Die fünfte Generalversammlung des Bundes
deutscher Frauenvereine.*
Es ist nicht leicht, ein einheitliches und übersichtliches Bild von den Arbeiten der fünften Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine" zu erhalten, welche vom 4. bis 7. Oktober in Wiesbaden getagt hat. Gerade über recht wichtige Arbeitsgebiete und Fragen wurde nicht in einem abgeschlossenen Rahmen verhandelt. Die Berichte der einzelnen Kommissionen wurden in den Plenarsizungen erstattet, die hier begonnenen Diskussionen in besonderen Kommissionssitzungen fortgesetzt, in denen auch Referate zu einschlägigen Einzelfragen gehalten wurden, und schließlich gelangten wieder Anträge zu den betreffenden Materien vor das Plenum, wo sie, eingestreut zwischen Anträgen verschiedenster Art, ihre Erledigung fanden. In jeder Plenarsizung fam außer den zur Berichterstattung und Debatte vorgesehenen Gegenständen ein wirres Kunterbunt von Anträgen zur Erörterung und Abstimmung. So haftet den Verhandlungen das Gepräge der Zerfahrenheit an und ein Zug des Sichtreibenlassens, das wenn es auch in bestimmt erkennbarer Richtung geschieht eine sichere fraftvolle Führung hoch und festaufgerichteten Zielen entgegen vermissen läßt.
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Daran mögen Mängel der Bundesorganisation zumal in dem schwerfälligen, bureaukratisch- undemokratischen Mechanismus der Kommissionen und Mängel der Vorbereitung der Generalversammlung ein gutes Theil Schuld tragen. Hauptgrund ist aber jedenfalls die Zusammensetzung des Bundes", der neben ausgesprochen frauenrechtlerischen Organisationen eine große Zahl Vereine umschließt, welche lediglich oder vorwiegend„ gemeinnüßige" Bestrebungen fultiviren und auf den verschiedensten Stufen innerer Entwicklung und Reife stehen. Hauptgrund ist das zwiefältige Sein und Wesen des " Bundes" selbst. Seinen Satzungen nach soll er eine Zusammenfassung aller gemeinnüßig thätigen Frauenvereine" sein, nicht aber die einheitliche Vertretung der bürgerlichen Frauenbewegung und ihrer Ziele, geschweige denn Kampfesorganisation für dieselben. Der Logit der Thatsachen entsprechend wird er jedoch mehr und mehr den Forderungen der fortgeschritteneren Elemente entsprechend mit seinem Thun auf das Gebiet der sozialen Reformarbeit gedrängt, auf den Boden des Kampfes für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes. Der Zwiespalt zwischen todter Sagung und lebendigem Bedürfniß; der Gegensatz zwischen rückständigen und fortschrittlichen Elementen, der sich in gemeinsamen Aktionen harmonisch auflösen soll: bewirken offensichtlich jene Zaghaftigkeit, Halbheit und Unsicherheit, welche recht vielen Lebensäußerungen des Bundes" eigenthümlich sind. Aus taktischen Gründen, die wir zwar nicht billigen, aber begreifen, legen seine Führerinnen das Schwergewicht zunächst auf den Zusammenhalt, auf die Festigung, Ausgestaltung und Ausdehnung der Organisation und nicht auf ihre rasche innere Entwicklung, auf fräftiges, ja stürmisches Vorwärtsschreiten und Kämpfen. Dieser Stand der Dinge spiegelte sich nicht blos in den hervor gehobenen Zügen wieder, er fand bei mehr als einer bedeutsamen Materie seinen Ausdruck in den Debatten und Beschlüssen selbst. Es gilt dies ganz besonders von der Behandlung der Fragen Prostitution und Frauenstimmrecht. Hier trat der Gegensatz zwischen der„ gemäßigten" und der„ radikalen" Richtung der deutschen Frauenrechtelei, der Gegensatz zwischen Zurückhaltung und Vorwärtsdrängen flar in Erscheinung, ebenso aber auch das Bestreben der Leitung, beziehungsweise der Führerinnen des Bundes, aus übergroßer Furcht vor einer Lockerung und Sprengung des Zusammenhaltes die klarere Würdigung sozialer Erscheinungen und Zusammenhänge, die schärfere Betonung frauenrechtlerischer Kampfesziele der Rückständigkeit und Halbheit zu opfern.
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Trotz alledem läßt jedoch die Generalversammlung einen anerkennenswerthen Fortschritt erkennen, und das sowohl betreffs ihrer Stellung zur Reformarbeit, wie zu den Frauenrechten. Gewiß ist zu den sozialreformerischen Fragen im Einzelnen noch recht viel sozial Ungereimtes geredet worden, hat die und jene Persönlichkeit sich trampshaft an die alte, einseitige und oberflächliche Auffassung geflammert. Es fehlte nicht an Ausführungen, die soziale Uebel, wie Prostitution und Alkoholismus , lediglich als Ausflüsse besonderer individueller Lasterhaftigkeit darstellten und dagegen ausschließlich Moralpredigten und kleine kurpfuscherische Tränklein empfahlen. Neben solche Darlegungen trat aber die einsichtsvolle, richtige Würdigung, die aus der Erkenntniß der unlöslichen Verquickung von sozialen Ursachen und Wirkungen fließt und deshalb die soziale Reformthat als Mittel gegen soziale Mißstände fordert.
Die Verhandlungen über die Sittlichkeitsfrage und die Dienstbotenfrage ließen das besonders hell in Erscheinung treten.
* Wegen Raummangel verspätet.
