205 Aus der Bewegung. Bon der Agitation. Vom 4. bis 22. November sprach Ge­nossin Zietz-Hamburg in einer ganzen Reihe Orte Pommerns. Ost- und Westpreußens  . Versammlungen waren geplant in An- klam. Stralsund  . Wolgast  , Ueckermünde  , Köslin  , Kolberg  , Tapiau  . Jnsterburg. Gumbinnen  , Ragnit  , Tilsit. Ruft, Königsberg  . Elbing   und Stolp  . Die Versammlungen hatten den Zweck, Aufklärung zu bringen über den Widersinn unserer heutigen Wirthschaftsordnung, der so recht drastisch in Erscheinung tritt in der gegenwärtigen Krise, ferner die Versammelten aufzurufen zum flammen­den Protest gegen Fleisch- und Brotwucher und sie den für sie in Frage kommenden Organisationen zuzuführen. In An kl am und Ueckermünde   war es zum ersten Mal. daß eine Frau sprach. Er­freulicherweise waren in beiden überfüllten Versammlungen die Frauen sehr zahlreich vertreten. In der einen Versammlung wurden 40. in der anderen 30 Personen dem Fabrikarbeiterverband zugeführt. In Wolgast   und Stralsund   waren fast die Hälfte der Versammelten Frauen. Im letzteren Orte betheiligten die Genossinnen Wulff und Niemann sich in vorzüglicher Weise an der Diskussion, die Er­schienenen zur intensiveren Antheilnahme an der Bewegung anspornend. Ueberfüllt waren die Versammlungen in Köslin   und Kolberg  , ob­gleich sie erst in letzter Stunde bekannt gegeben worden. Soweit Sitzplätze vorhanden, waren dieselben von Frauen besetzt, während Kopf an Kopf gedrängt die Männer bis weit in den Vorraum standen. In Kolberg   wurden eine Anzahl Personen dem Verbände zugeführt und circa ein Dutzend Abonnenten derGleichheit" gewonnen. Ueber das Schicksal der Versammlung zu Tapiau  . zu der Männer und Frauen nicht nur aus der Stadt, sondern meilenweit aus der Um­gegend herbeigeeilt waren, haben wir bereits in letzter Nummer be­richtet. In Jnsterburg und Ruft war uns wieder einmal das Lokal abgetrieben worden, so daß die Versammlungen ausfallen mußten. Ueberfüllt waren die Versammlungen in Tilsit   und Ragnit  , die im eigenen Heim der Arbeiter stattfanden. Im letzteren Orte haben die Arbeiter 22 Monate lang einen Kampf mit der Behörde um das Lokal führen müssen. Zuerst war das Lokal nicht hoch genug bis zur Decke, dann verursachte die Holzbekleidung einer Wand Feuers­gefahr, später mußte die Decke vergipst werden, schließlich war die Thür, dann der Ofen, darauf der Schornstein nicht vorschriftsmäßig. Als all diesenMängeln" abgeholfen, ward an einem Sonntagnach­mittag eine Versammlung aufgelöst, weil-- die Beleuchtung nicht vorschriftsmäßig sei. Unsere Genossen sind noch auf der Suche nach einem Manne, der nöthigenfalls die Sonne putzen kann. Für die Abendbeleuchtung ward die Verwendung von Petroleumlampen und frei in der Luft schwebenden" Lichtern verboten. Es wurden also Laternen angebracht. Soweit war alles gut. Da stirbt die Frau des Hauswirthes, und die Genossen erlauben, daß die Leiche im Lokal aufgebahrt wird. Einige Wochen darnach verbietet die Polizei eine geplante Versammlung, weil die Leiche einer Frau im Lokal gestanden, die an einer ansteckenden Krankheit, der Kopfrose, gestorben. Die Genossen gehen an eine gründliche Reinigung. Thören, Fenster, Fuß­boden, Tische und Bänke werden mit Seifen- und Sodawasser ab­gescheuert, die Wände frisch getüncht. Genügt nicht. Erst nachdem alles mit Karbolsäure desinfiszirt worden, konnte die Versammlung stattfinden. Da sage noch Einer, die Behörde nehme sich nicht der Arbeiter an und wache nicht mit peinlichster Gewissenhaftigkeit über ihr Leben und ihre Gesundheit. In Gumbinnen   war der Saal von Männern, ein Nebenraum von Frauen überfüllt. Dem Fabrik- wie dem Maurerverbande wurden neue Mitkämpfer gewonnen. Ge­nossin Keßler erklärte sich bereit, den Posten als Vertrauensperson zu übernehmen. In Königsberg   durfte die Versammlung des Buß­tags halber nicht tagen. Wir berichten darüber an anderer Stelle. Prächtig besucht war die Versammlung in Elbin g. Hier ward eine Zahlstelle des Fabrikarbeiterverbandes gegründet. Die letzte Ver­sammlung fand in Stolp   statt. Das Lokal der Genossen dort ist nicht groß, es faßt ca. 1S0 Personen, laut Polizeiverordnung dürfen jedoch nur 31 Platz nehmen. Da bleibt nun die ganze Mitte des Saales frei und zum Theil auch noch die Bänke längs den Wänden, während im kleinen Nebenraum, sowie auf dem Flur die Besucher wie die Pökelheringe zusammengepfercht stehen. Es geht nichts über den Polizeiverstand! Zum ersten Male wohnten in Stolp   Frauen einer Versammlung bei, sie versprachen, es solle nicht auch das letzte Mal gewesen