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eine fürchterliche. Häufige Klage wurde darüber geführt, daß die Werkstättenbesitzer an den ersten 5 Werktagen für das Geschäft ar­beiten lassen, Sonnabend aber für ihre Privatkundschaft. Sie können auf diese Weise der gesetzlichen Bestimmung ein Schnippchen schlagen, die vorschreibt, daß Arbeiterinnen an Sonnabenden nicht länger als bis halb 6 Uhr beschäftigt werden dürfen. Wehe der Arbeiterin, die sich weigern würde, durch Arbeit für die Privatkundschaft des Herrn das Gesetz zu umgehen, sie würde erbarmungslos aufs Pflaster ge­worfen.

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Soweit die Beschwerdekommission urtheilen kann, hat die Ge­werbeinspektion und insbesondere deren Assistentin Frin. Reichert mit Eifer und Verständniß für Abstellung der ihr bezeichneten Miß­stände gewirkt. Je rückhaltslosere Anerkennung das Entgegenkommen der Beamtin bei Uebermittlung der Beschwerden verdient, um so mehr muß bedauert werden, daß ihr jedenfalls noch auf Grund des berüchtigten Berlepsch- Erlasses verwehrt ist, der Kommission Auskunft über das Schicksal der eingereichten Klagen zu geben. Da das im Anfang der Thätigkeit der Assistentin anders war, so muß wohl ein Wink von oben die zu übende Amtspflicht den Vertreterinnen der Arbeiterinnen gegenüber klar gemacht haben. Der Umstand ist be= zeichnend für die Auffassung, welche die Sozialpolitik des Deutschen Reiches beherrscht. Nicht genug damit, daß die Gewerbeaufsicht mangelhaft organisirt, daß der Stab der Inspektionsbeamten viel zu klein und nicht sachgemäß zusammengesetzt ist, erschweren die Be­hörden noch durch reaktionäre Maßregeln die Durchführung des Inspektionsdienstes. Denn darüber besteht kein Zweifel: die engste Fühlung der Gewerbeaufsichtsbeamten mit den Vertrauenspersonen der Arbeiterinnen und Arbeiter ist eines der wirksamsten Mittel, ist ein unerläßliches Mittel, um gesetzwidrige und reformbedürftige Ar­beitsbedingungen aufzudecken und dadurch sowohl dem bestehenden Gesetz Geltung zu verschaffen, wie seinen weiteren dringend nöthigen Ausbau zu fördern.

Notizentheil.

Weibliche Fabrikinspektoren.

Die Austellung von mehr Fabrikinspektorinnen wurde im Reichstag gelegentlich der Debatte über den Etat des Reichsamts des Innern von mehreren Rednern gefordert, welche sich mit der Frage der Gewerbeaufsicht beschäftigten, so von dem Zentrümler Hiße  , dem rothen Prinzen" Schönaich- Carolath, dem Sozialdemokraten Fischer und dem wilden" Reformer Rösicke. Genosse Fischer Genosse Fischer unterzog das ganze Institut der Gewerbeaufsicht einer eingehenden Kritit. Durch wuchtiges Thatsachenmaterial fennzeichnete er das System von Maßregeln und Beeinflussungen, welches eine tiefein­dringende Thätigkeit der Gewerbeaufsichtsbeamten hindert, ihr Wir­fungsgebiet einengt und an ihren amtlichen Feststellungen über die Arbeits- und Lebensverhältnisse des Proletariats schönfärbend herum­pfuscht. Scharf wendete er sich gegen den Berlepsch Erlaß, der wie die Haltung der Assistentin der Gewerbeaufsicht für Berlin   gegenüber der Beschwerdekommission beweise die nöthigen engen Beziehungen zwischen Fabritinspektion und organisirter Arbeiterschaft entgegensteht. Daß Redner der verschiedensten Parteien die Verwendung von mehr weiblichen Gewerbeaufsichtsbeamten forderten, spricht dafür, daß auch in Deutschland   die Fabrikinspektorinnen sich im Allgemeinen bewährt haben. Graf Posadowsky   verwies wie immer in dieser Frage die Fordernden auf die entscheidenden Gewalten der Einzelstaaten.

Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

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Die Lage der Arbeiterinnen in der Dresdener   Posamenten­industrie ist eine recht traurige. In den Möbelposamenten­fabriken verdienen die Arbeiterinnen gewöhnlich Wochenlöhne von 6 bis 9 Mt., nur einzelne, besonders tüchtige Arbeitskräfte kommen über diesen Betrag etwas hinaus. Antleideräume giebt es fast nirgends. Die Mädchen müssen den Abort zum Aus- und Ankleiden benüßen, wenn sie dies nicht vor den Augen der männlichen Arbeiter thun wollen. Lebhafte Klage wird auch seitens vieler Arbeiterinnen über grobe Behandlung geführt. In der Gold- und Silber­spinnerei erhalten die Arbeiterinnen einen Anfangslohn von wöchent lich 4 Mt., dem gewöhnlich erst nach Ablauf von zwei Jahren zugelegt wird. Die meisten ausgelernten Arbeiterinnen verdienen pro Woche 6 bis 8 Mt., in manchen Fällen steigt der Wochenverdienst auch auf 10 Mt., und etliche sehr geschickte Attordarbeiterinnen bringen es bei höchster Anstrengung noch auf ein paar Groschen mehr. Trotz der erbärmlichen Löhne ist keine Arbeiterin der Posamentenindustrie zu bewegen, sich der gewerkschaftlichen Organisation anzuschließen. Die

