Denn noch waren die Länder nur schwach bevölkert und vom Zu wachs tüchtiger Bürger hing das Bestehen und der Wohlstand des Staates ab. Daher beschäftigt sich die Gesetzgebung jener Periode der Geschichte in einer so eingehenden Weise mit der Frage der Volksvermehrung.

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Die Monogamie war Gesez. Der Mann durfte nur eine legitime Frau haben; die Zahl der Konkubinen, die er sich neben ihr hielt, war aber unbeschränkt, und der einzige Fortschritt gegen­über den orientalischen Zuständen bestand darin, daß ihre Kinder nicht ohne Weiteres Mitglieder der Familie waren, sondern es erst durch die Legitimation ihres Vaters werden konnten. Die aus dem väterlichen Hause meist in sehr jungen Jahren in das des Gatten eintretende Frau lebte hier wie dort in völliger Abgeschlossenheit, ohne irgend welche Berührung mit der Außenwelt; sie durfte weder am öffentlichen noch am geselligen Leben Antheil nehmen. Das Haus war ihre Welt, über deren Grenze die tugendhafte Frau nicht hinwegschreiten durfte. Und wenn Dichter und Schriftsteller auch versuchten, sie ihr zu verklären' genau wie es heute ge­schieht, so war ihre Lage doch die einer physisch und geistig alles Lichtes beraubten Gefangenen, die auch wie eine solche ver­achtet wurde. Von einem Griechen stammt jener bekannte Ausspruch, wonach diejenigen Frauen am meisten Ruhm verdienen, von denen am wenigsten gesprochen wird, und er bedeutet nichts anderes, als daß die Frau im Guten ebenso wenig wie im Bösen aus der Masse hervorragen darf. Es entsprach nur der allgemeinen nie­brigen Meinung von den Frauen, wenn Demosthenes   der Ansicht seiner Zeitgenossen von der Ehe Ausdruck verlieh und sagte, daß man Frauen nur nehme, um rechtmäßige Kinder zu zeugen, Bei­schläferinnen, um eine gute Pflege zu haben, und Buhlerinnen, um die Freuden der Liebe zu genießen. Die eheliche Verbindung aus Liebe kannte der Grieche nicht. Im besten Falle war sein Gefühl für die Gattin die wohlwollende Anhänglichkeit eines Patrons zu seinem Klienten. Nicht die in strengster Zurückgezogenheit lebende,

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1 Vgl. Xenophon  , Oeconomicus, II.

Vgl. Thufydides, Peloponnesischer Krieg  . Uebersetzt von Kämpf. S. 167.

3 Vgl. über die Stellung der griechischen Frauen den Artikel On female society in Grece   im 22. Band der Saturday Review und Rainne­ ville  , La femme nans l'antiquité, Paris   1865.

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Vgl. F. W. B. von Ramdohr, Venus Urania, Leipzig   1798.

Und was konnte daher natürlicher sein, als daß dieser Knabe mit dem Herzen voll Sonnenschein, daß dieser Knabe, der den Geist voll frisch gelernter Antriebe zu hohen und tugendhaften Thaten zur Sonntagsschule dahintrippelte, zu sich sagte:

" Ah, da geht ein Chinese! Gott   wird mich nicht lieben, wenn ich ihn nicht steinige."

Und um dieser That willen wurde er arretirt und in das Stadtgefängniß eingesperrt.

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Alles vereinigte sich, ihn zu belehren, daß es eine hochverdienst­liche und heilige That sei, einen Chinesen zu steinigen, und dennoch macht er kaum den Versuch, seine Pflicht zu thun, als er dafür bestraft wird er, der arme Knabe, der sein ganzes Leben lang gewußt hat, daß eine der Hauptbelustigungen der Polizei draußen nach der Goldschmelzerei hin darin besteht, mit vergnügter Ruhe zuzusehen, wie die Fleischer der Brannanstraße ihre Hunde auf harmlose Chinesen heßen und sie auf diese Weise zwingen, durch die Flucht ihr Leben zu retten.*

Wenn man den Unterricht in der Nächstenliebe, welcher in dem ganzen Küstenlande am Stillen Ozean der Jugend ertheilt wird,

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Ich erinnere mich vieler derartiger Thatsachen, denke jedoch in diesem Augenblick an einen ganz besonderen Fall, wo die Fleischer der Brannan­straße ihre Hunde auf einen Chinesen hetzten, der mit einem Korbe voll Wäsche auf dem Kopfe ruhig vorbei ging; während die Hunde sich in seine Waden festbissen, steigerte ein Fleischer die Heiterkeit des Schauspiels dadurch, daß er dem Chinesen mit einem halben Ziegelstein eine Anzahl Zähne aus­schlug. Dieser Vorfall haftet vielleicht deshalb mit boshafter Zähigkeit in meinem Gedächtniß, weil ich damals bei einer Zeitung in San Francisco  angestellt war und mir nicht gestattet wurde, diese That zu veröffentlichen, da das eigenthümliche Element, welches auf die Zeitung abonnirt war, sich dadurch beleidigt fühlen könnte.

