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der Weber und Weberinnen konnten nie sicher berechnen, wie viel| Elends hinabstoßen zu lassen. Sie nahmen den Kampf auf, einen oder richtiger wie wenig sie am Lohnzahlungstage erhalten würden. Die Lebensmittelpreise aber sind in Meerane   so hoch wie in dem größeren Chemnitz  , wo höhere Löhne bezahlt werden. Wie manche Eltern, wie manche Arbeiterinnen mögen da unter Thränen geseufzt haben: Ach Gott, daß Brot so theuer ist, und so wohlfeil Fleisch und Blut!"

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Die Dürftigkeit der Lebensweise, insbesondere der Ernährung, spottet jeder Beschreibung. Das Wort Ernährung selbst dünkt ein blutiger Hohn auf das, was zumal der Qualität nach, auf den Tisch tommt: Zichorienbrühe, Kartoffeln mit Quart, mit Hering, wohl gar nur mit Heringslauge, mit Salz, Kartoffelgerichte in unendlichen Variationen sind für den größten Theil der Meeraner   Weberbevölke­rung der Hauptbestandtheil der Mahlzeit. Unterernährung- das wohlklingendere Wort für langsames Verhungern ist denn auch die Quelle zahlreicher Leiden, an denen die Weber und Weberinnen mitsammt ihren Kindern dahinsiechen. Und zu alledem eine Arbeit, die mehr als manche andere die Nerven überanstrengt und mit Schädi­gungen für die Athmungsorgane verknüpft ist. Die Thatsache, daß von allen Städten des Deutschen Reiches Meerane die höchste Sterb­lichkeitsziffer hat, schreit die Sünden der kapitalistischen   Ausbeutung gen Himmel. Unglaublich klingt es und ist doch wahr, daß trotz alledem die Fabrikanten die Löhne noch weiter herabsetzen wollen; eine große Firma um nicht weniger als 30 bis 35 Prozent auf einzelne Artikel. Die Herren wähnten offenbar, daß grenzenlos wie ihre Profitgier, so auch die Geduld der Weber und ihre Künstlerschaft im Hungern sei. Die Arbeiter beantworteten das maßlos unverfrorene Ansinnen mit einer bescheidenen, ja überbescheidenen Forderung. Sie stellten ihrer­seits einen Tarif auf, der nichts Anderes bezweckte als die Aufrecht­erhaltung der alten Hungerlöhne! So gedrückt und eingeschüchtert, so nothgewöhnt sind die Meeraner Weber und Weberinnen, daß ihnen das Streben nach Aufbesserung ihres Verdienstes als hoffnungslose Kühnheit erschien, daß ihr Sehnen und Wollen nicht über eine Ab­wehr der drohenden Verschlimmerung ihres jämmerlichen Looses hinaus­ging. Bescheiden war ihr Verlangen, maßvoll wurde es vertreten. Nicht der Kampf, gütliche Verhandlungen sollten es verwirklichen. Die Fabrikanten antworteten ein kurzes, faltes: Nein. Sie wollten mit ihren Arbeitsstlaven nicht verhandeln, sie wollten sie nieder­zwingen. Was so oft schon gelungen die Weber zu schweigender Hinnahme von geschmälertem Verdienst und zu festerem Anziehen des Hungerriemens zu zwingen, warum sollte es diesmal fehl= schlagen? Aber auch die größte Langmuth hat ihre Grenzen. Schließ­lich sind die Meeraner Weber und Weberinnen nicht fühlloser als der Wurm, der sich krümmt, wenn er getreten wird. Es glimmte in ihnen die Erkenntniß zur hellen Flamme auf, daß es ihr gutes Recht, ja ihre heilige Pflicht sei, sich nicht noch tiefer in die Hölle des sozialen Vorwand für das Eingreifen des Militärs zu erlangen.... Die marschirenden Streifer famen von Mc Adoo, Audenried, Jeanes­ville, Hazleton, von der Südseite von Harwood, von Eberdale, Jeddo, Freeland und Upper Lehigh. Die Frauen und Mädchen waren sämmtlich aus Mc Adoo. Als der Zug vor den Gruben in Lattimer eintraf, rannte Sheriff Harvey mit seinen untergebenen wie toll auf und ab und gestattete dem Zuge nicht, irgendwo stehen zu bleiben. Sogar an Frauen und Mädchen vergriffen sich die als Sheriffsgehilfen eingeschworenen Strolche...."

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( Ein anderer Bericht über die gleiche Affaire). Es war kurz vor 6 Uhr Morgens, als der Zug in Lattimer eintraf. Den Frauen marschirte ein Tambour- und Pfeiferkorps voraus. Diesem folgte eine bildhübsche junge Polin, die ein Sternenbanner trug. Bis 7 Uhr bewegte sich der Zug die Straßen auf und nieder, und dann gab es plößlich ein tausendstimmiges Hurrah, denn es war nun das Dompfpfeifensignal zum Beginn der Arbeit erklungen und feiner von den Bewohnern Lattimers hatte demselben Folge geleistet. Keine Thüre öffnete sich, um einen Mann oder Knaben in Arbeitskleidern nach den Gruben eilen zu lassen. Wenige Mi­nuten später wurden die Jubelrufe der Leute des vom Süden herangekommenen Zuges durch die von der Nordseite Lattimers Heranmarschirenden erwidert. Die beiden Züge vereinigten sich an der Stelle, wo vor drei Jahren jene Arbeiterschlächterei statt­gefunden. Man reichte einander die Hände und sang Siegeslieder, worauf eine kurze Raft gemacht wurde. Die ganze Schaar lagerte sich am Boden, paradirte dann noch mehrmals durch die Ortschaft und trat um 8 Uhr den Rückmarsch nach den verschiedenen Heimaths­prtschaften an."

