20� In einer katholischen Gegend, so fügte ich bei, seien Ortsnamen mit dem vorausgehenden„Sankt" keine Seltenheit, aber hier sei meines Wissens keine katholische Bevölkerung vorhanden. Die Frauen sahen sich gegenseitig ratlos an und wußten mir keine Auskunft zu geben, desto besser verstand dies der in Schwarz gekleidete junge Mann. Er erklärte uns. daß diese Namen aus der Zeit vor der Reformation herrührten und suchte uns das im einzelnen ungefähr in einer Art auseinanderzusetzen, wie man Kindern etwas plausibel macht. Das veranlaßte die mitfahrenden Frauen zu der Bemerkung: Der Herr sei wohl Lehrer, da er alles so„scheene auslegen" könne. „Nein, nicht Lehrer, sondern Predigeramtskandidat von Sankt Nikolaus " (wenn ich mich recht erinnere), lautete die Auskunft:„Nein, Gott sei Dank! In unsere Gegend setzt kein katholischer Pope seinen Fuß, unser ganzes Sachsenvolk ist gut protestantisch", fügte der Herr dann mit dem Ausdruck innerster Befriedigung hinzu.„Aber Ihr König ist doch katholisch", warf ich ein.„Ja leider!", war die mit einem tiefen Seufzer begleitete Antwort. Und dann sprudelte es nur so in Zorn und Entrüstung aus dem Munde des Kandidaten, daß August der Starke seine Religion geändert habe, und was das Verwerflichste gewesen, um König von Polen zu werden, also um materieller Vorteile willen. Einmal in Zug gekommen, kritisierte nun der Herr Kandidat scharf die verschiedenen Gebräuche der katholischen Kirche und vor allem den für einen denkenden Menschen unerträglichen Gewissenszwang. Um die letztere Kritik zu vervollständigen, führte auch ich einige Beispiele krassen Gewissenzwangs von seilen der katholischen Geistlichkeit an. Ob es die Beispiele waren oder die Art, wie ich sie vorgetragen, weiß ich nicht, kurz meine Äußerungen schienen dem Herrn nicht recht zu behagen. Er suchte vom Thema abzulenken und bemerkte ganz unvermittelt, mit dem sächsischen Königshaus würde es nicht eher anders werden, als bis einer der Könige sich ermanne und erkläre: ich kehre zu dem protestantischen Glauben, dem Glauben meiner Vorfahren zurück.„Um August den Starken war es nicht schade, daß er zum Katholizismus übertrat", setzte der Kandidat hinzu,„der hat es nie ernst mit seinem Protestantismus genommen, aber tieftraurig ist, daß das sächsische Königshaus sich noch heute zur katholischen Kirche bekennt." „Daß das Königshaus wieder protestantisch wird, darauf werden Sie wohl noch recht lange warten können", bemerkte ich.„Der sächsische König hat doch erst kürzlich eine Million nach Rom gesandt." August den Starken zu kritisieren, das hatte sich der Herr schon erlaubt, das war gefahrlos; gegen den regierenden König zu„nörgeln", auch wenn er katholisch ist, das durfte dagegen ein Predigeramtskandidat unter keinen Umständen wagen. So lenkte unser Kandidat denn auch gleich ein und meinte:„Ja, unser König meint es eben ernst mit seiner Religion. Und eine ehrliche Überzeugung, selbst wenn wir sie für falsch halten, muß man unbedingt achten." „Sicher, das ist auch vollkommen meine Meinung", erklärte ich. „Zudem muß man dem Katholizismus für eins dankbar sein", klang es aus dem geistlichen Munde weiter,„in den Gegenden, wo er seinen Sitz hat, kommt die Sozialdemokratie nicht hoch!" „So, ist das Ihre Meinung?" „Ja sicher, sehen Sie doch nur nach dem Rheinland." „Sie halten also unter Umständen den Glaubenszwang für gut, für berechtigt?" fragte ich.„Nach Ihrer Logik ist mithin ein schlechtes, verwerfliches Mittel, das Sie sonst auf das schärfste verurteilen, zu billigen, wenn es einem Zwecke dient, der Ihrer Meinung nach gut ist. Ei, da sind Sie ja ein Jesuit!" Meine Schlußfolgerung erschien dem Herrn denn doch zu hart. Er habe nicht gesagt, man müsse dem Katholizismus für diesen Erfolg dankbar sein, erklärte er mir, er habe nur gemeint, man könne dazu versucht sein. Ich erwiderte ihm, daß er vorher diesen feinen Unterschied nicht gemacht, sondern ganz positiv die Verpflichtung zum Danke ausgesprochen habe. Zudem könne ich meinerseits nicht fassen, wie man auch nur versucht sein könne, jemand weniger streng zu beurteilen oder ihm gar zu danken, wenn er etwas getan, was mir gerade einmal angenehm sei, was mich aber sonst auf das tiefste empöre. Eine solche Moral sei mindestens recht merkwürdig. „Ja, ich bin eben kein Sozialdemokrat", bemerkte der Herr ganz unvermittelt.