zu Potsdam klagte der Vereinsvorsitzende, Genosse Brettschneider ausPetershagen, beim Oberverwaltungsgericht.Sein Anwalt, Th. Liebknecht, machte im Wesentlichen gegen dasVerbot dieselben Gründe geltend, die Dr. Karl Liebknecht in derSache Oehlking geltend gemacht hatte, auf die das Gericht aber wegender formellen Erledigung jener Sache nicht eingegangen war. DasVereinsgesetz sei nicht verfassungsgemäß zu Stande gekommen, ß Sverstoße gegen den Artikel 30 der preußischen Verfassung, indemer Frauen, Schüler und Lehrlinge von der Theilnahme an politischenVereinen ausschließe, und schließlich lasse sich Z 8 logisch nur sodeuten, daß unter Versammlungen, an denen Frauen nicht theilnehmendürften, auf keinen Fall rein dem Vergnügen gewidmete Veranstaltungen politischer Vereine zu verstehen seien.Das Oberverwaltungsgericht wies jedoch die Klage ab. DerVorsitzende Techow führte begründend aus: Der Kläger gehe davonaus, daß Z 8 des Vereinsgesetzes verfassungswidrig und deshalb unverbindlich sei. Dieser Einwand sei neu und eigenartig, mehr aberauch nicht. Nach§ 106 der preußischen Verfassung stehe nur denKammern(Landtag und Herrenhaus), nicht aber den Behörden dieNachprüfung der Rechtsgilligkeit gehörig verkündeter königlicher Verordnungen zu. Daraus gehe hervor, daß die Verordnung betreffenddas Vereins- und Versammlungsrecht von jeder richterlichen Nachprüfung in Bezug auf die Vereinbarkeit mit der Verfassung ausgeschlossen sei. Z 8 Abs. 3 des Bereinsgesetzes schreibe nun vor, daßFrauenspersonen, Schüler und Lehrlinge an Versammlungen undSitzungen von politischen Vereinen im Sinne des Z 8 nicht theilnehmen dürften. Diese Vorschrift lege der Gerichtshof dahin aus,daß sie sich beziehe nicht blos auf Versammlungen, die der Erörterung politischer Gegenstände dienten, sondern auch auf festliche Veranstaltungen politischer Vereine: auf Bälle, musikalische Veranstaltungen, Leseabende mit Damen u. s. w. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Vereinsgesetzes in den fraglichen Bestimmungenhabe der Gesetzgeber gewollt, daß Frauen weder aktiv noch passiv ander Agitation politischer Vereine theilnehmen und auch nicht einMittel für ihre Zwecke sein sollten, wie sie es würden, wenn sie anFestlichkeiten politischer Vereine theilnähmen, um diese zu verschönen,zu verherrlichen, sie anziehender zu gestalten und so dem Verein neueFreunde gewinnen zu helfen.— Was einen anderen Einwand desKlägers angehe, so habe das Gericht bereits anerkannt, daß andereVeranstaltungen politischer Vereine, als Versammlungen, die der Erörterung politischer Angelegenheiten dienten, nicht auf Grund des Vereinsgesetzes überwacht werden könnten. Wenn aber der Kläger darausschließe, daß in Z 3 Absatz 3 unter Abgeordneten der Obrigkeit nursolche zu verstehen seien, die das Vereinsgesetz besonders zur Ueber-wachung von Versammlungen befuge, und daß deshalb lediglich Versammlungen und Sitzungen mit politischen Zwecken unter Z 8 Absatz 3fielen, nicht aber Festlichkeiten, dann sei das ein falscher Schluß.Jene Annahme werde schon dadurch widerlegt, daß Z 8 neben Versammlungen auch Sitzungen nenne, in welche doch die Obrigkeit Abgeordnete regelmäßig nicht schicken könne. Aus den allgemeinen Aufgaben der Polizei folge, daß sie unter