Notizentheil.

( Von Tily Braun und Klara Betkin.)

Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

Hungerlöhne schlesischer Arbeiterinnen. In den Leine­webereien von Dorfbach verdienen die Arbeiterinnen Wochen löhne von 4-8 Mt. Die große Mehrzahl der ausgebeuteten Frauen und Mädchen erreicht jedoch nicht den angegebenen Höchstlohn, der als eine seltene Ausnahme betrachtet werden muß. In Striegau  erhalten die Arbeiterinnen der Papierfabrik wöchentlich 3 Mt. 60 Pf. als Lohn. Die Zugabe zu diesen Hungergroschen sind grobe Be­handlung und der gute Rath, Abends auf der Promenade Neben­verdienst zu suchen". In der Strumpffabrik verdienen ver­heirathete Frauen 70 bis 75 Pfg. pro Tag, so daß auch ihr Wochen­lohn nach Abzug der Versicherungsbeiträge kaum die Höhe von 4 Mk. erreicht. In den Zigarren- und Bürstenfabriken bringen es einzelne Gruppen von Arbeiterinnen wöchentlich auf 8 Mt. und darüber, die Mehrzahl muß jedoch mit einem durchschnittlichen Ver­dienst von 5 Mt. nach Hause gehen. Auch in den unweit der Stadt gelegenen Steinbrüchen wird, wenn auch vereinzelt, weibliche Arbeitskraft verwendet. Man möchte fragen, was wohl die hier be­schäftigten Frauen verbrochen haben, daß sie zu solch martervoller Arbeit verdammt sind. Da sieht man sie bei Wind und Wetter, Frost und Hitze auf den abgesprengten Granitplatten sitzen, den zentner­schweren Stahlschlägel mit beiden Händen gefaßt, auf den Stein mit einer Schnelligkeit aufschlagend, daß man aus einiger Entfernung meinen könnte, einen Automaten vor sich zu haben, der von dem Granit die Unebenheiten entfernt, ihn fiest", wie der technische Aus­druck lautet. Für den Quadratmeter Riesen" bekommt die Ar­beiterin 22 Pf., sie kann, wenn alles gut geht, das heißt, wenn es nicht regnet, acht bis neun Quadratmeter im Tag fertig bringen. Die Frauen sind in der Organisation und haben deren Segen bereits kennen gelernt. Das feste Zusammenhalten bei einem siegreich verlaufenen Streit im Vorjahr hat ihnen eine Lohnerhöhung von 50 Prozent gebracht, denn vor dem Ausstand wurde nur 15 Pf. für den Quadratmeter Kiesen" gezahlt. Als eine weitere wichtige Er­rungenschaft des Kampfes ist zu bezeichnen, daß für die Arbeiter und Arbeiterinnen in der Nähe des Steinbruchs ein massiver heizbarer Saal gebaut worden ist, mit großen Fenstern, Tischen und Bänken. In dem Saal können die Mahlzeiten eingenommen werden. Das Heiz­material hat der Arbeitgeber zu liefern. Die beim Kiesen" beschäftigten armen Frauen, deren Körper gekrümmt ist, die ihre Arme nicht mehr strecken können, weil die Gelenke von der Anstrengung unförmlich ver­schwollen sind, deren verwetterte, sorgendurchfurchte Gesichter jede Spur von Schönheit eingebüßt haben, sie haben kämpfen gelernt und tragen ihren Theil dazu bei, Elend und Jammer zu beseitigen. Von welch hoher Bedeutung der Kampf um bessere Arbeitsverhält­nisse für die Bevölkerung der Gegend ist, das zeigt ein Blick auf deren Existenzbedingungen, insbesondere auf ihre Ernährung. Dem durch schwere Frohn weit über das Maß ausgenutzten Rörper fann in Folge der niedrigen Löhne feine entsprechende Nahrung zugeführt werden. Zu den drei Mahlzeiten stehen Kartoffeln mit Quark oder Buttermilch und Zichorienbrühe auf dem Speisezettel der proletarischen Familien. Nicht einmal jeden Sonntag verirrt sich eine winzige Portion Fleisch auf ihren Tisch. Eins der kennzeichnendsten Merk­male für die verhängnißvollen Wirkungen von Ueberarbeit und Unterernährung, von der übermäßigen Ausbeutung der Frauen ins­0. B. besondere, ist das jammervolle Aussehen der Kinder.

