Dienstmädchen äußerten, daß ihnen die Ausführungen von Lily Braun  und R. Bissing am besten gefallen hätten.

Die zweite Versammlung nahm einen weit stürmischeren Ver­lauf. Sie war nach dem Osten Berlins   einberufen worden, es wohnten ihr in der Folge auch Arbeiter und Arbeiterinnen bei, doch bildeten die besser gestellten Dienstmädchen die weitaus große Mehr­zahl der Versammlungsbesucher. Das Vortragsthema lautete: Prole­tarier und Dienstbotenkalamität". Anna Stefenhagen entwickelte das bekannte Programm der Dienstbotenbewegung und trat zum ersten Male für die Beseitigung der Gesindeordnung ein. Das angegebene Thema erörterte Herr Perlmann. Er führte aus, daß die Arbeiter ein Interesse an der Besserstellung der Dienstmädchen hätten. Ist die Gesindeordnung abgeschafft und werden die Dienst­boten besser behandelt, so werden mehr Mädchen in Dienst treten, statt in die Fabrik zu gehen. Die Arbeiter erhalten dann besser ausgebildete Hausfrauen und werden gleichzeitig Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkte los. Die Arbeiter müßten deshalb für die Orga­nisation der Dienstmädchen wirken. Der bestehende Verein brauche nicht erst ein Kampfverein zu werden, er sei schon ein solcher, er fämpfe nicht gegen Personen, sondern gegen die veraltete Gesinde­ordnung. Arbeiter und Dienende müßten sich solidarisch erklären und gemeinsam vorgehen, aber in maßvoller Weise.( Beifall.) Die Diskussion war sehr lebhaft. Josepha Nikolaizeck schilderte ihre trüben Diensterfahrungen, brach aber verwirrt ab, als ein Versamm­lungsbesucher sie durch Zwischenrufe unterbrach. Heinrich Engler führte aus, daß die Dienstbotenfrage ohne Politik nicht gelöst werden könne. Vom Appell an die Herrschaften sei nichts zu erwarten. Die Dienstbotenbewegung könne nur mit Hilfe der Arbeiterbewegung Erfolge erzielen und müsse ihre Forderungen durch die Sozialdemo­fratie vertreten lassen.( Rufe: Nein! Nie! Jawohl! Lebhafter Beifall.) Ottilie Baader   erhielt nun das Wort. Das Referat des Herrn Perlmann, sagte fie, machte auf mich den Eindruck, als ob er für die Herrschaften und nicht für die Dienstboten agitire. Denn obgleich. er die Lage der unter der Gesindeordnung schmachtenden Dienstmädchen als eine traurige schilderte, rieth er doch den Mädchen des Arbeiter­standes, nicht in die Fabrik, sondern in den Dienst zu gehen. Ich meine, wenn auch die Fabrikarbeiterin sich von Kaffee und Brot ernähren muß, so hat sie doch am Abend einige Stunden, wo sie sich frei und als Mensch fühlen kann, während das Dienstmädchen Tag und Nacht unter der Knute steht.( Sehr richtig!) Uebrigens giebt es nicht wenige Dienstmädchen, die auch nicht satt zu essen haben, weil ihren Herrschaften jeder Bissen, den die Mädchen be­kommen sollen, zu viel ist.( Sehr richtig! Lebhafter Beifall.) Sie sagen, Sie wollen nichts von der Politik wissen. Ja, die Gesinde­ordnung kann doch nur von der Gesetzgebung beseitigt werden, und um das zu erreichen, müssen Sie sich doch an die erwählten Vertreter des Volkes wenden. Die gnädigen Herren" in den Parlamenten werden sich hüten, die Gesindeordnung abzuschaffen. Im Reichstag  ist nur die Sozialdemokratie für Abschaffung der Gesindeordnung eingetreten. Die Bewegung der Arbeiterinnen ist für die Bestrebungen der Dienstboten. Wir können Sie ruhig gewähren lassen. Sie werden so wie so zu uns kommen.( Beifall. Nein! Niemals!) Es hat schon Mancher gesagt: Niemals, der später anderer Ansicht ge= worden ist. Die, welche jetzt: Niemals, rufen, wissen wohl nicht, was die Sozialdemokratie ist und was sie will.( Sehr richtig! Beifall.) Wollt Ihr Eure Menschenrechte erkämpfen, dann sorgt für Abschaf fung der Gesindeordnung. Organisirt Euch! Tretet der Sozial­demokratie bei.( Bravo  ! Nein!) Wir gehören zusammen, die Arbeiter­innen und die Dienstboten. Ihr Verein wird mehr nach links gehen. ( Widerspruch und Beifall.) Wer einmal angefangen hat, für die Freiheit zu kämpfen, der hört nicht eher auf, bis er sie ganz errungen hat.( Stürmischer Beifall.)

