Wirkung auf die Sittlichkeitsverhältnisse; großes Heil hofft man findlich- naiv von der Anstellung von Polizeimatronen, auf die mit aller Energie hingearbeitet werden soll. Betont wurde die Noth­wendigkeit, für ausgiebigen Schutz der Handlungsgehilfinnen ein­zutreten.

Trefflich waren offenbar die Ausführungen über die Frage der Gymnasialbildung der Mädchen, über welche Fräulein Dr. jur. Augs purg, Frau Professor Schönflies und Fräulein von Milde referirten. Die Gründung von Mädchengymnasien soll fürderhin nicht mehr von Vereinen ausgehen, vielmehr auf Anregung der frauenrechtlerischen Organisationen von Staat und Gemeinde geschehen. Der gemein­schaftliche Gymnasialunterricht von Knaben und Mädchen, der sich in Holland  , Finnland   und Amerika   bewährt hat, wurde als erstrebens­werthes Ziel erachtet. Er könne sich am besten von unten herauf entwickeln, aus dem gemeinschaftlichen Unterricht von Knaben und Mädchen in den Volksschulen. Der Eintritt der Mädchen in die jetzigen unzeitgemäßen Knabengymnasien sei nicht empfehlenswerth. Wohl aber die Gründung reformirter Mädchengymnasien, die auch Knaben offen stehen sollen. Der Delegirtentag schlug die Einsetzung einer Kommission vor, der die Ausarbeitung von Lehrplänen und die Revision der Lehrbücher obliegt. Die Vorschläge dieser Kommission sollen bei Neugründung von Mädchengymnasien vorgelegt werden.

-

Zum vierten Punkte der Tagesordnung führten die Referen­tinnen Fräulein Dr. jur. Augspurg und Fräulein Raschke aus, - daß die Agitation gegen die unterbürtige Stellung der Frau im neuen bürgerlichen Recht der Frauenbewegung einen ungeahnten Aufschwung verliehen hat, daß sie aber nur eine winzige Verbesserung in der Rechtsstellung der Frau bewirkte. Das bürgerliche Gesetzbuch bedarf in dieser Richtung dringend einer. Neugestaltung. Die Unterschriften der darauf abzielenden Petition sind noch nicht zahlreich genug. Der Delegirtentag nahm deshalb eine auf diese Petition bezügliche Re­solution an, sowie eine andere, welche die Vereine dringend auffor­dert, Rechtskurse einzurichten, sowie belehrende Vorträge zu veran­stalten. Begründet wurde die letztere Resolution mit dem Hinweis auf das Bedürfniß der Frauen nach Rechtsbelehrung, das sich in mannigfacher Weise äußert.

Ueber die Lage der weiblichen Bühnenangehörigen referirte Frau Stritt und Frau Obrist- Jenicke. Zumal die Ausführungen von Frau Obrist- Jenicke zeichneten sich durch gründliche Sachkenntniß aus und entrollten ein überaus trauriges Bild von den Verhältnissen der Schauspielerinnen und Sängerinnen. Von wesentlichem Einfluß auf

Frauenfragliches.

Ich verfolge seit Jahrzehnten mit großer Aufmerksamkeit die Bemühungen der Frauen, sich aus Jahrhunderte alter Unfreiheit in tausend Formen zu lösen, mögen sie von bürgerlichen Frauen oder von Frauen des Arbeiterstandes ausgehen. Namentlich schenke ich der Literatur von und für Frauen, sei sie wissenschaftlich- polemischer oder künstlerisch- dichterischer Art, die ihr ganz gewiß gebührende Theilnahme.

Man sollte meinen, daß die Frauen sammt und sonders allen Bemühungen zur Aenderung, d. i. Verbesserung ihrer Stellung in Staat und Gesellschaft sympathisch gegenüberstehen müßten. Dem ist aber nicht also. Es giebt Frauen von der Feder, die den ernsten und begeisterten Vorkämpferinnen ihres Geschlechts in den Rücken fallen, die nicht nur den männlichen Gegnern der Frauenbewegung Beifall klatschen, sondern selbst die Feder ergreifen und das hohe Lied von der Inferiorität des Weibes anstimmen.

Seit ein paar Jahren besorgt das mit besonderem Geräusch Frau Laura Marholm  , die sich auch Hansson oder Mahr nennt. Sie thut dies mit den Mitteln einer wissenschaftlich sein sollenden lehr­haften Schriftstellerei und in der allerdings nur äußerlichen Form der Poesie; sie will Philosophin und Dichterin sein, aber ihrer Philo­sophie fehlt es an Erkenntniß der Wahrheit, ihrer Poesie an Schön­heit und Kunst.

Es ist ein trauriges Schauspiel, zu sehen, wie ein Sklave nicht nur für seine Person die Ketten liebt und liebkost, die ihn belasten, sondern denen seiner Genossen in den Arm fällt, die sie sprengen wollen. In diesem Jahre hat uns Frau Marholm zwei Bücher ge­schenkt, eine Dichtung" in Prosa: Frau Lilly als Jungfrau, Gattin und Mutter, und ein ,, wissenschaftliches": Zur Psychologie der Frau.* Das letztere will ich allein hier behandeln, denn die Dichtung" hat genau dieselbe Tendenz, denselben Gedankeninhalt: Frau Mar­

* Berlin, bei Karl Duncker.

