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die Kinder sich früh an Arbeit gewöhnten, und die landwirthschaft| liche Thätigkeit sei überdies ebenso gesund wie angenehm und eine Erziehung fürs Leben. Einer unserer Parteigenossen rief der Dame entrüstet zu, ob sie wohl diese Erziehung, für die sie schwärmte, durchgemacht habe? Er habe sie am eigenen Leibe erfahren, und sei, da er zufällig dabei nicht zu Grunde gegangen, aus Empörung gegen diesen Mißbrauch der Kinder Sozialist geworden, das heißt ein Mann, der alle Kinderarbeit überhaupt verurtheilt, in erster Linie aber die Landarbeit. Herbert Burrows fügte dem hinzu, daß es nur ein Mittel gäbe, um die Reichen von der Nothwendigkeit des Verbots der Kinderarbeit zu überzeugen, das wäre eine Verordnung, durch die ihre eignen Kinder gezwungen würden, mit den Kindern der Armen zu arbeiten. Er konnte dabei nicht umhin, seiner Ent­rüstung darüber Ausdruck zu geben, daß die Kongreßtheilnehmerinnen, statt sich hier zu belehren und ihren Ernst zu zeigen, der Unterhaltung und dem Vergnügen nachliefen. Er hatte, seltsamerweise, besseres von ihnen erwartet.

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Mehr Zulauf hatten die Verhandlungen dieser Sektion, als eine, alle Bourgeoisdamen interessirende Frage, die Dienstbotenfrage, verhandelt wurde. Während die Deutschen   Frau Lina Morgen stern sprach, und das sagt alles einen reaktionären Standpunkt einnahmen, begegnete man bei den Engländerinnen und Amerikane­rinnen erstaunlich radikalen Ansichten. Miß Clementine Black meinte, daß eine Erziehung der Dienstmädchen zu ihrem Beruf, ähnlich wie die Krankenpflegerinnen ihn genießen, eine feste Organisirung wie diese, und ihr Wohnen außerhalb der Familien, in denen sie arbeiten, die für Hausfrauen und Dienstmädchen gleich vortheilhafteste Lösung bringen würde. Die Beschränkung der persönlichen Freiheit sei das Degradirende im Beruf der Dienstboten. Was sagen wohl zu dieser Ansicht die deutschen Frauen, die ihre Dienstmädchen nicht fest genug anketten können und immer mehr zu bloßen Arbeitsmaschinen machen möchten? In London   sagten sie nichts; in Deutschland   werden ihre Männer schon dafür sorgen, daß die befürwortete Revolution des ,, trauten patriarchalischen Familienlebens" verhütet wird.

Wir sind am Ende und können uns nun die Frage vorlegen, was der Kongreß geleistet und erreicht hat? Das Organ der eng­lischen Sozialdemokratie ,,, Justice", sagt darüber: Wer erwartet hat, daß der Kongreß eine Erklärung der Forderungen des weiblichen Geschlechts erlassen, oder der Frauenbewegung eine bestimmte Rich­tung zur Erreichung der sozialen und ökonomischen Gleichheit der Geschlechter anweisen werde, muß bitter enttäuscht sein. Sein Zweck schien zu sein, eine Menge Damen mit eleganten Kleidern und ver­schwommenen 3deen zusammen zu bringen, deren Hauptvergnügen darin bestand, über Gemeinplätze zu reden, und deren Hauptgeschäft war, Gesellschaften mitzumachen." Es fanden thatsächlich täglich ge­sellige Zusammenkünfte statt, die einander an Pracht überboten. Zu­letzt gab Gott Kapitalismus und Imperialismus den Kongreßdamen seinen Segen: Die Familie Rothschild   ließ diese in zwei Extrazügen zu ihrem wundervollen Landsiz führen, wo sie königlich bewirthet wurden, und die Königin von England zeigte sich den Delegirten, die, so stand es auf einem Plakat zu lesen, es für unmöglich" erklärten,

Bu eng.

Hus den Papieren eines Arztes. Von Richard Dehmel.  *

Vier Treppen hoch, nach hinten hinaus; Ein hundertfenstriges Vorstadthaus. Die Kammer schmal

Und niedrig und kahl;

Ein rissiger Spiegel, zerschlissen das Bette, Ein Waffernapf, fein Stuhl, fein Tisch, Und von den Wänden glänzte frisch Der Armuth schimmlichte Tapete Kaum konnt ich durch die Thür und kaum Mich drinnen bewegen, so füllte den Raum Ein plumper Sarg, schmucklos und roh, Ein Armensarg. Und auf dem Stroh Des Bettes saß ein magrer Mann, Noch jung, aber mit jenen alten Zügen,

Mit denen Gram und Noth die Zeit betrügen.