harte Frohn und die armselige Lebensweise, welche durch den färg­lichen Verdienst bedingt ist, stumpfen Empfindungen und Gedanken ab, so daß die Arbeiterinnen alles über sich ergehen lassen und meinen, es könne nicht anders sein. Daß gar manche Posamentenarbeiterin in Dresden   durch die bittere Noth der Schande überliefert wird, braucht angesichts der mitgetheilten Zahlen nicht Wunder zu nehmen. Mit 4 bis 6 Mt. wöchentlich kann kein alleinstehendes Mädchen den Unterhalt bestreiten, und die wenigsten der jungen Arbeiterinnen sind so glücklich, Eltern zu besitzen, welche für ihre Existenz aufkommen fönnen. Acht Mark sind pro Woche allein für Logis, Wäsche und dürftige Kost erforderlich. Da Schuhe und andere Kleidungsstücke nicht von ewiger Dauer sind und manche weitere unabweisbare Be­dürfnisse sich geltend machen, so geräth die schlecht entlohnte Posa­menterin nur zu leicht auf Abwege, und sucht Einkünfte, die er­giebiger sind als die anstrengende Arbeit. Es ist ein Zeichen der großen sittlichen Kraft und Reinheit, die in den arbeitenden Massen liegt, daß allen Hungerlöhnen zum Trotz noch so viele Arbeiterinnen die Versuchung zum leichten, jedoch schimpflichen Lebenswandel abweisen. Jedenfalls aber darf sich die Gesellschaft, welche der Aus­beutung der weiblichen Arbeitskraft in verdauungsseliger Gemüths­ruhe zusteht, nicht das Recht anmaßen, sittlich entrüstet Steine auf die Hungrigen zu werfen, welche straucheln und fallen. Wäre es der bürgerlichen Welt Ernst mit dem Kampfe gegen die Prostitution, so müßte sie die Bestrebungen unterstützen, die Arbeiterinnen über ihre Lage aufzuklären, das Bewußtsein ihrer Menschenwürde zu wecken und zu entwickeln, sie der modernen Arbeiterbewegung zuzuführen. Das sollten sich besonders die Vereine zur Hebung der Sittlichkeit gesagt sein lassen. Durch Förderung der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen, durch Eintreten für bessere Lohn- und Eristenz­bedingungen würden sie der Unsittlichkeit mehr entgegenwirken, als durch Massenauflagen von Traktätchen und ein halb Dußend Kongresse. Gut, daß die Proletarierinnen nicht auf Unterstützung von der Seite her warten. Soweit sie aufgeklärt und klassenbewußt sind, kämpfen sie für ihr Menschenrecht und das Menschenrecht derjenigen ihrer Schwestern, die leider noch schlafen und kampflos leiden. F. L.

Vereinsrecht.

Zopfiges Vorurtheil und kapitalistisches Klasseninteresse haben zusammen in Sachen des Vereinsrechts der Frauen einen Antrag gezeugt, den Abgeordnete der nationalliberalen Partei und der freisinnigen Vereinigung im Reichstage eingebracht haben. Er lautet: Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzu­legen, durch welchen die landesgeseßlichen Bestimmungen aufgehoben werden, die der Theilnahme von Frauen an sozialpolitischen Be­strebungen in Vereinen und Versammlungen entgegenstehen." Wie Figura zeigt, deckt sich dieser Antrag mit der Halbheit der Petition der Gesellschaft für soziale Reform". Indem es den Kautschuk­begriff der sozialpolitischen Bestrebungen" in das Gesetzbuch ein­führen will, öffnet es den tollkühnsten Kunststückchen juristischer Aus­legungsfreudigkeit sperrangelweit Thür und Thor. Und nicht an den seeulanenschwärmenden Damen der Flottenvereine, nicht an den har­monieseligen weiblichen Mitgliedern bürgerlicher Reformkränzchen würde salomonische Deutungskunst erprobt werden, wohl aber an den klassenbewußt fämpfenden Proletarierinnen. Nach der vollen politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts auf dem Gebiet des Vereinsrechts schlägt man mit der Nachtmüße des Spieß­bürgers; die volle Kampfestüchtigkeit der Proletarierin meint man in der hoffnungsfrohen Zuversicht, daß die Klassenjustiz gelegentlich auch mittels der Nachtmüze politisches und gewerkschaftliches Kampfes­leben zu ersticken und zu erdrosseln vermag.

Gesundheitsschädliche Folgen gewerblicher Frauenarbeit.

Ueber den Einfluß der Nähmaschinenarbeit auf die Ge­sundheit der Arbeiterinnen macht Dr. med. Falt in seiner Studie ,, Nähmaschinenarbeit und Plätten, ihr Einfluß auf den weib­lichen Organismus"( Therapeutische Monatshefte) auf Grund ein gehender Untersuchungen folgende beachtenswerthe Ausführungen: " Das Maschinennähen kann, wenn die Maschine durch die Füße der Arbeiterin bewegt wird, bei gesunden Frauen in einer, wenn auch geringen Zahl von Fällen einen schädigenden Einfluß auf die Unter­leibsorgane ausüben. Dieser schädigende Einfluß macht sich hingegen bei unterleibskranken Frauen in viel größerem Maße geltend, so daß für diese die Beschäftigung an der Nähmaschine als gesundheits­schädlich angesehen werden muß. Von geringerem Einfluß ist die Zahl der Arbeitsjahre und bei fabrikmäßigem Betrieb( 8 bis 11 Stun den Arbeitszeit) auch die tägliche Arbeitsdauer. In viel höherem