daß ihr die Ausbeutung auch der Wehrlosesten heilig sein müsse, wenn diese sich an den häuslichen Herd flüchtet. Aber freilich: der eine prinzipielle Schritt nach vorwärts hat den geringen Besitz der Regierung an sozialpolitischem Wagemuth aufgezehrt. Sie hat sich gescheut, durch kraftvolle praktische That das richtige Prinzip kon­sequent durchzuführen. So ist der Entwurf ein sozialreformatorisches Pfuschwerk geblieben, das angesichts des größten Verbrechens der kapitalistischen   Ordnung die Ohnmacht und den bösen Willen der be­sitzenden und herrschenden Klassen zu gründlicher Reformarbeit bezeugt. Was die Regierung zusammengestümpert, das wird aber die bürgerliche Majorität des Reichstags aus Eigenem kaum wesentlich verbessern. Die erste Lesung des Entwurfs im Parlament erweist das sinnenfällig. Die Redner aller bürgerlichen Parteien von dem Zeutrümler Hitze an bis zu den Freisinnigen Pachnicke. Zwick, Müller hinauf verschwendeten so viel Gehirnschmalz und Athem für Worte des Lobes und Dankes an die Adresse der reform- eifrigen Regierung, daß ihnen so gut wie nichts für die nöthige Kritik des gebrestreichen Entwurfs blieb. Der Freisinnige Pachnicke erklärte zwar den grenzenlosen Jamnier der Kinderausbeutung für sehr betrübend", fand aber, daß dagegen mit einerSchonung vorgegangen werden müsse", welche die Kleinen auch künftighin schonungsloser Ueberbürdung preisgiebt, und schloß mit einer Seligpreisung derrichtigen Milte" zwischen Ausbeutung und Schonung, welche die allweise Regierung gefunden. Und der eben­falls freisinnige Müller ließ eine erschütternde Schilderung des Kinderelends in der Sonneberger   Spielwaarenindustrie ausklingen in das furchtsame Stammeln: das Verbot jeder Erwerbsarbeit schulpflichtiger Kinder seiein Sprung ins Dunkle", vor dem er zurückschrecke. Konservative Reichstreue aber und welfische, pol­nische und elsässische Reichsfeinde, denen sich Stöcker zugesellte,der neue Luther   a. D.", vereinigten sich zu einem Chor, der unter Führung des junkerfürchtigen Posadowsky die poetischen Reize des Viehhütens, Rübenverziehens, KartoffellesenS rc. mit schmelzender Inbrunst sang. Nur der bürgerliche Eingänger Rösicke trat an die Seite der Sozialdemokratie, welche ihre alte Forderung erhob: Fort mit jeder Erlverbsarbeit der Kinder". Ihre drei Redner Wurm, Reißhaus, Herzfeld begründeten diese Forderung mit thatsachenreichen, sachkundigen Ausführungen, welche unter Anderem auch mit dem verwüstenden junkerlichen Mißbrauch kindlicher Arbeits­kraft gründlich abrechneten. Nun haben die proletarischen Massen das Wort. Ihre Er- kenntniß und ihr Wille müssen bewußt heischend, bewußt kämpfend hinter die pflichttreue Thätigkeit ihrer parlamentarischen Führer treten. Heraus darum zum Kampfe für ein wirksames Kinder- schutzgesetz, Ihr pi oletarischen Väter, Ihr proletarischen Mütter vor Allem, die Ihr verzweiflungsvolle Zeugen der Vernichtung Eures eigenen Fleisches und Blutes seid! Sollt Ihr auch fürder der Kapitalsinteressen Hüter bleiben? Sollt Ihr fortfahren, zu Nutz und Frommen fremden Reichthums Euch aus Schützern und Er­ziehern Eurer Kleinen zu deren Antreibern und Peinigern er­niedrigen zu lassen? Soll der Geist der kapitalistischen   Ordnung noch länger den heiligen Instinkt Eurer Elternliebe fälschen, so daß sie das Kind der Ausbeutung als Opfer bietet, statt mit dem Grimme des unbezähmbaren Naturtriebes sich gegen die Ausbeutung zu kehren? Das sei ferne! Erhebt milliouenstimmig die Losung: Kampf der Ausbeutung, Schutz unfern Kindern! Zum Halleschen Lehrerinnentag. Der Landesverein preußischer Volksschullehrerinnen, in welchem etwa 30 Prozent sämmtlicher weiblichen Lehrkräfte an Volksschulen Preußens organisirt sind, hatte zu Pfingsten d. I. ungefähr SO Dele- girte zu einem Kongreß nach Halle a. S. entsandt. Derselbe erledigte zuerst die geschäftlichen Angelegenheiten und nahm eine Resolution an, in welcher die ablehnende Haltung des Landtags in Sachen einer Reform des Vereinsrechtes bedauert und dem gegenüber erneute energische Vertretung dieser Forderung beschlossen wurde. Hierauf verhandelte man über die diffizile und vielumstrittene Frage der Aus­gestaltung des Haushaltungsunterrichtes, der nach Ansicht der Majori­tät des Kongresses auch für die sogenanntenhöheren Töchter" obli­gatorisch sein sollte. Einen breiten Raum nahmen sodann in den Verhandlungen des Kongresses das Referat und die Diskussion ein über das Thema:Was kann die Volksschule zur Bekämpfung des Alkoholismus thun?" Die Referentin, Frl. Tinzmann. war ein­sichtig genug, die wirthschaftlichen Ursachen des Alkoholismus   in den unteren Schichten der Bevölkerung zu würdigen. Auch sei, so führte sie aus, die Trunksucht durchaus kein Monopol der arbeitenden Klassen. man brauche nur an die alkoholischen Exzesse der mittleren und