fast ebenso großen tiefen Verständniß der herrschenden Klassen für dringende soziale Aufgaben bestenfalls eine Verlängerung der Schutzfrist für Wöchnerinnen als Ergebniß der Enquete über die Fabrikarbeit verheiratheter Frauen resultiren wird. Immerhin seien auch die anderen Vorschläge hier besprochen und, wo nöthig, kritisirt.
Schwangeren Frauen soll nach den Vorschlägen aus Potsdam ohne Innehaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses jederzeit der Austritt aus der Fabrik gestattet werden. Der Wöchnerinnenschutz soll obligatorisch, wie auch vom Gewerberath für Berlin- Charlottenburg vorgeschlagen wird, auf 6 eventuell auf 8 Wochen ausgedehnt, hochschwangere Frauen sollen wie Kranke behandelt werden. Ferner wird mit Recht die Ausdehnung des Begriffes Wöchnerinnen auch für die Frauen gefordert, bei denen es sich nicht um normale, sondern um Fehlgeburten und Aborte handelt, und Ausdehnung der vierwöchentlichen Schutzfrist auch auf die Frauen, welche eine Fehlgeburt überstanden haben. Der Gewerberath für Potsdam verlangt regelmäßige Pausen und kürzere Arbeitszeit für Schwangere, das Gleiche fordert auch der Gewerbebeamte für West preußen . Ein besonders ausgebildetes Pausensystem empfiehlt der Gewerberath für das Unter- Elsaß: In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft soll Vor- wie Nachmittags eine halbstündige Pause obligatorisch sein, in den zwei letzten Monaten vor der Niederkunft sollen blos 8 Stunden und in den letzten 14 Tagen gar nicht gearbeitet werden dürfen, ebenso wenig in den 6 der Geburt folgenden Wochen. In den 7 weiteren Wochen soll Vor- und Nachmittags in jeder dritten Stunde eine viertelstündige Pause eintreten. Der Beamte regt ferner an, daß in der Nähe der Fabrik, in welcher die Mutter arbeitet, für einen passend hergerichteten Raum zum Verwahren des Kindes und zum Säugen gesorgt werden müsse. Aehnliche, wenn auch nicht so weitgehende Vorschläge macht der Elbinger Gewerbeinspektor. Er empfiehlt, für Wöchnerinnen während der ersten 13 Wochen nach der Entbindung außer einer zweistündigen Mittagspause halbstündige Pausen Vor- und Nachmittags und eine höchste Arbeitszeit von 9 Stunden vorzuschreiben, schwangeren Personen jedoch diese Vergünstigung zu gewähren, sobald sie darauf Anspruch erheben. Nährenden Frauen müßte außerdem Zeit und Gelegenheit zur Ausübung dieser Mutterpflicht gegeben werden.
Wenn wir auch anerkennen, daß diese Vorschläge wohlmeinend und aus humanen Rücksichten entsprungen sind, so können wir ihnen doch keinen Werth beimessen. Zu Gunsten der schußbedürftigsten aller Arbeiterinnen bedarf es praktisch ausführbarer Bestimmungen und nicht solcher, die sich auf dem Papier sehr nett ausnehmen, die aber die Unternehmer nur veranlassen würden, Schwangere und Wöchnerinnen überhaupt nicht zu beschäftigen. Diese Wirkung würde aber jede Vorschrift haben, die besondere Pausen, besondere Arbeitszeiteintheilung und dergleichen für die betreffenden Arbeiterinnen forderte. Insbesondere gilt dies nun, wo ein bedenkliches Ueberangebot weiblicher Arbeitskräfte überall festgestellt wird.