Hierauf forderten mehrere weibliche Mitglieder des Diener­vereins zum Eintritt in diese Organisation auf und zeigten in Einzel­fällen die Mißstände im Dienstbotenberuf. Andere Rednerinnen lobten ihre guten Herrschaften. Ein junger Diener erklärte: die Koalition werde das patriarchalische Verhältniß" zwischen Herr schaften und Dienstpersonal stören. Schröder, der Vorsitzende des Dienervereins, versicherte, kaum zu wissen, was Politik ist. Den Parteileuten rufe er zu: Lassen Sie uns in Ruhe, Sie stecken sonst das zarte Pflänzchen an, und es wird vertrocknen."( Heiterkeit und Beifall.) Minna Trampf behauptete pathetisch, daß die Sozial: demokratie nichts für die Dienstboten gethan habe. Die Dienstboten müßten sich an den Verein halten, damit sie selbst eine Korporation in den Reichstag senden könnten". Sie schloß mit den Worten: , Lasset uns fämpfen nach dem Wahlspruch unseres seligen Fürsten Bismarck: Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt." ( Lachen und Beifall.) Emma Biering, Hektor Buchholz und Maria Zech vertraten gleicherweise den Standpunkt, daß die

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Dienstboten eine Besserung ihrer Lage nicht von der Sozialdemokratie, sondern nur von dem Dienerverein erwarten müßten. Nur Buchholz erklärte übrigens, manchen der gehörten sozialistischen   Ausführungen zuzustimmen. Schröder wendete sich nochmals mit sehr plumpen und albernen Anschuldigungen gegen die Sozialdemokratie und warnte vor der Politik.

Die in der Versammlung anwesenden Genossinnen hatten in den Pausen Zettel ausgelegt, in denen sie zum Besuch der von ihnen geplanten Versammlung einladen. Diese Zettel wurden von Mit­gliedern des Dienervereins fortgenommen. Heinrich Engler theilte diesen Kniff mit und forderte auf, die betreffende Versammlung zahl­reich zu besuchen. Während seiner Ausführungen betrat ein weib­liches Mitglied des Dienervereins das Podium und winkte mit dem Taschentuch. Der Vereinsvorsitzende gab im Saale das gleiche Zeichen. Daraufhin erheben sich die Mitglieder des Dienervereins, die an schwarz- weiß- rothen Schleifen kenntlich sind, von ihren Plätzen und drängen heftig redend dem Ausgange zu. Die Mehrzahl der An­wesenden bleibt jedoch auf ihren Plätzen. Ein Versammlungsbesucher erklärt auf der Tribüne, daß der Vorgang eine Mache zur Spreng­ung der Versammlung sei. Er habe vor Beginn der Versammlung gehört, daß Mitglieder des Dienervereins die Parole ausgaben: Wenn die Sozialdemokraten das Uebergewicht bekommen würden, so werde mit dem Taschentuch gewinkt werden als Zeichen zum Verlassen des Saales. Aus der Versammlung heraus wurde die Darstellung des Redners bestätigt, der des Weiteren ebenfalls den sozialdemokratischen Standpunkt vertrat. Seine Ausführungen wurden allmälig ruhig angehört. Als in dem Haufen Derer, welche den Saal verlassen wollten, erneute Unruhe ausbrach, schloß der Vorsitzende die Ver­sammlung. Ueber die von den Genofsinnen einberufene Versamm­lung berichten wir an anderer Stelle. Wenn die Mittheilungen richtig sind, die uns von durchaus glaubwürdiger Seite zugingen, so ist der Verein der Dienerschaft alles, nur keine Kampfesorganisation, welche die Interessen der Dienenden vertritt. Der Verein besteht schon seit zehn Jahren für männliche Dienstboten, ohne für die Verbesserung von deren Lage etwas Nennenswerthes geleistet zu haben. Der Vor­sitzende, ein ehemaliger Hausknecht, soll die Organisation als milchende Ruh betrachten und ist außer sich vor Furcht, seine eigennützigen Zwecke könnten durchkreuzt werden. Mit dem Unterstützungsverein hat er zwei Einrichtungen verbunden, die, wie es heißt, vor Allem seiner Bereicherung dienen: eine Dienerschule und einen Arbeitsnach­weis. In der Folge setzt der Mann alles daran, die Bewegung in solchen Bahnen zu halten, die seinen Privatinteressen förderlich sind.