höheren Stände bei patriotischen und anderen Festlichkeiten zu denken. Die mit großem Beifall aufgenommenen Ausführungen der Referentin gipfelten in vierzehn Thesen, in denen unter Anderem Herabsetzung der Schülerzahl in den Klassen gefordert wurde, um neben dem eigentlichen Unterricht Zeit zu gewinnen für die Erziehung der Schüler zu Charakterfestigkeit, Freude am Schönen und am Kunst­genuß und damitzu größererer Widerstandsfähigkeit gegen den Alkoholgenuß". Um den Alkoholismus erfolgreich bekämpfen zu können, sollten die Volkserzieher mäßig leben. Kinderhorte seien eine Nothwendigkeit zum Schutze der aufsichtslosen Zöglinge zc. zc. So berechtigt alle diese Forderungen sind und zwar nicht nur zum Zwecke der Bekämpfung des Alkoholismus  , so ist es doch für Jeden klar, der tiefer in den Zusammenhang der wirthschaftlichen Verhältnisse mit den gesundheitlichen und sittlichen Zuständen blickt, daß sie nur als Palliativmittelchen gewerthet werden können, so lange Ueberarbeit und Unterernährung in weiten Schichten des Volkes den Nährboden für die Trunksucht abgeben. Der wichtigste und am ausführlichsten behandelte Gegenstand der Berathung war auf dem Lehrerinnenkongreßdie soziale, nationale und pädagogische Nothwendigkeit der Einheitsschule". So sehr man dem guten Herzen der Referentin, Frl. Lisch» ewska-Spandau, An­erkennung zollen muß, so sehr ist doch zu bedauern, daß sie neben vielen Ausführungen, die von warmer Liebe für die Sache der Volks­erziehung getragen und sachlich zutreffend waren, einen wahren Gallimathias von unverdauten Schlagworten freisinniger und national­sozialer Herkunft über Sozialismus, Kapitalismus  , Klassenkampf und Klassengegensätze zc. vom Stapel ließ. Während Frl. Lischnewska den Beweis schuldig blieb für ihre kühne Behauptung, die Hoffnung der Arbeiterklaffe, dem Kapitalismus   mit Erfolg entgegentreten zu können, habe sich als Phantasterei erwiesen, schwelgte sie geradezu in Phan­tastereien von der Beseitigung der Klassengegensätze durch die Ein­heitsschule. Die Forderung der Einheitsschule ist übrigens durchaus nicht neu, und sie wird auch von sozialdemokratischer Seite schon längst erhoben. Man versteht unter Einheitsschule den gemeinsamen Elementarunterricht für alle Kinder ohne Unterschied des Standes und Geschlechtes vom sechsten bis zwölften Lebensjahr, der das Un­wesen der Vorschulen für die höheren Lehranstalten ausschlösse. Ge­wiß würde die Einführung der Einheitsschule einen nicht unwesent­lichen Fortschritt im Vergleich zu den heutigen Zuständen bedeuten, in denen Volksschule und Armenschule identisch sind. Aber wie Frl. Lischnewska zu glauben,das furchtbare Wort vom Klassenstaat könne durch die Einheitsschule ausgerottet werden", ist einfach ein Nonsens, ebenso wie seine Begründung:Alle sozialen Gegensätze sind Bildungsgegensätze". Auch mit denSonderrechten für Besitz und Bildung" läßt sich nicht so leicht aufräumen, wie die Referentin es sich denkt. Sind die sechs gemeinsamen Schuljahre um, so tritt die große Scheidung ein: Die Kinder der Wohlhabenden beziehen standes­gemäß die höheren Unterrichtsanstalten, während die Proletarier­jugend in der Volksschule verbleibt, um nach höchstens zwei Jahren in das Leben und den Kampf um die Existenz entlassen zu werden. Allerdings solle» nach dem frommen Wunsche Frl. Lischnewskas die armen begabten Kinder auf Staatskosten in höheren Schulen eine weitere Ausbildung erhalten; unter den heutigen wirthschaftlichen Verhältnissen aber würde dies immer nur ein schöner Traum bleiben, der sich nur für Wenige verwirklichen würde. Wenn allen be­gabten Kindern des Volkes das Recht auf Bildung zugestanden werden soll, dann ist die nothwendige Voraussetzung dazu eine materiell gesicherte Existenz aller Volksgenossen, die erst nach Be­seitigung der heutigen kapitalistischen   Gesellschaftsordnung möglich ist. Im heutigen Klassenstaat, an dessen Mark der Militarismus zehrt, dessen Lob Frl. Lischnewska gerade in den höchsten Tönen zu singen pflegt, würde es höchstens einzelnen der begabtesten Proletarierkinder ermöglicht werden können, sich eine umfassende Bil­dung auf Gymnasien und Hochsckulen anzueignen. Die Theilnehmerinnen des Kongresses folgten willig den gut­gemeinten, aber zuweilen mehr oder weniger unklaren Ausführungen der Referentin und spendeten am Schlüsse stürmischen Beifall. Mit geringen Abänderungen wurden die Thesen angenommen, welche die Hauptgesichtspunkte des Referats noch einmal zusammenfaßten. Der Kongreß war damit zu Ende. Er hat gezeigt, daß eine nicht geringe Anzahl unter den Volksschullehrerinnen beginnt, für die sozialen Zu­stände der Gegenwart Interesse zu zeigen, und daß die Mehrheit von ihren bestrebt ist. eine Hebung der Volksschule herbeizuführen. Inso­fern sind wir mit unseren Sympathien auf ihrer Seite. öl. Xt.