und die wirkliche Nutzbarmachung der staatlichen Aufsicht für die Arbeiterschaft erst möglich werden wird durch weitgehende Reformen der Gewerbeinspektion selbst, nämlich durch

Ausdehnung derselben auf Handwerk, sowie Klein- und Haus­industrie, Handel, Transport und Verkehr, Zentralisirung in eine Reichsinspektion, Vermehrung der Beamten durch Gehilfen und Gehilfinnen aus Arbeiter und Angestelltenkreisen, sowie Aus­stattung der Beamten mit Vollzugsrecht und voller Unabhängigkeit. Deswegen fordert der Kongreß alle Arbeiter und Arbeiterver­treter auf, mit aller Energie dahin zu wirken, daß diese Reformen, durch welche die Gewerbeinspektion erst wirklich nutbringend für die Arbeiterschaft gestaltet wird, zur Durchführung gelangen.

Aber auch so lange diese Reformen nicht erreicht sind, sollen Arbeiter und Arbeiterinnen unablässig in den oben angegebenen drei Richtungen thätig sein, damit Gesetzgebung und Verwaltung desto früher zu Verbesserungen gedrängt werden."

Notizentheil.

( Don Tily Braun und Klara Betkin.)

Weibliche Fabrikinspektoren.

Ueber die Thätigkeit der hessischen Assistentinnen der Fabrikinspektion enthält der soeben erschienene Jahresbericht für 1898 interessante Mittheilungen, die unzweifelhaft bestätigen, daß die Beamtinnen sich gut bewährten. Der Fabrikinspektor für den Aufsichtsbezirk Mainz  , Herr Baentsch, der tüchtigste Beamte der hessischen Gewerbeaufsicht, äußert sich betreffs der Thätigkeit der ihm beigegebenen Assistentin wie folgt:

Hier kann berichtet werden, daß die Arbeitgeber im Allge­meinen bis jetzt eine entgegenkommende Stellung zur Assistentin ein­genommen haben. Einige Arbeitgeber haben der Assistentin besondere Gelegenheit gegeben, mit Arbeiterinnen zu sprechen, indem sie beliebig von ihr bezeichnete Arbeiterinnen aus dem Arbeitsraum heraus­gerufen haben und dort ohne ihre Anwesenheit eine Aussprache herbeiführten. Andere haben die Assistentin direkt aufgefordert, mit ihren Arbeiterinnen im Arbeitsraum zu sprechen. Manche Arbeit­geber zeigten allerdings beim Erscheinen der Assistentin in ihrem Betriebe eine gewisse Unruhe und schien ihnen ein Ansprechen der Arbeiterinnen nicht angenehm zu sein. Daher mag es auch kommen, daß die Arbeiterinnen stets

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und mit tieferem Ernst als sie suchte er dagegen anzufämpfen.| Er entwarf von dem Volke der Germanen ein schattenloses Bild und der Gedanke liegt nahe, er habe es hauptsächlich geschrieben, damit Rom   an dieser schlichten Reinheit seine eigene Verworfenheit erkennen möge. Er glaubte an die Wirkung des guten Beispiels mehr als an die wohlgemeinten Predigten und zog dabei nicht in Betracht, daß gute Sitten sich nicht durch den guten Willen ver­pflanzen lassen, sondern von selbst aus dem gesunden Boden der Volksnatur hervorwachsen müssen.

In allen Völkern, deren Entwicklungsstufe dem Urzustand am nächsten steht, die den schroffen Gegensatz von arm und reich, frei und unfrei noch nicht kennen, ist die Lage der Frauen eine ver­hältnißmäßig günstige, weil die für die ganze Familie nothwendig auszuführende Arbeit allein in ihren Händen ruht, weil die Bil­dung der beiden Geschlechter eine gleiche ist, und die uralte gött liche Verehrung der Mutterschaft ihren Glorienschein noch auf das Weib zurückwirft. Die germanische Frau erschien Tacitus   in ihrer Keuschheit, ihrem Fleiß, ihrer Einfachheit als das gerade Wider­spiel der sittenlosen, faulen, verschwenderischen Römerinnen. Mit dem Tode wurde der Ehebruch bestraft, mit Peitschenhieben ver­trieb man die Dirne aus dem Heerbann; berführen und ver= führt werden nennt man nicht Zeitgeist, und mehr wirken dort gute Sitten als anderswo gute Gefeße". Die Mühseligkeiten mondelanger Wanderungen mit Kindern und Hausgeräth, die Schrecken der Fehden und Kriege theilten die Weiber mit den Männern. Das Klima ihrer Heimath und die Strapazen ihres Lebens hatten sie widerstandsfähiger und träftiger werden lassen als andere ihres Geschlechts. Troß alledem war die Germanin nicht der Typus der glücklichen, freien, gleichberechtigten Frau, wie

1 Vgl. Tacitus  , Germania, übersetzt von M. Oberbreyer. Leipzig  , S. 28.

den Eindruck machten, als ob sie es nicht wagten, über ihre Verhältnisse etwas anzugeben. Wenn aus ihnen etwas herauszubekommen war, so schauten sie dabei ängstlich nach ihrem Arbeitgeber hin. Es wird deshalb noch eine Zeit vergehen, ehe die verschüchterte Arbeiterin Vertrauen faßt und die Beamtin selbst aufsucht."