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In der Sittlichkeitsfrage prallten im Plenum die alte, polizeifnüttelgläubige Rückständigkeit, vertreten durch Frau Bieber- Böhm , und die fortschrittlichere Auffassung des sogenannten Abolitionismus zusammen, die von Frau Scheven- Dresden und Frl. Papprig- Berlin verfochten wurde. Letztere zwei befürworteten, der Bund solle den Kampf gegen die staatlich reglementirte Prostitution als Programmpunkt nachdrücklicher als bisher betonen und sowohl der Oeffentlichfeit als den geseßgebenden Gewalten gegenüber Stellung zu dieser Frage nehmen." Frau Bieber- Böhm wollte dagegen den Kampf ,, gegen das staatlich geregelte Gewerbe der Prostitution" aufgenommen wissen. Als Konsequenz der ersteren Forderung ergiebt sich neben dem Eintreten für Beseitigung der polizeilichen Reglementirung der Prostitution und Aufhebung der„ Sittenpolizei" der Kampf gegen die sozialen Ursachen des öffentlichen Lasters. Die Konsequenz von Frau Bieber- Böhms Antrag ist die alte Kinderei des Jagens nach dem gesetzlichen Verbot der Prostitution. Ihre diesbezügliche Forderung erklärte Frl. Helene Lange für ,, wünschenswerth", aber erst in ferner Zukunft durchführbar, blos aus Zweckmäßigkeitsgründen empfahl sie deshalb den Antrag Scheven. Eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Richtungen zwischen den beiden Richtungen und das ist recht charakteristisch widerrieth sie dagegen entschieden, da sie im Hinblick auf die Bundesarbeit zwecklos sei". Obgleich Frl. Augspurg mit Recht einer grundsätzlichen Klärung das Wort redete, ward die Debatte geschlossen. Die Abstimmung brachte einen Sieg der fortgeschritteneren Richtung, der Antrag Scheven wurde angenommen. Daß die Bieber- Böhmerei im Bunde" indessen noch starken Anhang besitzt, das beweisen die Arbeiten und Verhandlungen der Kommission, die im Zeichen der ,, kleinen Mittel" standen. Verzeichnet sei, daß einstimmig eine Resolution zur Annahme gelangte, die die Aufhebung des§ 361, Ziffer 6 des Reichsstrafgesetzbuchs fordert.
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Auch in der Dienstbotenfrage trieben die Verhandlungen der Generalversammlung den" Bund" weiter, als es die Mehrheit der Rechtskommission gewollt, die sich mit ihr zu beschäftigen gehabt. Diese Kommission hatte zwar dem ersten Theile einer Petition zugestimmt, der Abschaffung der Gesindeordnung verlangte, dagegen den zweiten Theil derselben abgelehnt, der Unterstellung der Dienstboten unter die Gewerbeordnung forderte. Die Generalversammlung brachte eine Entscheidung zu Gunsten der letzteren Forderung. Frl. Dr. Raschte, in der offenbar die Juristin stärker war, als die Sozialpolitikerin, vertheidigte zwar die Regelung des Dienstverhältnisses durch ein besonderes Reichsdienstbotengesez. Allein die Beschlußfassung fiel für die Unterstellung der Dienstboten unter die Gewerbeordnung aus, die von Herrn v. Gerlach und Frl. Bäumer befürwortet worden war. Verhandelt wurde noch über die Sonntagsruhe der Dienstboten. Das Ergebniß der Debatten war die Forderung einer gefeßlichen Ruhezeit von einem freien Nachmittag in der Woche und von einem freien Sonntagnachmittag jede zweite Woche. Zur Befürwortung der Freigabe jeden Sonntagnachmittags schwang man sich nicht empor, offenbar war die Rücksicht auf die Bedürfnisse der guten Hausfrau" größer, als die„ Liebe zu den ärmeren Schwestern". Dagegen wurde die Nothwendigkeit betont, die gesetzliche Ruhezeit für jugendliche Dienstboten auszudehnen, damit sie für den Besuch der Fortbildungsschulen Zeit haben. Mit seinen einschlägigen Beschlüssen ist übrigens der gemäßigte Bund" weiter gegangen, als der Verband fortschrittlicher Frauenvereine". Dieser beschränkte sich bei seiner Konferenz im Oktober vorigen Jahres darauf, die Abschaffung der Gesindeordnungen zu fordern, die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung auf die Dienstboten und die Zuständigkeit der Gewerbegerichte für Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem Dienstverhältniß ergeben. Nebenbei sei noch bemerkt, daß nach den vorliegenden Berichten keine einzige der radikalen Führerinnen für eine bessere Ausgestaltung des Dienstbotenrechtes eingetreten ist.
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Die Aktionen des Bundes", beziehungsweise die Verhandlungen und Beschlüsse der Generalversammlung, den Arbeiterinnenschutz betreffend, tragen natürlich die Male bürgerlicher Sozialreform. Es wurden Petitionen eingereicht, die sich auf den gesetzlichen Schutz der gewerblichen Kinderarbeit bezogen, auf die Krankenversicherung und die Zulassung der Frauen zur Gewerbeinspektion. Ueber die Lage der Raffeeverleferinnen in Hamburg und der Strohhutnäherinnen in Dresden fanden Enqueten statt. Theoretisch wurde die Frage der Mutterschaftsversicherung studirt. Das ist etwas, aber auch bei bescheidenen Ansprüchen nicht viel. Die Generalversammlung nahm in einer Kommissionssizung lediglich zur Frage des Konfektionsarbeiterinnenschußes Stellung. Die einschlägigen Verhandlungen wurden durch ein treffliches Referat von Frl. Elben- Stuttgart eingeleitet.& begründete die Nothwendigkeit durchgreifenden gesetzlichen Schutzes und gab einen Ueberblick über Das, was in dieser Beziehung in den verschiedenen Staaten bereits geschehen ist. Die Kommission beantragte folgende Thesen: