forderte ihre Ausweisung. Was den Agrariern recht ist, ist also auch den bürgerlichen Liberalen billig, nur dem klassenbewußten Proletariat nicht.

-

Ein Urtheil von prinzipieller Bedeutung für die Hand­habung des bayerischen Vereinsgesetzes* ist kürzlich vor dem obersten Landesgericht in München   gefallen. Es handelte sich um die Entscheidung in Sachen der Revision, welche gegen die Ver­urtheilung von Genossin Rudolph und Genossen Bohl in Nürn­ berg   wegen Uebertretung des Vereinsgesetzes eingelegt worden war. Der strafbare Sündenfall soll wie wir seinerzeit mittheilten- darin bestehen, daß Genossin Rudolph der Maifeier beigewohnt hat. Das Schöffengericht hatte das dafür verhängte polizeiliche Straf mandat aufgehoben, das Landgericht Nürnberg   dagegen hatte es bestätigt. Es vertrat die Auffassung, daß das Gewerkschaftskartell sich anläßlich der Maifeier in einen politischen Verein verwandelt habe, an dessen Versammlungen Frauen nicht theilnehmen dürften. Genossin Rudolph wurde zu 5 Mark Geldstrafe oder einem Tage Haft, Genosse Bohl als Leiter der Versammlung zu 10 Mark Geld­strafe oder zwei Tagen Haft verurtheilt. Das oberste Landesgericht zu München   hat nun die eingelegte Berufung als unbegründet verworfen. Maßgebend dafür war folgender Sachverhalt: Unter den Theil­nehmern der Maiversammlung, welche vom Gewerkschaftskartell ein­berufen, von Bohl geleitet wurde, befand sich auch Frau Rudolph, deren Ehemann- wie es in der Anklage heißt ,, ein eifriger An­hänger der sozialdemokratischen Partei und ein bekannter Agitator ist". Genosse Rudolph hielt in der Versammlung eine Rede, in der er sich über das Sozialistengesetz, die Ausdehnung des Sozialismus und seinen Einfluß auf das Staatsleben verbreitete. Sowohl durch die Inserate der Fränkischen Tagespost" wie den Verlauf der Ver­sammlung wurde bewiesen, daß die letztere über die Wahrung der besonderen Berufs- und Standesinteressen der Mitglieder der Organi­sationen' hinausging, die sich im Gewerkschaftskartell vereinigt haben. Hier wie da wurde gegen den Brotwucher, den Militarismus, das Hunnenthum protestirt. Der Staatsanwalt gelangte in der Folge zu der Auffassung, das Gewerkschaftskartell sei ein Verein im Sinne des Vereinsgesetzes. Die Selbständigkeit dieses Vereins ergebe sich auch aus dessen Zweck: die Ausbreitung und Kräftigung der Gewerk­schaften Nürnbergs   zu fördern und diese in moralischer und materieller Weise im wirthschaftlichen Kampfe zu unterstützen. Ein politischer Verein sei das Kartell nicht von vornherein gewesen, doch sei es dazu geworden durch die Agitation für die Maifeier. Alle Fragen, die diese berühre, hätten mit den Berufsinteressen der einzelnen Gewerk­schaften nicht mehr zu thun, als mit der irgend einer anderen Ver­einigung irgend anderer Personen. Der Kampf gegen den Milita rismus oder den Chinazug sei kein Moment, das den Schneider, Schuster oder Metallarbeiter mehr berühre, als irgend ein Glied der Gesammtheit. Hier handle es sich um Dinge, die jeden Deutschen  gleichmäßig angehen, und nicht mehr nur das ausschließliche und spezielle Berufsinteresse. Und das sei entscheidend. Der Vertheidiger, Rechtsanwalt W. Heine, beantragte, den Fall an die zweite Instanz zurückzuverweisen zur Nachprüfung, welcher Art der Verein sei. Die Nachprüfung werde ergeben, was schon in der ersten Instanz zum Ausdruck gekommen, daß die Maifeier der Er­ringung von Arbeiterschußgesehen gelte, also die Berufsinteressen der Arbeiter berühre. Das oberste Landesgericht schloß sich der Auffassung des Staatsanwalts an. Es verwarf die Revision mit der Begründung, daß das Urtheil des Landgerichts Nürnberg   keinen Frrthum erkennen lasse.

Notizentheil.

Weibliche Fabrikinspektoren.

Eine Assistentin der Fabrikinspektion in Altenburg   ist seit dem 1. April thätig, nachdem sich der Landtag des Herzogthums be­reits im vorigen Jahre für ihre Anstellung ausgesprochen hatte. Mit dem neugeschaffenen Amte hat die Regierung eine Dame betraut, welche von der preußischen Gewerbeinspektion empfohlen worden war. Die Anstellung weiblicher Hilfsbeamten der Gewerbeaufsicht in Braunschweig   steht, wie es scheint, in Aussicht. Gelegentlich der Verhandlungen über einen entsprechenden Antrag im Landtag erklärte die Regierung, daß sie der Frage näher treten wolle.

Soziale Gesetzgebung.

Ein Gesetz zum Schutze der Frauen- und Kinderarbeit hat die italienische Rammer kürzlich angenommen. Zur Regelung der Materie lagen ihr drei Entwürfe vor: einer von Seiten der Sozia­

*

Wegen Raummangels unlieb verspätet.