( Fortsegung folgt.)

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aufgezwungenen Abwehrkampf, wie er gerechtfertigter nicht gedacht werden kann. Wohl wußten sie, welche Härten und Bitternisse viel­leicht im Gefolge des Ausstandes kommen würden: Tage, wo das Feuer des Herdes erlischt; wo in keiner Tasche ein Pfennig auf­gestöbert werden fann; wo die hungernden Kleinen nach einer Brot­fruste weinen oder betteln gehen; wo ein Meer von Sorgen alle Hoffnungsfreudigkeit, allen Muth zu ertränken scheint. Aber konnten diese Härten und Bitternisse sie schrecken? Waren sie ihnen nicht alte vertraute Bekannte? Hatte das Unternehmerthum sie nicht erzogen, mit denselben sich abzufinden? Was sie so oft zur Füllung des fremden Geld­sacks unfreiwillig üben mußten fasten, borgen und sorgen das wollten sie freiwillig in ihrem eigenen Interesse thun. Und so erklärt es sich, daß der Streit mit schwerem Herzen begonnen wurde, aber mit größter Entschlossenheit und Begeisterung geführt wird. So erklärt es sich auch, daß ihn Die mit Freudigkeit tragen, die so oft das größte Hinderniß einer Lohnbewegung sind: die Frauen. Beim Flug­blattvertheilen sind die Weberinnen häufig tapferer als die Männer. Sie bewähren sich als eifrige und gewissenhafte Streikposten, die sich weder durch die Wizeleien, noch durch die Beschimpfungen der vor­übergehenden Fabrikangestellten irre machen lassen. In den Versamm­lungen sind sie zur Stelle und in den Standquartieren zur Arbeit bereit. Daheim aber murrt und klagt nicht die trostlose, erbitterte Hausfrau, die unverständig und kleinlich darauf ausgeht, dem Manne die Leiden des Kampfes doppelt fühlbar zu machen. Da schaltet und waltet die einsichtige Kampfesgefährtin, die energische Befürworterin des Streiks, die still jedes Ungemach trägt, die Entschlossenheit stärkt und den Muth befeuert.

Möchten sie siegen, die Männer und Frauen, die so schlicht und heldenhaft die Bewegung tragen. Die Fabrikanten wollen noch heute von keiner Verständigung etwas wissen. Wie die Beauftragten der Ausständigen, so haben sie den Fabrikinspektor von Zwickau   abge­wiesen, der Frieden stiften wollte, und der die Ueberzeugung bekannte, daß der Kampf ein berechtigter sei. Die Fabrikanten halten daran fest, mit Sforpionen fortan Diejenigen züchten zu wollen, die sie bisher mit Peitschen gezüchtigt haben. Sie bauen auf ihren wohlgefüllten Geldsack und auf ihre übrigen zahlreichen Machtmittel, darunter vor Allem eine verlogene bürgerliche Presse. Was haben die Streifenden dagegen in die Wagschale zu werfen? Das feste Be­wußtsein, eine gute, gerechte Sache, das Recht der lebendigen Menschen zu vertheidigen. Ihr Vertrautsein mit der Noth, ihre Begeisterung, ihre Einigkeit und Geschlossenheit. Die Solidarität ihrer Berufs­genossen in Glauchau  , Gera  , Reichenbach 2c., die sich weigern, Streif­arbeit zu leisten. Die moralische und materielle Unterstützung aller Kreise der Meeraner   Bevölkerung. Und was der private Beistand thut, das wird ergänzt durch die Hilfe des treuesten Freundes und Berathers wirthschaftlich kämpfender Arbeiter, der gewerkschaftlichen Organisation. Dem Verband der Textilarbeiter ist es an erster Stelle zu danken, daß die Streifunterstützung bis jetzt regelmäßig und den Hungerlöhnen gemessen verhältnißmäßig reichlich gezahlt wer­den konnte. Tritt zu den aufgezählten Bürgschaften des Erfolges noch die thatkräftige Solidarität der gesammten Arbeiterklasse, so ist der Sieg gesichert. Möchte er nicht zu lange auf sich warten lassen. Das wünschen wir von Herzen.

Aus der Bewegung.

an

Wegen Raummangels mußte der Bericht über die fünfte Ge­neralversammlung des Bundes deutscher   Frauenvereine" zurückgestellt werden.

Von der Agitation. In einer glänzend besuchten Volks­versammlung in Garden Kiel sprach am 6. Oktober Genossin Ziez- Hamburg über Den Lebensmittelwucher, insbeson= dere die Fleischnoth und die Frauen". Die Frauen stellten einen sehr hohen Prozentsatz der Versammlungsbesucher, die den großen Kaisersaal bis auf den letzten Platz besetzt hielten und mit außerordentlicher Aufmerksamkeit den Ausführungen der Referentin folgten. Eine Resolution, die sich scharf gegen den geplanten Lebens­mittelwucher, sowie gegen die Grenzsperrpolitik und die dadurch be­dingte Fleischnoth richtete, fand einstimmige Annahme. In ihrem Schlußwort wies die Referentin auf die Nothwendigkeit des Aus­baues der Arbeiterorganisationen und der stärkeren Verbreitung unserer Presse hin, was zur Folge hatte, daß 22 Abonnentinnen für die Gleichheit", sowie eine Anzahl Abonnenten für die Schleswig­Holsteinische Volkszeitung" gewonnen wurden. Am 16. Oktober sprach Genossin Ziet in Diedrichsdorf   über dasselbe Thema in einer ebenfalls glänzend besuchten Versammlung. Auch hier fanden ihre Ausführungen lebhaften Beifall und die obenerwähnte Resolution