dem Berichtsjahr 19 Versammlungen abgehalten, davon 8 größere. Mehrere Agitationstouren in verschiedenen Gegenden Deutschlands  fanden durch die Vermittlung der Vertrauensperson statt. Genossin Wengels betonte, daß die Genossinnen das System der Vertrauens­personen noch nicht genügend ausgebaut und befestigt hätten, so daß in der Folge die Agitation unter den werkthätigen Frauen noch nicht mit der nöthigen Einheitlichkeit und Kraft geführt werde. Nach dieser Richtung hin Wandel zu schaffen, sei eine dringende Aufgabe. Auf Antrag der Revisorinnen wurde Genossin Wengels Decharge ertheilt. Einstimmig wurde darauf Genossin Ottilie Baader   als Vertrauens­person gewählt. Sie nahm das ihr übertragene Amt mit dem Wunsche an, ihrer Thätigkeit möchte die nöthige Unterstüßung seitens der Ge­nofsinnen zu Theil werden. Insbesondere müßten die Genossinnen außerhalb Berlins   auch Vertrauenspersonen wählen, damit nicht die ganze auswärtige Agitationsarbeit der Vertrauensperson in Berlin  allein zufalle und nicht einmal genügend kräftig gefördert werde. Nach Erledigung der ersten beiden Punkte der Tagesordnung hielt Genossin Ihrer einen Vortrag über Die Frau in der Sozial­demokratie". Die Rednerin führte aus, das Bestehen einer be­sonderen Frauenagitation innerhalb unserer Partei sei nicht, wie unsere Gegner meinen, ein Beweis von einem zwischen Frauen und Männern bestehenden Gegensatz, sondern eine besondere Agitation unter den Frauen sei nothwendig, so lange unsere Gesetzgebung den Frauen die politischen Rechte versagt. Dieselbe habe den Zweck, die Frauen aufzuklären und zu Mitkämpferinnen im Befreiungstampfe des Proletariats heranzuziehen. Die Rednerin schilderte die elende Lage der Frauen in der kapitalistischen   Gesellschaft und schloß mit dem Hinweis darauf, daß die Frauen nur durch die Sozialdemokratie und gemeinsam mit derselben ihre Erlösung aus wirthschaftlichem und politischem Joche zu erwarten haben. Eine Diskussion folgte dem mit Beifall aufgenommenen Vortrag nicht.

Notizentheil.

( Von Tily Braun und Klara Betkin.)

Weibliche Fabrikinspektoren.

Vertrauenspersonen statt Assistentinnen der Fabrik­inspektion sollen in Sachsen   von nun an funktioniren. Wie wir seiner Zeit mittheilten, erklärte im Frühjahr der sächsische Bundes­rathsbevollmächtigte vor dem Reichstag  , daß seine Regierung der Frage der Anstellung weiblicher Gewerbeaufsichtsbeamten näher ge­treten sei". Das ist nun in der That geschehen, allerdings in durch­aus ungenügender Weise. Im neuen Etat ist ein Mehrbetrag von 2000 Mt. gefordert für die Honorirung weiblicher Vertrauens­personen, welche bestimmt sind, Beschwerden und Mittheilungen von Arbeiterinnen entgegenzunehmen, die sich scheuen, mit den Beamten der Gewerbeinspektion unmittelbar ins Vernehmen zu treten". Der von der Regierung beschlossene Fortschritt ist also recht winzig flein. Im Wesentlichen hat sie gethan, was ihres Amtes nicht ist, und ge­lassen, was ihres Amtes wäre. Die Aufstellung weiblicher Vertrauens­personen, welche die Beschwerden der Arbeiterinnen sammeln und der Gewerbeinspektion übermitteln, ist Sache der Arbeiterinnen selbst, bezw. deren berufener wirthschaftlicher Interessenvertretung: der Gewerkschaft. Sache der Regierung ist es dagegen, fest besoldete Beamtinnen an­zustellen, welche die Kontrolle der Betriebe betreffend bestimmte Machtbefugnisse besitzen und zu bestimmten Pflichtleistungen verbunden sind. Aber die sächsische Regierung ist nicht nur dieser ihrer Aufgabe aus dem Wege gegangen, sie hat noch obendrein das Unzulängliche, zu dem sie sich entschlossen, recht schwächlich angefaßt. Ein Betrag von 2000 Mt. für die Honorirung der Vertrauenspersonen und in Sachsen   giebt es 13 Fabrikinspektionsbezirke, so daß auf den einzelnen Bezirk durchschnittlich eine Aufwendung von rund 154 Mt. entfällt! Ge­wiß, daß nicht in allen Bezirken die Frauenarbeit eine gleich große Rolle spielt. Aber die Verwendung weiblicher Arbeitskräfte ist in Sachsen   überhaupt eine so ausgedehnte man denke nur an die Textilindustrie und die ihr verwandten Berufszweige-, daß der ausgeworfene Betrag als bei Weitem zu niedrig erscheint, um eine ersprießliche Thätigkeit der weiblichen Vertrauenspersonen zu sichern. Der Anlauf, den die sächsische Regierung zu einem Reförmchen ge= nommen hat, kann die Arbeiterinnen nicht befriedigen, er muß sie vielmehr anspornen, mit aller Energie für die Verwirklichung der Forderungen einzutreten, welche sie in Sachen der Gewerbeaufsicht