62

listen, einer von Seiten der Regierung und ein dritter von Seiten der parlamentarischen Kommission, welche mit der Berathung der beiden erstgenannten Projekte betraut worden war. Wir haben seinerzeit den Gesezentwurf der Sozialisten mitgetheilt, wie den der Regierung, dessen Schutzbestimmungen" im schroffsten Gegensatz zu ihm standen. Der Gesezentwurf der Kommission hielt sich ungefähr in der Mitte zwischen den beiden. So war die Altersgrenze für die Zulässigkeit der Kinderarbeit in den drei Gesezentwürfen auf 15, 10 und 12 Jahre festgesetzt. Die Sozialisten forderten für alle kindlichen Arbeiter von 15 bis 18 Jahren den Sechsstundentag, für die jugend­lichen von 18 bis 20 Jahren den Achtstundentag, für alle Arbeite­rinnen über 20 Jahre die 48 stündige Arbeitswoche und eine ununter­brochene Ruhepause von 42 Stunden pro Woche. Die Entwürfe der Regierung und der Kommission sahen dagegen für die Kinder von 10 bis 12 Jahren( in der Uebergangszeit) einen achtstündigen, für Kinder von 12 bis 15 Jahren einen elfstündigen Arbeitstag vor, den Arbeitstag aller Arbeiterinnen über 15 Jahre seiten sie auf zwölf Stunden fest. Die Nachtarbeit sollte nach dem sozialistischen   Ent­wurf sofort für die Frauen und die minderjährigen Arbeiter beider Geschlechter verboten werden. Regierung und Kommission wollten sie dagegen nur für Kinder unter 15 Jahren und für minderjährige Frauen sofort verboten wissen, für alle Frauen erst nach 5 Jahren. Für Schwangere und Wöchnerinnen heischte der sozialistische Ent­wurf eine Schutzzeit von 6 Wochen vor und 6 Wochen nach der Ent­bindung. Regierungs- und Kommissionsprojekt begnügten sich im Ganzen mit einer Schutzzeit von 28 Tagen, in Ausnahmefällen sogar von 14 Tagen. Ungesunde und gefährliche Industriezweige und Beschäftigungsarten be­treffend enthielt der sozialistische Entwurf wirksame Schußbestimmungen. Er wollte die Kinder- und Frauenarbeit in Industrie, Gewerbe, Handel und Landwirthschaft gesetzlich schützen. Er forderte die Anstellung männlicher und weiblicher Aufsichtsbeamten, die von den Arbeiter­organisationen gewählt, bezw. vorgeschlagen würden. Strenge Strafen sollten die Durchführung des Gesetzes sichern 2c. 2c. Nach mehrtägigen Debatten, in denen Cabrini die Forderungen der Sozialisten mit Sachkenntniß und Wärme vertheidigte, kam ein Schutzgesetz zu Stande, das im Wesentlichen dem Entwurf der Kommission entspricht. Die Altersgrenze für die Kinderarbeit wurde wie folgt festgesetzt: in Fabriken, Werkstätten und bei Maurerarbeiten auf 12, in Gruben und Berg­werfen auf 13, bei gefährlichen und nächtlichen Arbeiten auf 15 Jahre. Die gegenwärtig in Fabriken arbeitenden Kinder von 10 bis 12 Jahren dürfen weiter beschäftigt werden, ihre Arbeitszeit darf 8 Stunden täglich nicht übersteigen. Für Kinder von 12 bis 15 Jahren beträgt der Arbeitstag 11 Stunden. Für Frauen ist die Arbeit unter Tage. verboten, ebenso die Nachtarbeit, doch tritt die letztere Bestimmung für großjährige Arbeiterinnen( 20 Jahre) erst nach Verlauf von fünf Jahren in Kraft. Minderjährige Frauen dürfen bei gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeiten nicht verwendet werden. Für Wöchne­rinnen wurde eine Schugzeit von einem Monat nach der Niederkunft festgesetzt. Die tägliche Arbeitszeit der Arbeiterinnen über 15 Jahre beträgt 12 Stunden. Pausen von 1, 1 und 2 Stunden müssen die Arbeitszeit der Frauen und Kinder unterbrechen, je nachdem dieselbe. 8, 11 oder 12 Stunden dauert. In Fabriken mit wenigstens 50 Ar­beitern muß den Arbeiterinnen ein Zimmer zur Verfügung stehen, wo sie ihre Säuglinge pflegen können. Staatlich angestellte In­spektoren werden die Durchführung des Gesetzes überwachen, für dessen Uebertretung Strafen von 5 bis 25 Lire für Arbeiter, von 50 bis 500 Lire für Unternehmer festgesetzt sind. Die Forderungen der Sozialisten auf Gründung einer nationalen Mutterschaftskasse, auf Errichtung von Fachschulen und Schulkantinen wurden ebenso ab­gelehnt, wie ihre weitergehenden Arbeiterschutzbestimmungen. Nach einer Erklärung des Ministers der Landwirthschaft hat jedoch die Regierung die Gründung eines Fonds zur Unterstützung von Wöchne­rinnen in Aussicht genommen. Besonders bedauerlich unter den vielen beklagenswerthen Lücken und Halbheiten des Gesetzes ist, daß es nicht für die Reisarbeiterinnen gilt, die in ganz besonderem Maße eines ernsten gesetzlichen Schutzes bedürfen. Daß das Gesetz troh seiner zahlreichen schreienden Mängel als ein Fortschritt angesprochen werden muß, ist weniger ein Lob des Geschaffenen, als eine vernichtende Kritik der herrschenden einschlägigen Zustände. Nicht hoch genug ist dagegen ein Umstand anzuschlagen: was erreicht wurde, ist in der Hauptsache eine Frucht des organisirten proletarischen Klassenkampfes, ist eine Frucht der unablässigen, kraftvollen und planmäßigen sozia­ listischen   Agitation.

Vereinsrecht der Frauen.

Die Aenderung des Vereins- und Versammlungsgesetzes und die Zulassung der Frauen zu politischen Versammlungen in Braunschweig   betreffend wurde kürzlich im Landtag eine An­