Zu einer imposanten Kundgebung für das gleiche Vereins- und Versammlungsrecht beider Geschlechter gestaltete sich eine Festversammlung in Weißensee . Polizeiliche und landräthliche Fürsorge macht es in Weißensee den Frauen unmöglich, das Stiftungsfest einer proletarischen Organisation zu besuchen. Der sozialdemokratische Arbeiterverein veranstaltete deshalb eine Festversammlung, um den Frauen die Betheiligung zu ermöglichen. Genosse Liebknecht sprach in zündender Weise und unter stürmischem Beifall über die Bedeutung der Organisation und des Wahlrechts für das Proletariat. In einer von sozialistischen Akademikern einberufenen öffentlichen Studentenversammlung sprach Genossin Zetkin über das Thema:„ Der Student und das Weib." Der„ Verein deutscher Studenten " hatte in einer Erklärung die Akademiker aufgefordert, die Versammlung nicht zu besuchen. Trotzdem war der große Saal der Brauerei Lips- Friedrichshain wie die Gallerie bis auf den letzten Platz gefüllt, viele Versammlungsbesucher mußten stehen. Das Publikum refrutirte sich fast ausschließlich aus akademischen Kreisen. Auch Herren der deutschnationalen Studentenverbände waren in guter Zahl erschienen, sahen sich aber in ihrer Hoffnung enttäuscht, die Versammlung sprengen zu können oder zu byzantinischen Rundgebungen zu bewegen. Die Referentin wurde von einem Theile der Anwesenden mit lebhaftem Beifall, von einem anderen Theile mit Zischen begrüßt. Der Vortrag wurde wiederholt von Kundgebungen der Zustimmung unterbrochen; lange anhaltender, stürmischer Beifall bewies am Schlusse, daß die übergroße Mehrzahl der Anwesenden den Ausführungen beipflichtete. Genossin Zetkin entwickelte die These, daß der Kampf des weiblichen Geschlechts als Klasse das Ziel verfolge, soziale Bewegungsfreiheit zu schaffen für die Entwicklung und das Ausleben der Frau als eines weiblichen Vollmenschen. Sie stellte diesem Kampfe die Haltung der studirenden und studirten Welt gegenüber und wies nach, daß die Frauenfrage ihre Lösung erst in der sozialistischen Gesellschaft finden könne. Diese allein biete die Vorbedingungen für das Vollmenschenthum der Frau wie des Mannes. Die sozialistische Gesellschaft beseitigt die Konflikte, welche die Verwirklichung der frauenrechtlerischen Ziele zeitigt, sie giebt aber auch den Studirten selbst die Möglichkeit des Auslebens als freie und starke Persönlichkeit. Der Vortrag wird als Broschüre erscheinen. In der Disfussion stimmte Herr Dr. Rösemeyer den Ausführungen im Allgemeinen bei. Er brachte schlagende Belege für die Freiheit der Wissenschaft in der Aera Stumm- Kanit bei und warnte das Volk der Denker und Dichter, nicht eine Nation von Reserveleutnants zu werden. Die Herren stud. Wangemann, Medenwald und Rosenstein wendeten sich gegen die Ausführungen der Referentin. Sie erwiesen sich rednerisch ebenso ungewandt, als findlich im Erfassen der sozialistischen Auffassung. Herr Wangemann faßte z. B. die Greuel der sozialistischen Gesellschaft in den Worten zusammen:„ Wo
Der goldene Schlüssel."
Dir,
-
Von Klara Müller.
Dem goldenen Schlüssel
Zum sonnigen Lande der Freiheit, Dir sing' ich.
Irgendwo, irgendwo in der Welt, -In Orangenwäldern vielleicht, Wo der Gluthwind die Zweige bricht Und sie reifer, saftstrozender Früchte voll Dem Wanderer in den Schoß wirft,
Oder an Norwegs Felsenkap,
Das die kühle Stirn
Hoch in schimmernde Wolken hebt
Und niederschauend sich spiegelt
In dem träumerisch blauen Auge des Fjords- Irgendwo in der Welt
Weilt die Fee,
Die dich mir versprochen
In heiliger Stunde
Und nun der Zeit nicht gedenkt,
Ihr Wort mir zu lösen.
Jahre verrauschen,
Auf meinen Scheitel fällt Schnee.
* Aus:„ Mit rothen Rressen", ein Gedichtbuch von Klara Müller, Großenhain 1899, Verlag von Baumert& Ronge. Wir werden in nächster Nummer der„ Gleichheit" eine Besprechung dieser Gedichtsammlung bringen, in ber uns moderner Kampfesgeist gepaart mit hohem künstlerischem Rönnen entgegentritt.