Was wir für Schwangere und Wöchnerinnen verlangen müssen, ist eine den Forderungen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Ausdehnung der Schutzfrist auf die Zeit vor und nach der Niederfunft und eine ausreichende Unterstützung der zu schützenden Personen für jene Zeit, so daß sie thatsächlich gegen Noth sicher gestellt sind. Eine solche Unterstützung erst bewahrt sie vor der Versuchung, statt der Arbeit in Fabriken andere zu suchen, die mit noch größeren Gefahren für die Mutter und ihre Nachkommenschaft verbunden ist. Unsere Forderung ist einfach und klar, die Nothwendigkeit ihrer Verwirklichung einleuchtend. Sie liegt im Interesse der proletarischen Frau und des proletarischen Nachwuchses, in dem der gesammten Arbeiterklasse und des gesammten Volkes, dessen größter Reichthum ein heranwachsendes gesundes Geschlecht ist. Ohne gesunde, kräftige Mütter keine gesunden, kräftigen Kinder. Trotz alledem glauben wir nicht, daß die Erkenntniß und der Wille der herrschenden Gewalten sich bald zu einem wirksamen Schutz der proletarischen Schwangeren und Wöchnerinnen verstehen werden. Ein solcher Schutz ist nur möglich, wenn gesetzliche Bestimmungen die kapitalistische Ausbeutungsmacht über die Proletarierin etwas beschränken und der Allgemeinheit gewisse Verpflichtungen der Fürsorge für die Geschützte auferlegen. Solchen Bestimmungen aber wiedersetzt sich das Unternehmerthum mit allen ihm zu Gebote stehenden großen Machtmitteln. Die Arbeiterklasse muß deshalb der kapitalistischen Gesellschaft auch die so selbstverständlich erscheinenden Maßregeln zum Schuße der Schwangeren und Wöchnerinnen abtrozen. Indem sie deren Interessen gegen die verderbliche nimmersatte Pofitgier der ausbeutenden Kapitalistenklasse vertheidigt, vertheidigt sie ihre eigene Zukunft. Ein kräftiger und tüchtiger proletarischer Nachwuchs ist eine Vorbedingung für fünftige Siege des Proletariats im Kampfe für Reformen und für volle soziale Befreiung. a. br.
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Russische Arbeiterinnen im Kampfe.
Wer sich davon überzeugen will, daß die Frau dem Manne gleich des höchsten Bürgersinns, der edelsten Bürgertugenden fähig ist, der vertiefe sich in die Geschichte der Freiheitskämpfe, welche Ruß land seit Aufhebung der Leibeigenschaft erschüttern. Kein Blatt hier, das nicht in goldenen Zügen die Namen von Frauen trägt, die mit dem Löwenmuth von Helden und der begeisterten Opferfreudigkeit von Märtyrern für die Sache der Volksfreiheit gelebt und gelitten haben, für die Sache der Volksfreiheit gestorben sind. In allen Perioden der revolutionären Bewegung standen die Russinnen im Vordertreffen des Streites und bewährten sich glänzend auf den verantwortungsreichsten und gefährlichsten Posten. In den Jahren der friedlichen Propaganda für die Jdeen des Sozialismus wanderten Frauen und junge Mädchen von Dorf zu Dorf, von Fabrik zu Fabrik, um Bauern und Arbeitern das Evangelium einer freien und glücklichen Menschheit zu verkünden. In den Zeiten des blutigen terroristischen Kampfes gegen die Schergen des Absolutismus und sein greuelvolles System beugten sie sich unter das Machtgebot der schwersten revolutionären Pflichten, auch jener, die um so unendlich härter sind, als die Hinopferung des eigenen Lebens. Und als die Jahre des scheinbaren Erlöschens der Bewegung kamen, da haben sie in der Stille im Dienste ihres Jdeals gelernt und gelehrt. Nun aber, da der revolutionäre Kampf aufs Neue entflammt ist, bald hier, bald da in lodernden Gluthen emporschlägt, finden wir die Russinnen abermals in Reih und Glied der Freiheitsstreiter.