Die Assistentin des Bezirks Offenbach revidirte 89 Fabriken, in denen 2634 erwachsene und 420 jugendliche Arbeiterinnen beschäf= tigt waren. Ihre Amtsthätigkeit ist also im Ganzen 3054 Arbeite­rinnen zu Gute gekommen. Die 89 Fabriken wurden von der Assistentin nur einmal besucht. Zu ihren auswärtigen Dienstgeschäften benöthigte die Beamtin acht ganze und zwei halbe Reisetage. Recht anerkennend und vorurtheilslos spricht sich der Fabrikinspektor des Bezirks Offen­bach auf Grund der vorliegenden Erfahrungen über den Nutzen weiblicher Gewerbeaufsichtsbeamten aus und empfiehlt eine Erweite­rung ihres Thätigkeitsbereichs. Er sagt:

"

,, Ueber die Dienstführung von weiblichen Gewerbeaufsichts­beamten waren zur Zeit des Dienstantritts der Assistentin Erfah­rungen so gut wie nicht vorhanden. Was sich in dieser Beziehung bis zur Zeit der Berichterstattung feststellen ließ, ist, daß sich weib­liche Beamte besser als männliche dazu eignen, die sittliche Stellung der Arbeiterinnen zu den Arbeitgebern und zu den mit den Arbeiterinnen zusammen beschäftigten Arbeitern, Aufsehern, Werk­führern, Betriebsbeamten u. s. w. zu beobachten, die Ueberwachung der Bestimmungen der die weiblichen Arbeiter betreffenden Theile der Gewerbeordnung, namentlich aber die der Bestimmungen des § 137, Abs. 5 daselbst, welcher von der Beschäftigung der Wöchne­rinnen handelt, zu übernehmen. Dann erscheint noch die Be­obachtung der Lohn, Wohnungs- und Ernährungsverhält­nisse der Arbeiterinnen, sowie der aus der Fabrikthätig­keit der weiblichen Familienmitglieder entspringenden häuslichen Verhältnisse durch weibliche Beamte geboten. Um aber diesen Zweck zu erreichen, wird es nun nicht genügen, der Assistentin vornehmlich diejenigen Betriebe, welche Arbeiterinnen in erheblicher Zahl beschäftigen, zuzutheilen; sondern alle gewerb lichen Anlagen, in welchen Arbeiterinnen im Betriebe beschäftigt werden, in denen also die Arbeiterinnen nicht nur zum Zurichten der fertigen Waaren für den Versandt oder zur Reinigung und In­standhaltung der Räume verwendet sind oder sonstige an die häus­liche Thätigkeit der Frauen erinnernde Beschäftigungen haben, sollen von der Assistentin beaufsichtigt werden."

Die vorstehenden Aeußerungen werden zusammen mit den in Bayern   gemachten Erfahrungen über das Wirken der weiblichen

sie einem Tacitus auf den ersten flüchtigen Blick erscheinen mochte. Auch sie war nur des Mannes willenloses Eigenthum; alle Arbeit, auch die des Feldes, lag allein in ihren Händen, während der Mann im Frieden auf der Bärenhaut lag. Sie mußte den Pflug führen und auf schweren Handmühlen das Getreide mahlen, sie mußte die Hütte aufrichten, backen, Meth   brauen, spinnen und weben; sie blieb auch dann noch überlastet, als nach den großen Wanderungen auch die Männer Ackerbauer geworden waren, denn das Gebiet ihrer Thätigkeit umspannte, außer der häuslichen Wirth­schaft, die Viehzucht, die Schafschur, die Flachsbereitung und nicht zum mindesten die aufmerksame Bedienung des Mannes."

In der ganzen heidnischen Welt finden wir in Bezug auf die Stellung der Frau nur Gradunterschiede. In Folge ihrer Geschlechtsfunktionen und der nothwendig daraus folgenden Be­schränkungen war sie dent Manne   untergeordnet; Religion, Recht und Sitte heiligten und befestigten diesen Zustand. Die wirth­schaftlichen Verhältnisse trieben sie noch nicht in den offenen Kon­kurrenzkampf mit dem Manne; selbst die Sklavin war nicht die Konkurrentin, sondern die Leidensgenossin des Sklaven, und es gab daher wohl Sklavenkriege, aber keine Frauenbewegungen. Erst mußte die Frauenfrage in ihrer ganzen Schärfe formulirt werden, ehe eine Bewegung sich ihre Lösung zum Ziel setzen konnte. Nur leise Spuren von ihr haben wir in Griechenland   und Rom   ver­folgen können. Mit dem Zusammenbruch der antiken Gesellschaft und dem allmäligen Auftauchen neuer Lebens- und Arbeitsformen tritt sie immer deutlicher hervor, bis sie auf jenen Höhepunkt gelangt, von wo aus ihr Flammenzeichen überall sichtbar wer­den sollte.

1 Vgl. G. L. von Maurer  , Geschichte der Frohnhöfe. Erlangen  , 1862, Bd. I, S. 115, 135, 241 ff. Bd. II. S. 387 ff. Bd. III, S. 325.