Beachtung des Gesetzes zumSchutze der persönlichen Freiheit überall, wo Menschen sich versammelten, Abgeordnete hinschicken könne, wenn ein genügender polizeilicher Anlaß vorhanden sei. Das wäre zweifellos der Fall, wenneine Versammlung eines politischen Vereins unter Theilnahme vonFrauen stattfinde, da ja die Theilnahme von Frauen gesetzwidrig sei.Die Polizei könne dem entgegentreten, und zwar brauche sie nicht zuwarten, bis die Gesetzwidrigkeit entstanden sei; sie könne auch präventiv(vorbeugend) solche Gesetzwidrigkeit im Hinblick auf das Gesetzverbieten. Vorliegend sei ein Ball angezeigt gewesen, ohne Theilnahme von Frauen sei ein solcher nicht möglich, also rechtfertige sichdas Verbot.Mit gebührender Freude und Dankbarkeit guittiren wir über dasKompliment des hohen Oberverwaltungsgerichts, daß wir als„Mittelzum Zweck" die Festlichkeiten politischer Vereine„verschönen",„verherrlichen", sie„anziehender gestalten" und so der Organisation neueFreunde gewinnen. Vielleicht daß demnächst eine Deputation prole-tarischer Ehrenjungfraue» und Ehrenmütter von Neuenhagen den HerrenNichtern den Dank dafür abstattet. Die Frauen, welche an der Arbeiterbewegung theilnehmen, waren bis jetzt gewöhnt, als Hexen undVogelscheuchen geschildert zu werden. Nun zeigt sie amtlicher Scharfsinn und amtliches Gerechtigkeitsgefühl in ihrer wahren Gestalt alsanziehende Verschönerinnen und Verherrlicherinnen der Feste. Wirwollen nicht durch das Labyrinth der Gedankengänge wandeln, welchemit zwingender logischer Gewalt zu dem Nachweise führen, daß Bällepolitische Vereinssitzungen sind, daß das geschwungene Tanzbein daspolitische Mittel eines politischen Zweckes ist. Unser beschränkter Unter-thanenverstand macht vor der erleuchteten juristischen Erkenntniß Halt.Aber da bekanntlich alle Preußen vor dem Gesetz gleich sind, so drängensich uns zwei Fragen auf. Haben preußische Behörden und Gerichteschon je geprüft, ob die Demonstrationsvorträge der Flottenvereine, diepatriotischen Festessen und Festkommerse bürgerlicher Parteien nichtauch die Ehre verdienen, als Mittel zu politischen Zwecken gewürdigtzu werden? Und sind die Damen der bürgerlichen Welt, die ansolchen Veranstaltungen theilnehmen— die frischgeplätteten Ehrenjungfrauen. deklamirenden Schulmädchen mit Hängezöpfchen und hohenFrauen inbegriffen— sind sie so schrecklich abstoßende Schachteln.daß sie nie durch ihre Anwesenheit Feste„verschönen",„verherrlichen" und anziehender gestalten können? U. A. w. g.Aus der Bewegung.Von der Agitation. Gegen den Zollwucher hielt GenossinAltmann-Berlin vor Weihnachten in der Rheinprovinz eineReihe von Protestversammlungen ab. Sie sprach in folgenden Orten:Hilden, Gerresheim, Düsseldorf, Duisburg, Viersen,M.-Gladbach, Aachen, Elberfeld und Köln. Obgleich die Versammlungen nicht überall gut vorbereitet werden konnten, oder anTagen stattfanden, die dem Besuch ungünstig waren, waren sie dochfast ausnahmslos sehr gut besucht. Das ist um so höher anzuschlagen,als in mehreren Orten der Regen in Strömen vom Himmel floß. InKöln war der zur Verfügung stehende Saal so schnell überfüllt.daß sehr Viele keinen Einlaß mehr finden konnten. In Elberfeldwären weit mehr als die anwesenden circa 500 Personen zur Versammlung gekommen, wenn