erheben.

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Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

Hungerlöhne in der Textilindustrie. In welch trauriger Lage die große Mehrzahl der in der Textilindustrie Beschäftigten

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sich befindet, zeigen die Löhne, welche die sächsischen Textilarbeite­rinnen bei angestrengtem Schaffen erhalten. So bekommen zum Beispiel in Gelenau   im Erzgebirge  , wo die Strumpfwirkerei zu Hause ist, die Frauen für das Wirken eines Dutzend Strümpfe, englische Länge, bis zum Zusammenfetteln fertig gestellt, 70 Pf. Nur ganz ausnahmsweise vermag eine Arbeiterin täglich ein Dußend Strümpfe anzufertigen, die meisten Arbeiterinnen können deshalb pro Tag nicht mehr verdienen als 50 Pf. Ebenso schlecht stehen sich die Zusammen­kettlerinnen, die den Strumpf vollends fertigstellen und für diese Arbeit pro Dugend mit 7 Pf. entlohnt werden; auch sie fommen nicht auf einen Tagesverdienst von 70 Pf. Beide Arbeiterinnen­Kategorien erreichen durchschnittlich einen Wochenlohn von 3 Mt. bis 3,50 Mt., nur im günstigsten Falle von 4 Mt. Zur richtigen Würdigung dieser Schlemmerlöhne" beachte man noch, daß die Maschine von den Arbeiterinnen selbst gestellt werden muß, so daß diesen natürlich die Ausgaben für Del, Nadeln, Reparaturen zufallen, und ihr niedriger Verdienst dadurch entsprechend geschmälert wird. Weiter muß erwähnt werden, daß zumal das Zusammenketteln die Augen in kurzer Zeit so verdirbt, daß der angegebene Lohn nicht einmal mehr erreicht werden kann. Da die Männer in Gelenau  ebenfalls wahre Hungerlöhne verdienen, so müssen die Kinder vom zartesten Alter an schon für den Erwerb mitarbeiten, entweder schaffen sie an den Maschinen oder sie machen Spulen. Es ist ein erschreckender Anblick, die Kleinen bei ihrer Thätigkeit zu beobachten, zu sehen, wie ihre körperliche und geistige Entwicklung in Folge vorzeitiger Ueber­anstrengung ihrer Kräfte und bitterer Entbehrungen zurückbleibt. Denn diese Kinder lernen die Noth in ihrer krassesten Gestalt kennen, für sie heißt es nicht blos viel arbeiten, sondern auch viel Hunger leiden. Wer die Verhältnisse in Gelenau   kennt, der weiß, daß der Hunger ein ständiger Gast in den dortigen Arbeiterfamilien ist.