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Sittlichkeitsfrage.

Ueber den internationalen Mädchenhandel brachte die Kölnische Volkszeitung" neulich folgende interessante Zusammen­stellungen, welche ein grelles Schlaglicht darauf werfen, wie es um die Sittlichkeit" in dieser besten aller Welten" bestellt ist. In keinem verbrecherischen Geschäftszweig, selbst nicht einmal bei der Geheim­fabrikation von Rubel- und Dollarnoten, beim organisirten Bank­diebstahl, beim gewerbsmäßigen Ausplündern von Uhren und Ju­welenläden wird so viel Geld verdient", als beim Mädchenhandel. Der Gewinn ist ganz enorm, und viele Mädchenhändler können sich, trotz der außerordentlich luxuriösen und verschwenderischen Lebens­weise, die sie führen, oft schon nach einer Geschäftsthätigkeit von einem oder anderthalb Dutzend Jahren als reiche Leute zur Ruhe setzen. Ein aus Proßkow in Rußland   gebürtiger Mädchenhändler, dessen wirklicher Name Moses Scheiner ist, der aber Dutzende von Pässen auf allerhand Namen besitzt, und der sich bald als Spanier, bald als Italiener  , Schweizer   oder Brasilianer ausgiebt,

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wurde vor vier Jahren wegen zahlreicher schwerer Verbrechen in Buenos Aires   ins Gefängniß geworfen.

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Während seiner Haft verlor er etwa 300 000 Franken. Scheiner war aber im Stande, diesen Verlust zu verschmerzen". Ein Kollege Scheiners, der berühmte" Mädchenhändler Lazar Schwarz, der die letzten Jahre sich viel in Pest, Genua   und Alexandrien  ( Aegypten  ) aufhielt, verdiente, wie behördlich nachgewiesen worden ist, bei einer kurzen, etwa dreiwöchentlichen Geschäftsreise von Ungarn   nach Kairo  nicht weniger als 20 000 Franken. Lazar Schwarz ist in jeder Beziehung ein Genie. Er spricht zwölf Sprachen, nämlich Russisch, Un­garisch, Deutsch  , Griechisch, Arabisch, Türkisch, Italienisch, Französisch, Portugiesisch, Spanisch, Serbisch und Persisch. An Legitimations­papieren besitzt Lazar Schwarz mindestens 17 Stück auf die ver­schiedensten Namen. Er führt russische, türkische, portugiesische, ser­bische, amerikanische Pässe 2c. bei sich und kann sich nach Belieben einmal als Ibrahim Effendi, das andere Mal als Don Gomez, dann wieder als Josef Kaz, als Israel Margowitsch, als Fiebel Majro­witsch 2c. ausweisen. Schön ist der 48 Jahre alte Verbrecher aller­dings nicht. Denn nach einem Steckbrief, den 1895 eine italienische Behörde hinter ihm erließ, hat der abgefeimte Gauner auffallend krumme Beine, auf der Nase zwei sehr große rothe Punkte( alias Knollen) und hinkt etwas. Frau Julie Rosenstock, die anfangs der neunziger Jahre vorzugsweise in Temesvar  , Pest, Preßburg   operirte" und ihre Waare ganz besonders nach Pest und Konstantinopel   lieferte, hatte bei einem ungarischen Bankhaus längere Zeit etwa 100000 fl. stehen. Als sie einmal in der Nähe von Temesvar   polizeilich sistirt wurde, trug sie eine mit Diamanten besetzte goldene Uhr, die einen Werth von einigen tausend Gulden hatte. An den Fingern hatte sie über ein halbes Dußend kostbare Diamantringe stecken. Der russische Mädchenhändler Grinbaum, der hauptsächlich nach Kon­ stantinopel  , Salonichi, Smyrna und Kairo   exportirte", legte seine Gelder der Sicherheit halber in englischen Banken nieder und war überdies in London   Hausbesizer. Seit einiger Zeit scheint sich Grin­baum vom Geschäft zurückgezogen zu haben und als Rentner zu leben. Er hätte dies schon früher gekonnt, denn bereits Mitte der achtziger Jahre wurde er für einen halben Rubelmillionär gehalten.