188

"

die trübe Lage derselben ist nach dieser Rednerin das außerordentliche Mißverhältniß zwischen Angebot und Nachfrage, der Ausschluß der Frauen von der Vertretung in den Organisationen der Bühnen­angehörigen, die niedrige Rechtsstellung des Standes, das Agentur­unwesen, die Machtbefugnisse der Direktoren 2c. 2c. Frau Obrist­Jenicke betonte des weiteren, daß ein gründlicher Wandel eine so völlige Umgestaltung der einschlägigen Verhältnisse zur Voraussetzung habe, daß für die jetzige Generation feine wesentliche Besserung zu hoffen, aber die Jnangriffnahme der Arbeit dafür unerläßlich sei. Der Delegirtentag erklärte die Vereine Frauenwohl" für verpflichtet, die Sache der weiblichen Bühnenangehörigen in die Hand zu nehmen und sich zu diesem Zwecke mit anderen Organisationen in Verbindung zu setzen. Laut einer angenommenen Resolution sollen 1) bei der ,, Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger  " Schritte geschehen, um im Statut für beide Geschlechter gleiche Bedingungen zu erzielen; 2) an den Deutschen Bühnenverein  " das Ersuchen gerichtet werden, die Kontraktformularien in dem gekennzeichneten Sinne zu ändern; 3) Erwägungen stattfinden, ob und durch welche gesetzliche Maßregeln Abhilfe für vorhandene Schäden möglich sei. Eine Kommission unter Vorsitz von Frau Obrist- Jenicke ist mit Ausarbeitung eines vollstän­digen Programms zu der Frage beauftragt.

"

Im Anschluß an den Delegirtentag fand eine öffentliche Sigung des Berliner   Vereins Frauenwohl" statt, in der die Damen Augs­ purg   und Stritt über Die Stellung der Frau in der Familie und im öffentlichen Leben" referirten. Die Versammlung bewies, welch breite Kreise die Frauenbewegung allmälig erfaßt hat. Der ge= räumige Saal war bis auf das letzte Plätzchen von Frauen und Männern gefüllt, Hunderte mußten umkehren, ohne Einlaß gefunden zu haben. Frau Stritt trat sehr entschieden für das Wahlrecht der Frauen ein, für ihre selbständige und vollständige Mitarbeit an allen Kulturaufgaben der Menschheit. Die Sigungen des Delegirtentags fanden in einem Saale des Reichstagsgebäudes statt. Dieser Um­stand erzählt beredt von dem Umschwung, der sich in der Bewerthung der Frauenbewegung allmälig vollzieht. Hoffentlich trägt die bürger­liche Frauenrechtelei in Zukunft mehr als in der Vergangenheit dazu bei, diesen Umschwung zu beschleunigen, die Auffassung unserer Zeit­genossen in Sachen der Frauenfrage zu revolutioniren.

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Zu den Ergänzungswahlen für die Stadtverordnetenversammlung von Berlin  , welche am 8. Nov. stattfanden, nahmen die Genossinnen in richtiger Kenntniß holm löst die Frauenfrage mit dem einfachen Rezept:" Siehe zu, liebes Mädchen, daß du unter die Haube kommst!" Und das ver­fündigt sie mit einem Pathos, mit einem Triumphgefühl über diese ,, neue" Weisheit, als habe sie den pythagoräischen Lehrsatz oder das lenkbare Luftschiff entdeckt.

Ihr angeblicher Beitrag zur Psychologie der Frau ist eine Ver­nichtung" der Frauenemanzipation in jeder, auch in der berechtigtsten Form. Die Frauenbewegung ist ihr eine Frauenunruhe, eine Frauen­entartung, die Verzweiflung des Weibes an sich selbst als Weib, die ,, Entweibung des Weibes".

Neu ist dieser Gedankengang gerade nicht, im Gegentheil, wir haben ihn Hunderte von Malen mit mehr oder minder Ungeschick vortragen hören, selten aber verbohrter oder fanatischer als von Frau Marholm  .

Was soll man dazu sagen, wenn sie das Frauenrechtlerthum unserer Tage, dessen wahren, gesunden und berechtigten Kern fein besonnener Mensch verkennen kann, als dasselbe Erregungsbedürfniß" des Weibes bezeichnet, das es( nämlich das Weib!) vor drei Jahr­hunderten dazu trieb, einander als Heren anzugeben und sich als Heren zu bekennen". Ich meine, die Ansicht von der Inferiorität des Weibes ist ein Wahn, ebenso wie der Hexenglaube, und Frau Laura Marholm   denunzirt sich und ihr Geschlecht, so daß jener alte Kirchen­vater sich vor Vergnügen in seinem Grabe umdrehen würde( wenn das möglich wäre), der da behauptete, daß die Weiber überhaupt feine Menschen seien.

Aber wie gelehrt klingt es, wenn unsere Denunziantin sagt: Beides( Frauenrechtlerthum und Herenwahn) sind versette emo­tionelle Dränge(!), abgeleitet von einem Zentralpunkt." Bum!

Bekanntlich liegen die Schwächen des Frauenrechtlerthums wo ganz anders, worüber mich des Weiteren zu verbreiten hier der Ort nicht ist.

Das Herenwesen hat es der Frau Marholm   überhaupt an­gethan! Der Zug der Frauen zur Vorbildung für höher qualifizirte Arbeit( ,, die einzige produktive Arbeit des Weibes sind seine Kinder!"