Genau so schlecht wie in Gelenau   verdienen manche Arten von Arbeiterinnen in Plauen   i. V., wo besonders die Tüllspitzenfabrikation betrieben wird. Bei dieser Branche werden die Frauen und Mädchen meist mit Spigen ausschneiden und Fäden schneiden beschäftigt. Diese Arbeit wird so gering bezahlt, daß ein Wochenverdienst von 3 bis 4 Mt. noch nicht einmal als Durchschnittsverdienst gerechnet werden kann. Kaum einen höheren Verdienst als die betreffenden Arbeiterinnen erzielen die Frauen, welche an die jetzt so modernen Spizenshawls die Ecken ansetzen. Die hiermit beschäftigte Ar­beiterin muß den Shawl vom Stücke ausschneiden, den Faden ab­schneiden, die Ecken ausschneiden und ansetzen und für all diese Verrichtungen bekommt sie 20 Pf. Wichtig für das Leisten guter und schneller Arbeit ist, daß die Schere sehr gut schneidet. Natür lich muß die Arbeiterin selbst diese halten und nach Bedarf schleifen lassen. Ebenso muß sie für die 20 Pf. Verdienst noch das Garn zum Ansetzen der Ecken zugeben. Das Ansetzen der Ecken muß sehr sauber geschehen und verdirbt die Augen vollständig. Eine Frau erzählte mir, daß sie bei dieser Arbeit einen Wochenverdienst von 4 Mk. habe. Doch könne sie diesen Betrag nur erreichen, weil ihr Sohn sehr ge­schickt einen großen Theil der häuslichen Arbeiten verrichte und sogar das Mittagessen zubereite. In seiner freien Zeit hilft der 10- bis 11jährige Knabe noch der Mutter Shawls ausschneiden. Daher der fette" Verdienst. Es könnten hundert weitere Fälle von Fa­milien angeführt werden, wo Kinder die häuslichen Arbeiten ver­richten müssen, damit die Mutter in den Stand gesetzt wird, ein paar Pfennige mehr zu verdienen. Nichts ist irriger als die Vor­stellung, daß die Hausindustrie für die Frau eine Wohlthat sei, weil sie ihr die Erfüllung der häuslichen Aufgaben ermögliche. Die von der Noth zu fieberhaftem Schaffen getriebene Heimarbeiterin kann sich nicht um den Haushalt und nicht um die Kinder bekümmern, ihre Wohnung hört auf, ein Heim zu sein, sie wird zur Arbeitshölle. Das erkennt man klar, wenn man in Plauen   Familien aufsucht, wo die Hausmutter mit Spitzen ausschneiden und Ecken ansetzen beschäf= tigt ist.

Besonders ungünstig sind die Frauen und Mädchen in Auer­ bach   i. V. gestellt, wo hauptsächlich Maschinenstickerei gefertigt wird. Die Frauen tönnen nur an den leichteren Maschinen beschäftigt werden, weil alle Maschinen mittels Handbetriebs funktioniren, und die großen Maschinen sehr viel Kraftaufwand erfordern. Wie diese schwere Arbeit entlohnt wird, zeigt der Verdienst der Männer; 8, 9 und im günstigsten Falle 12 Mt. beträgt der Wochenlohn für einen guten Sticker. Von diesem Betrag geht noch ab, was für das dadurch nöthig, daß häufig eine oder die andere Nadel versagt, oder Ausbessern der Stücke bezahlt werden muß. Das Ausbessern wird daß der Faden reißt. Die dadurch entstandenen Fehler werden von Frauen ausgebessert, die für ihre sehr mühsame Arbeit nur ein paar Pfennige erhalten, weil der Sticker sie bezahlen muß, der selbst nur einen Hungerlohn verdient. Der Sticker bedarf einer weiteren Hilfs­kraft, die ihm die Nadeln einfädelt. Zu dieser Arbeit werden Kinder