dieselbe nicht am Sonnabend stattgefundenhätte, wo zumal die Frauen durch hauswirthschaftliche Arbeiten undmütterliche Pflichten gebunden sind. Die Ausführungen der Referentinwurden überall mit gespannter Aufmerksamkeit und lebhafter Zustimmung aufgenommen, ein vorzüglicher Geist des Jnteressenbewußt-seins und der Kampfesfreudigkeit beseelte die Anwesenden. In allenVersammlungen gelangten energische Protestresolutionen zur Annahme,in einigen wurde außerdem der Vertreter des Wahlkreises im Reichstage aufgefordert, in öffentlicher Wählerversammlung seine Stellungzur Zollvorlage klarzustellen.*-j--j--j-Protestversammlungen gegen den Zollwucher fanden inletzter Zeit in einigen Orten des Hamburger Landgebiets, in Ortkathen und Ochsenwärder, sowie in Sülldorf bei Bremen statt.Genossin Zietz-Hamburg hatte das Referat übernommen. DieVersammlungen waren auch von Seiten der Frauen sehr stark besucht.Es geht überall vorwärts. I-.Eine sehr stark besuchte Frauenversammlung fand am 9. Januarin Hamburg statt. Genossin Zieh referirte über:„Siech th umund Sterblichkeit der Kinder in Arbeiterkreisen und waskönnen wir dagegen thun?" Rednerin bemerkte Eingangs ihresVortrags, daß das Entsetzen über den bethlehemitischen Kindermord,von dem uns die Bibel berichtet, wohl allgemein sei, dagegen seheunsere herrschende Gesellschaft kalten Blickes, wie fortgesetzt tausendeund abertausende Arbeiterkinder an Körper und Geist Schaden leiden,wie unzählige blühende junge Menschenleben auf dem Altar desNimmersatten Vampyr Kapitalismus geopfert werden. Sie zeigtedann eingehend die Ursachen dieser traurigen Thatsache. Dieselbenwurzeln schon in der langen, intensiven Arbeit der Frauen undMädchen, der mörderischen Art mancher Arbeit und der durch niedrigeEntlohnung bedingten ungenügenden, schlechten Ernährung. Sehr oftwird dadurch die Gesundheil untergraben, bevor das Mädchen indie Ehe tritt. In der Ehe treten diese Gesundheitsschädigungen inErscheinung in Früh- und Fehlgeburten, dem großen Umfang der Kindersterblichkeit, der großen Anzahl blutarmer, skrophulöser Kinder u. s. w.Verschlimmert werden alle diese traurigen Erscheinungen natürlichnoch, wenn die Frau auch in hochschwangerem Zustande und nachder Entbindung den obengeschilderten gesundheitsschädlichen Einflüssenausgesetzt ist und daneben weder Zeit noch Mittel zur Pflege desSäuglings vorhanden sind. Rednerin illustrirt das an zahlreichenBeispielen aus dem Leben und verschiedenen statistischen Erhebungen.Auch das etwas größere Kind müßte, da die Roth die Mutter aufpeitsche zur Mitarbeit, sehr oft aufwachsen ohne Pflege, Aufsicht undErziehung. Daneben zwinge die Noth ungezählte Tausende vonKindern zur Erwerbsarbeit. Rednerin zeigte den Umfang der Kindererwerbsarbeit an den Zahlen der Gewerbezählung, der Erhebungen desReichsamts des Innern, den Enqueten der Lehrer und einer Reihevon Beispielen aus dem Leben. Sie erörterte ausführlich die darausresultirenden Schäden in physischer, geistiger und sittlicher Hinsicht,die Schäden, die in Erscheinung treten in dem oft geradezu be-jammernswerthen Aussehen der Kinder, den Schulzeugnissen gewerblichthätiger Kinder, den Zahlen über die Untauglichkeit bei den Aus-* Der Bericht ging uns leider erst jetzt zu. D. R. d. Gl.