Frauenbewegung.

Ein Kongreß der galizischen Frauen ist am 15. August in Zakopane   zusammengetreten. Seine Hauptaufgabe war, zu erörtern, auf welche Weise die Frauen erfolgreicher als bisher an der Hebung der traurigen ökonomischen und moralischen Lage des polnischen Volkes arbeiten können.

Die Einführung des fakultativen Kochunterrichts an den bestehenden Mädchenfortbildungsschulen in Rotterdam   fordert eine frauenrechtlerische Organisation in einer Eingabe an den Gemeinde­rath dieser Stadt. Die Forderung wird begründet mit dem Hinweis auf die Wichtigkeit einer zweckmäßigen Ernährung für die Gesund­heit des Volkes und der einzelnen Familie.

Für die Gründung einer Frauenuniversität mit Lehrstühlen für Mathematit, Naturwissenschaften und Medizin hat der Moskauer  Bürger Ostrakow eine Million Rubel testamentarisch vermacht. Ob wohl je ein deutscher Bürger das Beispiel des ,, Halbasiaten" nachahmen wird? Eine internationale Organisation zur Bekämpfung des Mädchenhandels ist in London   in Anschluß an den Internatio­nalen Kongreß zur Abschaffung der Prostitution" gegründet worden. Dem Kongreß, der Ende Juli tagte, wohnten 2-300 Dele­girte von Sittlichkeitsvereinen 2c. aus allen Ländern bei. Beschlossen wurde die Gründung nationaler Komites zur Bekämpfung des Mädchen­handels; die einzelnen Komites sollten durch ein internationales Haupt­bureau in London   verbunden werden. Die Organisation soll eine Vereinigung aller philanthropischen Gesellschaften anbahnen, welche den Zweck verfolgen, junge Mädchen und Frauen zu schützen, die unter verdächtigen Umständen die Heimath verlassen. Der verfolgte 3weck ist gewiß ein löblicher, und die gegründete Organisation kann sicher manches Gute leisten. Aber wirksamer als durch diese wird die Sittlichkeit junger, armer Mädchen geschützt durch soziale Maß­regeln, welche die Ausbeutungsfreiheit des Kapitals beschränken und dadurch die Existenzbedingungen des weiblichen Proletariats ver­bessern; durch soziale Rechte, welche es auch den Hand- wie Kopf­arbeiterinnen ermöglichen, ihre Interessen durch den gewerkschaftlichen und politischen Kampf erfolgreich zu vertreten.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Eißner) in Stuttgart.  - Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. h.) in Stuttgart  .