Nr. 7.
Die Gleichheit
9. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3033) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch, den 29. März 1899.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Juhalts- Verzeichniß.
Patriotische Heirathsfuppelei.
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Sittliches und Unfittliches im Reichstag. Die Frage der weiblichen Fabrikinspektoren vor dem preußischen LandAus der Bewegung. tage. Von Paul Hirsch .. Feuilleton: Eine Dichterin der Freiheit. Von Klara Zetkin. ( Fortsetzung.) Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Weibliche Fabrikinspektoren. Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Hausindustrie.- Frauengenossenschaften.- Frauenstimmrecht. Frauenbewegung.
Patriotische Heirathskuppelei.
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Die Vorsehung hat zwar das Deutsche Reich mit der kostspieligen und ungesunden südwestafrikanischen Kolonie begnadet und mit kritiklosen Schwärmern dafür, aber nicht mit Frauen, denen es besonders darnach gelüftet, sich eventuell wie ein simples Negerweib von tropenfollerigen Stolonialhelden per Nilpferdpeitsche von den Segnungen der Kolonisation überzeugen zu lassen. Die Kolonialfere aus Profession oder Neigung haben deshalb schon seit Langem die Werbetrommel gerührt, um im Interesse der Reinhaltung der deutschen Rasse und der Ausbreitung deutscher Kultur" Mädchen aus dem Bauern- und Arbeiterstande" für den Dienst- und Heirathszug nach Südwestafrika zu begeistern. In manchen frauenrechtlerischen Kreisen wurde in der Folge ganz ernstlich erwogen, ob ihrerseits diese Bestrebungen nicht um den Preis zu fördern seien, daß den sich ansiedelnden Frauen auf dem Gebiete des Schul- und Gemeindelebens 2c. gleiche Rechte mit den Männern zuerkannt würden. Nur der frauenrechtlerischen politischen Unschuld vom Lande konnte der lächerliche Gedanke fommen, den deutschen Frauen in den Kolonien könnten höhere Soziale Rechte von der nämlichen Regierung verliehen werden, die fie im Mutterlande politisch auf eine Stufe stellt mit Kindern, Ehrlosen und Wahnsinnigen. Nur sie konnte sich an dem Wahne berauschen, daß im Schatten der Nielpferdpeitsche der Peters, Leist 2c. und der Vergewaltigung schwarzer Pfandweiber eine höhere Bewerthung und Rechtsstellung der deutschen Frau emporzusprießen vermöge. Die Auskunft, welche den anfragenden Damen zu Theil ward, war denn auch so unzweideutig, daß den Frauenrechtlerinnen die Schmach erspart blieb, als„ ehrliche Maklerinnen", ein Gesindevermieth- und Heirathsbureau„ vornehmsten Stils" für das deutsche Südwestafrifa zu eröffnen.
Jedoch was der Frauenrechtelei erspart geblieben, das sann die Kolonialverwaltung dem Deutschen Reiche an. Sie forderte im Etat für die südwestafrikanische Kolonie 25 000 Mart zur Beihilfe für die sich ansiedelnden Mädchen. In welche Verhältnisse aber die sich ansiedelnden Mädchen gelangen, das erweist flärlich der Dienstvertrag, denen diese mit ihrer Herrschaft unter dem Protektorat der Deutschen Kolonialgesellschaft schließen. Dieser Vertrag ist thatsächlich ein Sklavereivertrag, ein sinnenfälliger Ausdruck der schmachvollen Gesindesklaverei, die in Deutschland noch zu Recht" besteht. Die Mädchen verpflichten sich zu einem Dienstverhältniß von zwei Jahren, das ihrerseits nur alle sechs Monate gekündigt werden kann, während der Herrschaft das monatliche Kündigungsrecht zusteht. Sie sind laut Vertrag zu allen Arten von Diensten gehalten, auch wenn diese nicht unter die Thätigkeit eines Mädchens für alles fallen. Bei Streitigkeiten
Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Zetkin ( Eißner ), Stuttgart , RothebühlStraße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
mit der Herrschaft entscheidet der Gouverneur der Kolonie, seine Entscheidung müssen die Mädchen mit Verzicht auf alle Rechtsmittel anerkennen, sie müssen ferner den Dienst annehmen, den er ihnen zuweist. Die Reisekosten nach der Kolonie tragen die Deutsche Kolonialgesellschaft und das Gouvernement zusammen. Die Kosten einer eventuellen Rückreise müssen die Mädchen aus eigenen Mitteln bestreiten, damit sie bei der Wandelbarkeit des weiblichen Sinns nicht so leicht zurückfahren können", wie Graf Arnim rechtfertigend bemerkte. Da der vertragsmäßige Lohn nur 20 Mark monatlich beträgt und Kleider, Schuhe 2c. sehr hoch im Preise stehen, sind die gerufenen Förderinnen deutscher Kultur außer Stande, das Reisegeld für die Heimkehr zu ersparen. Sie bleiben an die Kolonie gefesselt, den Wechselfällen der Noth und Verlassenheit preisgegeben. Ist die Eriſtenz als Haussklavin nicht möglich, so winkt vielleicht das Gewerbe als Lustsklavin.