Die Bewegung der letzten Jahre kündet von einem gewaltigen und entscheidenden Umschwunge, der sich in Rußland vollzogen hat. Allmälig wächst auch hier ein modernes Proletariat heran, das allen Jammer und alle Knechtschaft trägt, welche der Kapitalismus über die Habenichtse verhängt, und dazu noch alle Pein, alle Unterjochung, womit der zarische Absolutismus seine„ Unterthanen" segnet. Unter diesem Proletariat wirbt der sozialistische Gedanke mehr und mehr Anhänger, mehr und mehr Bekennerinnen. Und so ist es heute in Rußland nicht länger die Intelligenz" allein die Welt der Studenten und Gebildeten welche um Freiheit ringt. Neben der Intelligenz" steht das zum Klassenbewußtsein erwachende Proletariat, welches dem selbstherrlichen Zarenthum einen Kampf auf Tod und Leben ansagt, welches das Doppeljoch des Absolutismus und Kapitalismus brechen will.
Schon in den früheren Zeiten der revolutionären Bewegung begegnen wir neben den Frauen der„ Intelligenz" Studentinnen, Aerztinnen, Lehrerinnen, Schriftstellerinnen 2c. auch einzelnen Arbeiterinnen als Freiheitskämpferinnen. Nun aber wächst allmälig die Zahl der Proletarierinnen, die sich und ihrer Klasse„ das Himmelreich auf Erden" errichten wollen. Ein rührender und erhebender Bildungseifer giebt sich in den Reihen der Arbeiterinnen kund, in denen der sozialistische Befreiungsgedanke erwacht. Die revolutionäre Bewegung tritt an die meisten von ihnen als Kulturbringerin im umfassendsten Sinne des Wortes heran. Sie vermittelt ihnen nicht nur soziale und politische Aufklärung, sie erzieht sie nicht nur zu Solidarität und Selbstverleugnung und stählt ihren Charakter, sie muß ihnen auch meist erst die Elementarkenntnisse des Lesens, Schreibens, Rechnens 2c. geben. Dankbare und gelehrige Schülerinnen lernen Die kennen, welche sich in Sonntags und Feierabendkursen, in Unterhaltungen und Lesestunden die Bildung des Volkes angelegen sein lassen. Die Verhältnisse, in denen die russische Proletarierin lebt, schärfen auch ihr den Blick für das Erkennen der sozialistischen Heilswahrheit. Es steigt die Zahl der Arbeiterinnen, die geheimen Organisationen angehören und opferfreudig für sie wirken durch Agitation von Person zu Person, durch Verbreitung von Schriften, Sammlung von Geldern zc. Immer bemerkenswerther wird die Betheiligung der Arbeiterinnen an den wirthschaftlichen Kämpfen, an den politischen Manifestationen. Und wie theuer müssen sie nicht oft jede solche Betheiligung büßen! Wenn die deutsche Fabrik noch recht oft ein Zuchthaus ist, so ist die russische Fabrik fast stets die Hölle. Wenn Deutschland die fromme Kinderstube ist, wo für das freie Wort, die kühne That der Polizeiknüttel bereit liegt, so ist Rußland das Gefängniß, neben dem der Galgen steht und Sibirien wartet.
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Die Maifeier des letzten Jahres bekundete, daß auch die russischen Arbeiterinnen die Losung verstehen:" Proletarier aller Länder, vereinigt Euch." In fast allen größeren Industriezentren, wo Arbeiter zum Theil mit Intelligenten " zusammen die Maifeier begingen, da nahmen auch Arbeiterinnen in größerer oder kleinerer Zahl an den Kundgebungen Theil. Arbeiterinnen feierten, obgleich sie wußten, daß sie dafür die Strafe der Aussperrung, des Lohnabzugs 2c. treffen würde. Sie feierten und demonstrirten in den Straßen, obschon ihnen gut bekannt war, daß Befehl gegeben worden, die Knute hauen, die Flinte schießen zu lassen. Uns liegen zwei