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haben Sie die größere Freiheit, in dem sozialistischen Zukunftsstaat, wo Jeder acht Stunden arbeiten muß oder jetzt, wo Sie gar nicht zu arbeiten brauchen?" Herr Medenwald suchte eine monarchische Kundgebung zu entfesseln, fand aber wenig Gegenliebe in der Versammlung. Dr. Oppenheim und Student Michelsohn sprachen im Sinne des Vortrags. Genossin Zetkin zeigte in ihrem Schlußworte, daß die sozialistische Internationalität die wahre Vaterlandsliebe nicht ausschließt. Des Weiteren illustrirte sie die Fürsorge, welche Kunſt und Wissenschaft in unseren Zeiten durch das Staatsoberhaupt erfahren. Dem Hoch auf regierende Persönlichkeiten setzte sie ein Hoch entgegen auf die freie, starke, sittlich reife Persönlichkeit. Die Versammlung endete mit einem begeisterten Hoch auf die Sozialdemokratie, vor dem das versuchte Gejohle der Deutschnationalen verſtummte.
In Leipzig und Konnewitz fanden Mitte Februar öffentliche Volksversammlungen statt, in denen Genossin Ihrer- Pankow über „ Die Rechtsstellung der Frauen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts" referirte. Ihre eingehenden, durch reiches Material gestützten Darlegungen fanden begeisterte Zustimmung. In beiden Versammlungen beschlossen die Genossinnen, sich dem Protest der Berlinerinnen gegen das Bürgerliche Gesetzbuch anzuschließen. In Leipzig wurde im Anschluß an die Versammlung die Gründung eines Vereins für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse beschlossen. Die Genossinnen wählten einen provisorischen Vorstand und beriethen einen Statutenentwurf. Vierzig Frauen zeichneten sich als Mitglieder in die ausgelegten Listen ein.
In den Tiefen der Seele Aber wirkt und schafft
Von der Organisation. Am Montag den 13. Februar hielt der Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse seine Vereinsversammlung. Frau Zepler referirte über das Thema:„ Welchen Werth hat die Bildung für die Arbeiterin?" Sie erörterte zunächst den Unterschied von Wissen und Bildung. Wissen oder Kenntnisse auf ganz bestimmten wissenschaftlichen Gebieten können sehr wohl mit einem völligen Mangel an Bildung gepaart sein. Denn Bildung ist eine Steigerung aller geistigen Fähigkeiten, also nicht nur der Dentkraft, sondern auch des Seelenlebens und des Schönheitsempfindens. Der wirklich Gebildete müsse das geistige Leben seiner Zeit in allen seinen Ausdrucksformen begreifen; er müsse auch eines selbständigen Urtheils fähig sein. Wie kann die Arbeiterin nun eine solche Bildung gewinnen? Eigenes Studium aus Büchern und durch künstlerische Anschauung ist ihr nur selten möglich, da ihr Mangel an Zeit, an Geldmitteln und an schulmäßiger Vorbildung überall hemmend entgegen treten. Darum wolle der Verein ihr eine Stätte bieten, wo sie Belehrung und Anregung schöpfen könne. Es solle Werth darauf gelegt werden, auf den verschiedensten Gebieten, in den Naturwissenschaften und der Medizin, in Völker- und Wirthschaftsgeschichte und in Kunst und Literatur, das für moderne Anschauungsweise
Befruchtete Frühlingskraft
Und keimt und gebiert an das Licht
Der Gewißheit leuchtende Blume:
Ein Tag wird kommen
Und eine Stunde blühen
Aus dem Dämmerdunkel des Alltagsdaseins,
So wonnig und wärmend Von Gebeten begrüßt,
Wie die Siegerin Sonne Der eisigen Dede
Den Schauern der arktischen Nacht enttaucht.
Und leise, leise, Lockend wie Harfenlaut
Klingt es und klirrt es
Vor der Thür meiner Hütte
Und pocht und pocht.
Ich erkenne den Laut Und erhebe mein Haupt Und lächle und lausche...
Da knarren und knirschen
Die rostigen Riegel: Die Thür springt auf.
Ueber die Schwelle strömt
Eine flimmernde Fluth von Sonnensilber Und mitten drin in dem Sonnenlichtmeer Die Fee,
Die dich mir versprochen,
Den goldenen Schlüssel zum Lande der Freiheit Und die nun gekommen ist, Ihr Wort zu lösen.
Liebevoll lächelnd Schreitet die Lichtmar
Durch das Dunkel der Hütte. Um sie her
Wallen und weben
Gleißend und glimmernd Die goldenen Fäden
Und legen ein Lichtband
Ueber die lastende Staubschicht am Boden, Ueber die drückenden Ketten am Arm mir, Ueber den klappernden Webstuhl,
An den ich geschmiedet war
Jahre, o Jahre lang,
In leuchtenden Händen
Trägt sie den Schlüssel,
Und wie sie leise den Arm mir berührt, Springt die Kette mit klirrendem Klang
Springt
-
fällt
-
Und ich hebe die Hände
Jubelnd und jauchzend
Und fasse die strahlenden Finger der Fee Und schreite mit ihr
Aus dem Dunste der Dienstbarkeit, Aus der Hütte farbloser Finsterniß In die Helle,
In die sonnigen Lande der Freiheit hinaus.