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Die Deutsche Kolonialgesellschaft verquickt in schöner Vielseitigkeit die Thätigkeit der Dienstbotenvermittlung mit der der Heirathskuppelei, ja die Heirathskuppelei ist die„ moralische Rechtfertigung" des Gesindeschachers. Den Mädchen wird die Auswanderung da= durch mundgerecht gemacht, daß es heißt, ste sollen zunächst bei Ansiedlern und Missionsfamilien Anschluß" finden, um dann als " gute deutsche Hausfrauen" Familien zu gründen. Die Kosten aber für so edles Thun sollten dem deutschen Michel aufgebürdet werden. In der Kommissionsberathung wie in der Plenarsizung des Reichstags bekämpfte Bebel energisch die Forderung und unterzog den gekennzeichneten Vertrag einer vernichtenden Kritik. Es ist charakteristisch für die niedrige, grobe Einschäßung der Sittlichkeit und Ehe in den durch Besiz und Bildung einflußreichen Kreisen", daß die Kolonialschwärmer die 25 000 Mark zu retten versuchten durch den Hinweis auf die angestrebte Verheirathung der Mädchen als auf einen höheren Zweck. Die Reichstagsmajorität besaß genug Anstands- und Reinlichkeitsgefühl, die Forderung abzulehnen und das Deutsche Reich nicht zum Gesindevermittler und Schadchen herabzuwürdigen. Die Weihrauchwolfen, welche konservative und gutkatholische Edelste in holder Bundesbrüderschaft mit dem nationalliberalen Professor Hasse vor der geschichtlichen Mission der Frau als Förderin der Kultur in Südwestafrika steigen ließen, ver= mochten das Allerheiligste nicht zu verdecken, dem sie dufteten: den kapitalistischen Profit, dem Gesindesklaverei und Ehekuppelei dienen soll.
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Die überschäumenden Huldigungen, welche die sonst nichts weniger als frauenrechtsfrohen Herren der ehrenvollen Kulturmission" der Frau darbrachten, drängen übrigens eine Frage auf. Warum wollen die ochsengräflichen und bürgerlichen Schwärmer nur Mädchen aus dem Bauern- und Arbeiterstande die Ehre gönnen, sich durch ihre Ansiedelung in den Fieberlöchern und Sandwüsten von Afrika um die deutsche Kultur hochverdient zu machen? Warum verzichten sie in edler Klassenselbstlosigkeit für die Mädchen ihrer Kreise auf die Lorbeeren, durch ihre Auswanderung zu der Erhaltung der deutschen Rassenreinheit und der Pflege deutscher Kultur beizutragen? Erachten sie die höheren Töchter für zu gut oder für zu schlecht, um wie Proletarierinnen als„ Reichs- Zuchtmaterial" zu dienen? In den ersten Zeiten des Gondelenthusiasmus marschirten bekanntlich in mehreren Städten höhere Töchter in der Uniform freiwilliger„ Seeulanen" auf, sangen, deklamirten und mimten zu Gunsten einer Vermehrung unserer Kriegsflotte. Wie wäre es, wenn die Kolonialfere behufs Besiedelung des deutschen Südwest