manchem Munde, daß eine Versammlung zum ersten Mal aufgesucht worden war. Nichts hatte bisher den meisten Plätterinnen und Wäscherinnen ferner gelegen, als Agitation, Vereinswesen und ähn liche„ gefährliche Dinge". Aber auch die Gleichgiltigsten lassen sich aufrütteln und wachrufen, wenn ihre Lage immer dringender Abhilfe und Besserung heischt. Mit großer Erregung und hochgespannter Aufmerksamkeit folgten die Versammelten den Worten der Referentin, Frau Jhrer, und ihre große, persönliche Antheilnahme verrieth sich sowohl in dem stürmischen Beifall zu dem Referat, als bei den Ausführungen der Gegner in dem gleich stürmischen Widerspruch.
Die bisherigen Löhne der Plätterinnen müssen durch ihre Niedrigkeit Staunen und Entrüstung erregen. Sie stellen sich, wie folgt: Für das Dutzend Oberhemden 75 Pf., das Duhend Westen gleichfalls 75 Pf., das Dutzend Chemisetten 30 Pf., das Dußend Paar Manschetten 30 Pf., das Dutzend Kragen 20 Pf. Die Löhne bleiben sich im Allgemeinen gleich. Für Damenblousen( Oberhemd) ist dagegen die Entlohnung sehr wechselnd, sie steigt von 15 Pf. für 2 Stück ein Preis, der leider nicht selten ist, auf 25 Pf., für 2 Blusen, ja zuweilen auch für 1 Bluse allein. In jedem Falle ist es die Hälfte des Preises, den die Kundschaft zahlt, den die Plätterinnen als Lohn erhalten.
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Der Sachlage entsprechend wurden behufs Besserung der Arbeitsbedingungen des Gewerbes von den Versammelten drei Forderungen aufgestellt: höherer Lohn, kürzere Arbeitszeit und Unterstellung der Arbeitsstuben unter die Fabrikinspektion.
Wie die ,, Gleichheit" bereits berichtete, wurde eine fünfzehngliedrige Kommission gewählt, deren Aufgabe es war, einen Lohntarif auszuarbeiten, die Forderungen betreffs Verkürzung und Regelung der Arbeitszeit zu formuliren und diesbezügliche Vorschläge einer zweiten Versammlung der Wäscherinnen und Plätterinnen vorzulegen, die 14 Tage nach der ersten, am 26. Juni, stattfinden sollte.
Diese Versammlung ist nun vorüber. Wie ihre Vorgängerin, so erfreute auch sie sich eines massenhaften Besuches seitens der Plätterinnen und Wäscherinnen. Ein Hauch von Energie und fester, willensflarer Entschlossenheit wehte durch den großen, dichtgefüllten Saal. Die Kommission legte den Versammelten folgenden Entwurf der aufgestellten Forderungen vor.
Oberhemden
1. Entlohnung: Akkordlohn für Plätterinnen.
do. gestickt oder Falten
.
Westen Kragen Manschetten Chemisetts
pro Dutzend- Paar 0,60
Mr.
pro Dutzend 1,20
V
V
.
1,50
.
.
pro Stück
0,20
.
pro Dutzend 0,30
pro Dutzend 0,60
0,75
0,50
•
pro Stück
0,25
0,30
Pro Woche Pro Woche
.
21 Mt.
Wochenlohn für Wäscherinnen. 21 Mt.
·
lord
=
=
mit Tollen Wochenlohn für Plätterinnen.
Wenn die Dürftigkeit des Lohnes eine annehmbare Wocheneinnahme nicht immer ausschließt, so liegt die Erklärung dafür in der übermäßig lang ausgedehnten Arbeitszeit, der charakteristischen und so verhängnißvollen Begleiterscheinung der Hausindustrie. Die Arbeiterschutzgesetze, welche die Arbeitszeit in den Fabrifen etwas gekürzt und do. gestickt oder Falten. geregelt haben, haben leider vor den handwerksmäßigen und hausindustriellen Betrieben Halt gemacht. In der Folge haben die Plätte- Damen- Oberhemden. do. nur fleine rinnen und Wäscherinnen, die vielfach in den allerungesündeſten do. Arbeitsstuben und Arbeitsräumen, unter ohnehin schon schlechten sanitären Verhältnissen schaffen, ungemessen lange Arbeitszeit. In Berlin sind Arbeitswochen von 92 Stunden keine Seltenheit, in Char lottenburg fann es gar passiren, daß die Plätterinnen sich 100 Stunden wöchentlich abrackern müssen. Fast in allen Plättstuben gilt die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag als ein regelrechter Arbeitstag. Wenn die Arbeit bis Nachts 2 Uhr und länger gedauert hat, so kommt es obendrein wohl noch vor, daß die Meisterin am nächsten Morgen heftig über die Langschläferei und Unpünktlichkeit der Arbeiterinnen schilt.
Wenn Wäscherinnen und Plätterinnen von Hause aus auch noch so robust sind, schon nach wenigen Jahren stellen sich allerhand Berufskrankheiten ein: Kopf- und Magenleiden bei den Plätterinnen; Blutarmuth, Rheumatismus bei den Wäscherinnen, Krampfadern, Unterleibsleiden, geschwollene Füße, Krankheiten der Athmungsorgane und Schwindsucht bei den einen und anderen. Lange Arbeitszeit, schwere Arbeitsleistungen, ungesunde Arbeitsräume und dürftige Er nährung in Folge des färglichen Verdienstes wirken zusammen, um im Laufe weniger Jahre auch die festeste Gesundheit zu zerrütten.