Ich grüßte halb. Er sah mich an

Und nickte stumpf

Und seufzte dumpf,

Und stierte wieder vor sich hin,

England zu verlassen, ohne ihr gehuldigt zu haben! Die Damen waren denn auch so glücklich, sich im Schloßhofe von Windsor   parademäßig aufstellen und ihre Verbeugung der Königin machen zu dürfen, die im Wagen an ihnen vorbeifuhr!! Schade, daß wir mit unserem beschränkten Unterthanenverstand nicht im Stande sind, solche Seligkeit zu er­messen! Für den Kongreß ist dieser sein Schlußeffekt bezeichnend: er war eben nur eine Parade. Wie eine solche, bot auch er interessante Bilder und zeigte auf einmal, was man sonst nur einzeln zu sehen bekommt. Er mag auch den Anwesenden manche Anregung geboten haben; in den vorurtheilslosen Zuschauern aber bestärkt er den Ein­druck nicht nur von der Zerfahrenheit der bürgerlichen Frauen­bewegung, sondern auch von einer Verschwendung an Kraft und Or­ganisationstalent, das einer besseren Sache würdig wäre. Es schlägt geradezu dem Begriff aller Organisation ins Gesicht, große Massen in einem Bunde zu vereinen, ohne dadurch irgend etwas Gemein­fames erreichen zu wollen. Thatsächlich lautet der oberste Grundsatz des Bundes, nur das zu wollen, worin Alle von Herzen überein­stimmen. Wir können ihm ruhig prophezeien, daß er mit solchem Grundsatz Methusalems Alter erreichen kann, ohne irgend etwas zu wollen". Dieser Gedanke scheint anch einigen seiner Theilnehme rinnen gekommen zu sein, die sich zu einem internationalen Verband fortschrittlicher Frauen" zusammenschlossen, der für die soziale, recht­liche und politische Gleichstellung der Frau eintreten will. Von den 2000 Rongreßtheilnehmern und 450 Delegirten sind ihm- 20 Frauen beigetreten, unter ihnen Susan B. Anthony  , Minna Cauer  , Anita Augspurg   u. A. m. Daß 20 Menschen, die ein gemeinsames Ziel haben, mehr erreichen, als 2000, die keins haben, ist klar, nur daß zur Erreichung des Zieles noch eins gehört: die Kenntniß des Weges zu ihm. Soweit wenigstens die deutschen fortschrittlichen Frauen" in Betracht kommen, fehlt sie, daher dürfte auch dieser Verband ein todtgeborenes Kind sein.

Die internen Angelegenheiten des Bundes sind bisher geheim gehalten worden. Es soll zu harten Kämpfen über die Statuten ge­kommen sein. Sicher ist nur, daß er seine nächste Zusammenkunft im Jahre 1904 in Berlin   abhalten wird. Wenn wir es noch nicht wußten, so haben wir es jetzt gelernt, daß für uns kein Platz in diesem Bunde ist. Wir brauchen unsere Zeit und unsere Kraft im Dienste einer Sache, die nicht nur die Sache der Frauen, sondern die der Menschheit ist, und wir fühlen uns dabei Eins in einem inter­nationalen Bunde aller Unterdrückten, der nicht alle fünf Jahre Paraden abhält, sondern alle Tage Schlachten kämpft.

Der Wahlrechtskampf in Wien  .

In Wien   weht gegenwärtig ein scharfer Wind. Wenn Ar­beiter sich demonstrativ in Massen auf der Straße zeigen, wenn sie Versammlungen abhalten, dann blüht das Geschäft der Hüter der Ordnung". Berittene Polizisten sprengen hin und her, reiten rück­sichtslos in die Menge, Männer und Frauen an die Wand drückend. Andere brüllen mit dem ganzen Aufwand ihrer Lungenkraft um die

Hohläugig, auf den offnen Sarg, In den ich gestern mit ihm barg Die todte Kurbelstepperin,

Ihr todtes Kind im welken Arm. Mich peinigte sein starrer Harm; Drum nahm ich ihn fast grob am Kragen Und sprach ihm zu mit derber Geduld, Er sollte erzählen, mir Alles sagen, Nicht sitzen, als sei er selbst dran schuld. Bis er sich endlich zusammenrückte Und langsam klagte, was ihn drückte.

Herr Doktor, da ist nicht viel zu erzählen; Es war ein einziges langes Quälen. Es mag wohl bald zwei Jahr her sein, Da zogen wir hier Beide ein, Das heißt, noch eh' wir Bekanntschaft gemacht; Schlafstelle blos, in Aftermiethe,

Ich für den Tag, sie für die Nacht. Sie steppte damals Trauerhüte In der Fabrik bis Abends acht

Und kam erst gegen neune nach Haus; Ich mußte auf dem Droschkenbock Für meinen Fuhrherrn Nachts hinaus.

* Aus Erlösungen". Verlag von Schuster& Löffler, So ging es wohl zwei Monat lang;

Berlin  .

Wir sahn uns kaum. Da wurde sie krank.

Herbst war's; in ihrem dünnen Rock Und bei dem weiten, nassen Gang

Sie war schon immer zart gewesen Da hat sie wohl was weggekriegt. Ja, Herr, da gab's kein Federlesen: Geld hatten wir alle Beide nicht, Ihr Bischen blos im Kassenbuch, Fürs Krankenhaus war sie nicht krank genug, Wir konnten fein ander Gelaß uns nehmen, Wir mußten uns hier zusammen bequemen, Bis sie wieder konnte auf Arbeit gehn.

Ja, Herr, und da ist es geschehn! Wir hielten's nicht aus so auf die Länge, Wir Beide; man ist ein Mensch doch blos, Und unsre Sehnsucht war so groß. Wir wohnten zu eng zusammmen, zu enge!

Seitdem ist sie mit mir gegangen; Hat's auch zur Heirath nicht gelangt, Wir haben unserm Schöpfer gedankt, Daß wir uns so durchs Gröbste zwangen. Wir halfen einander mit unserm Lohn Und legten noch zurück davon.

So haben wir unsern Weg genommen Ganz gut bis ihre Zeit gekommen.

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Da kam auch die Noth. Da half uns kein Beten.