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von klein auf zu kühler Keuschheit und Zurückhaltung erzogene Frau war der Gegenstand seiner Leidenschaft, sondern die freie Priesterin Aphrodites  , die Hetäre.

Die uralte Verehrung des mütterlichen Prinzips in der Natur, der Weiblichkeit und der Fruchtbarkeit, hatte sich mit dem all­mäligen Verfall des Mutterrechts mehr und mehr verwandelt. Einst mußten sich die Jungfrauen Aegyptens   einmal in ihrem Leben im Tempel der Göttin der Fruchtbarkeit einem Fremden preis­geben, später bevölkerten zahlreiche Frauen das ganze Jahr die Tempel der Jsis, der Astarte, der Anahita oder Mylitta. Denn hart war das Loos der Mägde und Sklavinnen; nur die Mädchen, welche eine Mitgift besaßen, hatten Aussicht auf eine legitime Ghe, und auch das Schicksal rechtmäßiger Frauen war ein trauriges. Da kann es nicht Wunder nehmen, wenn Noth, Glückssehnsucht und Freiheitsdurst Schaaren Armer und Unterdrückter in den Dienst der Liebesgöttin trieb. Geheiligt durch die Religion, ge­fördert durch Noth und Unterdrückung fördert durch Noth und Unterdrückung so entstand in der ältesten Zeit die Prostitution. Sie wuchs mit der Ausdehnung der Stla­verei, fast alle bekannten Hetären waren ursprünglich Stla­vinnen, und gewann an Ansehen und Bedeutung, je tiefer die Stellung des weiblichen Geschlechts im Allgemeinen war. Ihre Blüthezeit erlebte sie in Griechenland  , als Kunst und Wissenschaft auf ihrer Höhe standen und der Kultus der Schönheit die Religion beinahe ersetzte.

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Gern trat die schöne Sklavin, auf die das bewundernde Auge des Gebieters gefallen war, aus dem engen dumpfen Gynä­fonitis mit seiner einförmigen Arbeitspflicht auf den offenen Markt hinaus, um von den Dichtern besungen, den Künstlern gemalt und gemeißelt, dem Volke verehrt zu werden. Und diejenigen Frauen, deren reger Geist sich durch das abgeschlossene Leben nicht ertödten ließ, in deren Gemach ein Schimmer vom Glanz griechischer Bil­dung verlockend eindrang, betraten häufig genug den einzigen Weg, der ihnen offen stand, denn nur die Buhlerin war in Griechen­ land   eine freie Frau, die ihrer Liebe folgen, die an der hohen Geisteskultur ihres Vaterlandes persönlichen Antheil nehmen konnte.1 Die Geliebte des Perikles  , Aspasia  , die Lehrerin des Sokrates, Diotima  , die Schülerin des Plato, Lastheneia, die des Epifur,

1 Vgl. W. E. H. Lecky, Sittengeschichte Europas  . Uebersetzt von Dr. H. Jolowicz. 2. Aufl. Leipzig   1879, S. 242 f.

mit Nußen genossen hat, so liegt eine wahrhaft erhabene Ungereimt­heit in dem tugendhaften Aufflackern, mit welchem die guten Stadt­väter von San Francisco   bekannt machen es ist das vor Kurzem wirklich geschehen daß die Polizei die gemessene Weisung habe, alle Knaben, gleichviel welcher Art sie seien, und wo sie betroffen würden, festzunehmen, sobald sie sich beikommen ließen, Chinesen anzugreifen.

Indeß, freuen wir uns aufrichtig, daß sie diese Weisung er­lassen haben, trotz ihrer Ungereimtheit, und geben wir uns ganz dem Vertrauen hin, daß auch die Polizei sich darüber freue. Denn bei dem Arretiren von Knaben, vorausgesetzt, daß sie noch klein sind, setzt man sich keiner persönlichen Gefahr aus, und die Zeitungs­berichterstatter werden die polizeilichen Großthaten ebenso getreulich zu loben haben wie bisher, sonst könnte ihnen der Stoff ganz ausgehen.

Die neue Form der Lokalnachrichten in San Francisco   wird jezt folgende ſein:

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,, Dem immer wachsamen und eifrigen Polizeibeamten Soundso gelang es gestern Nachmittag, das Knäblein Tommy Jones nach einem hartnäckigen Widerstand zu verhaften" u. s. w. u. s. w., worauf die üblichen statistischen Angaben und das Schlußhurrah mit seinem unbewußten Sarkasmus folgen: Es gereicht uns zu hoher Genugthuung, melden zu können, daß dies der siebenund­vierzigste Knabe ist, den dieser wackere Polizist seit Erlassung der neuen Verordnung dingfest gemacht hat. In der Polizeiabtheilung herrscht die größte Rührigkeit. Soweit wir uns erinnern, hat man derartiges noch nie erlebt."