-

-

dingungen, allgemeine Reduzirung der Arbeitszeit, Erleichterung des Hauswesens durch Inanspruchnahme aller jetzt nur den Reichen zu­gänglichen technischen Hilfsmittel können der Frau die Möglichkeit schaffen, auch als Gattin und Mutter einen Beruf auszuüben. Eine der Diskussionsrednerinnen, wenn von Diskussion überhaupt ge­sprochen werden kann, da alle Reden vorbereitet waren und großen­theils abgelesen wurden, erklärte auch eine harmonische Ver­schmelzung der Thätigkeit der Hausfrau mit der der berufs­thätigen Frau, wie sie heute sein muß, nur bei Ausnahmsmenschen für möglich; den Weg, die Möglichkeit für alle zu schaffen, gab sie nicht an. In den ferneren Sizungen dieser Sektion nahmen die Be­sprechungen solcher Berufe, die nur den Frauen der Burgeosie zu­gänglich sind, den breitesten Raum ein. Die zahlreich anwesenden weiblichen Aerzte sprachen über ihren Beruf; Doktorinnen der Phi­losophie diskutirten über die Stellung der gelehrten Frauen, über ihre bisherigen und ihre zu verwerthenden Leistungen; lange Vor­träge über die weiblichen Schriftsteller wurden gehalten, wobei der Herzogin von Bedford das Wort entfuhr: Statt so viel unnüzes thörichtes Zeug zu schreiben, sollten die Frauen lieber lernen die Stuben zu scheuern, damit würden sie sich auf nützlichere Weise Geld verdienen." Allgemeines Interesse erregten die Berichte über die Frau im Journalistenberuf; man erfuhr, daß in Amerika   Gehälter von 5-8000 Dollars( 20-32000 Mt.) an geschickte Journalistinnen gezahlt werden. Jedes Blatt beschäftigt einige, auch England hat zahlreiche weibliche Reporter. Meist wird der Nachweis wissenschaft­licher Bildung, von ihnen verlangt, und Frauen, die die Universitäts­studien durchmachten, werden bevorzugt. Die stärkste Anziehungskraft aber übten die Verhandlungen über die Frau am Theater aus; die weibliche Neugierde sollte hier durch den Anblick berühmter Schau­spielerinnen befriedigt werden, und während die in einem kleinen Saal zu gleicher Zeit tagende Sektion für Arbeiterinnenschutz halb leer blieb, war der Riesensaal lange vor Beginn vollständig gefüllt. Englische, amerikanische und deutsche Schauspielerinnen sprachen sich über die Mühen und Gefahren, die Freuden und die Erfolge ihres Berufs aus und kamen zu dem Resultat, daß eine feste Organisation der Bühnenkünstlerinnen allein im Stande sein würde, den ganzen Beruf sittlich und wirthschaftlich zu heben. Auch der Beruf der weiblichen Fabrikinspektoren wurde bei einer anderen Sizung erörtert. Ueber die Nothwendigkeit, ihn in allen Ländern den Frauen zu er­öffnen, herrschte nur eine Meinung; dagegen war sie sehr getheilt in Bezug auf die Frage, welche Frauen als Gewerbeaufsichtsbeamten

Jack.

Geschichte eines wahren Romans. Don Alphonse Daudet  . Deutsch von Wilhelm Thal.

( Schluß.) III.

In der Familie, in der ich lebe, bin ich von guten, groß­herzigen Menschen umringt, die das Unglück des jungen Burschen gerührt hatte, und man riß sich darum, ihm wohlzuthun.

" Ich bezahle die Reise", sagte die alte Großmama. Ein anderes Glied der Familie übernahm die Anschaffung der Wäsche, ein Drittes kaufte die Kleidung, und Raoul nahm alles an, denn jetzt, da er eine Stellung hatte, war er sicher, seine Schuld ab­tragen zu können. Man denke doch: 1500 Francs pro Jahr! Und dann wollte er mir schreiben, mir Artikel schicken! Er plante noch ein anderes Glück, von dem er mir am letzten Abend er­zählte, er wollte seine Mutter zu sich kommen lassen!

Er sah sehr gut in seiner neuen Kleidung aus; seine Augen glänzten und seine Züge waren durchgeistigt und verschönt, während er zu mir von seinen Plänen sprach. Das war nicht mehr der Enterbte, der Kranke, der Elende, sondern ein guter Kamerad, ein Glied meiner Familie, das mich verließ, und das ich nie wieder sehen sollte.

Von Algier   schrieb er mir oft: Ich träume! ich träume! mir ist, als wäre ich im Himmel!" Er wohnte in einem Stadt­viertel, das vom Meere durch Orangenhaine getrennt ist, bei einem mir befreundeten Maler, an den ich ihn empfohlen hatte. Seine Bureauarbeiten nahmen ihn wenig in Anspruch und ließen ihm Zeit, sich nach einem Programm von Büchern zu bilden, die ich ihm aufgeschrieben hatte.

Doch es war zu spät gewesen, um ihn dem Elend zu ent­reißen! Er hatte zu viel gelitten und zu frühzeitig! An ihm

116

anzustellen seien. Die Mehrheit erklärte, es müßten unbedingt ge­bildete Frauen sein, d. h. keine Arbeiterinnen. Die Berufe des Gärtners, Obstzüchters, Landwirths, Bibliothekars u. s. w. wurden den überzähligen Töchtern des Bürgerstandes sehr empfohlen. Wich­tiger für die Masse der Frauen war die Forderung der Eröffnung von kunstgewerblichen Lehranstalten für Frauen, wo sie sich den großen Aufschwung des Kunstgewerbes zu Nutze machen und Tücht­tiges, über öden Dilettantismus Hinausragendes, leisten könnten. Bei der Erörterung der Stellung der Frau als Pianistin und Sängerin kam es zu langen Auseinandersetzungen über Gesangsmethoden, Schulung der weiblichen Stimme 2c., ohne die zweifellos ein Frauen­fongreß nicht vollendet gewesen wäre!

" In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister!" Dieses weise Wort schien für die Einberuferinnen des Londoner   Kongresses nicht gesprochen worden zu sein, denn überladen wie diese Sektion waren auch die anderen, vor Allem die für Erziehungswesen, die das ganze Gebiet vom Kindergarten bis zum Universitätsstudium umfaßte. Als ein gutes Resultat ihrer Verhandlungen muß betrachtet werden, daß die gemeinsame Erziehung beider Geschlechter, von der aus Amerika  , Frankreich  , Schweden  , Belgien  , England, wo sie zum Theil besteht, nur das Beste zu berichten war, ziemlich einmüthig gefordert wurde. Auch die Ansicht, daß dem Handfertigkeitsunterricht größere Aufmerk­samkeit geschenkt werden sollte, fand Zustimmung, ebenso wie die Meinung einer Rednerin, die Hauswirthschaft müsse zur Wissenschaft erhoben und überall gelehrt werden, lebhaften Beifall hervorrief. Vergessen wurde dabei nur, daß die nothwendige Ergänzung solchen Unterrichts die Möglichkeit wäre, ihn anzuwenden, und daß den Prole­tarierinnen dafür so gut wie alle Bedingungen fehlen. Werthvolle Berichte lieferten in derselben Sektion die Vertreterinnen verschiedener Staaten über das Universitätsstudium der Frauen. Darnach sind die Verhältnisse in Deutschland   für weibliche Studirende noch immer sehr unvortheilhaft, während sie in Frankreich  , wo neuerdings Frauen auch zur Advokatur zugelassen werden, besonders vortheilhaft sind. In Schweden  , wo weibliche Studirende fast ganz dieselben Rechte genießen, wie männliche, bilden erstere heute fast 4 Proz. der gesammten Studentenschaft. In Dänemark   ist man den studirenden Frauen sehr wohlgesinnt. Seit 1872 steht ihnen die Universität Kopenhagen   offen; Lehrer und Studenten bezeigen ihnen die größte Achtung, was zum großen Theil auf den gemeinsamen Schulunterricht der Geschlechter zurückzuführen sein soll. Sehr belehrend für blinde Bewunderer amerika­nischer Verhältnisse waren die Schilderungen der amerikanischen ,, Uni­

zehrte von Kindheit an eines jener tückischen Leiden, die mit dem Menschen groß werden.

" Ich bin schwer heimgesucht worden", schrieb mir Raoul in einem Briefe vom 18. Juni 1870; doch dank einer energischen Behandlung bin ich wieder auf dem Posten; schwach, sehr schwach allerdings! In den vierzehn Tagen der Rekonvaleszenz, die ich, ohne auszugehen verbracht, hat meine Phantasie viele Spaziergänge mit Ihnen durch den Wald unternommen. Mein Kopf war zu schwach zum Lesen und ich träumte recht einsam und traurig, als unser gemeinsamer Freund Charles J. mich mit einem Eselsfuhrwerk abholte und in ein Haus führte, das mir noch theurer wäre, wenn Champrosay nicht eristirte. Die Luft in Montriaul ist so rein, die Aussicht so schön, das Schweigen so tief, daß ich mich wie neugeboren fühle."

Der Ton seines Briefes war ziemlich heiter, doch man fühlte eine wirkliche Ermüdung heraus. Die langgestreckte, gerade Schrift war zitterig, die Tinte ungleich, offenbar hatte Naoul mehrere Hustenanfälle gehabt, bevor er den Brief vollenden konnte.

Dann kam der Krieg, die Belagerung. Ich hörte nichts mehr von Raoul und vergaß ihn. Als Paris   wieder offen stand, fand ich unter der Fluth von Briefen, die meinen Tisch über­schwemmte, den eines Arztes aus Algier  , der mir mittheilte, Raoul wäre sehr krank und verlangte nach seiner Mutter. Es wäre eine Wohlthat, ihm Nachrichten von ihr zu verschaffen. Warum gab die Mutter, die man von dem Zustand ihres Sohnes in Kenntniß gesetzt, kein Lebenszeichen von sich? Das habe ich nie erfahren. Doch am 9. Februar erhielt sie von Charles J. folgende ent­rüstete Zeilen:

" Madame! Ihr Sohn liegt im Hospital im Sterben. Um Himmelswillen, schicken Sie dem Kinde, das Sie nie wieder sehen werden, zwei Zeilen von Ihrer Hand!"

Und einige Zeit darauf bekam ich die traurige Nachricht:

am 6. März 1871-