,, Dichtung und Wahrheit " und mit dem sie zahlreiche Briefe gewechselt hatte.
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Auf dieser Grundlage ihre Briefe waren ihr aus Goethes Nachlaß zurückgegeben worden schrieb sie ihr epochemachendes Buch:„ Goethes Briefwechsel mit einem Kinde"( sie betrachtete sich als Goethes geistiges Kind), das lange für eine romantische Schwindelei galt.* Freilich mischt auch sie Dichtung mit Wahrheit, bezieht notorisch an andere Damen gerichtete Gedichte auf das ,, Kind", also auf sich: aber sie beabsichtigte gar nicht ein Geschichtswerk, sondern ein Kunstwerk zu Ehren des großen Freundes zu schaffen. Und das ist ihr prächtig gelungen.
Mit dem Erscheinen des Buches( 1835) war die geniale Frau auch die berühmteste Frau Deutschlands .
Jakob Grimm erklärte, daß diese sprach- und gedankengewaltigen Briefe mit der Zeit einen integrirenden( unentbehrlichen) Theil der Werke Goethes bilden würden. Wilhelm Grimm meinte, das Buch müsse alle Menschen beglücken, denen der Staub nicht fingerdick auf der Seele size. Der feinsinnige Freiherr von Meuse bach sagte voraus, daß dieses Buch Mühe haben werde, sich der Unsterblichkeit zu entziehen. Von der Berechtigung dieser Urtheile kann sich jedermann überzeugen; haben wir doch eine spottbillige Ausgabe desselben in Reclams Universalbibliothek( Nr. 2691 bis 2695).
Mit Hilfe der Brüder Grimm besorgte Bettina eine Gesammtausgabe der Werte ihres Gatten. 1840 schuf sie das Denkmal
* Dieser Jrrthum, den auch ich auf Gervinus Autorität lange theilte, ist jetzt glänzend durch Reinhold Steig beseitigt.
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V
mit Kost 15 Mt., pro Tag 2,50 Mt. II. Arbeitszeit.
Sommer: von 7-7 Uhr. Pausen: 8-9, 12-1, 41/ 2-5 Uhr. Winter: von 8-8 Uhr. Pausen: 9-10, 12-1, 4-5 Uhr.
In jedem Punkt der Forderungen äußerten Arbeiterinnen wie Meister und Meisterinnen ihre Meinung. Erstere nahmen jeden einzelnen Punkt einstimmig an, letztere stimmten nicht mit. Sie hatten in der Zwischenzeit selbst einen Lohntarif ausgearbeitet, welcher den Arbeiterinnen eine Lohnerhöhung von 25 bis 30 Prozent bot. Vor Pfingsten, als die Meister die Kundenpreise erhöhten, hätte dieser Tarif vielleicht Aussicht gehabt, von den Arbeiterinnen angenommen zu werden. Jetzt kam er zu spät. Plätterinnen und Wäscherinnen erklärten der Konzession der Meister gegenüber um so eifriger und
ihrer Freundin Karoline von Günderode , 1844 ein ähnliches Gedächtnißbuch für ihren eben verstorbenen Bruder Klemens Bren
1841 erschien das„ Königsbuch", von dem weiterhin ausführlicher die Rede sein soll; 1848 der Briefwechsel mit Philipp Nathusius und anderen jungen Leuten, an deren volksfreundliche, voltsfördernde künftige Thätigkeit Bettina glaubte. 1853 erschienen die als zweiter Theil des Königsbuchs gedachten„ Gespräche mit Dämonen".
Dem Kultus ihrer geliebten Todten, der Kunst, Literatur und Musik, dem Umgang mit allen in ihren Gesichtskreis gelangenden bedeutenden Menschen war der Rest ihres Lebens gewidmet; vor Allem aber glühte ihr Herz für die Armen und Elenden des Volkes, wovon vornehmlich ihre staatssozialistischen Gespräche und Erzählungen der Frau Rath, Goethes Mutter, Zeugniß ablegen, zu deren näherer Betrachtung ich mich nun wende.
,, Dies Buch gehört dem König", steht auf dem ersten Blatte des merkwürdigen Werkes. des merkwürdigen Werkes. Fünf" Aussprüche der Frau Rath" stehen wörtlich gleichlautend am Anfang und am Ende des Buches, von denen einer die Grundtendenz klar zu erkennen giebt. Er lautet: " Freiheit allein bringt Geist, Geist allein bringt Freiheit!" In der That ist das Königsbuch voll von Freiheitsgeist. Die echt goethesche Volksliebe, die Achtung und Anerkennung der schlichten und doch erhabenen Tugenden jenes ehrwürdigen Theiles der Nation, den wir Volk nennen"( Herders Ausspruch), die glühende Sehnsucht, allen Armen, Mühseligen und Beladenen zu helfen, sie zu befreien, aufzuklären und zu beglücken, durchweht wie ein feuriger Odem das ganze herrliche Werkchen.
( Schluß folgt.)
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