Daß dieser verbrecherische Handel in so weitem und wirklich internationalem Umfang betrieben wird, daran tragen theilweise die Polizeibehörden in verschiedenen Ländern mit die Schuld. That­fächlich beziehen zahlreiche Polizeibeamte regelmäßig große Summen von den Kupplern und Kupplerinnen. In der Türkei  , in Aegypten  und in einigen Balkanstaaten, sowie in Rußland   zahlen die Inhaber verrufener Häuser und die mit diesen Subjekten zusammen arbeiten­den Mädchenhändler den niederen wie den höheren Polizeibeamten einen ganz bedeutenden Tribut, so daß diese Verbrecher von den Vertretern des Gesetzes nichts zu fürchten haben. In der Türkei  liefern sehr oft die Mädchenhändler für die Harems höherer Polizei­beamten Dienerinnen", ohne dafür Entschädigungen zu beanspruchen und zu erhalten.

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In Ungarn   war früher die Polizei gegenüber dem Handel mit Menschenfleisch ziemlich nachsichtig. In den letzten Jahren haben sich die ungarischen Behörden aufgerafft, um den Mädchenhandel nach Kräften zu unterdrücken. In Holland   und Belgien   läßt die Thätigkeit der Polizei in dieser Hinsicht noch Manches zu wünschen übrig. Ebenso wie in Belgien   die Behörden dem Unfug großer Spielhöllen, wie beispielsweise in Ostende  , nicht steuern, so schreiten sie auch in diesem Lande nicht mit der nöthigen Energie gegen die Mädchenhändler ein. Antwerpen   ist immer noch ein lebhafter Transithafen" für weiße Waare", die besonders von dort aus nach Südamerika   spedirt wird. Am allerschlimmsten sieht es hinsichtlich der Energie der Polizei den Mädchenhändlern gegenüber in Amerika   aus. In Newyork   beziehen zahlreiche Polizeifapitäne von den Händlern mit Menschenfleisch und von den Inhabern berüchtigter Häuser gewisse feste Beträge, die als außerordentlich hohe bezeichnet werden müssen. Auch für die Straßen­polizisten in denjenigen Vierteln, wo diese Händler wohnen und ihre Geschäfte betreiben, fällt meist etwas ab. Wird nun einmal die Polizei auf Requisition von außen veranlaßt, gegen die Verbrecher einzuschreiten, so warnen die bestochenen Polizisten die Mädchen­händler und ihre Helfershelfer rechtzeitig. Die Schufte bringen als­dann ihre Person oder das, was sie kompromittiren könnte, in Sicherheit. Im ungünstigsten Falle haben diese Schurken ja nur ein paar Wochen in Untersuchungshaft zuzubringen, die sich aber nicht allzu schwer ertragen läßt, da die amerikanischen   Gefängnißbeamten der Bestechung sehr zugänglich sind.

In Chicago   befinden sich die verrufensten Quartiere, wo diese Mädchenhändler täglich zu thun haben, in der Nähe des Stadthauses, der Justiz- und Polizeibehörden, der Hauptpost, des Telegraphen­bureaus, der Börse und der Zeitungspaläste. Aber keine Hand rührt sich, um diesem Skandal ein Ende zu machen. Am allerschlimmsten