„Ich bin es deshalb nicht, weil die Sozialdemokratie nicht nur die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ändern will, sondern weil sie auch vie Religion bekämpft." An der Hand unseres Programms wies ich dem Herrn Kandidaten nach, daß seine letzlere Behauptung eine Unwahrheit enthalte, die Sozialdemokratie bekämpfe nicht die Religion.„Aber selbst wenn die Sozialdemokraten so böse Menschen wären und den Gläubigen die Religion nehmen wollten", setzte ich hinzu,„wäre es denn möglich, daß sie dieses ihr Ziel erreichten? Wenn Sie das glauben, so scheinen Sie mir das religiöse Empfinden der Menschen weit tiefer einzuschätzen, als die Sozialdemokraten es tun. Die Religion ist doch nicht ein Etwas, das man an den Hut oder Rock steckt, so daß jeder Zibeliebige es uns entwenden kann. Ich denke, der Glaube, das religiöse Empfinden ist Herzenssache, ist innere Überzeugung, und die kann mir niemand rauben, es sei denn, er brächte mir eine andere Überzeugung bei. Dann ist es aber mein eigener Wille, mein Verstand, der die innere Umwälzung vollbracht hat. Was die Sozialdemokratie bekämpft, ist der Mißbrauch, der von so vielen Geistlichen mit der Religion getrieben wird. Und es ist Mißbrauch, den Arbeitern, ihren Frauen und Kindern vorzureden, es sei die größte Sünde wider Gott, wenn sie die Arbeiterzeitung lesen, wenn sie sich organisieren, um für sich und die Ihrigen ein besseres Stück Brot, etwas mehr Zeit für das Das Geschenk. Die Geschichke eines Weihnachtsabends. Von Otto Rrille. Christine Breuer wartete auf ihren Mann. Sie horchte auf jeden Schritt, der auf dem Flur erschallte, in träumerisch sehnsüchtiger Erwartung. Nicht daß sie ihm etwas Freudiges, Unerhörtes zu sagen gehabt hätte. Nur mit ihm plaudern wollte sie, bis die Müdigkeit kam. Es war ja Weihnachtsabend. Die Stube war nicht geschmückt. Kein Lichterbaum, kein Fichtenduft. Für wen auch? Kinder hatten sie nicht, und beide waren über die Kinderfreuden hinaus. Gleichwohl war Christine festlich gestimmt und wartete auf ihren Mann, als ob er ihr ein Geschenk bringen würde. Als er kam, war er wortkarger und müder als sonst. Schweigsam verzehrte er das Abendbrot, schweigsam setzte er sich auf das ärmliche Sofa. Seine Augen blickten unruhig in der Stube umher. „Was hast du da in dem Packen?" „Kuchen.... Für die Kinder drüben.... Sie holen mir immer ein..." „Soo." „... Wenn wir auch... Kinder hätten...!" Wehe, verhaltene Zärtlichkeit lag in ihren Worten. Mit eigentümlich fragenden Blicken sah Breuer seiner Frau ins Gesicht. Draußen kroch die Dämmerung über die schneebedeckten Dächer und lagerte sich vor den Fenstern. Die Konturen der Häuser verschwammen in schwärzlichem Nebel. So eine Abenddämmerung ist wie ein unsichtbarer Feind. Man ahnt und fühlt ihn überall, aber er läßt sich nicht fassen. „Zünde die Lampe an!" „Willst du lesen? Ich... ich habe es heute so lieber,'s ist ja Weihnachten...." Weihnachten! Das klingt wie ein Kinderlied, das niemand ganz vergessen kann. Wenn im Ofen das Feuer prasselt und der Schnee die Nächte erhellt, und sei es in der Großstadt nur auf den Dächern, da beginnt es zu klingen leise, ganz leise. Und es klang auch in den beiden einsamen Menschen; denn einsam waren sie trotz der Ehe. Das fühlte Gustav Breuer am Weihnachtsabend. Sie waren nebeneinander hergegangen die langen Jahre hindurch, ohne sich ganz zu kennen. Und immer gearbeitet, immer gearbeitet! Die kurzen Abende und den Sonntag verlebte man zusammen wie zwei gute Bekannte, aber was drinnen im Herzen flackerte, tief im Grunde der Seele, das hatte man nie beachtet, und wenn sich leise Stimmen regten und sich zu einer wehmütigen Melodie vereinigten, da polterte der Tag drein, und in dem gewaltigen Chor der Maschinen verstummten alle Herzenstöne. So war es Breuer lieb gewesen. Er haßte die weichen Regungen. Aber heute kämpfte er vergebens dagegen. Die Stille ringsum und die Dänimerung griffen ihm gleichsam mit weichen zärtlichen Händen ans Herz. Etwas fehlte diesem Leben voller Arbeitstage. Niemals hatte er dieses unbekannte Etwas mehr vermißt als an dem Tage der Kinderfreude. Christine hatte den Tisch geordnet. Jetzt blieb sie vor ihrem Manne stehen und blickte ihn an mit bittenden Augen. Er fühlte es gleichsam trotz dem Schleier der Dunkelheit. „Gustav! Wollen wir nicht auch noch einen Baum kaufen, einen ganz kleinen, und ein paar Lichter drauf?" „Ach!" Er preßte es mühsam heraus. „Ich... ich... halte es so nicht aus."
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13 (16/12/1903) 26
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