sein. Die Agitation hat der Arbeiterbewegung wieder eine stattliche Anzahl neuer Mitkämpfer gewonnen, hier und dort neue Anknüpfungspunkte für eine planmäßige Thätigkeit geschaffen und Aufklärung über Fragen der Verwaltung gebracht. Sie hat außerdem an manchen Orlen den Muth der Genossinnen und Genossen gestärkt und sie angespornt zu neuer, unermüdlicher Agitations- und Organisationsarbeit. l,. Auf Veranlassung des Agitationskomites für den Niederrhein  unternahm Genossin Kähler kürzlich eine Agitationstour in diese Gegend. Versammlungen fanden statt in Essen, Viersen  , Altena  , er sagt immer, daß die Arbeitsstunden zu lang sind, und daß der Staub ihm die Lungen ruinirt.... ich dagegen sage, daß es der Husten ist.... na ja, aber das muß wohl dasselbe sein....(sie nimmt die unterbrochene Rechnung wieder auf> also vierzehn hat der Vater und sechs die Mutter in der Spinnerei verdient....(Pause) .... Oh, wenn ich zwanzig Lire hätte!....(denkt nach).... Vor Allem würde ich nicht schlechter Laune sein, und dann würde ich so­viel Fleisch und so viele, viele Eier kaufen um die Mutter gesund zu machen.... und dann auch eine ganze kleine Zuckertüte.... wenigstens für heute, zum Geburtstag des guten....(verbessert sich» vom Jesuskind!.... wo es mir nichts gebracht hat!.... Na ja, aber.... Vater und Mutter können sie eben nicht so ausgeben, wie sie wohl möchten.... Ich Hab' gehört, wie sie den Ueberschlag machten:Sechs Lire für den Hauswirth.... zehn für den Kauf­mann.... das sind(rechnet).... sechzehn---- fünf für Holz und Kohlen.... das sind(zählt an den Fingern) einundzwanzig.... «erstaunt!) Wieso einundzwanzig?!.... Wenn sie doch nur zwanzig haben?.... Das ist'ne schöne Bescheerung!!.... Hätte mir doch ivenigstens das Christkindchen eine Lira gebracht!... ich würde sie gleich der Mutter geben.... aber Kuchen, nichts, rein gar nichts! ....(gähnt) Ach, was für ein häßliches Weihnachten wird das heute werden!.... Und wenn ich denke, wieviel gute und schöne Dinge ich auf dem Rückweg von der Schule in den Schaufenstern gesehen habe.... Da kriege ich ja beinahe Lust hinzulaufen, eine Scheibe einzuschlagen und mir das alles selbst dort zu holen, was mir das Christkindchen nicht gebracht hat.... weil.... vielleicht eben weil ich arm bin.... Nicht wahr, Ihr Herren?(Sie wirft wüthend den Schuh fort.) Aber.... wißt Ihr was ich thun werde, um mich zu rächen?.... Wenn sie mir in der Schule wieder damit kommen, daßdie Arbeit Quelle alles Reichthums" sei wie sie mich im Schreibunterricht haben schreiben lassen dann werde ich, weil Vater und Mutter arm sind und krank vom zu vielen Arbeiten, ganz, ganz laut rufen:Nein, das ist nicht wahr!" Mutter Jones. (Schluß.) Eines Winters, als der Schnee hoch lag, wurde Mutter Jones durch ihre Pflicht als Organisatorin in eine pennsylvanische Kohlen­gräberniederlassung geführt. Hier begegnete sie keinen freundlichen Gesichtern, und die Grubenbesitzer waren entschlossen, den Kampf gegen dieAufhetzerin" aufzunehmen. Mutter Jones miethete ein Zimmer in dem einzigen Logierhaus des Ortes, das eine Witwe hielt. Darauf ging sie aus und hielt ihre Versammlung ab. Es war spät, als sie heimkam, und sie war müde, die erwartete Ruhe sollte sie je­doch diese Nacht nicht finden. Kaum hatte sie ihr Zimmer be­treten, als die Wirthin erschien und ihr mit verlegenem Zögern und augenscheinlicher Beschämung mittheilte, daß die Grubengesell­schaft ihr kund und zu wissen gethan habe, Mutter Jones dürfe nicht im Hause bleiben. Unter Thränen erklärte die Frau, daß sie für ihre Existenz von der Gesellschaft abhängig sei, daß sie nicht wagen könne, ihr Trotz zu bieten und-- und daß sie darum Mutter Jones bitten müsse, so gut zu sein und anderswo zu übernachten. Gewiß war Mutter Jones so gut! Sie hörte zu, was ihr die Witwe von erdrückender Plage und Abhängig­keit von den Grubenherren erzählte, tröstete sie, so gut es gerade eine Frau vermag, küßte sie und ging in die Nacht hinaus. Erst nach geraumer Zeit und nach vielem Hin und Her in dem hohen Schnee gelang es Mutter Jones, einen Kohlengräber zu finden, der muthig genug war, ihr zu gestatten, auf dem Fuß­boden seiner Hütte zu schlafen. Aber Mutter Jones wurde ge­rächt. Sie blieb so lange in der Niederlassung, bis sie eine Organisation der Kohlengräber gegründet hatte und die Kapitalisten gezwungen waren, ihren Lohnsklaven etliche Zugeständnisse zu machen, die sie auch später achten mußten.-- Das wahrscheinlich dramatischste Ereigniß in Mutter Jones' Leben trug sich während des Streiks der Hartkohlengräber vor